Mittwoch, 23. Oktober 2013

Blumenthal & Wilhelms-burg



Über Internationale Bau- und Gartenausstellungen, Erzählcafés und Modellprojekte



Kann die Internationale Bauaustellung (IBA) in Wilhelmsburg kreative Impulse für Blumenthal liefern?




             Ein neues Wahrzeichen: Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU)


Zur Stadtteilentwicklung in Blumenthal, wie sie von Bremen betrieben bzw. unterlassen wird, gibt es Alternativen. Das belegt gegenwärtig sehr eindrucksvoll der „Sprung über die Elbe“, in Hamburg-Wilhelmsburg, wo Hamburg durch die Internationale Bauausstellung (IBA) und die Internationale Gartenschau (igs) das Image des sozial benachteiligten Stadtteils Wilhelmsburg verbessern will.

Dabei werden von den aktuellen Events nachhaltige Wirkungen erwartet. Grundlagen dafür sind die Standortverlagerung der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) sowie zahlreiche bauliche Maßnahmen wie ein Gesundheitszentrum, ein Park-Sport-Konzept, Modelle für die Gestaltung offener Lernumwelten und viele Beispiele für umweltgerechtes Bauen.

Auch wenn die Ansätze häufig aufgrund des Hamburger Selbstverständnisses groß und teuer geplant wurden, können sie als Anregung für die Entwicklung Blumenthals und vor allem für das BWK-Areal dienen, da zahlreiche Problemstellungen durchaus ähnlich sind.

Das gilt für die Konzeption eines Wohn- und Dienstleistungsbereichs mit Arbeitsplätzen in der Verwaltung sowie im Bildungs- und Gesundheitswesen, die architektonische Nutzung des Elements Wassers wie es die Flüsse anbieten und die Einbeziehung vorhandener Parks, um ein für Kinder und Jugendliche besonders attraktives Wohnumfeld zu schaffen.

Falls Bremen dem Beispiel Hamburgs folgen und zukunftssichere Dienstleistungsarbeitsplätze nach Blumenthal verlagern würde, könnte auf dem BWK-Gelände ein attraktives Wohngebiet für Familien mit Kindern entstehen, das durch einen Bahnhof ganz in der Nähe eine gute Verkehrsanbindung an die Bremer Innenstadt hätte. Bremen würde damit nicht nur mit der Überseestadt über ein maritimes Wohnviertel für einkommenskräftige Singlehaushalte verfügen, sondern könnte hier aufgrund der vorhandenen Standortgegebenheiten ein Quartier für Familien, Studenten und ältere Menschen als Alternative zu seinen alten Großwohnanlagen und den Neubaugebieten in den Umlandgemeinden entwickeln, in die bisher zahlreiche Haushalte mit durchschnittlichen oder geringeren Einkommen abgedrängt wurden.


                                     Blick auf Bürgerhaus und Umweltbehörde


Flussinsel als städtischer Hinterhof


Nicht nur Bremen hat mit den Folgen der Globalisierung und des sektoralen Strukturwandels zu kämpfen, die in früher industriell geprägten Arbeitervierteln wie Gröpelingen, Vegesack und Blumenthal zu Beschäftigungsproblemen mit vielfältigen sozialen Schwierigkeiten geführt hat. Auch Bremens große Konkurrentin an der Elbe hat mit diesen Problemen zu kämpfen, die sie allerdings wegen ihre Stärken in anderen Sektoren vermutlich besser kompensieren kann.

Zu den sozial benachteiligten Gebieten Hamburgs gehört vor allem der Stadtteil Wilhelmsburg mit etwa 55.000 Einwohnern, der aufgrund seiner Lage zwischen den beiden großen Elbarmen Norderelbe und Süderelbe bzw. Köhlbrandt für die Hamburger als größte Flussinsel Europas gilt.


Dabei bestehen auf der Elbinsel jedoch erhebliche Unterschiede. So findet man im Westen neben größeren Industriebetrieben das multikulturelle Reiherstiegviertel um Veringstraße und Stübenplatz, wo mittwochs und samstags ein großer Wochenmarkt stattfindet, der an die Heimat der Zuwanderer erinnert.

Stübenplatz im Reiherstiegviertel





Vehringstraße im Reiherstiegviertel













In den östlich gelegenen Gebieten Georgswerder und Kirchdorf überwiegen hingegen Einfamilienhäuser und Bauernhöfe. Daneben gibt es allerdings auch einige Großsiedlungen aus den 1970er Jahren, so Kirchdorf-Süd mit fast 6.000 Einwohnern.


                                          Kirchdorf-Süd (Quelle: wikipedia)


Am Anfang war eine Wollkämmerei


Die Industrialisierung und damit auch ein vorher nicht gekanntes Bevölkerungswachstum begann in Wilhelmsburg ähnlich wie ein halbes Jahrzehnt vorher in Blumenthal im Jahr 1889 mit der Gründung einer Wollkämmerei. Für die auf der Elbinsel dieselben Standortvoraussetzungen wie in Blumenthal bestanden: eine große preußische Gemeinde innerhalb des Zollvereins mit einem eigenen Hafen, da Wilhelmsburg erst 1937 nach Hamburg eingemeindet wurde.

Allerdings wagten in Wilhelmsburg keine Wollhändler aus der Hansestadt die industrielle Investition, sondern die bereits bestehende Leipziger Wollkämmerei. Ein Jahr später waren in diesem neuen Betrieb bereits 1.000 Arbeitskräfte beschäftigt, sodass auch hier vor allem Frauen aus der damaligen preußischen Provinz Westpreußen als Arbeitskräfte angeworben wurden. Im Volksmund nannte man daher ein Viertel nördlich des Vogelhüttendeichs sogar "Klein Warschau".

Anschließend erlebte die Kämmerei in Wilhelmsburg eine wechselvolle Geschichte, da sie vom Wollkonglomerat der 
Delmenhorster Nordwolle übernommen und zunächst in den 1920-er Jahren bis zu 2.000 Beschäftigte zählte. Nach dem Zusammenbruch der Nordwolle wurde der Betrieb unter dem Namen Hamburger Wollkämmerei eine gemeinsame Tochter der damals bestehenden drei deutschen Wollkämmereien, also der in Hannover-Döhren, Leipzig und Blumenthal. 

Nach erheblichen Kriegsschäden brachte die Sturmflut 1962 das endgültige Aus, da die drei Mütter sie nach den Flutschäden wegen der nicht mehr benötigten Kapazitäten nicht wieder aufbauten.

Zusätzlich zur Kämmerei siedelte sich jedoch eine Reihe anderer Unternehmen im westlichen Teil der Wilhelmsburger Elbinsel an, und zwar vor allem aus dem Bereich der Mineralölverarbeitung und Lebensmittelindustrie. So findet man hier heute im Westen eine Shell-Raffinerie, im Norden eine Werft und im Süden die Aurora-Mühle sowie die Deutsche Extrakt Kaffee GmbH (DEK), den bedeutendsten Anbieter für lösliche Kaffees und lösliche Kaffeegetränke im Bereich der Handelsmarken. Aufgrund dieser industriellen Arbeitsplätze 
galt Wilhelmsburg für Jahrzehnte als typisches Hamburger Arbeiterquartier. 

Ein Wandel trat erst mit der Zuwanderung von Arbeitskräften aus dem Ausland ein, die die deutschen Beschäftigten nach und nach ersetzten. So entwickelte sich Wilhelmsburg zu einem typischen multikulturellen Stadtteil

Wilhelmsburg: multikulturelles Viertel mit Negativimage


Mit dem Beginn der Industrialisierung wuchs die Einwohnerzahl Wilhelmsburgs rasch. Während hier 1875 nur etwa 4300 Menschen lebten, waren es 1925 bereits 32.000. Bei diesem Trend zu Verstädterung lässt sich eine kurios erscheinende Entscheidung des damaligen Bürgermeisters nachvollziehen, der von einem weiteren ungebrochenen Bevölkerungszuwachs ausging und daher das neue Rathaus genau im Mittelpunkt der Insel bauen ließ, obwohl es dadurch noch heute relativ isoliert außerhalb der Siedlungskerne steht.

Neben den Kriegszerstörungen stellte die Flutkatastrophe im Jahr 1962, bei der Wilhelmsburg die weitaus meisten Toten in Hamburg zu beklagen hatte, einen harten Einschnitt in der Entwicklung dar. Damals beschloss der Senat, den von der Flut überschwemmten westlichen Teil Wilhelmsburgs nicht wieder aufzubauen, wovon man erst in den 1970-er Jahren wieder abrückte. (Meyer, Arbeiter)

Vergleicht man Wilhelmsburg und Blumenthal als ehemalige Industriequartiere, deren Probleme sich heute statistisch in vielen Migranten und Empfängern von Transferleistungen niederschlagen, so stößt man auf graduelle Unterschiede. Während Wilhelmsburg durch seine junge Bevölkerung, die zu über 50 Prozent einen Migrationshintergrund besitzt, v
om Hamburger Durchschnitt abweicht, weist Blumenthal eine relativ alte Bevölkerung mit einer hohen Arbeitslosenquote auf. Ähnlich ist in beiden Fällen der niedrige Gymnasiastenanteil.


Die Sozialstruktur von Blumenthal und Wilhelmsburg im Vergleich

Merkmal
Wilhelmsburg
Blumenthal
Hamburg
Einwohner
50.091
30.863
1.733.260
Einwohnerdichte
1.419
1.361
2.295
Unter 18-jährige
21,7
17,1
15,6
Über 65-jährige
14,2
22,4
19,1
Ausländeranteil
33,6
11,9
13,6
Bevölkerung mit Migrationshintergrund
55,2
28,2
28,1
Einpersonenhaushalte
45,6
43,2
51,6
Arbeitslose
10,8
16,2
6,4
Hartz IV (1)
26,5
21,3
11,6
Schüler in Gymnasien
25,1
26,9
45,5


1) Leistungsempfängerinnen/-empfänger nach SGB II1) (März 2010) in % der Bevölkerung
Quelle: Wilhelmsburg: Stat. HH, S. 52f. und Blumenthal: Statistk-Bremen


Diese Sozialdaten schlagen sich im Ergebnis der letzten Bundestagswahl nieder, wobei sowohl Blumenthal als auch Wilhelmsburg die für Bremer WiN-Gebiete typische Kombination von hohen SPD-Anteilen und niedriger Wahlbeteiligung aufweisen. Der hohe Anteil der Migranten auf der Elbinsel ist offensichtlich zulasten der CDU gegangen, während die Linke und die Grünen hiervon profitiert haben. 


Zweitstimmen in % bei der Bundestagswahl 2013


Wilhelmsburg
Hamburg
Blumenthal
Bremen
Wahlbeteiligung
57,1
69,6
62,8
69,9
CDU
23,7
32,2
30,3
29,1
SPD
40,6
32,4
40,0
34,9
Grüne
9,0
12,6
7,0
12,8
FDP
2,3
4,8
2,1
3,5
Linke
13,1
8,8
8,5
10,3
AfD
4,3
4,1
5,0
3,7

Einen recht kleinen Effekt hatte in Wilhelmsburg möglicherweise der konzentrierte stadtpolitische Einsatz Hamburgs mit seinem Sprung über die Elbe, da hier die Wahlbeteiligung ganz leicht um +0,7-Prozentpunkte gestiegen ist (Analyse, S. 20). Gleichzeitig war in Blumenthal ein weiterer Rückgang um –2,3 Prozentpunkte zu registrieren.



         Obst- und Gemüseladen am Stübenplatz



    Basar an der Fährstraße                                            
                                                                     









Stadtpolitische Initiativen in Wilhelmsburg


Das Land Hamburg stieß mit seinem „Sprung über die Elbe“ in Wilhelmsburg auf viel Misstrauen, da die Bewohner von den Politikern am Rathausmarkt nur eine Politik des „Raumes für den störenden Rest“ kannten. So hatte man auf der Insel problembeladene Hochhausgebiete in Kirchdorf-Süd, an der Neuenfelder Straße und im Korallusviertel geschaffen. (Weißbuch, S. 101)

Auch wurde Hamburgs Hinterhof durch die Lagerung und Verbrennung von städtischen Müll belastet. So entdeckte man 1983 Dioxine im Sickerwasser der Mülldeponie in Georgswerder und ein Jahrzehnt später plante die Umweltbehörde in Wilhelmsburg eine Müllverbrennungsanlage (Weißbuch, S. 102).

Da die Wilhelmsburger ihre Heimat nicht zu einem „Unort“ für die sozialen und ökologischen Belastungen Hamburgs machen lassen wollten, gründeten sie zahlreiche Bürgerinitiativen und Quartierszeitungen, durch die eine lebendige Partizipationsdemokratie entstanden ist.


Auf diese Weise konnte nicht nur die Müllverbrennung auf der Elbinsel verhindert werden, sondern sich auch ein neues Verhältnis der Bewohner zu ihrem Wohnumfeld herausbilden. So macht man sich Gedanken über die Flächennutzung und stellt fest: „Als Lagerplatz und Güterdrehscheibe ist Europas größte Flussinsel zu schade.“ (Weißbuch, S. 34)

Das Inselforum, in dem zahlreiche Bürgerinitiativen zusammengeschlossen sind, hält eine einseitige Ausrichtung auf das Logistikgewerbe, wie sie Hamburg anstrebte, unter „fiskalischen, sozialen, ökologischen und bildungspolitischen Gesichtspunkten“ für „fatal“; denn man sieht im flächenverbrauchenden Logistikgewerbe „massive Beeinträchtigungen für eine zukunftsfähige nachhaltige Entwicklung von ganz Wilhelmsburg“. Daher sollen störende und /oder gefährliche Gewerbebetriebe umgesiedelt werden, um auch durch den Einsatz moderner Technologie Flächen zurückzugewinnen. (Weißbuch, S. 34)


Ein Sprung über die Elbe mit IBA und IGA


Als geeigneter Standort für Dienstleistungsbetriebe und Wohnungen wurde Wilhelmsburg spätestens 2006 vom Hamburger Senat „entdeckt“, nachdem man hier zuvor vor allem ein Hafenerweiterungs- und –ergänzungsgebiet gesehen hatte. So will man seitdem mit einem Programm zur Förderung studentischen Wohnens Studierende nach Wilhelmsburg und Veddel holen.

Das war allerdings nur ein kleiner Anfang; denn in dieser Zeit begannen auch die Vorbereitungen für zwei große Events, die Besucher nach Wilhelmsburg locken und dort für nachhaltige Entwicklungsimpulse sorgen sollten. Dabei handelt es sich um zwei städtebaulich relevante Ausstellungen, die nur alle zehn Jahre stattfinden und daher bereits ein erhebliches Gewicht besitzen.


Die Internationale Gartenschau Hamburg (igs) fand von April bis Oktober 2013 auf einem ca. 100 ha großen Gelände unter dem Motto „In 80 Gärten um die Welt“ statt. Dieser Veranstaltungstyp findet in Deutschland nur alle zehn Jahre statt und ersetzt im jeweiligen Jahr die Bundesgartenschau (BUGA), die alle zwei Jahre veranstaltet wird. Eine igs ist jedoch nicht nur seltener als eine BUGA, sondern muss auch bei einer internationalen Organisation (Bureau International des Expositions (BIE) in Paris) beantragt und von der Association Internationale des Producteurs de l’Horticulture (AIPH) genehmigt werden.

Dieser internationale Anspruch bleibt nicht ohne Rückwirkungen auf die Kosten. So wurden in Wilhelmsburg 70 Mio. € investiert. Trotzdem erwies sich die igs nicht als der erwartete Besuchermagnet, da die 1,2 Mio. Zuschauer nur die Hälfte der kalkulierten Anzahl von Eintrittstickets kaufte, sodass die Ausstellung mit einem Minus von 37 Mio. €. abschloss. Trotzdem beurteilen die Veranstalter die Wilhelsmburger igs als Erfolg, da sie in der Gartenschau eine Initialzündung für die Stadtentwicklung auf der Insel sehen, durch die auch die parallele IBA erst zustande gekommen ist. Zudem wäre Hamburg ihrer Meinung nach nicht bereit gewesen, den Inselpark für die Wilhelmsburger auszubauen, wenn damit kein Touristenevent verbunden gewesen wäre.

Allein schon vom Material her nachhaltiger sind die Gebäude der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA), die wie auch die anderen Internationalen Bauausstellungen zuvor städtebauliche Akzente setzen soll und damit generell eine längerfristige Wirkung intendiert. In Wilhelmsburg werden dabei nicht nur städtebauliche Impulse und ein besseres Image für Wilhelmsburg angestrebt. Vielmehr wollen die Planer unter dem Motto „Entwürfe für die Zukunft der Metropole“ mit baulichen, sozialen und kulturellen Projekten zeigen, „wie die Metropole von morgen auf die Herausforderungen von Globalisierung, Polarisierung und Klimawandel reagieren kann“.

Dazu wurden drei Leitthemen gewählt: Unter dem Stichwort „Kosmopolis“ soll gezeigt werden, wie mit städtebaulichen Mitteln alle Einwohner von der kulturellen Vielfalt in Hamburg profitieren können. Daher will man „Neue Chancen für die Stadt“ sichtbar werden lassen.

Im Bereich „Metrozonen“ sollen innerstädtische Bruchkanten für Neues nutzbar gemacht werden, um auf diese Weise neue Räume für die Stadt zu finden.

Das dritte Thema „Stadt im Klimawandel“ will schließlich anhand von Beispielen zeigen, wie Hamburg mit eigener Energie das Klima schonen kann. 


Gerade in diesem Bereich konnte die IBA mit spektakulären neuen Ideen viel Aufmerksamkeit auf sich lenken, so durch die Konversion eines Bunkers aus dem Zweiten Weltkrieg in einen „Energiebunker“, durch die in einen „Energieberg“ umgewandelte Altlast einer Mülldeponie und durch diverse Typen von Klimahäusern.


Akzente für ein neues Zentrum: Wilhelmsburg Mitte


Der Schwerpunkt der IBA-Bauten und –Projekte liegt in Wilhelmsburg-Mitte, wo in der Nähe des S-Bahnhofs ein Zentrum der Elbinsel durch moderne Arbeitsstätten sowie innovative Gebäude zum Wohnen entstanden ist. Hier lässt sich sehr anschaulich nachvollziehen, was mit innerstädtischen Bruchkanten gemeint ist; denn bisher wurde diese durch die S-Bahn gut erschlossene Fläche westlich des Bahnhofs kaum genutzt. Erst jetzt konnte hier durch die IBA-Bauten als Ergänzung zum Bereich östlich der Bahnstrecke mit der dortigen Bahnhofspassage ein neues Zentrum für einen Stadtteil geschaffen werden, der bisher nur über ungeordnet gestreute Siedlungskerne verfügte. Gleichzeitig wird damit im Westen die Freifläche zwischen dem Bahnhofsviertel und dem alten Rathaus sowie dem neuen Bürgerhaus weitgehend geschlossen.

Die aus der Hamburger Innenstadt verlagerte Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) bringt nicht nur 1.400 Arbeitsplätze nach Wilhelmsburg, sondern schafft für die Elbinsel gleichzeitig einen neuen Blickfang und zumindest für viele auch ein spektakuläres Identifikationsobjekt, das dem Stadtteil ein dynamisches Image geben kann. Dazu können sowohl die geschwungene Form als auch die farblich lebendig gestaltete Fassade beitragen.



             BSU von der Neuenfelder Straße


                           

                                                           BSU von der S-Bahn-Seite


Das Gebäude besteht aus einem 54 Meter hohen zentralen Eingangshochhaus sowie zwei Flügel aus jeweils vier Gebäuden nach Norden und Westen. Das zentrale Foyer am Eingang des Hochhauses ist als großes Forum konzipiert, in dem ein Hamburger Stadtmodell zu finden ist. Durch Lichthöfe und eine weiträumige, lichtdurchflutete Eingangshalle wollen die Architekten hier eine angenehme Atmosphäre für den Behördengang, aber auch zum Verweilen schaffen.


Auf der gegenüberliegenden Seite der Neuenfelder Straße wurde als Teil der IBA ein „Eingangskomplex am Inselpark“ mit einem neungeschossigen Ärztehaus und einer viergeschossigen InselAkademie errichtet, an die sich im Osten ein Seniorenzentrum und im Süden ein Wälderhaus anschließen.

Das Ärztehaus selbst stellt die für die IBA fast typische Kombination von Dienstleistungsbetrieben und Wohnungen unter einem Dach dar, denn neben den Arztpraxen befinden sich im Untergeschoss eine Apotheke, ein Sanitätshaus und ein Coffeeshop, während im siebten und achten Stock vier Maisonettewohnungen mit Dachgarten angeboten werden, die einen hervorragenden Blick auf Wilhelmsburg bieten.


Ärztehaus, InselAkademie, Seniorenzentrum und Wälderhaus

Im Seniorenzentrum, dem ein Aus- und Weiterbildungszentrum für Pflegepersonal angegliedert ist, besteht ein Pflegebetrieb mit rund 140 Plätzen, für die rund 70 Mitarbeiter benötigt werden. Außerdem hat man hier eine Kindertagesstätte für bis zu 60 Kinder und eine Mutter-Kind-Wohngruppe mit sieben Appartements für junge Mütter eingerichtet. Durch diese Nutzungsvielfalt soll ein Austausch zwischen den Generationen möglich werden.

Als besonderes Angebot verfügt das Seniorenzentrum oberhalb des vierten Geschosses über einen Demenzgarten, wo die pflegebedürftigen Hausbewohner einen geschützten Ort im Freien nutzen dürfen, wo sie ihre Sinne bewusst erleben oder einfach nur entspannen können. 



                  Ärztehaus

 
      Wegweiser zu den Einrichtungen



















Während in den unteren beiden Etagen der InselAkademie Kurs- und Verwaltungsräume untergebracht sind, stehen in den darüber liegenden zwei Geschossen Wohnräume für Jugendliche zur Verfügung, die mithilfe der vorhandenen Sport- und Sozialangebote betreut werden können.

Ökologisches Wohnen



Werden durch diese Gebäude vor allem Lösungen für demographische, gerontologische und soziale Probleme der modernen urbanen Gesellschaft vorgeführt, wird mit dem letzten Gebäude zum Thema Ökologie übergeleitet, das fokussiert auf den Ausschnitt Energie in der sogenannten Bauausstellung in der Bauausstellung, die auf der anderen Seite des Kurt-Emmerich-Platzes zu finden ist, die zentrale Rolle spielt.

Das fünfgeschossige Wälderhaus auf der Parkseite ist als multifunktionales Ausstellungs-, Schulungs- und Beherbergungsgebäude konzipiert. Eine Dauerausstellung zum Thema Wald sowie ein Drei-Sterne-Hotel und eine Gastronomie schaffen so ideale Voraussetzungen für umweltpädagogische Veranstaltungen.




                         Wälderhaus


                                    
                                                                           Wälderhaus-Gastronomie



Unter dem Claim „Bauausstellung in der Bauausstellung“ werden in sogenannten Fallstudien oder „Case Studies“ innovative Energiekonzepte für den Wohnungsbau vorgestellt, die heute schon zeigen sollen, was morgen Standard sein kann. Hier wird den Besuchern also ein Blick auf ein Stück zukünftige Baugeschichte versprochen.


Dabei unterscheiden die Ausstellungsmacher vier Themenfelder, und zwar nutzungsflexible Hybrid Houses, aus innovativen Materialien gebaute Smart Material Houses, preiswerte Smart Price Houses und in Grund- bzw. Hochwasser gefährdeten Gebieten mögliche WaterHouses.



"Bauausstellung in der Bauausstellung" (Quelle: IBA-Presse-Foto)

Das BIQ- (Bio-Intelligenzquotient) oder Algenhaus

Als besonderer Besuchermagnet erwies sich dabei das Algenhaus. Dabei handelt es sich um einen Kubus mit 15 Wohnungen, dessen biologische Intelligenz in der Fassade steckt. Dort werden hinter Glas Mikroalgen kultiviert, die unter der Sonneneinstrahlung und der Zugabe von Kohlenstoffdioxid und flüssigen Nährstoffen Biomasse und Wärme produzieren. Aus diesem Algensubstrat lässt sich wie in einem Biomassekaftwerk Methangas gewinnen, das entweder direkt im Haus genutzt oder verkauft werden kann. 

Mit diesem Haus kann die IBA sogar eine Weltneuheit präsentieren, da es sich um das erste Haus handelt, das sich über eine Gebäudefassade aus Photobiokollektoren selbst mit Energie versorgt. 




                        Algenhaus
                                      

                                               Blubbernde Glassfassade


Mulitkulturelles Wohnen: WeltQuartier und Veringeck



Aus der Vielzahl der ca. 60 Projekte, die den Themenbereichen „KosmoPolis“ und „Metrozonen“ zugeordnet wurden, sollen hier nur zwei herausgegriffen werden, die sich leicht auch auf andere Städte übertragen lassen, da sie sich auf die architektonische Bewältigung der Folgen der Migration und des demografischen Wandels beziehen.

Im multikulturellen Reiherstiegviertel wurde im Rahmen der IBA zwischen der Veringstraße und der Weimarer Straße eine alte Arbeitersiedlung aus den 1930-er Jahren modernisiert, umgebaut und teilweise abgerissen, um sie im Passivhausstandard neu zu errichten. Dieser Umbau sollte in besonderer Weise den bestehenden multikulturellen Nachbarschaftsbeziehungen Rechnung tragen. Deshalb entwickelten die Sanierungsträger als spezielles Beteiligungsverfahren eine „Interkulturelle Planungswerkstatt“, in der die Sprachprobleme durch den Einsatz von Studierenden der Uni Hamburg als „Heimatforscher“ an den Haustüren überbrückt wurden, die die Menschen vor Ort mehrsprachig zu ihrer Wohnsituation und ihren Wohnwünschen befragen konnten. Durch diese Dolmetscher und den vermehrten Einsatz von Fotos und Modellen konnten kulturspezifische Präferenzen bei der Entwicklung zeitgemäßer Grundrisse berücksichtigt werden. Als besonders beliebt erwiesen sich dabei große Balkone, von denen man über eine Stiege einen kleinen Garten erreichen konnte, den die Mieter gern selbst gestalten.



      Mietergärten im Weltquartier (Quelle: IBA-Presse-Foto)


Weiter nördlich wurde das Veringeck realisiert, ein bundesweites Modellprojekt mit unterschiedlichen Wohnangeboten für Senioren mit und ohne Migrationshintergrund, die gemeinschaftlich und selbstbestimmt leben möchten.

Zusätzlich besteht im dritten Obergeschoss eine ambulante Wohn-Pflege-Gemeinschaft für türkischstämmige Menschen mit Demenz, für die eine kultursensible“ Pflege angeboten wird. Dabei werden die Traditionen und Gebräuche der Bewohner berücksichtigt, was konkret die Verwendung der Muttersprache und eine heimatliche Küche bedeutet.

Für einen multikulturellen Charakter der Einrichtung sorgen vor allem ein Hamam, also ein türkisches Dampfbad, und ein Café im Erdgeschoss, die auch der gesamten Nachbarschaft zu Verfügung stehen und daher ein zusätzliches Freizeitangebot im Reiherstiegviertel darstellen.



Das Tor zur Welt: Bildung


Seit der Zukunftskonferenz Wilhelmsburg 2002 gab es eine ganz besondere Aufbruchstimmung zu Bildungsfragen, die zu einem „Forum Bildung Wilhelmsburg“ führte, in dem die Schulen und andere Bildungseinrichtungen gemeinsam Projekte realisieren. Dazu zählen jährlich stattfindende Lese-, Forscher- und Kochwochen.

Parallel hierzu setzte sich ein Projekt für eine Bildungs-IBA ein, was zur Gründung einer „Koordinierungsstelle Bildungsoffensive Elbinseln“ führte. Mit dieser Bildungsoffensive sollen die Bewohner Wilhelmsburgs nicht nur eine bessere Ausgangsposition für ihre gesellschaftliche Integration und Teilhabe erhalten. Gleichzeitig sieht man im Bildungsbereich „eine Magnetfunktion für die Aufwertung stigmatisierter Quartiere“ und will durch attraktive Bildungseinrichtungen die Wohn- und Lebensqualität auf den Elbinseln verbessern. 

Um diese generelle Zielsetzung zu erreichen, liegt ein Schwerpunkt der IBA bei der Schaffung einer geeigneten gebauten Umwelt für bereits entwickelte Bildungskonzepte. Dabei soll unter dem 
Stichwort „Tor zur Welt“ eine „lernende Stadt in der Stadt“ entstehen, die für „Bürger jeden Alters und jeden Ausbildungsstandes“ offen ist. Dadurch will man zu einem lebenslangem Lernen anregen und bei einem kulturellem Austausch helfen, der die Übergänge zwischen Kita, Schule und Beruf verbessert.

Die bauliche Umsetzung dieses Konzepts in der Mitte Wilhelmsburgs besteht aus fünf zentralen Grundbausteinen: einem School & Business Center, einem Umwelt & Science Center einschließlich eines Multifunktionsgebäudes mit Veranstaltungssaal, einem Elterncafé, einer Elternschule und mannigfaltigen Beratungsstellen. Außerdem soll eine Sprachheilschule Wilhelmsburg einbezogen werden, wodurch insgesamt ein soziales Zentrum für den Stadtteil entsteht.

Das „Herz“ dieser Bildungsstadt bildet ein repräsentatives Multifunktionshaus mit einem Infopoint und einem Elterncafé. Dabei soll der Infopoint als erster Anlaufpunkt und als Kontaktstelle eine Lotsenfunktion zu den weiteren Angeboten innerhalb und außerhalb des Bildungszentrums übernehmen. Das Elterncafé ergänzt als Treffpunkt für einen informellen Austausch und für Geselligkeit diese Informationsfunktion. Es soll zudem Wege in weiterführende professionelle Unterstützungsangebote ebnen und Impulse durch Ausstellungen, Gesprächsrunden und kulturelle Veranstaltungen geben.

Um den Charakter einer kleinen Bildungsstadt zu verstärken, umfasst das „Tor zur Welt“ eine „Straße des Lernens“ und einen „Marktplatz des Wissens“. An der Lernstraße sind die einzelnen Gebäude durch einen eingeschossigen Flachbau auf zwei Ebenen miteinander verbunden. Dabei findet man im Erdgeschoss großzügige Flure mit Erweiterungen zu Lernateliers, in denen man sich aufhalten oder Ausstellungen betrachten kann. Das Dach dient hingegen als erweiterter Schulhof und Bewegungsraum.

Der „Marktplatz“ soll entsprechend der Agora in der antiken Stadt als zentrale Begegnungsfläche dienen. Daher bildet er für die drei bestehenden und teilweise um- und neugebauten Schulen eine gemeinsame Kommunikationsfläche.

Diese im Rahmen der IBA entstandenen Lernorte sollen vor allem dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit niedrigem Einkommen und fehlendem Bildungshintergrund ihre Potenziale leichter entwickeln können.



            Spielehof (Quelle: IBA-Presse-Foto)

Ein städtisches Konzept für Grünanlagen: ParkSport

Gute Umsetzungschancen versprechen sich die Hamburger Planer von der „Welt der Bewegung“, die als Teil der igs konzipiert wurde und unter dem Stichwort „ParkSport“ auf weitere städtische Grünanlagen übertragen werden soll.


                                                        ParkSport-Übersicht

Im Wilhelmsburger Inselpark wurden im Rahmen der Gartenschau einerseits die vorhandenen Park- und Waldgebiete durch naturnahe Kletterangebote, einen Hochseilgarten sowie Balanciermöglichkeiten genutzt.

                                               Klettergarten


Zusätzlich wurden andererseits weite Sportstätten mit einem unterschiedlichen Flächenbedarf und Kostenaufwand errichtet. Dazu gehören Flächen für Qigong, Yoga, Parcour, Slackline, Stand-up-paddling, Disc-Golf und Speedminton und viele andere klassische und aktuelle Formen der sportlichen Bewegung, für die sogar ein spezielles ParkSport-Abzeichen vorgesehen ist.

Besondere Attraktionen sind eine kostenfreie Skatearena und eine Kletterhalle, die auch einen großen Boulder-Bereich umfasst, also seilfreies Klettern in Absprunghöhe ermöglicht.



Nordwandhalle

                                                    Außenwand


Die Skatearena gilt unter Fachleuten als Hot Spot, da an der Planung und dem Bau der 1.500 qm großen Anlage die lokalen Skater beteiligt waren



                                                           Skatearena


Nach Abschluss der Präsentationsphase der Gartenschau im Oktober 2013 soll das innovative Konzept “ParkSport” systematisch auf Hamburgs Parks übertragen werden. Dabei wird im Rahmen einer “Dekadenstrategie für den Hamburger Sport” sowohl die Umnutzung öffentlicher Grünanlagen zu Sporträumen als auch die “Attraktivierung der benachteiligten Quartiere” durch sportliche Großevents angestrebt.

Die Wilhelmsburger und die Neubürger in den IBA-Wohnungen in Wilhelmsburg-Mitte profitieren jedoch nicht nur von diesen Sporteinrichtungen, sondern auch von dem Inselpark, dessen Sichtachsen attraktive Blicke auf die neuen Wahrzeichen des Stadtteils ermöglichen.


                                           Sichtachse vom Inselpark auf die BSU


Impulse durch gebaute Umwelt

Wie die vielfältige Kritik am „Sprung über die Elbe“ und dem Konzept der IBA zeigt, haben auch diese Programme ihre zwei Seiten, da mit den Maßnahmen vermutlich auch spezielle Interessen Hamburgs verbunden sind und die Aufwertung eines Stadtviertels leicht zu einem Austausch von Bevölkerungsgruppen führen kann, was unter dem Stichwort Gentrifizierung problematisiert wird.

Gleichwohl muss man beachten, welchen Mut Hamburg mit den beiden Ausstellungen und seinen Investitionen auf der Elbinsel gezeigt hat. Das wird besonders deutlich, wenn man einen Vergleich mit dem Bremer Problemstadtteil Blumenthal zieht. Dabei ist zwar zu berücksichtigen, dass Wilhelmsburg mit 50.000 Einwohnern um einiges größer ist als Blumenthal mit seinen 30.000, aber dieser Unterschied fällt wenig ins Gewicht, wenn man die Summen betrachtet, die tatsächlich investiert werden, um die Situation der benachteiligten Stadtteile zu verbessern.

Hier verzichtet Hamburg nicht nur auf eine große Behörde in der Kernstadt, sondern gibt fast 200 Mio. € für den Neubau der BSU in Wilhelmsburg aus. Bremen „bemüht“ sich hingegen, um noch bis zum Jahresende 20.000 € für eine Quartiersmanagerin aufzutreiben, die ein Erzählcafe und ein Kulturdinner organisieren möchte. Größere Summen hat man hingegen in den Aufkauf des BWK-Geländes gesteckt, aber nicht, um damit der Stadtteilentwicklung Blumenthals Impulse zu geben, sondern um die letzten Reste der Wollkämmerei möglichst lange am Leben zu erhalten. 

Hier scheinen also zwei Welten der Stadtentwicklung zu bestehen, zum einen ein risikobereiter Entwurf für die Zukunft, zum anderen ein rückwärtsgewandtes Kleben an einer Vergangenheit, die Geschichte ist und über die man sich vielleicht in einem Erzählcafe wehmütig austauschen kann.

Hamburg ist mit seinem kostspieligen „Sprung über die Elbe“ gleich ein mehrfaches Risiko eingegangen. Ein Aspekt ist dabei die angestrebte Imageverbesserung, durch die Wilhelmsburg in den Augen der übrigen Hamburger seinen negativen Ruf als eine Wohngegend verlieren soll, in der man nicht lebt, wenn man etwas auf sich hält. Hier wurde mit den beiden als „International“ firmierenden Ausstellungen sicherlich ein Maximum von dem eingesetzt, was einer Stadt überhaupt möglich ist.

Auf die erhoffte positive Wirkung wird man hier ebenso warten müssen wie bei den Folgen des Baus der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. Auch hier wird sich erst noch zeigen müssen, ob die Mitarbeiter und die Besucher den neuen Standort akzeptieren.


Ganz entscheidend wird jedoch eine dritter Fragenkreis sein, der sich auf die Wirkungen der zahlreichen Einzelprojekte der IBA und auch das Park-Sports-Konzept der igs bezieht. Das gilt einerseits für die Zahl der Mieter und Käufer für die Wohnungen, die in Wilhelmsburg, Harburg und Veddel im Rahmen der IBA errichtet wurden, und die Architekten, Bauherren und Bauträger, die sich durch die Vorlagen der IBA zu vergleichbaren Projekten anregen lassen. 

Andererseits wird es eine spannende Geschichte sein, ob die gebaute Umwelt und die angestrebte Mischung von Alters- und Migrationsgruppen tatsächlich zu den erhofften Verhaltensweisen der Bewohner und Nutzer führen wird. Vor allem innovative soziale Konzepte wie das „Tor zur Welt“, das „Weltquartier“ und das „Veringeck“ stehen hier auf einem kritischen Prüfstand. Entsprechendes gilt für die technischen Konzepte, die hinter dem Algenhaus, dem Energiebunker und anderen ähnlichen Einrichtungen stehen.


Anregungen für Blumenthal



Auch wenn in vielen Fällen die notwendige praktische Bewährung allein aus zeitlichen Gründen noch nicht vorliegen kann, lassen sich aus dem Hamburger Konzept für die Elbinseln und speziell der IBA bereits erste Anregungen für andere Stadtteile mit ähnlichen Problemlagen ableiten.

Ganz entscheidend ist hier zunächst einmal der kommunalpolitische Paukenschlag, indem eine große Behörde mit fast zweitausend Arbeitsplätzen in ein neues Gebäude in einen bisher sozial benachteiligten Stadtteil verlegt wurde, wo es aufgrund seiner architektonischen Qualität schnell zu einem Wahrzeichen geworden ist. Auf diese Weise kann eine Entwicklung angestoßen werden, die sich nicht allein auf das Image beschränkt. Vielmehr ist mit Umzügen von Mitarbeitern zu rechnen, zumal im Zuge der IBA gleichzeitig Wohnungen gebaut wurden, die gerade bei Angehörigen einer Stadtentwicklungs- und Umweltbehörde auf großes Interesse stoßen sollten.

Wenn man sich einmal die Größenordnung veranschaulicht, sind das mehr als die für das BWK-Gelände in Bremen-Blumenthal zuletzt erwarteten Arbeitplätze, wobei zu beachten ist, dass diese Verwaltungsarbeitsplätze auf einer Grundstücksfläche von 23.200 qm entstanden sind. Demgegenüber bezieht sich der Bremer Bebauungsplan 1288 „auf ein „Flächenangebot von rd. 30 ha“ (Begründung, S. 5), also mehr als das 12-fache.

                                                   BSU und IBA-Infopoint


Damit wird bereits deutlich, dass die Hamburger Planer auf den Wert des Bodens achten und damit den Vorstellungen der engagierten Wilhelmsburger folgen, die ein Zukunftskonzept für ihre Insel erstellt haben. Man orientiert sich in Wilhelmsburg am Immobilienmarkt, der Bauland in Gebieten, die als Wohnstandorte aufgrund ihrer Nähe zur Hamburger Innenstadt und der Nähe zu Parks und Grünanlagen, aber auch dem Gestaltungselement Wasser und innovativen Wohnlösungen attraktiv sind, erheblich höher bewertet als Industrie- und Gewerbeflächen. Daher haben die IBA-Planer offenbar in ihren Vorüberlegungen an Industrie- und Gewerbeflächen nicht einmal gedacht, wenn man von der ökologischen Energiegewinnung und haushaltsnahen Dienstleistungen absieht.

Vielmehr zeigen sie durch die WaterHouses wie wertvoll für sie der Baugrund ist, wenn sogar speziell für Regenrückhaltebecken Haustypen entwickelt wurden.

Impulse für benachteiligte Gebiete sind, wie die Beispiele der Hamburger Planer zeigen, kaum ohne ein Engagement der Kommune bzw. des Landes möglich, wobei es nicht ausschließlich um das Geld, sondern um Standortentscheidungen für Arbeitsplätze geht. Das müssen vermutlich nicht unbedingt so große Behörden wie die BSU sein. Denkbar wären sicherlich auch Fakultäten einer Hochschule oder Ausbildungseinrichtungen etwa im Bereich der Altenpflege.

Dabei könnte man in Blumenthal sogar die denkmalgeschützten Gebäude der BWK mit neuem Leben füllen, zumal mit den angrenzenden Parks und den Flüssen Weser und Blumenthaler Aue sehr reizvolle Voraussetzungen für eine attraktives Umgebung vorhanden sind.


Das gilt vor allem auch für eine Wohnnutzung, wo die IBA in Wilhelmsburg eine Vielzahl von aktuellen und innovativen Möglichkeiten zeigt. Dabei kann man beispielsweise an die Smart Price Houses denken, da mit ihrer Hilfe eine in Bremen bestehende Lücke auf dem Wohnungsmarkt geschlossen werden kann.

                                                  Smart Price Houses

Ein Blick auf die sozialräumlichen Strukturen Bremens zeigt, dass es an der Weser zwar attraktive neue Häuser und Wohnungen für Haushalte in Gebieten mit einem hohen sozialen Status gibt, aber kaum in Vierteln für durchschnittliche Einkommensbezieher. So findet man innerhalb Bremens Haushalte mit Kindern außer in den bürgerlichen Vierteln im Osten fast ausschließlich in den WiN-Gebieten. Wer diese Wahl aufgrund seines Einkommens nicht treffen kann oder will, muss sich in den Umlandgemeinden umsehen und geht damit Bremen als Steuerzahler weitgehend verloren.

Die in Wilhelmsburg-Mitte gezeigte Verbindung von relativ preiswerten und individuell gestaltbaren Wohnungen in ansprechenden Mehrfamilienhäusern mit den vorhandenen Parks kann diese Lücke schließen. Hier bietet das Konzept ParkSport viele Anregungen, wie diese Flächen vielseitiger genutzt werden können und sich dadurch die Lebensqualität eines benachbarten Wohngebiets deutlich erhöhen lässt.

Dasselbe gilt für die Einbeziehung der vorhandenen Flüsse als Gestaltungselemente. Vor allem visuelle Reize kann das Element Wasser schaffen, wie die Anlage des Bürgerhauses Wilhelmsburg und der WaterHouses beweist.


                Bürgerhaus Wilhelmsburg


So hat es sich für die IBA-Macher inzwischen „herumgesprochen“, dass "man" in Wilhelmsburg wohnen kann, weil „rund um den IGS-Park für Familien eine sehr attraktive Wohngegend entstanden ist", und die Immobilienwirtschaft zählt Wilhelmsburg „wegen der vielen Wassergrundstücke und grünen Freiflächen zu den Lagen mit Entwicklungspotenzial“.

Allerdings ist es letzthin eine politische Frage, ob man ein Filetgrundstück zwischen Parks und Fluss durch eine industrielle Nutzung entwerten will und die nicht so ganz reichen Haushalte lieber in Hochhausviertel abschiebt, wo sie dann in Erzählcafes ihr Elend beklagen dürfen.

Im Hamburg will man hier einen anderen Weg gehen, wenn die ehemalige grüne Stadt- und Umweltsenatorin erklärte:

"Es steht der Hamburger Politik unheimlich gut an, dass wir auf der einen Seite dieses tolle Projekt Hafencity haben, und gleichzeitig einen anderen Stadtteil entwickeln, der bisher eher belastet ist durch wachsendes Verkehrsaufkommen und Industrie".


Diese Chance hat auch Bremen, wenn es parallel zur Überseestadt auch einen attraktiven Wohn- und Gewerbepark auf dem Gelände der ehemaligen BWK für die nicht so betuchten Haushalte entwickeln würde. Wesentliche Voraussetzungen, die es nicht überall gibt, sind erfüllt: Wasser, Parks, ein Bahnhof und sogar denkmalgeschützte alte Backsteingebäude.

Zumindest für die IBA-Planer in Hamburg-Wilhelmsburg dürfte das Urteil zu diesen Überlegungen, die sich an der aktuellen städtebaulichen Diskussion orientieren, wie sie durch die IBA-Hamburg Realität geworden sind, eindeutig sein:





                                            Fassade des Algenhauses



Quellen:
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Giese, Marie Teresa, Historischer Exkurs. Wilhelmsburg war schon immer ein Arbeiterviertel, in: Die Welt vom 16.8.2008.
Giese, Marie Teresa, Stadtentwicklung. Wilhelmsburg lockt mit Hafenromantik Kreative an, in: Die Welt vom 16.8.2008.
Kipp, Almut, Internationale Gartenschau. Aus Brachland wurde "Central Park", in: Die Welt vom 19.4.2013.
Kiran, Ayla, Ortsbesuch. Die Veddel genießt die Vorzüge einer Insellage, in: Die Welt vom 4.10.2008.
Markert, Margret, Eine andere Heimatkunde, o.O.u.o.J.
Meyer, Simone, Sprung über die Elbe. Senat gibt 120 Millionen Euro für Infrastruktur, in: Die Welt vom 9.9.2008.
Mischke, Joachim, Lichtkunst. Ein neues Wahrzeichen für Hamburg, in: Die Welt vom 11.3.2013.
Osadnik, Susanne, Eine Bauausstellung zeigt, wie wir leben werden, in: Die Welt vom 23.3.2013.
Reichel, Reiner, Trendviertel 2012. Die interessantesten Lagen von Hamburg, Handelsblatt vom 9.5.2012.
Reinstorf, E., Geschichte der Elbinsel Wilhelmsburg, 1955.
Richter, Sabine, IBA Hamburg. Gelebtes Miteinander im Weltquartier Wilhelmsburg, in: Hamburger Abendblatt vom 10.1.2013.Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Hg.), Hamburger Stadtteil-Profile 2010. NORD.regional Band 9, Hamburg 2010.
Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein (Hg.), Analyse der Bundestagswahl am 22. September 2013 in Hamburg. Vorläufige Ergebnisse, Hamburg 2013.
Twickel, Christoph, Krisenviertel Hamburg-Wilhelmsburg: Einstürzende Neubauträume, in: spiegel-online vom 25.3.2011.
Wiensowski, Ingeborg, Architektur-Ausstellung: Hamburg träumt vom Elbdorado, in: spiegel-online vom 23.6.2009.
Zukunftskonferenz Wilhelmsburg (Hg.), Wilhelmsburg – Insel im Fluss – Brücken in die Zukunft. Weißbuch. Bericht der Arbeitsgruppen Mai 2001 bis Januar 2002, Hamburg 2002.


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