Montag, 25. März 2013

Tanklager 2: Kontami- nationen

Tanklager Farge: Ein bremisch gemanagter Umweltskandal


Bekannte und verschwiegene Kontaminationen


                                                    Einfahrt 

Von der vergessenen und zur bedrohlichen Grundwasserverseuchung


Seit ein Panorama-Beitrag im letzten November die Anwohner des Tanklagers Farge aufschreckte, ist nichts mehr so, wie es vorher war. Bis dahin hatte man mit einem hermetisch abgegrenzten Areal des Tanklagers gelebt, wo bereits die Wehrmacht, die US-Army und später die Bundeswehr Treibstoffe gelagert hatten. Dabei wussten die Einwohner in einigen Straßen, dass während des Krieges BTEX ins Grundwasser gelangt war, da ihnen die Umweltbehörde eine entsprechende Mitteilung im Mai 2009 ins Haus geschickt hatte.
Das war nach der Fernsehsendung jedoch anders. Die Journalisten hatten darin bewiesen, dass diese alte Geschichte zumindest nicht die volle Wahrheit war. Vielmehr mussten auch noch später Giftstoffe ins Grundwasser gelangt sein, etwa frühestens in den 1980er Jahren, denn es wurde auch MBTE gefunden, das erst in dieser Zeit dem bleifreien Benzin beigemischt wurde. 

Die Bedrohung durch das Tanklager war daher zeitlich näher gerückt. Gleichzeitig gab es jedoch eine Hoffnung, denn die Bundeswehr hatte erklärt, das Tanklager bis Ende Mai 2013 schließen zu wollen.

In dieser veränderten Situation, die bei vielen Anwohnern Besorgnisse wegen ihrer Gesundheit, der Qualität des Trinkwassers und den Werten ihrer Immobilien auslöste, wurden die Oppositionsparteien, einige Bürgerinnen und auch eine Bürgerinitiative aktiv.

Man hatte das Vertrauen in die Informationspolitik der Umweltbehörde verloren und verlangte mehr Transparenz. So wollte man wissen, was tatsächlich gemessen worden war, also welche Stoffe wo und in welcher Konzentration sich im Tanklager und seiner Umgebung befanden.

Später, als die Bundeswehr für das Tanklager einen Käufer suchte, rückte die Zukunft dieses Speichers für umweltgefährliche Stoffe verstärkt in den Blickpunkt. Dabei ging es um einen möglichen Weiterbetrieb im privatwirtschaftlichen Rahmen, wo entsprechend dem Bundesbau- und Bundes-Immissionsschutzgesetz andere Bestimmungen gelten als in einem Sondergebiet „Bund“. Die Frage ist dabei, ob ein Bebauungsplan und eine neue Betriebsgenehmigung erforderlich sind, die dem aktuell geltenden Recht entsprechen, oder ob eine Betriebsgenehmigung weiterhin gültig sein kann, die es vielleicht im Hinblick auf den „Endsieg“ einmal gegeben haben mag und die später irgendwann als faktische Nutzung in die veränderte rechtliche Situation eingepasst worden ist.

Da die Umweltbehörde auf die Transparenzerwartungen der betroffenen Bürger nicht einging, sondern bei ihrem bürokratischen Verhaltensmuster blieb, mussten sich die interessierten Einwohner die Daten aus Unterlagen zusammenklauben, die innerhalb des üblichen politischen Prozesses in Bremen anfallen. Das sind in diesem Fall vor allem die Berichte und Protokolle der Umweltdeputation, also einer Institution, die es in dieser Form nur in Bremen gibt. Hinzu kommt eine Präsentation der Umweltbehörde im Blumenthaler Beirat, als dort die ersten Bürgeranträge auf der Tagesordnung standen. 



                                      Löschbrücke


Die späte „Entdeckung“ der Grundwasserkontamination

Obwohl erhebliche Bombenschäden während des Krieges bekannt waren, ja, Ende März 1945 sogar ein Tank völlig zerstört und das Rohrleitungssystem stark beschädigt worden sein soll, sahen es die zuständigen Behörden in Bremen offensichtlich nicht als ihre Aufgabe an, diesen Berichten nachzugehen und die Auswirkungen frühzeitig in den Griff zu bekommen. 

Vielmehr wurde, folgt man den offiziellen Berichten, erst im Rahmen des Grundwassermonitorings, das im Jahr 2006 für eine Kanisterabfüllfläche erfolgte, auch ein Feuerlöschbrunnen „im seitlichen Abstrom des Verladebahnhofs II .. beprobt.“ Dabei stellte man „eine erhöhte Belastung mit aromatischen Kohlenwasserstoffen (BTXE)“ fest. Werte deutlich über der Geringfügigkeitsschwelle wurden im selben Jahr auch in einer Grundwassermessstelle „direkt im Grundwasserabstrom des Verladebahnhofs II“ gefunden.

Aufgrund dieser Messergebnisse hat der Bremer Bau- und Umweltsenator das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Schwanewede (BwDLZ) veranlasst, seit 2007 die Altlastensituation im Bereich der Bundeswehrliegenschaft Tanklager Farge in mehreren Schritten zu untersuchen. Dabei zeigte sich in den Jahren 2008/2009, „dass (sich) eine massive Grundwasserverunreinigung im Bereich des Verladebahnhofs II .. über die Liegenschaftsgrenze hinaus bis in angrenzende Gebiete der Ortsteile Farge und Rönnebeck erstreckt.“

Nach den Bombenabwürfen auf das Tanklager und anderen Kriegsereignissen hat es also, wenn man den öffentlich zugänglichen Berichten der Umweltbehörde folgt, bis 2007/8 gedauert, als die Umweltbehörde erstmals „Grundwasseruntersuchungen im Bereich des Tanklager durchführen ließ“, die dann zu einem Warnbrief an Anwohner führten. Die Folgen der Kriegsereignisse hatten also über 60 Jahre Zeit, um sich im Boden auszubreiten und bis in die Wohnstraßen vorzudringen.

Nach dieser „Entdeckung“, die zumindest für die alteingesessenen Einwohner in den nahe liegenden Ortsteilen kaum überraschend gewesen sein dürfte, erreichte die Suche nach Kontaminationen eine deutlich höhere Geschwindigkeit.


Kontaminationsverdächtige Flächen (KVF)


So forderte die Umweltbehörde im Jahr 2009 den Bund auf, im gesamten Standort „durch einen unabhängigen Gutachter“ „eine systematische mehrstufige Altlastenuntersuchung“ durchführen zu lassen. Nach dem im Juli 2010 vorgelegten Ergebnisbericht wurden dabei insgesamt 119 Kontaminationsverdächtige Flächen (KVF) ermittelt, von denen 7 mit einem hohe, 41 mit einem mittleren und 71 mit einem geringen Verdachtspotential bewertet wurden.


Verladebahnhof II

Bei der weiteren Analyse der vermutlich besonders belasteten Flächen deutete „die Verteilung der BTEX im Grundwasser .. darauf hin, dass der Verladebahnhof II im Tanklager Farge die Hauptquelle für die Verunreinigung durch diese Stoffe darstellt“. So wurden BTEX-Konzentrationen von einigen Tausend bis zu maximal 350.000 μg/l gemessen. 

Daher begann hier im Juli 2010 eine „hydraulisch unterstützte Phasenabschöpfung“. Dabei werden aus derzeit fünf Brunnen, die kreisförmig um das Kontaminationszentrum angeordnet sind, sodass sie einen „Absenktrichter .. erzeugen“, „BTEX-Substanzen abgeschöpft“, „die in unverdünnter Form auf dem Wasser schwimmen“. Bis Juli 2012 konnten dadurch 16.000 kg Schadstoffe und durch die übrige Grundwassersanierung mit Hilfe von Aktivkohle zusätzlich 300 kg Schadstoffe aus dem Boden entfernt werden. Insgesamt ließen sich durch diese Maßnahmen die Konzentration im Schadstoffzentrum von 350.000 μg/l auf 25.000 μg/l senken, also einen Wert, der weiterhin sehr deutlich über dem Maßnahmeschwellenwert von 50 - 100 μg/l liegt. 


                                           Kläranlage

Am Verladebahnhof II hat man inzwischen auch MTBE in einer Konzentration von bis zu 152 μg/l festgestellt, nachdem während der Mess- und Sanierungsarbeiten der Umweltbehörde diese Substanz erstmals 2011 außerhalb des Tanklagers mit bis zu 1.600 μg/l an der Straße „Am Rottpohl“ nachgewiesen wurde.

Die Entstehung dieser Werte, die deutlich über der Maßnahmeschwelle liegen, ist ungeklärt, weil nach der „bisherigen Auskunft der Bundeswehrverwaltung“ „nur Flugkraftstoff und Diesel (ohne MTBE) im Tanklager umgeschlagen“ wurden. Da die Umweltbehörde allerdings keine Kenntnisse über eine mögliche Verursachung durch eine Quelle außerhalb des Tanklagers hat, wird „bis auf Weiteres das Tanklager als mögliche Quelle auch für die MTBE-Belastungen nicht ausgeschlossen.“

Inzwischen will man zumindest den Zeitpunkt dieser Kontamination, über die die Öffentlichkeit vor allem erstmals durch die Panorama-Sendung im letzten Herbst erfahren hat, eingrenzen können, da MTBE seit 1984 verwendet worden ist und seit 1987 in Farge kein Umschlag von Kraftstoffen mit einem MBTE-Anteil mehr erfolgte, „weil eine dann erforderliche Gaspendelanlage nicht vorhanden“ gewesen sein soll.


Verladebahnhof I, Hafen und Pumpstation 3

Geringere Kontaminationen des Grundwasser wurden noch an drei weiteren Stellen des Tanklagers gefunden und genauer untersucht. 

So ermittelte man eine Bodenverunreinigung durch BTXE im Bereich der Pumpstation 3, die auf einen „in diesem Bereich ermittelten Leitungsschaden aus dem Jahr 1974 zurückgehen dürfte.“

Gravierender erscheinen Belastungen im Bereich Hafen und Verladebahnhof I zu sein, die weiter erkundet werden und sich offensichtlich über die Grenze des Tanklagers ausweiten. Dabei wurde im Bereich des Bahnhofs neben BTXE auch MTBE nachgewiesen.

Insgesamt wird nach den Berichten des Umweltamtes „das Gelände .. weiterhin großflächig erkundet, um abzusichern, dass Schadstoffe nicht abwandern und weitergehenden Schaden anrichten können.“ 



                                           Ladestelle 


Die Gefährdung des Wasserschutzgebietes Blumenthal


Da das Tanklager teilweise und vor allem der besonders belastete Verladebahnhof II innerhalb des Wasserschutzgebietes Blumenthal liegt, wurde der Wasserversorger über die Situation informiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der „nächstgelegene Grundwasserfassungsbrunnen“ knapp einen Kilometer von „der Grundwasserverunreinigung in südöstlicher Richtung 920 m entfernt“ ist. 


Nach der Antwort der Umweltbehörde auf eine Anfrage der CDU vom 19. Dezember 2012 liegt im Grundwasserschutzgebiet Blumenthal III die kartografisch dargestellte Belastung mit BTEX im Bereich „von 5.000 bis 10.000 μg/l" bei einer Geringfügigkeitsschwelle von 20 μg/l.


Die Grundwasserkontamination im Überblick



Bisher haben weder das Umweltamt noch das Ortsamt eine Übersicht zum aktuellen Kenntnisstand über die Grundwasserbelastung durch das Tanklager Frage ins Internet gestellt, wie das von vielen Seiten angeregt und beantragt wurde und beim heutigen Entwicklungsstand der Informationsgesellschaft auch erwartet werden kann.

Nicht einmal der Aufforderung durch die Stadtbürgerschaft an den Senat, „öffentlich, zum Beispiel im Internet, einsehbare Informationen über Grundwasserkontaminationen bereitzustellen, sodass jeder Bürger/jede Bürgerin sich über Kontaminationen im Grundwasser ausreichend informieren kann“, wurde bisher entsprochen. Auf „Informationen“, die“ gut zugänglich und so aktuell wie möglich sein“ sollen, warten die Bürger weiterhin vergeblich. Es wird nur eine Karte mit belasteten Flächen angeboten, auf der jede Angabe über die Art und den Grad der Vergiftung fehlt.

Wenn man versucht, aus den vorliegenden Berichten und Protokollen ein Bild zu gewinnen, gelangt man zur folgenden lückenhaften Übersicht. Die Quellen sind ein Bericht in der Umweltdeputation am 6. Dezember und eine Präsentation im Beirat Blumenthal am 10. Dezember 2012. 



                                Bohrung zur Phasenabschöpfung


Von der Umweltbehörde bisher veröffentlichte Kontaminationsdaten


Belastende Chemikalie
Maximalwert im Tanklager
(1)
Wert am Verladebahnhof II (2)
Maximalwert
außerhalb
 des Tanklager (2)
Maximalwert
außerhalb des Tanklagers (1)
Geringfügig-
keitsschwelle
Maßnahmen-
schwellwert
350.000 μg/l
50.000  μg/l
1.420 μg/l
(3)
20,0 μg/l
50-100 μg/l
152 μg/l
76,0  μg/l
922 μg/l
1.600 μg/l
15,0 μg/l

Benzol
(3)
5.100 μg/l
1.300 μg/l
(3)
1,0 μg/l
5 – 10 μg/l 
(3)
83,3 μg/l
13,1 μg/l
(3)
0,2 μg/l
0,4 –2 μg/l

(1) Verwaltungsbericht zur Sitzung der Umweltdeputation am 6.12. 2012. 
(2) Präsentation des Umwelt- und Gesundheitsamtes im Beirat Blumenthal am 10.12.2012 (Stand der Daten: Juni 2012) 
(3) Bisher keine Angaben durch die Umweltbehörde mitgeteilt. 

Die Zahlen in dieser Zusammenstellung der Einzelergebnisse sprechen eine sehr eindeutige Sprache, da die Belastungen am Verladebahnhof II extrem, aber auch außerhalb des Tanklager-Areals deutlich über den Maßnahmenschwellwerten liegen. Das gilt nicht nur für die vielfach angesprochenen Chemikalien BTEX und MTBE, sondern auch für Benzol allein und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die ebenfalls als karzinogen gelten.

Bei den Zeitpunkten der jeweiligen Messungen fällt auf, dass in Blumenthal Daten vom Juni genannt wurden, während die Umweltbehörde einige Tage vorher in der Sitzung der Deputation bereits teilweise jüngere Messergebnisse präsentieren konnte. Ein Unterschied, der dabei deutlich wird, ist die „Entwicklung“ beim Maximalwert für MTBE außerhalb des Tanklagers, da man hier im Zuge der weiteren Untersuchungen innerhalb weniger Monate auf einen Maximalwert gestoßen ist, der fast doppelt so hoch lag wie der Juni-Wert. Bei dieser Tendenz kann also von einer Entwarnung keine Rede sein, auch wenn am Verladebahnhof II bereits Schadstoffe entfernt wurden.

Dieser Erfolg bleibt schließlich äußerst relativ, solange die Kontamination Werte von 50.000 μg/l erreicht, während der Maßnahmenschwellwert bei nur 50-100 μg/l liegt.

Über Messpunkte außerhalb des Verladebahnhofs II wurden bisher keine Einzeldaten veröffentlicht. Das gilt auch für die rätselhaften MTBE-Belastungen, die außerhalb des Tanklager stärker sein sollen als an den bekannten Messstellen im Tanklager, obwohl dort die Quelle der Kontamination vermutet wird.

Vom geheimen NS-Tanklager zur kommerziellen Nutzung nach rechtsstaatlichen Normen

Diese schleppende Erfassung der lange bekannten Kontamination mit ihrer extrem hohen Konzentration kann vielleicht die zurückhaltende Informationspolitik der zuständigen Stellen erklären. Immerhin geht es hier um die Lagerung von 312.000 Kubikmeter Treibstoffe, was der Ladung von gut 10 000 Tanklastzügen entspricht, die sich in großen, nur schwer kontrollierbaren Tanks befinden; denn sie sind mit 6 m Erdreich bedeckt und reichen bis eine Tiefe von 18 m. Bei dem Bau der Anlage wurde eben weniger an eine potenziale Gefahr für das Grundwasser gedacht, sondern an eine sichere Lagerung für den totalen U-Boot-Krieg und den anschließenden Endsieg, wodurch man sich weite, unbelastete Flächen im Osten erhoffte, für die dann Siedler aus den möglicherweise verseuchten Gebieten im Westen gebraucht wurden. 

Daher scheint es auch nicht einmal ganz sicher zu sein, ob und wann diese Anlage genehmigt wurde. Sie war schließlich kriegswichtig und geheim. Wer hätte da formaljuristisch argumentieren wollen, zumal wenn er den Häftlingen begegnete, die die Sklavenarbeiten beim Bau zu leisten hatten?


Das Phantom der Betriebsgenehmigung



Diese zumindest vermutete Betriebsgenehmigung hat eine Geschichte und soll erhebliche Macht besitzen. Dennoch scheint sie weniger einer attraktiven Frau als einem Phantom zu ähneln.

So erklärte der Bremer Umweltsenator Lohse gegenüber Panorama: „Die Situation ist die, dass wir einen Betreiber haben mit einem Rechtsanspruch auf Fortbestand seiner Genehmigung. Wenn Sie einen Betreiber einer genehmigten Anlage haben, dann müssen Sie auf diesen Betreiber Rücksicht nehmen.“

Die Betriebsgenehmigung ist seitdem die Größe, die die Bau- und die Umweltbehörde daran hindert, sich Gedanken über das Areal des Tanklagers Farge in einer Zeit zu machen, in der es nicht mehr als Depot für umweltgefährliche Stoffe genutzt wird.

Diese beruflichen Umweltschützer scheinen es fast wie ein Naturgesetz hinnehmen zu wollen, dass jeder mögliche Käufer das Tanklager weiterhin betreiben darf, ohne dass eine Betriebsgenehmigung notwendig ist, die den heute geltenden Standards entspricht.

Während Betriebsgenehmigungen für andere Anlagen im Internet eingesehen werden können, sodass jeder Interessierte sich darüber informieren kann, wird von der Umweltbehörde in Farge auf „eine lange rechtliche Vorgeschichte“ verwiesen, ohne dass die Mitglieder der Umweltdeputation etwas über die inhaltlichen Einzelheiten der angeblichen Betriebsgenehmigung erfahren.

So soll die Anlage „ursprünglich ..vom Reichsarbeitsministerium genehmigt worden“ sein, was nicht unbedingt für die Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte im Baujahr 1935 spricht. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland soll dann „das Tanklager Farge unter der Gewerbeordnung fortbestanden haben und Mitte der 1970er Jahre nach dem In-Kraft-Treten des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) durch Anzeige in dessen Geltungsbereich übernommen“ worden sein.

Auch das zuständige Gewerbeaufsichtsamt kann keine Betriebsgenehmigung vorweisen, sondern nur auf Akten verweisen, die man „chronologisch lesen“ muss, „um die Entwicklung des Tanklagers nachzuvollziehen“ zu können.

Allerdings wird sich nicht jeder der besorgten Anwohner für die Historie interessieren, sondern den exakten Wortlaut kennen wollen, um endlich zu erfahren, was auf dem abgeriegelten Gelände neben ihren Wohnungen passieren darf und was nicht. Ihn interessiert nicht Dichtung, sondern Wahrheit und Klarheit.

Wenn sogar die Mitglieder der Umweltdeputation bisher nur mit diesen Allgemeinplätzen abgespeist werden, dürfte es nicht ganz unberechtigt sein, wenn es Zweifel an einer sorgfältigen Rekonstruktion der Genehmigung gibt. Schließlich ist es so, dass kein Bürger alte Geräte weiterhin verwenden darf, wenn sich in den vielen Jahrzehnten seit 1935 die Rechtslage so deutlich geändert hat wie gerade im Bereich der Umweltgesetzgebung. Hier muss jeder Konsument seine Heizungen, Autos und auch Glühbirnen entsprechend den neuen Vorschriften auswechseln und erneuern; er kann sich auf kein Recht auf Fortbestand berufen, wenn er sich nicht von alten Dreckschleudern oder Stromfressern trennen will. Dasselbe gilt für gewerbliche Emittenten.

Nur beim Tanklager Farge soll es einen „Rechtsanspruch auf Fortbestand“ geben, ohne dass auch nur ein Wort darüber verloren wird, wie die ursprüngliche Genehmigung dem geltenden Recht angepasst wurde. Fortbestand muss beispielsweise nicht bedeuten, dass man auf einem riesigen Areal gerade in einem Wasserschutzgebiet umweltgefährdende Stoffe verladen darf.

Wichtig ist also nicht, ob es einen Bestandsschutz geben mag, sondern auch, wie weit dieser angesichts aktueller Gesetze angepasst wurde. Mit solchen notwendigen Differenzierungen scheinen sich weder das Gewerbeaufsichts- noch das Umweltamt zu beschäftigen, sondern sie gehen von einer völlig abstrakten Betriebsgenehmigung an sich aus, also ohne sich mit dem konkreten Fall des Tanklagers Farge rechtlich auseinanderzusetzen. Man kann daher sogar zweifeln, ob die behördlichen Kontrolleure überhaupt versucht haben, aus der langen Geschichte das herauszufiltern, was eine Betriebsgenehmigung nach der heutigen Rechtslage notwendigerweise umfassen muss.

So heißt es, dass der Anlagenbetreiber, der im Besitz einer solchen Genehmigung sei, einen Rechtsanspruch habe, die Anlage zu betreiben, bis entweder die Genehmigung wegen mindestens dreijähriger Nichtnutzung erlösche oder entzogen würde, weil Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers bestünden.

Diese beiden Gründen sollen in Farge jedoch nicht vorliegen, da das „Tanklager nach dem Stand der Technik betrieben und bei regelmäßigen Überprüfungen keine neuen Leckagen festgestellt“ wurden. Daher sollen „keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers“ bestehen. Eine „Altlast alleine“ soll hingegen „heute keine rechtliche Handhabe“ liefern, „um einem genehmigten und ordnungsgemäß laufenden Betrieb die Genehmigung zu entziehen.“

Dabei wird immer unterstellt, dass sich offensichtlich die Betriebsgenehmigung vom Eigentümer Bund auf jeden tatsächlichen Betreiber durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag oder einen Kauf praktisch vererbt, ohne dass die Zuverlässigkeit des Betreibers zuvor neu festgestellt werden muss. Anscheinend unterstellen die Anhänger der NS-Bestandsschutz-These eine sogenannte Realkonzession wie sie früher als „Kruggerechtigkeit“ möglich war, durch die eine Erlaubnis zum Betrieb eines Unternehmens an eine bestimmte Betriebsstätte gebunden ist, auch wenn „die Person des Erlaubnisinhabers durch Vererbung oder Veräußerung wechseln kann.“ Bei dieser Art einer Übertragung von Zuverlässigkeit kann man in der Tat von einer starken Wirkung eines Stückes Papier sprechen, das es offensichtlich in einer leicht lesbaren Form gar nicht gibt.

Die Wirksamkeit dieses real wenig greifbaren Phantoms soll sogar noch weiter gehen, denn für die Vertreter der NS-Bestands-These soll sogar eine baurechtliche Genehmigung obsolet sein, da das Bundesimmissionsgesetz, auf dessen Grundlage die Betriebsgenehmigung allerdings gar nicht erstellt wurde, eine Konzentrationswirkung besitzt, womit eine Koppelung der beiden Genehmigungen gemeint ist.

Wenn man von der unterstellten abstrakten Betriebsgenehmigung ausgehen würde, wäre damit anscheinend bei diesen Rechtsinterpreten sogar ein Bebauungsplan unzulässig, der zwar die bestehenden Tanks berücksichtigt, aber eine weitere Nutzung des Areals durch die Lagerung zusätzlicher grundwassergefährdender Stoffe - etwa am Rand des Gebietes und im Wasserschutzgebiet - ausschließt. Der Grundeigentümer mit seiner omipotenten Betriebsgenehmigung könnte also ohne Rücksichten auf die Gesundheit der Anwohner, die Belastung von Grund- und Trinkwasser und die Eingriffe in die Natur schalten und walten wie er wollte, wenn er so „zuverlässig“ wie bisher ist. 



                                      Abfüllstation

Die Argumente der Tanklager-Lobby 

Auch wenn die meisten Parteien in Bremen inzwischen das Gespräch mit der Bürgerinitiative und betroffenen Bürgern gesucht haben, findet man unter den Politikern eine Lobby für eine Weiterführung des Tanklagers und teilweise sogar durch den bisherigen Betreiber. Diese Position zeigte sich vor allem während der Blumenthaler Beiratssitzung im März, als der Ortsamtsleiter erklärte, „dass die Aufrechterhaltung des Betriebs eine bessere Lösung für Bremen sei als eine Stilllegung.“ 

Als Begründung unterstellte er dem Bund einen exemplarischen Verkauf des Tanklagers samt den Sanierungsverpflichtungen an eine angeschlagene Firma, die dann in die Insolvenz gehen und Bremen auf den Sanierungskosten sitzen lassen könnte. Nach diesem Schreckensgemälde mit einem halbseidenen bisherigen Eigentümer soll in dem fiktiven Beispiel das arme Bremen die notwendigen Millionen nicht haben, sodass die Sanierung vermutlich gar nicht erfolgen kann.

Dieses Zukunftsaussicht klingt zwar bedrohlich, aber sie hat den Nachteil, dass ihr jede Logik fehlt, da auch bei einer Weiterführung die Sanierungskosten anfallen und sich vielleicht sogar noch erhöhen, wenn es durch den Betrieb zu neuen Leckagen kommt. Wenn man weitere Kosten vermeiden will, wäre es also im Interesse Bremens und Blumenthals, sich mit dem Bund auf die Sanierung und eine ungefährliche Nutzung im Rahmen der aktuellen Gesetze zu einigen.


Ein Irrtum der Umweltbehörde


Inzwischen dürfte sich die Situation für die Tanklager-Lobby zumindest psychologisch deutlich verschlechtert haben, denn die Naturgesetze und die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht durch ein paar Worte aus der Welt schaffen. So hat sich inzwischen nach den Angaben des Umweltamtes die Grundwasserbelastung auch vom Verladebahnhof I aus über die Grenze des Tanklagers hinweg ausgedehnt. Daher muss jetzt ein Brief, wie man ihn im Mai 2009 verteilt hat, auch den Anwohnern von vier weiteren Straßen zugestellt werden, um sie vor dem Gebrauch des Grundwassers zu warnen.

Das hatte das Umweltamt zwar bereits im Dezember gegenüber der Umweltdeputation angedeutet. Ganz anders klang es jedoch am 5. Februar in einer Antwort auf einen Bürgerantrag vom 12. Dezember, der häufigere Schadstoffmessungen gefordert hatte. Vor sechs Wochen sah man dafür noch „keinen Anlass“, weil sich die Schadstofffahne in einem „Gleichgewicht befindet“.


Die große Informationsmauer 



                                          Verladebahnhof 

Diese Verweigerung von Informationen ist inzwischen typisch für die zuständigen Behörden, die mit einer Informationsmauer auf die Wünsche der betroffenen Bürger nach Transparenz reagiert haben. So führt die Bundeswehr keine interessierten Besucher mehr durch das Tanklager, weil Einwohner aus Schwanewede angeblich „Journalisten“ dabei hatten. Offenbar unterscheidet man also zwischen zwei Typen von Menschen, einigen ungefährlichen, die man als Teil von PR-Maßnahmen benötigt, und anderen, die möglicherweise Dinge publik machen können, die man weiterhin unter der Decke halten will. 

Ähnliche Erfahrungen machte die Wochenzeitung BLV bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Oldenburg. Dort durfte der Leiter des Verkaufsteams Fragen zum Tanklager „wegen der herausragenden Bedeutung“ nicht mehr beantworten, und auch die Pressesprecherinnen konnten zwar mit der Presse sprechen, aber keine „Auskunft geben“. Ein weiterer Pressesprecher schließlich, an den die Journalistin verwiesen wurde, reagierte nicht auf eine Mail, sprach also nicht einmal.

Wenn man die bisherigen Antworten vor allem der Umweltbehörde auf die Fragen sieht, die als Bürgeranträge im Blumenthaler Beirat angenommen wurden, dürfte kaum ein unbefangener Beobachter den Eindruck gewinnen, dass eine bürgernahe Verwaltung die betroffenen Bewohner umfassend informieren will, damit ihnen ihre Befürchtungen genommen werden. Vielmehr präsentieren sich die Behörden wie eine mächtige Bürokratie, die den einfachen Einwohnern eine komplizierte Wahrheit nicht mitteilen kann, sondern ihnen nur dann eine Mitteilung ins Haus schicken will, wenn die wissende Verwaltung es für angezeigt hält.

Diese autoritär anmutende Sicht des Verhältnisses von Verwaltung und Bürger lässt sich sowohl in der gewählten Sprache als auch an den Punkten erkennen, wo die Verwaltung tatsächlich auf die Wünsche von Antragstellern eingegangen ist. Dabei fällt es sehr schwer, diese Bereiche zu entdecken; vermutlich kann es auch gar nicht gelingen, wenn man die Argumentation der Umweltbehörde etwa zur Veröffentlichung von Messergebnissen liest, die im besten Behördendeutsch geschrieben sind, wie man es im Geschichtsunterricht aus den Zeiten des Obrigkeitsstaates kennengelernt hat: „Zurzeit werden Grundwasseruntersuchungen durchgeführt zur Überwachung der Grundwassersanierungsmaßnahme, zur Beobachtung der Schadstofffahne und zur genaueren Erkundung der Schadstoffverteilung.“

Solche Aktivitäten mögen ja noch beruhigen, vor allem wenn man daran denkt, dass nach den ersten Leckagen im Krieg über 60 Jahre vergangen sind, bevor überhaupt etwas unternommen wurde. Ebenso muss man dem folgenden Satz nicht widersprechen, auch wenn man vielleicht anmerken sollte, dass die von der Umweltbehörde beauftragten Betriebe und Fachleute keinen Monopolanspruch auf Fachwissen erhaben können und in jeder Disziplin Tatbestände durchaus unterschiedlich beurteilt werden können und man zu neuen Erkenntnissen gelangt. 


Bei der Bremer Umweltbehörde heißt es: „Konzeption, Durchführung und Auswertung von altlastenbezogenen Untersuchungsmaßnahmen setzen ein beträchtliches Maß an fachlicher Qualifikation und Erfahrung voraus.“

Problematischer werden die Feststellungen allerdings, wenn es ohne weitere Begründung apodiktisch heißt: „Die ermittelten Daten sind von den eingesetzten Fachgutachtern wie auch von der zuständigen Bodenschutzbehörde zu erörtern und zu bewerten.“ Da wird den senatorischen Stellen niemand eine Erörterung und Bewertung absprechen wollen. Nur muss man sich fragen, warum eine Behörde, die von einem Senator der Grünen geleitet wird, nicht formuliert: „Die Ergebnisse werden der interessierten Öffentlichkeit über das Internet zugänglich gemacht und mit Bürgerinitiativen und anderen Bürgern diskutiert.“

An einer Profilierung als bürgernaher Verwaltung scheint jedoch in der Umweltbehörde niemand zu denken, denn man vertritt dort ein ganz anderes Verhältnis zwischen dem Senator und seiner Behörde auf der eine Seite und den Bürgern auf der anderen, die selbst das Untersuchungskonzept und die Messdaten des Amtes mit allen seinen Eigeninteressen nicht prüfend verfolgen  sollen. Für die nicht gerade als mündig betrachteten Bürger reicht es, dass sie eine Mitteilung erhalten, „wenn sich aus der Erkenntnislage Änderungen des Ausbreitungsgebietes oder der diesbezüglichen Empfehlungen ergeben.“


Betroffene ohne Volkstribun und Aufklärer


In dieser Situation wird deutlich: Bei der Aufarbeitung und Lösung der Tanklager-Affäre in Farge sind einige Rollen kaum besetzt oder vielleicht sogar nicht einmal vorhanden, die man in jedem Fernsehspiel von einem Umweltskandal erwarten würde, weil sie einfach als selbstverständlich erwartet werden. Innerhalb der Parteienkonstellation in Blumenthal und Bremen, wo im einen Fall sich die SPD und die CDU und im anderen die SPD und die Grünen verbündet haben, fehlen Oppositionspolitiker, die den Skandal als Volkstribune aufgreifen, um auf diese Weise in der nächsten Wahl für anderen Mehrheitsverhältnisse zu sorgen.

Hier profiliert sich niemand als Aufklärer, der die bürokratischen Verwaltungen in die Schranken weist und sie zu mehr Bürgernähe und zur Ausarbeitung politischer Konzepte auffordert, die rechtlich abgesichert sind und gleichzeitig den betroffenen Bürgern ihre Befürchtungen nehmen und das Trinkwasser und die Umwelt schützen.

Wir haben beim Tanklager Farge damit den Fall, dass sich die vor allem zuständigen Behörden bestenfalls wenig um die Sorgen und Interessen der Bürger kümmern. Und dabei sind es diese Bürger, die mit ihren Steuergeldern die Verwaltung finanzieren. So weiß zum einen das Ortsamt noch bevor die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen hat und mögliche gesundheitliche Folgen der Kontamination untersucht worden sind: „Das Sicherheitssystem von TanQuid ist vorbildlich“.

Zum anderen sieht die senatorische Bau- und Umweltbehörde ihre Hände wegen einer Betriebsgenehmigung gebunden, deren wichtigste Bestandteile anscheinend bisher nicht einmal aus einem Wust von Akten herausgefiltert worden sind.

Da muss man sich nicht wundern, wenn für viele zuständige Stellen weiterhin nur das Motto zu gelten scheint: Öffentlichkeit? Nein, bitte nicht!


Quellen
Antwort des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr vom 5. Februar 2013 auf den Bürgerantrag "Gefährdung des Wasserschutzgebietes Blumenthal“ 
Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU vom 19. Dezember 2012 „Grundwasserverunreinigung in Farge“. 
Bericht der Verwaltung für die Sitzung der Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Energie am 06.12.2012. 
Ergebnisprotokoll der 18. Sitzung der städtischen Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Energie vom 06.12.2012. 
Präsentation des Umwelt- und Gesundheitsamtes im Beirat Blumenthal am 10.12.2012.

Weitere Informationen findet man hier: 



Information oder Desinformation? Die Tanklager-Webseite der Umweltbehörde

Besorgniserregende„Zufälle“ oder eine „Alternative Interpretation der Tanklager-Krebsstudie“

Donnerstag, 14. März 2013

BWK: Museum

Die BWK und die Geschichte der Wollindustrie: real und museal  


 Der Förderverein Kämmereimuseum


Von ihrer einstigen wirtschaftlichen Bedeutung her verdient die BWK, die Blumenthal zu einer Kreisstadt gemacht hat und an deren Entwicklung sich zentrale Tendenzen der deutschen und europäischen Wirtschaft- und Sozialgeschichte nachzeichnen lassen, mehr als ein vollständiges Aus für Produktion und Management verdient.

Bevor in Städten wie Bremen die Verschuldung den kommunalen Handlungsspielraum deutlich eingeengt hat, wäre es vermutlich fast selbstverständlich gewesen, Besuchern und jungen Einwohnern voller Stolz dieses Beispiel früher industrieller Größe in einem Museum zu präsentieren.

Im speziellen Fall der BWK sind die Bedingungen jedoch nicht mehr so günstig. Mehrere Erlebnismuseen haben in Bremen nicht die Erwartungen erfüllt, in der Nachbarstadt Delmenhorst, die für viele Bremer näher liegt als Blumenthal, findet man ein anerkanntes Industriemuseum über das Schwesterunternehmen Nordwolle und nach der Schließung der BWK durfte das Bremer Focke-Museum sich in Blumenthal nach guten Exponaten umsehen und damit bedienen. Mit anderen Worten: die Startbedingungen für eine museale Konservierung der Erinnerung an das Blumenthaler Weltunternehmen BWK sind schlecht.

Trotzdem hat sich am 12. Mai 2011 ein Förderverein Kämmereimuseum Blumenthal gegründet, der entsprechend der Satzung drei Ziele verfolgt. So wollen die Mitglieder die Geschichte der BWK erforschen und dokumentieren, wobei ein Schwerpunkt bei den Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten liegt. Weiterhin soll, wie es der Vereinsname besagt, die Gründung eines Museums zur BWK angestrebt werden.

Inzwischen hat der Verein nicht nur eine Reihe von Materialien zur BWK-Geschichte gesammelt, sondern sie auch in der Öffentlichkeit präsentiert. So beteiligte sich der Förderverein am Projekt „Palast der Produktion“ der ZwischenZeitZentrale vom 15.6.- 15.7. 2012 und war in der ehemaligen Technischen Verwaltung der BWK unter dem Motto  „Wenn es in Blumenthal nach Wolle riecht. . .“ mit einer Filmdokumentation sowie originalen Sortierkörben vertreten, die den Besuchern Wolle zum Anfassen und Fühlen anboten. Während der Verein Führungen über das BWK-Gelände organisierte, präsentierte das DOKU-Blumenthal die Erinnerungen von fünf jungen Arbeitsmigranten, die in der BWK gearbeitet haben.



                                           BWK-Führung (Quelle: zzz)

Am 130sten Gründungstag der BWK, also am 13. April 2013, organisierte der Museumsverein einen Tag der offenen Tür" auf dem ehemaligen BWK-Areal. Dabei konnten sich die Besucher nicht nur über die Arbeit des Vereins informieren, sondern auch über die BWK Chemiefaser, die Oldtimer im alten Wollspeicher und andere Unternehmen auf dem alten BWK-Firmengelände. Der Verein selbst ludt im Erdgeschoss der Sortierung zu einer Ausstellung über den langjährigen BWK-Chef Richard Jung sowie um 14 und 16 Uhr zu einem Film über den Betriebsausflug im Jahr 1937 nach Goslar ein.


                           Ausstellung am 13.4.2013 (Quelle: Museumsverein)

In diesen historischen BWK-Räumen kann der Verein bis auf Weiteres seine Exponate präsentieren. (1)

Am diesjährigen Tag des offenen Denkmals, dem 8. September, konnte zwischen 11 und 17 Uhr das Kammzuglager der Wollkämmerei (Gebäude 100/101), wo sich jetzt ein Oldtimerzentrum befindet, besichtigt werden. Hier war auch der Förderverein Kämmereimuseum mit einem Info-Stand vertreten und hat Fotos aus seinem umfangreichen Fundus präsentiert. An diesem Tag konnte man also auf dem ehemaligen Werksgelände der BWK Industriegeschichte gleich doppelt erleben.


Wissensfelder der BWK-Geschichte


Eine mögliche Erinnerungsarbeit zur BWK Arbeit muss sich allerdings nicht nur auf die unmittelbar erlebte Geschichte vor Ort erstrecken; denn die Bremer Wollkämmerei ist ein paradigmatischer Repräsentant für einige wirklich globale und historische Veränderungen im Zeitalter der Industrialisierung. Das können einige Themen- oder Wissenskreise aufzeigen, die typische Merkmale der BWK herausstellen, die Präsentationen des Museums in Delmenhorst ergänzen und die Landschaft der deutschen Museen zur Geschichte der Textil- und Bekleidungsindustrie bereichern können.

Dabei ist sogar an ein sein junges Publikum gedacht, das mit Begriffen wie „Schaf“ und „Wolle“ viel verbindet, mit der BWK hingegen bestenfalls wenig. Hauptadressaten dürften allerdings Schüler sein, die sich am Beispiel BWK gezielt in diese Informations- oder Themenzusammenhänge einarbeiten können, die sich in Schulfächern wie Erdkunde (Australien, Welthandel), Biologie (Schaf), Chemie (Lanolin, Wollwäsche, Sondermüllentsorgung), Erdkunde (Australien, Welthandel), Geschichte (Technikgeschichte), Religion (Pietismus, Puritanismus, Reformation), Sozialkunde (industrielle Revolution, Kapitalismus), Textilgestaltung (Wolle) und Wirtschaft (Aktiengesellschaft, Rationalisierung, Rohstoffpreiszyklen) verwenden lassen.

Daneben kann der Überlebenskampf der BWK auch für Studenten der Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften ein interessantes Thema sein, da hier etwa im Vergleich mit Wettbewerbern wie Chargeurs unterschiedliche Strategien diskutiert werden können, durch die ein deutsches Unternehmen im globalen Wettbewerb bestehen kann.

Themenkreis: Vom Schaf zum Wollmantel

Um die Stellung im Produktionsprozess zu veranschaulichen können einleitend das Nutztier Schaf auf der einen Seite dieses Stranges und auf der anderen die Charakteristiken von Wollfasern und Wollkleidung thematisiert werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich dann die verschiedenen Kombinationen von Arbeiten am Anfang der industriellen Wollbearbeitung diskutieren, die praktisch realisiert worden sind, also reine Wäschereien wie die Wollwäscherei in Burg-Lesum oder die Verbindung von Wäscherei, Kämmerei und Spinnerei wie bei der Nordwolle in Delmenhorst. Eine besondere Variante ist dabei die Auftragsfertigung für Spinnereien, wie sie zunächst in Blumenthal betrieben wurde, um das Risiko der volatilen Wollpreise und der Lagerhaltung zu vermeiden.

Themenkreis: Schafzucht und australischer Wollsexport

Da die BWK vor allem Wolle aus Australien verarbeitet hat, dort ihre erste ausländische Kämmereitochter gründete und schließlich von einem australischen Konzern übernommen wurde, der intensive Handelskontakte zu den australischen Schafzüchtern besitzt, kann in einer Verbindung zu BKW sehr gut die Schafzucht in Australien und vor allem der australische Wollexport behandelt werden, der über Jahrzehnte hinweg die dortige Wirtschaft entscheidend beeinflusst hat.

Themenkreis: BWK und das industrielle Blumenthal

Die BWK war nicht nur recht früh eine große Aktiengesellschaft im Textilbereich; mit ihrem Standort in Blumenthal noch weitere sozialgeschichtlich relevante Eigenschaften verbunden sind, die sie zum einem  guten Demonstrationsobjekt für ein kapitalistisches Unternehmen während der industriellen Revolution machen. Das gilt zum einen für die Seite des Kapitals, wo sich hier gleich zwei soziale Zusammenhänge finden lassen, die in den Sozialwissenschaften idealtypisch mit dem beginnenden Kapitalismus verbunden werden.

Handels- und Industriekapital


So kann man hier quasi auf den beiden Seiten der Straße „Zum Westpier“ den Unterschied zwischen dem Handels- und dem Industriekapital konkret sehen. Den nördlich gelegenen Wätjens Park hat der Eigentümer der einst größten privaten Segelschiffreederei der Welt, der D. H. Wätjen & Co, mit seinem Vermögen gekauft, das er vor allem durch den Tabak- und Baumwollhandel mit der Neuen Welt und dem Transport von deutschen Aussiedlern verdient hat. Innerhalb des Parks hat er sich noch ein Schloss errichten lassen, womit er feudale Vorbilder nachgeeifert hat.


                                        Wätjens Schloss (Quelle: wikipedia)

Ganz anders war es hingegen südwestlich dieser Straße. Dort haben andere Händler ihr Vermögen zusammengelegt, um durch eine industrielle Produktion Dividenden zu erhalten. Diese Industriekapitalisten haben also ihr Kapital eingesetzt, um es zu vermehren, während der Händler damit vor allem angenehmen leben und repräsentieren wollte. So wird berichtet, dass Christian Heinrich Wätjen mit Freude an der Gestaltung des Parks gearbeitet hat, in dem an einem weithin sichtbaren Mast die Reedereiflagge "Weißes W auf blauem Feld" wehte. Als Zeichen der Anerkennung wurde von den Kapitänen der Wätjen-Schiffe, die am Anwesen des Firmeninhabers vorbeifuhren, erwartet, dass sie die Schiffsflagge dippten.

Calvinismus und Geist des Kapitalismus


Mit der reformierten bzw. calvinistische Tradition ist noch ein zweiter Aspekt vorhanden, den der deutsche Wirtschaftssoziologe Max Weber idealtypisch mit dem entstehenden Geist des Kapitalismus während der Industrialisierung verbindet. So konnte er zeigen, dass der Anstoß vor allem von puritanischen und calvinistischen Regionen Europas ausging. Daher verdient die feste Verwurzelung des Calvinismus in Blumenthal Beachtung, das mit den Orten Holßel, Lehe, Neuenkirchen und Ringstedt zu den „5 Reformierten an der Unterweser“ gehört, die anders als ihre Umgebung die reformierte Tradition bewahrt haben.

Eine Voraussetzung dieser neuen Wirtschaftsgesinnung sieht Weber in einer veränderten Berufs- und Lebensauffassung, die weltliche Vergnügungen und das Verprassen von Reichtum verdammt, sodass man sogar von weltlicher Askese spricht. Weber selbst spricht dabei in seiner Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ von einem „Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens“ ((Bd. 1, S. 44). Irdischer Erfolg, der sich auch im Besitz eines Unternehmens zeigen kann, lässt sich sogar als Zeichen einer besonderen göttlichen Gnade interpretieren, an der sich erkennen lässt, dass der erfolgreiche Eigentümer damit sozusagen für das himmlische Leben prädestiniert ist.

Auch wenn es außer Spenden für alle Konfessionen, denen die Mitarbeiter der BWK angehörten, kaum Hinweise auf die religiösen Vorstellungen des Managements gibt, findet man ihre Grabstätten auf dem Friedhof der reformierten Gemeinde. Man kann also annehmen, dass ihnen die Vorstellungen von Calvinismus und Puritanismus nicht unbekannt waren. Schließlich findet man sie auch in der Unternehmenskultur der BWK und die Gräber der Direktoren kann man auf dem Friedhof der reformierten Kirche besuchen.

Während das BWK-Management dem Calvinismus nahe stand, waren viele Arbeiter katholisch. Damit kann man in Blumenthal konkretes Anschauungsmaterial für die weltweit gelehrte These des bedeutenden deutschen Wirtschaftssoziologen Max Weber finden, wie an kaum einem anderen Ort.

Leben und Integration der Kämmeristen

Auf der Seite der Arbeitnehmer findet man zwar viele Parallelen etwa zur Nordwolle, da die Arbeitsbedingungen im Prinzip recht ähnlich waren. Allerdings gibt es bei ihrer Darstellung für die BWK einem großen Vorteil, da sie hier nicht nur durch wissenschaftliche Beiträge aufgearbeitet wurden, sondern auch belletristisch verdichtet wurden und damit ein anderes Publikum ansprechen. Gerade die Migrations- und Integrationsprobleme der angeworbenen Zuwanderer aus Polen werden in dem Roman „Maddo Clüver“ der Blumenthaler Reformpädagogin und Schriftstellerin Tami Oelfken eindruckvoll geschildert. Über das Leben informiert vor allem die Untersuchung „Die Kämmeristen. Arbeitsleben auf der Bremer Woll-Kämmerei.“ von Volkmar Leohold, der darin den Versuch unternimmt, Wirtschaftsgeschichte „von unten“ darzustellen.


Dieser Versuch löste bereits vor der Veröffentlichung in Blumenthal eine heftige Kontroverse aus, sodass Friedrich Jerchow, ein Autor zahlreicher Unternehmensporträts, darunter auch eines zum 100-jährigen Jubiläum der BWK, eine Antwort schrieb. Sie erschien unter dem Titel „Zerrbild und Wirklichkeit des Arbeitslebens auf der Bremer Woll-Kämmerei. Ein Kommentar zu V. Leoholds „Die Kämmeristen“, wurde in Blumenthal gedruckt und in einem Kurzinfo mit der Anmerkung, das Buch von Leohold sei in „weiten Teilen korrekturbedürftig“ vertrieben.

So gibt es jetzt die seltene Möglichkeit, dass man für ein einzelnes Unternehmen parallel zwei Sichtweisen kennenlernen kann. Das ermöglicht nicht nur einen unmittelbaren Vergleich, sondern lässt auch im Nachhinein deutlich werden, über welche Fragen 1986-7 in Blumenthal diskutiert wurde.

Themenbereich: Technologische und ökologische Probleme der Wollwäsche

Eine technoloigsche Entwicklung innerhalb der BWK wird in der Öffentlichkeit meist kritisch gesehen, wobei damit weniger die Technologie als solche, sondern ihr Einsatz in der Nähe des Blumenthaler Zentrums gemeint ist. An einem „richtigen“ Ort, wo sich keine Anwohner nicht durch den Lärm von Müllfahrzeugen belästigt fühlen müssen und keine gesundheitliche Gefahren drohen, würde sicherlich eine ganz andere Bewertung erfolgen.

Vielleicht könnte man dann sogar anerkennen, dass die Ingenieure die Erfahrungen in der BWK in bemerkenswerter Weise genutzt haben, um Wolle zu waschen und später problematischen Sondermüll, den das moderne Leben erzeugt,  zu entsorgen, wobei sogar biologische Wege wie der Einsatz von Algen getestet werden.

Themenbereich: Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie während der Globalisierung

Das deutliche Lohngefälle zwischen Europa und Süd- und Ostasien hat zu revolutionären Veränderungen der deutschen europäischen Textil- und Bekleidungswirtschaft geführt. Im Ergebnis gibt es heute praktisch keine westeuropäische Textilindustrie mehr, während es in der Bekleidungsherstellung zu einer räumlichen Aufspaltung in Produktion und Design/Management geführt hat.

Die Geschichte der BWK zeigt hier zunächst die kontinuierlichen Versuche zur Rationalisierung, um die Produktionskosten zu senken und mit anderen westeuropäischen Kämmereien wettbewerbsfähig zu bleiben.

Danach tritt dann um 2005 eine plötzliche Standortrevolution ein, die China zum „Wollkönig“ gemacht hat, da sogar die australischen Kämmereien ab-  und in China wieder aufgebaut wurden. Auslöser war nicht nur der Kostenvorteil durch das geringere Lohnniveau, wodurch Kammzüge auch in gleicher Qualität preiswerter hergestellt werden konnten, sondern die Verlagerung des Schwergewichts der Textil- und Bekleidungsproduktion nach Asien, sodass in Europa fast ausschließlich Modeunternehmen zurückgeblieben sind, die hier ihre Kollektionen erstellen, den Verkauf organisieren und das gesamte Unternehmen managen. 

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Weitere Vorüberlegungen zu einem BWK-Museum kann man im Artikel "Vorüberlegungen zu einem virtuellen BWK-Museum: Ein digitaler Lernort mit sozialer Bodenhaftung" finden.


Der früher hier als weiterer Teil angefügte Abschnitt über die Geschichte vor allem der deutschen Kämmereien und ihre museale Aufarbeitung" wurde erweitert und lässt sich jetzt unter "Ein wichtiger Teil der Wirtschafts- und Industriegeschichte: Museen über Kämmereien, Tuchfabriken und andere Textilunternehmen" aufrufen.

BWK_ Immobilien


Eine Herausforderung für die Städtebaukunst: 


Die Zukunft des Betriebsgeländes und der Gebäude der BWK 



Die Verkäufe durch die BWK und Elders


Da die BWK einen langen Überlebenskampf gegen die Auswirkungen der Globalisierung führte,  standen die Immobilien nicht nach einer Insolvenz insgesamt zum Verkauf. Vielmehr erfolgten Verkäufe vor allem in drei Zügen, wobei die Einnahmen aus den beiden ersten Transaktionen in Rationalisierungsinvestitionen und Sozialpläne flossen.

Daher konnte die Stadt nicht, wie es in ähnlichen Fällen großer Industriekomplexe üblich ist, nach einer Insolvenz oder Liquidation die gesamte Fläche planen und vermarkten, sondern musste sich zunächst mit Teilflächen begnügen, ohne zu wissen, was mit dem Rest geschehen würde.

Zudem hinterließ die BWK nicht nur ein relativ beliebig verwertbares Areal mit einigen denkmalgeschützten Gebäuden, sondern gleichzeitig zwei Anlagen, die als umweltbelastende industrielle Nutzungen nicht in ein Mischgebiet passen und mit Wohnnutzungen konfligieren. Die Anlagen zur Sondermülleindampfung und -verbrennung, die über unbegrenzte Betriebsgenehmigungen verfügen, begrenzen somit die Nutzungsmöglichkeiten erheblich, da sie eine Reihe von Verwendungen, die andere Städte für frühindustrielle Industrieflächen vorgesehen haben, wie Wohnungen und zahlreiche Dienstleistungen ausschließen.

Besonders erschwerend ist dabei die räumliche Verteilung dieser beiden Problemzonen, da sie sich nicht in einer Ecke konzentrieren, sodass man sie durch entsprechende Maßnahmen vom Rest abgrenzen kann. Vielmehr liegen im Westen das Heizkraftwerk Blumenthal (HKW), das unabhängig vom Betrieb der BWK als Abfallbeseitigungsanlage genehmigt ist, und Teile des BWK-Nachfolgebetriebs Brewa. Von beiden Anlagen gehen zudem Versorgungsleitungen aus, die „in Form einer Rohrbrücke und eines Medientunnels“ das Gebiet in West-Ost-Richtung durchqueren. Auf der östlichen Seite findet man schließlich weitere Einrichtungen der Brewa, die die Entsorgung von flüssigem Sondermüll betreibt


Geltendes Planungsrecht


Der Bremer Flächennutzungsplan von 1983 stellt das gesamte Areal im Wesentlichen als gewerbliche Baufläche dar, mit einer Abweichung entlang der Landrat-Christians-Straße, wo eine z. T. gemischte Baufläche erscheint.

Da das Gebiet nach und nach von der BWK aufgegeben wurde, entstanden zunächst nur Bebauungspläne für die jeweils  „freien“ Teilflächen. So steht ein Plan für den mittleren Bereich noch aus, während ein Planaufstellungsbeschluss Mitte 2003 für den östlichen Teil (Bebauungsplan 1264) und von August 2009 für den westlichen Teil (Bebauungsplan 1288) gefasst wurde.

Daran schließt sich im Westen der Bebauungsplan 1263 für eine öffentliche Grünfläche und das Blumenthal Center an. Im Osten folgt auf das Brewa-Areal das Gewerbegebiet Vulkan (Bebauungsplan 1240). Schließlich setzt noch für Teile der Landrat-Christians-Straße der rechtsverbindliche Bebauungsplan 959 ein Kerngebiet fest.

Durch den letzten Grundstückskauf hat jetzt Bremen mögliche Eigeninteressen des Alteigentümers Elders bei der weiteren Planung aus dem Weg geräumt, der sich wenig für den für Blumenthal entwickelten Masterplan interessiert hat. Mit dem eigenen Konzept will der Stadtteil eine Verbindung der einstigen Industrieflächen mit dem alten Ortskern erreichen, während Elders vorrangig ein einen für die Eigentümer günstigen Verkauf der Grundstücke erwartet hatte, ohne dabei Rücksichten auf die Nutzungsvorstellungen des Masterplans zu nehmen.

Nachdem Bremen zum 1.1. 2012 den überwiegenden Teil der noch im Eigentum des BKW-Rechtsnachfolgers befindlichen Flächen angekauft hat, liegt eine neue Planungssituation vor, auch wenn die Nutzungseinschränkungen bestechen bleiben.



Vom Gewerbegebiet Vulkan-West zum Gewerbegebiet Bremer Wollkämmerei


Während der erste Grundstücksverkauf vor allem vor allem für die Errichtung des Blumenthal-Centers verwendet wurde, ließen sich für den zweiten Kauf nicht so rasch Interessenten finden. So wurde dieses Gebiet zunächst unter dem Namen Gewerbegebiet Vulkan-West als „Schauplatz mit Potenzial“ angeboten. Das kann sich jetzt ändern, da das Areal in Gewerbegebiet Bremer Wollkämmerei umbenannt und von einem „bunten Branchenmix“ gesprochen wird. So sehen die Standortmanager wegen der Architektur der Gründerzeit ein „hohen Entwicklungspotenzial“, da ihre aktuellen Angebote „ideal als Bürofläche für Künstler, Designer, Ingenieure und Architekten, für Gastronomie oder als Veranstaltungsraum“ sein sollen.


Die aktuellen Planungsziele


Unter diesen Vorgaben ist es nicht leicht, für das Gesamtareal eine geeignete Nutzung zu finden und in einem Bebauungsplan zu fixieren. Das zeigen bereits die erklärten Ziele. So sollen über das Planungsrecht die Voraussetzungen geschaffen werden,

- dass ein attraktiver Mix gewerblicher und hochwertiger industrieller Nutzungen entsteht,

- keine Nutzungskonflikte mit den umgebenden Wohnlagen eintreten, 

- die Öffnung des Gebietes zum Ortskern ermöglicht wird und

- die „schon begonnenen Entwicklungs- und Aufwertungsmaßnahmen im Zentrum Blumenthal“ unterstützt werden.

Diese Ziele dürften weitgehend unstrittig sein. Fraglich ist hingegen, ob sich Nutzungen finden lassen, die in dieses Zielsystem passen. Das gilt etwa für Wohnungen für ältere Menschen, wodurch das Zentrum zweifellos aufgewertet und das Gebiet zum Ortszentrum hin geöffnet werden könnte. Nur stehen dem die Nutzungskonflikte mit Industriebetrieben gegenüber, was eingeschränkt auch für zahlreiche Dienstleistungsangebote etwa im Bereich der Ausbildung und Forschung gelten dürfte. Man kann daher vermuten, dass die heutigen Stadtplaner eine Quadratur des Kreises lösen sollen, nachdem frühere Unternehmensmanager, Politiker und Planer diese Situation durch ihre Entscheidungen herbeigeführt haben.

Praktisch möchten die Städtebauer ihre Ziele durch die Aufwertung der historischen Achse erreichen, die das Ortszentrum mit der Weser verbindet und an der sich die meisten architektonisch wertvollen Backsteingebäude aus der Gründerzeit befinden.

Ergänzend soll noch eine weitere Fuß- und Radwegeverbindung zum Marktplatz hergestellt werden, die mit einem Weseruferweg verbunden ist. Damit soll das Weserufer nach „jahrzehntelanger Privatnutzung wieder der Öffentlichkeit zugänglich“ werden und sich auf dem Weseruferwanderweg von Farge/Rönnebeck aus über die Grünfläche Bahrsplate am Ende Wätjens Park erreichen lassen. Dadurch wollen die Planer das Naherholungsangebot in Blumenthal „erfahrbar verbessern“.

Wegen dieser veränderten Rahmenbedingungen, durch die das Gros der historischen Bauten und praktisch das gesamte Kerngebiet der BWK in einem Bebauungsplan einheitlich beplant werden kann, wird in Zukunft nicht mehr vom Gewerbegebiet Vulkan-West, sondern vom „Gewerbegebiet Bremer Wollkämmerei“ gesprochen. Aufgrund dieser Umfirmierung kann man vermutlich ein größeres Interesses für die Erhaltung und geeignete Nutzung der historischen Backsteinarchitektur erwarten. 

Die architektonische Substanz der BWK-Gebäude


Die heutige Qualität der Gebäude auf dem ehemaligen BWK-Gelände ist recht unterschiedlich. Das gilt nicht nur für den Sanierungs- und Modernisierungsbedarf, sondern vor allem auch für die architektonische Bedeutung. So entstand ein großer Teil der Hallen, als in den 60-er- und 70-er Jahres des vorigen Jahrhunderts die Produktion von der Vertikalen in die Horizontale verlagert wurde, um den Wolltransport durch den Einsatz von Gabelstaplern zu mechanisieren. 

Daher stehen Backsteingebäude, für die sich der Denkmalschutz interessiert, fast ausschließlich in den beiden ältesten Teilen. Dabei lassen sich vor allem zwei Bauphasen unterscheiden, die die Zeiträume "Ende des 19. Jahrhunderts" und die zwei "Jahrzehnte 1910-1930" umfassen. Neben den Stilelementen verdienen dabei nicht zuletzt die Farbe und Oberflächenstruktur der verwendeten Ziegelsteine Aufmerksamkeit.






Älteres Gebäude (Kammzuglager, Haus 101)




Jüngeres Gebäude (Sortierung, Haus 44)











Ein Gang über das BWK-Gelände

Seit dem 14. Aptil 2015 kann man über die "Historische Achse", die jetzt den Straßennamen "An der Wollkämmerei trägt, praktisch erstmals seit der Gründung der Bremer Woll-Kämmerei ohne die Verletzung von Verboten oder den Kampf mit diversen physischen Hindernissen wie Absperrzäune, Pfützen und Dornen die denkmalgeschützten Gebäude der BWK betrachten. Ein Verweilen wird dabei durch die geschaffene verkehrsberuhigte Zone sehr erleichtert, in der man parken und nach den häufig spannend gestalteten Giebeln "trachten" kann, ohne zu sehr auf den Verkehr achten zu müssen. 


                             BWK-Gelände 1934 (Quelle: Förderverein Kämmereimuseum)


Die „historische Achse“


Dazu gehört die  sogenannten „historischen Achse", die von der Landrat-Christians-Straße bis zur Weser führt und zum Teil von bauhistorisch wertvollen Lager- und Verwaltungsgebäuden gesäumt ist. In Teilbereichen bilden sie sogar trotz der späteren Neubauten einige zusammenhängende Ensembles gründerzeitlicher Industriearchitektur.  

Der Eingangsbereich zum BWK-Areal wird durch das Pförtner- und Feuerwehrgebäude geprägt, das eine repräsentative Eingangssituation schafft, die durch eine kleinere Grünanlage ergänzt wird.



Pförtner- und Feuerwehrgebäude (Haus 162 und 163)










                         



                        Tor 1 (Haus 118)








Geht man weiter in Richtung Weser, gelangt man zu den früheren technischen (rechts) und kaufmännischen Verwaltungen (links) der BWK, die sich als gut erhaltene Backsteinarchitektur präsentieren und auch gegenwärtig zumindest teilweise genutzt werden.

                                                



Technische Verwaltung (Haus 50)

                                       



Kaufmännische Verwaltung (Haus 107)







So kann man die denkmalgeschützte Location „Kaufmännische Verwaltung“ als Film- und Fotokulisse buchen. Auch das ehemalige Großraumbüro steht mit seinem Gründerzeitambiente für Seminare und Veranstaltungen zur Verfügung. Dabei denken die Vermieter beispielsweise an Hochzeitsfeiern in einem nicht ganz gewöhnlichen Ambiete.

Anschließend folgt auf der rechten Seite die 1915 erbaute frühere Sortierung, die eine Bruttogeschossfläche von 4.600 qm besitzt. Zuletzt wurde dieses Gebäude für Büro- und Forschungsarbeiten sowie als Lager genutzt. Daher dachte man hier zunächst an eine zukünftige Verwendung als Bürogebäude, während jetzt durch den Blumenthal Beirat ein Aus- und Umbau zu einem Kulturzentrum mit Ateliers und Räumen für ein Kämmereimuseum gewünscht wird.


                                               Sortierung (Haus 43)
















Für Architekten bildet die Sortierung mit den gegenüberliegenden Speichergebäuden, die im Zuge einer Erweiterung der BWK in den 1890-er Jahren entstanden sind, einen „qualitätsvollen Raum“.


                                     Speicherkomplex (Haus 100 und Haus 101)

Dabei sind für diese gründerzeitlichen Lagergebäude prägnante Dachkonstruktionen und Fassaden typisch.





Giebel des Kammzuglagers (Haus 101)





























Auf der anderen Seite der Straße "An der Wollkämmerei" folgt ein Lager- und Sortiergebäude, das 1910 gebaut wurde und Anklänge an den Jugenstil aufweist.



 Lager- und Sortiergebäude (Haus 56)



















Jugendstilornamentik über den Fenstern









Richtung Weser schließt sich auf der gegenüberliegenden Seite der Straße ein Ensemble an, das nicht zuletzt von den üblichen Bezeichnungen der Gebäude her die Bedeutung der Wollwäsche für das Unternehmen sichtbar werden lässt. Im Einzelnen handelt es sich um das "Wasserhaus", in dem früher die Krempelschlosserei untergebracht war, die Wäscherei sowie als besonders markanten Punkt auf dem ehemaligen BWK-Betriebsgelände um den Wasserturm.


         Wäscherei (Haus 132A)



                                        Wasserhaus (Haus 144)

                                        






 Wasserturm (Haus 159)












Den südlichen Abschluss dieser Achse bildet die ehemalige „Fliegerhalle“, wobei es sich um eine architekturhistorisch seltene Leichtbaukonstruktion aus den 1920-er Jahren handelt, in der während der BWK-Zeit Kulturveranstaltungen stattgefunden haben.


                                     Fliegerhalle (Haus 173)



Das Ensemble an der Landrat-Christians-Straße


Einen zweiter Komplex von gründerzeitlicher Backsteinarchitektur aus der frühen Bauphase der BWK findet man entlang der Landrat-Christians-Straße.

                                         Toranlage und Pförtnerhaus (Haus 1 und 2)

Typisch für diese Gebäude, zu denen das Kessel- und das Maschinenhaus gehören, sind ihre Arkaden, die allerdings erst Anfang der 1980-er Jahre entstanden sind. Dank dieser baulichen Veränderungen scheint sich das Betriebsgelände nicht mehr so burgartig gegenüber dem Ort abzuschließen, wie das zuvor der Fall war.

Durch einen Umbau, der voraussichtlich im Frühsommer 2013 beginnen sollte, wollte man die architektonischen Merkmale der historischen Gebäude, die seit fast 20 Jahren nicht mehr genutzt werden, erhalten und unterstreichen. Gleichzeitig sahen die Entwürfe des Büros Romeiser vor, dass die Fassade aufgeschnitten wird, wodurch deutlich mehr Licht in die Gebäude fällt. Erstmals sollen die Gebäude auch Zugänge von der Landrat-Christians-Straße erhalten, sodass eine klare Orientierung zum Ortskern hin entsteht. 


                                             Kesselhaus (Haus 7)

                                    



           Maschinenhaus (Haus 12)















Diese Gebäude scheinen sich aufgrund ihrer Lage besonders für stadtteilorientierte Nutzungen wie Handel, Dienstleistungen und Gastronomie zu eignen. Allerdings sind inzwischen wieder zwei Jahre vergangen, ohne dass ein Stein bewegt wurde.

Die Funktionsbauten der 1960-er Jahre


Nachdem bereits einige baufällige Hallen abgebrochen wurden, ist einer Reihe der Funktionsbauten, die seit der großen Rationalisierungsoffensive der BWK ab den 1960er Jahren entstanden sind, weiterhin nutzbar. Einige wurden 
bereits vermarktet, so an metallverarbeitende Betriebe und an einen KfZ-Reparaturbetrieb, andere konnten man längerfristig verpachten, und zwar an ein Logistikunternehmen, eine Tischlerei, einen Catering-Betrieb und nicht zuletzt als sachliche Fortführung eines BKW-Segments in neuer juristischer Form an die Chemiefaserproduktion.

Das Gros der Flächen soll so einen eher industriellen Charakter erhalten und sich damit an das Gewerbegebiet Bremer Vulkan anlehnen, das nach der Pleite der Großwerft mit Unternehmen des Stahl- und Schiffbaus restrukturiert wurde.



Zuwarten oder pragmatisch handeln?


Auch nach der Schließung der BWK, die als industrielle Problemkinder Anlagen zur Sondermüllentsorgung auf ihrem Betriebsgelände hinterlassen hat, ist damit das letzte Wort in dieser Geschichte eines einstigen Weltunternehmens noch keineswegs geschrieben. Es gibt eine Hoffnung auf eine bessere Zeit, die aus dem ehemaligen Werksgelände etwas mehr macht als die aktuelle stiefmütterliche Nutzung.

So heißt es zumindest im Wahlprogramm der Blumenthaler Mehrheitspartei zur letzten Bürgerschaftswahl, das mit „Bremen-Nord-Plan 2011 – 2015“ überschrieben ist: „Langfristig müssen alle Schritte unternommen werden, um den Bereich von Müllbeseitigungsanlagen frei zu machen.“ Man braucht also nur den Mut, um aus Worten Schritt für Schritt Wirklichkeit werden zu lassen; denn sonst wird das Langfristige immer langfristig bleiben.

Allerdings wird man sich vermutlich entscheiden müssen, ob man das noch Mögliche jetzt erreichen oder lieber auf das Ideale in der Zukunft hoffen will. Einen pragmatischen Schritt kann der neue Bebauungsplan gehen 1288.


Quellen:

Internetquellen: www.brewa.de und www.wikipedia.de.
Fotos der BWK-Gebäude: wikimedia und eigene Aufnahmen.



Anhang

Denkmalgeschützte Gebäude (1) auf dem BWK-Gelände

Nr. (2)
Baujahr (1)
Name
1 und 2
vor 1889
Toranlage und Pförtnerhaus
7
um 1887
Kesselhaus
12 und 81
1885-9
Maschinenhaus E und Nadelsetzerei
43
1913-4
Sortiergebäude
50
1913
Technische Verwaltung
56 und 140
1920
Lager- und Sortiergebäude sowie Kraftwerk
100 und 101
1895
Kammzuglager
107
1897
Kaufmännische Verwaltung
118
1924
Tor 1
132A
1910
Wäscherei
144
1910
Wasserhaus
159
1922
Wasserturm
162 und 163
1923
Pförtner und Feuerwache
173
1929
Fliegerhalle
 1) Landesamtes für Denkmalpfege Bremen. Landesdenkmalliste. Stand: Januar 2015, Bremen 2015.
2) BWK, Gebäude-Beschreibung vom Jahre 1934 zur Feuerversicherung der Bremer Woll-Kämmerei in Blumenthal, Bremen 1934.