Dienstag, 1. September 2015

neu: BWK_1883ff_1




Die BWK im Kaiserreich: 


Rasches Wachtum, gute Dividenden, aber wenig publizierte Informationen



1. Teil



Die ersten Anfänge vieler bedeutender Entwicklungen liegen häufig zumindest teilweise im Dunkeln. Gründungsmythen ersetzen dann schnell präzise Fakten und können dadurch die tatsächlichen Abläufe in ein besonderes märchenhaftes Licht tauchen. 

Das gilt für die Bremer Woll-Kämmerei nur bedingt, auch wenn es eine Gründungsgeschichte gibt, in der ein Konsortium von sieben Bremer Honoratioren, also eine Anzahl, die nicht ohne symbolische Bedeutung ist, eine gewichtige Rolle spielt. Die Menge "7" hat neben ihren mathematischen Eigenschaften einen psychischen Aspekt, wie wir durch einige sprachliche Wendungen erfahren. Die Primzahl steht in vielen Fällen für eine Anzahl, in der alle wichtigen Teilbereiche eines Zusammenhangs vertreten sind, drückt damit also eine gewisse Vollständigkeit aus. Das gilt etwa für die sieben Tage einer Woche, die sich an die Zahl der bereits im Altertum bekannten beweglichen Himmelskörper Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn anlehnt, die sieben Todsünden der klassischen katholischen Theologie oder einfach an die Siebensachen, die jemand als seinen gesamte Besitz zusammenpacken soll. 


Aber neben den sieben Schwaben und den glorreichen Sieben kennt man auch die sieben Weltwunder. Die gaben einigen Besucher der späteren Wollkämmerei, also eines Betriebe, in dem Rohwolle so veredelt wird, dass sie sich zu Kammgarn spinnen und anschließend zu hochwertigen Stoffen weben lässt, eine Hinweis, wie sich das Erlebte zusammenfassen ließ. Nicht wenige waren damals von der Größe und der rational durchdachten Anordnung der einzelnen Betriebsteile dieser Fabrikstadt an der Weser so beeindruckt, dass sie von einem achten Weltwunder sprachen.

Zwar waren die sieben Gründer keine hochrangigen Adligen oder Kleriker, aber nicht mehr und nicht weniger als sehr bekannte und vor allem einflussreiche Honoratioren der Hansestadt Bremen, die sehr hilfreiche Verbindungen sowohl zu den wichtigen staatlichen Stellen als auch zum weltweiten Wollhandel in ihren Händen hielten. Das wird besonders deutlich, wenn man sieht, dass sie aus Familien stammten, deren Angehörige Mitglieder Präses der Bremer Handelskammer oder bremischer Senator waren. Man kann also feststellten, dass die Gründer über ein soziales Netzwerk verfügten, wie es sich ein junges Unternehmen, das erfolgreich am Markt agieren will, nur wünschen kann.

Was für das Konsortium als Ganzes gilt, trifft praktisch auf jedes einzelne Mitglied zu. Es verfügte über hohes Ansehen, Kompetenzen in der Wirtschaft und speziell dem Wollgeschäft und wohl auch über Kapital.

Erfahrungen in der Leitung eines anderen Unternehmens der Wollveredlung brachte George Albrecht ein, der als Vorstand der gut zehn Jahre vorher gegründeten Bremer Woll-Wäscherei in Burg-Lesum fungierte. Damit war er generell mit den Tätigkeiten zwischen der Anlandung der Rohwolle und Weiterverarbeitung in den Spinnereien vertraut, die damals wie beispielsweise bei der Kammgarnspinnerei und Tuchfabrik Joh. Wilh. Scheidt in Köln Teile der Spinnereien waren. So umfasste etwa Scheidt auch eine Wollsortierung, eine Krempelei und eine Kämmerei (Pleitgen, S. 118). Zudem stellte eine Wäscherei, wie er sie George Albrecht bereits leitete, einen Teil der für das neue Unternehmen in Blumenthal vorgesehenen Tätigkeiten dar.

Gründer dieser Wollwäscherei war Heinrich Claußen als weiteres Mitglied des Konsortiums, der zunächst in einer Reederei tätig war, bevor er seit 1875 als einer der beiden Direktoren an der Spitze der Bremer Sparkasse stand.

Enge Verbindungen zur Schifffahrt besaß auch der Reeder und Wollhändler Johannes Fritze, der aus einer Dynastie stammte, die sich auf eben diese Bereiche spezialisiert hatte. Auf Bezüge zur Politik konnten der preußische Generalkonsul Friedrich Wilhelm Delius und der königlich portugiesische Konsul und Kaufmann Carl Johann Friedrich Weinlig verweisen. (Scholl)

Hinzu kamen noch zwei Vertreter der bekanntesten und wohl auch vermögendsten Bremer Familien. Dabei handelte es sich um J. Hachez aus der Kaufmannsfamilie Hachez und C. Kulenkampff, dessen Familie verwandtschaftlich entfernt mit Ludwig Knoop verbunden war, also dem Bremer Großkaufmann, der durch seine Textilunternehmen zu den erfolgreichsten Unternehmern des 19. Jahrhunderts zählt und in jungen Jahren die maschinelle Baumwoll-Spinnerei und –Weberei sozusagen an ihrer Wiege in Manchester kennengelernt hatte.

Es gab jedoch innerhalb des Konsortium auch einen örtlichen Bezug zu Blumenthal, denn der Reeder und Kaufmann Fritzen hatte dort 1852 gemeinsam mit zwei anderen Kaufleuten die Steingutfabrik Witteburg gegründet. Er kannte daher nicht nur Blumenthal, sondern auch die unternehmerischen Herausforderungen, die ein Industriebetrieb stellt. (Fiedler 2013)

Was die Herren dieses Konsortiums auf der Gründungsversammlung ausführten und zuvor an betriebswirtschaftlichen Überlegungen angestellt haben, ist praktisch so unbekannt wie informative Gewinn- und Verlustrechnungen in den ersten Bilanzen. Man kann es nur aus einer Analyse der damaligen Wollwirtschaft und dem gebauten Werk mit seiner Größe, seinem Standort, seiner Mitarbeiterzahl und anderen harten sichtbaren Fakten erschließen.

Gemeldet wurde zumindest als Nachricht die Eröffnung der„Constituierenden Generalversammlung“ der Aktiengesellschaft Bremer Woll-Kämmerei 
durch den Bremer Kaufmann George Albrecht in den Räumen der Gesellschaft „Museum“ am Domshof in Bremen am 13. Aril 1883 um 15 Uhr. Im juristisch fixierten Ergebnis wurden die Gründung und als Zweck des Unternehmens die "Lohnkämmerei, sowie Beteiligung an damit verwandten oder naheliegenden Geschäftszweigen; evtl. auch Kauf und Verarbeitung von Wolle für eigene Rechnung" sowie ein Grundkapital von zunächst 2,25 Mio. Mark beschlossen.


Die kleine, ältere Halbschwester an der Lesum

Diese Firmenneugründung besitzt in einem anderen Ortsteil des Bremer Norden eine ältere Halbschwester, an deren Entstehen einige der Väter der BWK beteiligt waren. Das gilt vor allem für George Albrecht, der als Vorstand dieser Bremer Woll-Wäscherei fungierte und den Bau der BWK als sein weiteres Kind besonders engagiert förderte, indem er die Versammlung des Konsortiums leitete und später kaufmännischer Vorstand des neuen Unternehmens wurde.

Die Gründung der Wäscherei in Lesum erfolgte bereits 1872 während der Gründerjahre nach dem Sieg im deutsch-französischen Krieg, als mit der Entstehung des Deutschen Reiches eine Aufbruchstimmung in der gesamten deutschen Wirtschaft ausgelöst wurde. Dazu trug auch das Kapital der französischen Reparationszahlungen bei. Entscheidender dürfte jedoch das verbreitete Ziel gewesen sein, Frankreich auch bei der Industrialisierung des Landes zu übertreffen und nicht weiter hinter England oder gar Belgien im Hintertreffen zu liegen. Man wollte nicht, wie es der damals einflussreiche Nationalökonom Friedrich List als drohende Gefahr ausmalte, zum „Wasserträger und Holzhacker der Briten“ werden. 

Diese spezialisierte Wollwäscherei, wie man sie damals auch im belgischen Verviers fand, konnte der BWK nicht unbedingt als Vorbild dienen, da sie die Chancen des wachsenden Bremer Wollhandels nur sehr bedingt nutzte. Ihre Mitarbeiterzahl schwankte entsprechend der volatilen Wollkonjunktur nur zwischen wenig beeindruckenden 120 bis 140 Personen und erreichte auch in Boomphasen bestenfalls 180 Beschäftigte. (Ellerkamp, S. 35) Dabei handelte es sich um einen langjährigen Stamm einheimischer Arbeitskräfte, unter denen die Frauen, die fast alle in der Sortierung arbeiteten, ein Viertel ausmachten. (Ebenda, S, 36) 

Diese Entwicklung sprach, wenn man als Kapitalgeber höhere Ansprüche hatte, nicht unbedingt für eine Kopie dieses Geschäftsmodells, was die BWK auch nicht versuchte. Die Richtigkeit dieser Entscheidung zeigte sich 1929 als die Wollwäscherei liquidiert wurde. Die Ursache dafür war nicht zuletzt die nahe und übermächtige BWK.(Ebenda, S, 36)
  
Die Rahmenbedingungen des globalen Wollmarktes: Erzeugerländer und Preise


Ein neues und jungen Unternehmen wie die geplante Bremer Woll-Kämmerei hat fast immer dann einen guten Start, wenn sie sich in einem Markt bewegt, der wächst oder sich in einem Umbruch befindet, wobei man im letzten Fall zum richtigen Zeitpunkt auf den beginnenden Trend setzen muss.

Dabei lässt sich leicht feststellen, dass die Gründungszeit der BWK aufgrund der Situation des Wollmarktes für einen neuen, zusätzlichen Kämmereibetrieb sehr günstig war, falls man sie vor dem Hintergrund der vorangegangenen Jahre betrachtet.

Mit der Vor- und Frühindustrialisierung stieg seit den 1830-er Jahren die Bevölkerung in Europa und Nordamerika, da zwar die Mütter- und Säuglingssteblichkeit deutlich sank, jedoch keine Änderung des Sexualverhaltens erfolgte. So kam es damals zu einem ungewöhnlich großen Bevölkerungswachstum, zu dem sowohl die natürliche Bevölkerungsentwickung betrug, da die Zahl der Sterbefälle bei den Kindern und Müttern zurückging und eine Zuwanderung in die entstehenden Industriezentren etwa im Ruhrgebiet einsetzte. Damit stieg neben dem Bedarf an Nahrungsmitteln auch die Nachfrage nach Textilien, also in erster Linie Baumwolle und Wolle.

Da sich die Produktion der tierischen Fasern nicht entsprechend schnell steigern ließ, "erreichten die Wollpreise Ende der 1830-iger Jahre einen Höchststand, der nur nach Ende des Weltkrieges vorübergehend (1919/29) einmal übertroffen worden ist." (Behnsen, S. 80f.)

Als wichtiger Indikator für den Bedarf an Schafwolle kann die Einwohnerzahl dienen. Danach fiel die BWK-Gründung in eine Phase deutlich wachsender Nachfrage, weil die Einwohnerzahl des Deutschen Reiches zwischen 1871 und dem Beginn des Ersten Weltkrieges von 41 Mio. auf 65 Mio., also um mehr als 50 %, gestiegen ist. Damit war das jungen Unternehmen nicht auf einen häufig teuren Verdrängungswettbewerb angewiesen, sondern konnte auf die zusätzliche neue Nachfrage setzen.

Ähnliche Trends zeigen detaillierte Einwohnerzahlen für Bremen, wobei die unterschiedlichen Steigerungsraten im Zeitablauf deutlich werden.


                 Einwohnerzahl Bremens zwischen 1790 und 2009

Anmerkungen: 1: 1790, 2: 1831, 3: 1871, 4: 1913, 5: 1940, 6: 1969 und 7: 2009 ( Quelle: wikipeda)

Dabei wird für Bremen das besonders ausgeprägte Wachstum während der hier interessierenden Jahre zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende deutlich. Das zeigt der rapide Anstieg seit 1871. Im Detail kann noch eine genauere Terminierung des Wachstums erfolgen, wie es die Tabelle versucht.


Die Entwicklung der Einwohnerzahlen Bremens zwischen 1790 und 2009
DatumEinwohnerzahlMesszahlenDifferenz zur zeitlich vorangegangenen
Einwohnerzahl
1790
30.000
100
-
1831
44.286
148
14.300
1871
82.969
277
38.700
1885
118.395 
395
35.400
1913
265.711
886
147.300
1933
324.189
1.080,6
58.500
1940
441.800
1.472,7
117.600
1945
289.221
964
- 152.600
1969
607.184
2.023,9
318.000
2009
547.685
8.256
-59.400
Quelle:wikipedia


Auch in absoluten Zahlen, die für die Erzeugung von Kammzügen die vor allem relevante Bezugsgröße darstellen, stieg zwischen 1831 von 1871 um knapp 40.000. Ähnlich hoch war es in der folgenden kürzen Periode zwischen der Reichs- und der BWK-Gründung. Ein wirklich rasantes Wachtum folgte dann jedoch im Zeitraum 1885 - 1911. In diesen gut 25 Jahren wuchs die Bevölkerung um knapp 150.000 Personen, wodurch sich die Einwohnerzahl Bremens mehr als verdreifachte. Damit war fraglos auch eine vergleichbar hohe Nachfragesteigerung bei Wolltextilien verbunden.

Als Reaktion auf die hohen und zunächst steigenden Preise wuchs die Schafhaltung in den großen Staaten Europas wie Deutschland, England, Frankreich und Österreich noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. 

Erst dann begann sich das neue Angebot der Schafzüchter von der Südhalbkugel auszuwirken, wo sich die Wolle als fast ideales Exportprodukt produzieren und verschiffen ließ, da man die Rohwolle leicht lagern und ohne Qualitätseinbußen über lange Strecken transportieren konnte. Diesem wachsenden Wollangebot aus "Übersee mit seinen viel geringeren Gestehungskosten entsprach ein Rückgang der Preise, die nach vorübergehenden Tiefpunkten in den Jahren 1870 und 1876 schließlich 1894/5 den bisher tiefsten Stand erreichten" (Behnsen, S. 80f.)

Der tiefgreifende räumliche Wandel der Wollproduktion blieb nicht ohne Komplikationen mit den entsprechenden Effekten für den Preis. Da zu viele Farmer in einem zu hohen Ausmaß von dem lukrativen Wollgeschäft profitieren wollten, überstieg die Produktion auf der Südhalbkugel die Nachfrage und Aufnahmekapazität in den Verbraucherländern, was in den 1890-er Jahren zu einer wirtschaftlichen Depression vor allem in Australien beitrug, das wegen seiner prinzipiell idealen Bedingungen für die Schafzucht von diesem temporären Absatzstau besonders betroffen war. 

Dadurch sank die Rohwolle zur Gründungszeit der BWK im Jahre 1894 auf einen Tiefpreis, nachdem der Trend bereits 20 Jahe lang nach unten gezeigt hatte. Als weitere ganz reale Faktoren, die einen Preis- und Mengeneffekt besitzen, kamen 1891 noch ein halbjähriger Streik der Scherer in Queensland und zwischen 1895-1902 eine der größten Dürren hinzu, die die australischen Schafzüchter jemals erlebt haben. Dadurch reduzierte sich in Queensland, das am stärksten betroffen war, die Zahl der Schafe um zwei Drittel. (Henzell, S. 70)

Das waren jedoch nur Ereignisse, die den großen Trend auf dem Wollmarkt zwar leicht modifizieren, aber nicht stoppen konnten. Wie die folgende Tabelle der "Wollverschiffungen aus Übersee" veranschaulicht, stiegen die Wollimporte Westeuropas und der USA, d.h. der wichtigsten Regionen mit einer industriellen Weiterverarbeitung von Rohwolle, nach den ersten überhaupt vorliegenden Zahlen zwischen 1900 und 1914 erheblich. Das galt vor allem für Australien und Neuseeland, die damals als "Austalasien" zusammengefasst wurden; denn hier kam zu mehr als einer Verdoppelung. 

Für die südamerikanischen Wollländer kam es hingegen eher zu einer Stagnation, wenn nicht sogar zu einem leichten Rückgang. Insgesamt bestätigt die Ausfuhrtabelle den wachsenden Anteil vor allem australischer Rohwollexporte für die europäische Kämmereiindustrie, die immer weniger auf die Wolle ausgerichtet, die von Schäfern und anderen Schafhaltern in Europa produziert wurde.


             Wollexporte von der Südhalbkugel 1880/1 - 1913/4

                                                      Quelle: Behnsen, S. 82


Vergleicht man den Beginn der Zeitreihen, also das Wolljahr 1900-1, mit dem Ende (1913-4), wird deutlich, dass sich die Wollausführungen aus Australien und Neuseeland in gut einer Dekade mehr als verdoppelt haben. Entsprechendes gilt relativ gesehen für die absolut deutlich kleineren Mengen aus Südafrika, während die aus Südamerika, also vor allem aus Argentinien und Uruguay, eher rückläufig waren. Dadurch wurde Australien zum beherrschenden weltweiten Wollexporteur.

Nach diesen Daten über die Einwohnerentwicklungen, die Wollpreise und vor allem die gehandelte Wollmenge erfolgte damit die Gründung der Wollkämmerei in Bremen zu einem fast idealen Zeitpunkt: die Zahl der Konsumenten wuchs in jenen Jahren kräftig und die Wollproduktion verlagerte sich rasch nach Australien und auf die übrige Südhalbkugel der Erde, was in Deutschland Bremen zu der Stadt machte, über die wachsende Rohwollmengen zu den bereits bestehenden Spinnereien und Webereien im Hinterland transportiert werden mussten.

Die Blumenthaler Standortfaktoren


Der Vorstand der Wollwäscherei wie auch die anderen beteiligten Wollhändler hatten aufgrund ihres Berufs einen optimalen Einblick in den damaligen Wollhandel und die Wollindustrie. Dabei konnten sie feststellen, dass Deutschland deutlich hinter der Entwicklung in England, Frankreich und Belgien herhinkte. Gleichzeitig befand sich die globale Wollwirtschaft jedoch in einem deutlichen Umbruch, sodass sich neuen Unternehmen, die auf diesen erkennbaren Trend setzten, gute Einstiegschancen eröffneten.

Dabei rückte vor allem die Hafenstadt Bremen als Wollhandelszentrum in den Mittelpunkt der Überlegungen. Zunächst hatte sich die Wollverarbeitung in Europa auf die heimische Schafzucht gestützt, deren Wolle handwerklich weiterverarbeitet wurde, bis die ersten industriellen Spinnereien und Webereien entstanden, nachdem die ersten Maschinen für diese Bearbeitungsschritte erfunden worden waren. 

Gute Verarbeitungsstandorte waren daher zunächst entweder die Regionen mit einer verbreiteten Schafhaltung oder die Bevölkerungszentren mit zahlreichen Kunden. Allerdings spielte auch die Tradition alter Wollstandorte eine große Rolle, da die handwerkliche Wollverarbeitung viel Erfahrung und ein in langen Zeiträumen aufgebautes Qualitätsimage benötigte. Nicht zuletzt deswegen galt damals die Wolle als der große Reichtum Englands und speziell der Grafschaft Yorkshire im Nordosten.

Das änderte sich, als die günstigen Bedingungen für die Schafzucht in Südamerika, Südafrika und nicht zuletzt in Australien und Neuseeland von den dortigen Farmern genutzt wurden. Auf ihren riesigen landwirtschaftlich sonst nur begrenzt nutzbaren Flächen, die vor allem wegen des Mangels an Niederschlägen sehr preiswert waren, ließ sich die Schafzucht erheblich kostengünstiger betreiben als in Europa, was nach und nach zu einem deutlichen Rückgang der Wollproduktion vor allem auch in Deutschland führte. Auf der anderen Seite erfolgte gleichzeitig der Aufstieg Australiens zum globalen Wollland Nr. 1, wozu vor allem die besonders für hochwertige Textilien nachgefragte Wolle der Merinos beitrug.

In der Zeit der Gründung der Bremer Wollwäscherei und der Bremer Woll-Kämmerei verwandelte sich Deutschland daher von einem Wollexport zu einem Wollimportland (S. 34), wobei 1872 ein Viertel des Handels über Bremen ging.

Im Vergleich zu den Einfuhren verlor die einheimische Schafzucht in dieser Zeit ihre Bedeutung, denn während 1870 noch rund 25 Mio Schafe gehalten wurden, sank ihre im Jahr 1913 auf nur noch 5,5 Mio. Damit musste Deutschland, das damals rund 17% der weltweit erzeugten Wolle verbrauchte, 94 % dieser Menge einführen.

Das sprach, vor allem wenn man von einer Fortsetzung dieses Trends ausging, für einen Makrostandort Bremen, da hier die Rohwolle von Übersee angelandet wurde, um sie dann zu den Weiterverarbeitungsstandorten im Hinterland zu transportieren. Das erfolgte damals vor allem durch die Eisenbahn.

Daher benötigte man für die Neugründung die Nähe zu einer Bahnlinie, sodass sich die Rohwolle idealerweise von einem Schiff direkt in die Kämmerei transportieren ließ und abschließend die gewonnen Vorprodukte über einen Bahnanschluss auf dem Werksgelände zu den weiterverarbeitenden Betrieben ausgeliefert werden konnten. Diese Möglichkeit wurde damals mit dem geplanten Bau der Farge-Vegesacker-Eisenbahn geschaffen, auch wenn sich der Bahnanschluss für die BWK um ein paar Jahre verschob und die BWK erst mit einem guten alten Pferdewagen die Kammzüge zum Bahnhof bringen musste. (Weser-Kurier vom 1.6.1983)
  
Blumenthal hatte jedoch noch einen weiteren Standortvorteil gegenüber der Stadt Bremen; denn es gehörte damals zu Preußen, womit es zum Gebiet des Deutschen Zollvereins zählte, dem Bremen erst 1888 beitrat. Das war aber nicht absehbar und das Konsortium wählte daher den sicheren Weg, um die später produzierten Kammzüge nach Sachsen, Württemberg oder in andere deutsche Regionen ohne lästige Zollschranken verkaufen zu können.

Eine notwendige Standortvoraussetzung für ein aus Wäscherei und Kämmerei bestehendes Wollunternehmen war eine ausreichende Versorgung mit dem reichlich benötigten Waschwasser, das anschießend entsorgt werden musste. Diese Voraussetzungen waren durch das vorhandene Grundwasser, das sich in Blumenthal durch entsprechende Brunnen gewinnen ließ, die Weser erfüllt. So bot sich damals der Fluss als Entsorgungslösung für das mehr der weniger gut geklärte Abwasser an, da in jener Zeit der Umweltschutz gegenüber Themen wie Arbeitsplätze und Gewinne bestenfalls eine Nebenrolle spielte. So war es bei der BWK vor allem ein Thema für die Literatur, da Blumenthals bekannte Schriftstellerin Tami Oelfken durchaus auf tote Fische in der Weser hinwies. Es dauerte aber dennoch fast einhundert Jahre, bevor die Reinigung des Waschwassers vom Management als wichtige Unternehmensaufgabe in Angriff genommen wurde.

Ein nicht so deutlich in der Öffentlichkeit angesprochenes Thema war auch die politische Bedeutung der Arbeitskräfte in den neuen Industrien, die von Bremer Kaufleuten im Raum Bremen gegründet wurden Dabei fällt auf, dass gerade für arbeitsintensive Bereiche wie die Jute- und Wollverarbeitung Standorte in Blumenthal, Delmenhorsst und Hemelingen gewählt wurden, die außerhalb der Grenzen Bremens lagen (Ellerkamp). De Beschäftigten, die damals wegen der begrenzten Mobilität, kaum große Strecken als Pendler zurücklegen konnten, wohnen daher außerhalb der Grenzen der Hansestadt und konnten daher dort nicht wählen. Die gewählten Standorte sicherten somit die relativ labilen bestehenden parteipolitischen Verhälntnsse Bremens ab, wo sich die herrschende Kaufmannschaft und andere Teile des Bürgertums auf ein verständlicherweise sehr umstrittenes Acht-Klassen-Wahlrecht stützten

Ein ganz harte Argument stellte schließlich der Preis der Immobilie dar. Da die Gründer anders als zuvor in Lesum bei ihrer Planung offenbar an eine Art großflächiger Fabrikstadt dachten, wie sie auch ihr Bremer Konkurrent, der Wollhändler und -produzent Christian Lahusen, in Delmenhorst plante, waren die Quadratmeterspreise nicht ganz unwesentlich. Und hier sprach der Preis für einen Standort außerhalb Bremens, da die Bodenpreie mit der Entfernung von einem Zentrum sinken. So konnte man in Blumenthal eine Fläche von der Größe des Vatikans, wie immer weder gern berichtet wird, zu einem Schnäppchenpreis erwerben, denn noch 1899 stand das Grundstück mit nur 
302.000 Mark in den Büchern, also mit weiger als einer Mark pro qm. Das war 1882 der Preis von 20 Eiern oder einem halbes kg Butter.

 
Die technischen Voraussetzungen

In einer integrierten Wollkämmerei und - wäscherei, wie sie das Bremer Konsortium in Blumenthal errichten wollte, ersetzen Maschinen drei Tätigkeiten, die zuvor handwerklich auf den Bauernhöfen mit Schafzucht oder von speziellen Handwerkern in Heimarbeit erledigt wurden. Man unterscheidet dabei das Waschen der Rohwolle, um sie vor allem von löslichen Verunreinigungen wie dem Wollfett sowie dem Schweiß und Urin der Tiere zu befreien, und das Kardieren, bei dem man feste Pflanzenreste wie Samen und Dornen aus der Wolle "bürstet" sowie eine erste einheitliche Ausrichtung der Wollfasern erreicht. Als dritte und letzte Tätigkeit schließt sich das Kämmen an, wodurch eine weitere Verbesserung der Ausrichtung der Fasern erfolgt, sodass sich schließlich kurze und lange Fasern, die als Kämmlinge (engl. noil) bzw. Kammzüge (engl. top) bezeichnet werden, trennen lassen. 

Um ähnlich wie beim Spinnen und Weben die Handarbeit durch Maschinen ausführen zu lassen, haben sich zahlreiche Tüftler in England sowie anderen Ländern mit einem größeren Wollsektor wie Belgien und Frankreich um eine maschinelle Verarbeitung der Rohwolle bemüht. Dabei erwiesen sich die Probleme bei den drei angesprochenen Tätigkeiten als unterschiedlich groß. Das lässt sich nicht zuletzt an der Zahl der Jahre ablesen, die erforderlich war, um eine erste erfolgreiche Lösung zu finden.


Der Anfang der maschinellen Wollveredelung: das Kardieren


Durch die Erfindung der Waterframe genannten Spinnmaschine im Jahr 1769 konnten erstmals Spinnräder unabhängig von Menschenkraft durch ein Wasserrad angetrieben werden. Auf diese Eigenschaft weist bereits das Kunstwort "waterframe" hin, das aus den englischen Wörtern "water" für Wasser und "frame" für Gestell oder Rahmen gebildet ist. Hinzu kam bei dieser Maschine noch eine automatische Zufuhr der Fasern, was die Garnproduktion erheblich beschleunigte. 


Diese erfolgreiche Idee hatte der englische Perückenmacher Richard Arkwright, der dadurch zu einem bekannten Erfinder und Industriellen wurde, da er selbst seine "Waterframe" in der von ihm gegründeten ersten industriellen Baumwollspinnerei der Welt nutzte. 

Das erhöhte Tempo beim Spinnen machte die vorgelagerten Bearbeitungsstufen der Wolle zu einem Engpass bei der Herstellung von Garnen und Stoffen. Um hier für Abhilfe zu sorgen, beschäftigte sich Richard Arkwright auch intensiv mit dem Kardieren der Wolle. Im Ergebnis erhielt er im Jahr 1775 ein Patent auf eine Karde. Neu an dieser Karde war, dass sie erstmals mit Stäben und Häkchen anstelle von Häkchenwalzen funktionierte. Zudem wurde das Vlies kontinuierlich und automatisch von der Walze abgenommen.

Auch seiner weiteren Erfindungen, also die „Streckbank“ und die "Strecke" bescheluiten die Wollveredlung, da diese Maschine mehrere Kardenbänder zusammenfassen, strecken und parallelisieren konnten, sodass sie sich leichter spinnen ließen.


Die große Herausforderung für alle Erfinder und Tüftler: der Kammstuhl



Einen besonderen Einsatz erforderte hingegen die Entwicklung eines verwertbaren Kammstuhls. Dabei besitzt diese Tätigkeit im Rahmen der Wollveredlung von ihrem Umfang her ein besonders großes Gewicht. So hatte sich, um diese Handarbeit auszuführen, in den Wollzentren ein eigener Berufsstand der Kämmler oder Wollkämmer (wool comber) herausgebildet. Ein Beispiel hierfür ist die Region um Bradford in der englischen Grafschaft Yorkshire, die sich um 1850 zu einer Industriestadt mit 100.000 Einwohnern entwickelt hatte und als "internationales Zentrum der Kammzugherstellung und des Kammzughandels" galt. (Koditschek) Bradford war daher auch eine Hochburg von Vorläufern der Gewerkschaften und von Bürgerrechtsinitiativen wie den Chartisten.

Die Wolle wurde damals trotz aller Suche und auch erteilten Patenten für maschinelle Lösung vollständig mit der Hand gekämmt. Dabei erhitzte man die Kämme, die aus einer Reihe von Stahlzähnen (engl. broitches) bestanden, in einem Kessel (engl. chauldron) durch heiße Kohlen, um das Wollfett in der kaum oder gar nicht gewaschenen Rohwolle zu verflüssigen. Die dabei verräucherten kleinen Werkstätten der Handwerker führten zu gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen und zu einer weit unterdurchschnittlichen Lebenserwartung der Kämmler. Mit den erhitzten Kämmen wurde die Wolle dann zu einem langen Band (engl. sliver) gekämmt. 

Da der Lohn für diese Arbeit für die Kämmler und ihre Familien, bei der sie durchschnittlich 28 lbs Wolle pro Tag verarbeiten konnten, allein nicht zum Leben ausreichte, bestellten sie noch einige zehntausend Quadratmeter Garten- oder Ackerland, um auf diese Weise ihr geringes Einkommen aufzubessern.
  
Damit unterschieden sich die Tätigkeiten der Kämmler zur Zeit der industriellen Revolution kaum von denen vier Jahrhunderte zuvor, wie ein zeitgenssscher Stich zeigt. Im 15. Jahrhundert kämmte man danach die Wolle mit einem stationären Kamm auf einem Gestell, während ein Ersatzkamm zum Wärmen auf einem Gluttopf in einer Kiste lag und die fertigen Kammzüge in einem Korb gesammelt wurden. 



                                   Kämmler bei der Arbeit (1442) (Quelle: wikipedia)


Nach dem Kardieren wollte der Pfarrer und Erfinder Edmond Cartwright
das zeitaufwendige und daher teure Kämmen mechanisieren und entwickelte daher zwischen 1790 und 1792 eine Wollkämmmaschine, d
ie er "Big Ben" nannte. Offenbar sah er seine Erfindung als einen großen technologischen Durchbruch an, da der Name her an die so erfolgreiche Spinnmaschine "Spinnig Jenny" erinnerte, aber auch an den weltbekannten Uhrturm des britischen Parlamentsgebäudes in London. Ein tatsächlicher wirtschaftlicher Einsatz und damit Erfolg blieb jedoch aus.

Erst etwa fünfzig Jahre später haben mehrer Innovatoren sich mit dem Problem eines mechanischen Kämmens von Wolle intensiv und erfolgreicher beschäftigt. Davon sind vor allem fünf Erfinder namentlich bekannt, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Patenten für Kammstühle erworben haben, die nach abweichenden, aber auch ähnlichen Prinzipien arbeiten, sodass eine Reihe von Patentstreitigkeiten vorprogrammiert war.

Wegen dieser mehrjährigen Arbeit an einem gemeinsamen Problem mit einer Vielzahl von Teilschritten lässt sich praktisch nicht sagen, wer wann "den" Kammstuhl erfunden hat.

Auch wenn seine eigentliche "Erfindung" relativ spät datiert wird, soll der später geadelte Sir Isaac Holden einen einen ersten Kammstuhl bereits sehr früh gebaut haben, der sich besonders für mittlere Wollqualitäten eignet. Der grundlegende Einfall soll Holden gekommen sein, als er seine Tochter beim Kämmen beobachtete und feststellte, wie sie den Kamm benutzte. Dabei verwendete sie einen Kamm mit einer unterschiedlichen Dichte von Zähnen. Beim Kämmen zog sie zunächst die Seite des Kammes mit den größeren Zwischenräumen zwischen den Zähnen vom Kopf aus durch ihr langes Haar, wodurch grobe Verschmutzungen beseitigt wurden und eine einheitliche Ausrichtung der Haare erfolgte. Anschließend benutzte sie die Seite mit den eng gesetzten Zinken für die Feinarbeit. (S. 51)

Ähnlich früh auf das Jahr 1846 wird der Kammstuhl  von Joshua Heilmann, der auch als Erfinder der ersten Handstrickmaschine gilt, aus dem heutigen Mulhouse (dt. Mülhausen) im Elsass datiert, der sich durch seine geringe Größe von der Konkurrenz abhebt. (S. 54). Bereits seit 1838 soll sich der begabte Techniker intensiv mit der Entwicklung beschäftigt haben.

Später wurde seine Erfindung vor allem durch die Elsässische Maschinen-Baugesellschaft in Mülhausen weiterentwickelt und gebaut, sodass die Kämmereien auf dem Kontinent häufig mit diesem Kammstuhltyp ihre Kammzüge herstellten (Meyer). Das gilt vor allem für eine Weiterentwicklung zum sogenannten Französischen Kammstuhl (French comb), der von der Firma N. Schlumberger & Cie in Guebwiller gebaut wurde, die auch heute als NSC Group Produktionslinien und Maschinen zum Kardieren und Kämmen herstellt.


Ein paar Jahre später machte 1849 Samuel Cunliffe Lister sein Modell eines Kammstuhls der Öffentlichkeit bekannt, der vor allem für lange englische Wollen benutzt wird. Ein Charakeristika des Lister-Kammstuhls sind eine Nadelstabstrecke (gill box) und die Tendenz, mehr Kammzüge und weniger Kämmlinge zu produzieren.

1853 folgte der Kammstuhl von James Noble, nachdem er sein erstes Patent schon 1802 erhalten hatte und das folgende halbe Jahrhundert an der Weiterentwicklung gearbeitet hatte. (S. 40). "Für lange, grobe Wollen stehen im Gegensatz zu den Flachkämmern mit Kammwalze die Rundkämmer mit Kammring in Anwendung und sind die bekanntesten Maschinen dieser Art diejenigen von Hoden, Lister und Nobel." (Meyer, S. 27)

Die Kammstühle von Lister und Noble, sogenannte Rundkammstühle mit einem Kammring, die sich "für lange, grobe Wollen" eignen (Meyer, S. 27) sind hauptsächlich in England verbreitet. Dabei wurde der Lister-Kammstuhl besonders häufig in Kämmereien eingesetzt, da er mechanisch einfach konstruiert ist, verschiedenen Wollqualitäten angepasst werden kann und besonders störungsfrei arbeitet.

Andere Vorteile bieten die Flachkämmer mit Kammwalzen wie der Französische Kammstuhl, da sie weniger Stellfläche und Antriebsenergie benötigen (NPCS, S. 125)

Abweichend von vielen anderen Erfindern und Tüftlern hatten Lister und vor allem Holden ein Gespür für die wirtschaftliche Nutzung ihrer Kammstühle. Zwar stritten sie sich um die Urheberschaft von Details der nach ihnen benannten Maschinen. Doch hielt sie das nicht davon ab, gemeinsam ein Vielzahl von Patenten für Kammstühle aufzukaufen und eigene Firmen in England und Frankreich zu gründen, die in den 1870-er Jahren die größten Wollkämmereien der Welt wurden. Für Koditschek haben so mindestens fünf Erfinder viel Zeit und Geld in die Erfindung und Weiterentwickung von Kammstühlen investiert, aber nur zwei davon tatsächlich profitiert.


Der Untergang des Handwerks der Kämmler
  

Aufgrund der größeren Nachfrage nach Wollkleidung, als aufgrund der mechanischen Spinnereien und Webereien der Preis für Wolltextilien gesunken war und auch immer mehr preiswerte Rohwolle aus Übersee nach England und auf den Kontinent gelangte, erreichte die handwerkliche Wollkämmerei in Form von Heimarbeit erst 1851 einen Produktionshöhepunkt, als ihre "Totengräber", die mechanischen Kammstühle bereits erfunden waren. 

In diesen Jahren stellten die Kämmerer einen wichtigen Teil der Bevölkerung von Bradford und den Nachbarorten, die sich in einer frühen Gewerkschaft, der "Union Association of Woolcombers and Stuff Weavers", (Peacock, S. 4) zusammenschlossen, und 1825 einen Streik organisierten, an dem sich 20.000 Wollkämmer und einige Weber beteiligten.

In Bradford selbst wurde der Namenstag des Schutzpatron der Kämmler, Sankt Blasius, als großes Volksfest begangen, was einen Eindruck von dem Gewicht dieser Berufsgruppe in der Wollregion Yorkshire vermittelt. Anlass dieses Fests am 3. Februar war nach der Heiligenlegende ein Martyrium, das der Bischof durch Stiche mit einem eisernen Wollkamm erlitt. Später glaubte man dann, dass Blasius den Wollkamm erfunden habe, was ihn zum Schutzpatron der Kämmler prädestinierte, die sich allerdings aufgrund ihrer Arbeitsbedingungen auch an das Leiden des Bischofs erinnert haben können. 


Diese Massierung der Berufsgruppe innerhalb einer Region begünstigte den Kampf gegen die Umwandung der Handwerksarbeit, die solange von einer Maschinisierung verschont geblieben war, in die Kämmereiindustrie. Dabei ging es schließlich um die Existenz von etwa 99 % der handwerklichen Kämmler; denn eine Frau konnte einen mechanischen Kammstuhl bedienen, der die gleiche Menge an Rohwolle kämmen konnte wie einhundert erfahrene Wollkämmer.

Vor diesem Hintergrund scheint die Krise der industriellen europäischen Wollkämmereien am Ende des 20. Jahrhundert, in der 2009 die Schließung der BWK in Blumenthal erfolgte, als industrielle Arbeitsplätze von Deutschland nach China verlagert wurden, als ein vergleichbarer zweiter tiefer Einschnitt innerhalb der Geschichte des Wollkämmens.

Während bereits in den 1840-er Jahren eine Reihe verschiedener Kammstühle erfunden und in der Bearbeitung von Rohwolle eingesetzt worden waren, brachte erst der 1853 von James Noble erfundene und auf seinen Namen patentierte Kammstuhl den Durchbruch in England und damit den Todesstoß für die lange Handwerkstradition der Wollkämmler. Dieser Innovationsprozess hat in England etwa fünfundzwanzig Jahre von 1848 bis 1860 gedauert, sodass seitdem das Handwerk des Kämmens dort nur noch in Museen oder für den Eigenbedarf ausgeübt wird. Den Beruf und das Handwerk des Wollkämmers gibt es seitdem weder in Bradford noch in anderen Teilen Englands.
  

Vom Bad für die Schafe zum Leviathan

Wolle wurde über Jahrtausende hinweg wie andere Wäsche gewaschen, wobei sich die Schafzüchter diese Arbeit häufig dadurch erleichterten, dass sie ihre Herde vor der Schur durch einen kleinen Fluss trieben, um so schon einmal durch diese Vorwäsche den gröbsten Schmutz zu beseitigen. Danach kamen dann Waschbretter oder Tröge zum Einsatz. Auch heute setzen Kunsthandwerkerinnen, die mit Wolle arbeiten und ihren Werkstoff selbst von eigenen Schafen gewinnen, auf gängige Haushaltswaschmaschinen ein.

Die schließlich gefundene maschinelle Lösung besitzt nur eine prinzipielle Ähnlichkeit mit dem Waschen in einer Waschmaschine, da der gesamte Prozess in verschiedene Phasen zerlegt wird. Der Unterschied liegt darin, dass bei der Rohwolle diese Teilschritte in verschiedenen Kübeln erfolgen, also nicht in derselben Trommel mit abweichenden Programmen beispielsweise für eine Vor- oder Hauptwäsche.

Die erste praktisch eingesetzte Wollwaschmaschine hat in der belgischen Wollstadt Verviers der Mechaniker Eugene Mélen gebaut. Seine Grundgedanken blieben in diesem Bereich jahrzehntelang maßgebend, wurden jedoch auch weiterentwickelt.

Die typischen Merkmale seiner Waschmaschine, wie sie Mélen selbst gesehen hat, lassen sich vermutlich aus dem Namen "Leviathan" erschließen, den er seiner Erfindung gegeben hat. Das mythologische Wesen Levithan, das vor allem durch die Bibel bekannt ist, wo es das Buch Hiob 40,25 – 41,26 näher beschreibt, wird als eine Kreuzung verschiedener Tiere wie einem Krokodil, einem Drachen, einer Schlange und einem Wal geschildert.

Die einzelnen Tiere sind bei dieser Kombination "selbsttätiger" (Grothe, S. 91) Waschmaschinen die einzelnen aufeinanderfolgenden Rechteckbehälter oder Kübel, die die Wolle im Verlauf der Waschprozesses durchlaufen muss. Hierin erfolgen verschiedene Bäder, so zunächst ein Einweichen, auf das ein Scheuern und ein Entfetten mit einem durch Seife und Soda alkalisches Warmwasser folgen. 


Für den Transport der Wolle, durch die die Wollwäsche erst zu einem automatisierten Prozess wird, sorgen Harken, die die Rohwolle von hinten nach vorne. Bei den Vorläufermodellen mussten noch Menschen diese Knochenarbeit leisten, indem sie die schwere nasse Wolle von einem Kübel in den folgenden zu heben hatten.

Während des Waschens wird das schmutzige Wasser ständig ersetzt. Dabei reduziert die Maschine den Wasserverbrauch, indem sie bereits gebrauchtes Wasser aus hinteren Kübeln für die Vorwäsche verwendet. Um möglichst gute Waschergebnisse zu erreichen, werden diese Pozesse auch wiederholt.

Zu Problemen können die Reparaturanfälligkeit des gesamten komplexen Maschinensystem, Verletzungsgefahren für das Bedienungspersonal und die Neigung der Wolle führen, bei dem warmen oder sogar heißen Wasser, das für die Lösung von Schmutz und Fett erforderlich ist, zu verfilzen. Um das zu vermeiden, wurde warmes Seifenwasser von bis zu 58 Grad C verwendet, das im Leiathan ständig erhitzt wurde, damit die Temperatur nicht absank.
  


                        Leviathan (Quelle: Meyers Konversationslexikon von 1905)



Mit dem Waschen wird häufig ein Karbonieren (carbonated wool) verbunden, wobei durch ein Anreichern mit Kohlenstoff organische Substanzen in Kohlenstoff oder Karbonate umgewandelt werden.

Erfindungen und Entwicklungen auf dem Weg zur industriellen Wollkämmerei


Jahr
Erfindung
1764
Mechanische Spinnmaschine (Spinning Jenny) durch James Hargreaves
1775
Karde, Streckbank und Strecke durch Arkwright
1785
Mechanischer Webstuhl durch Edmond Cartwright
1845 Kammstuhl von Joshua Heilmann in Mülhausen im Elsass
1849
Kammstuhl von S.C. Lister,
Erwerb vorhandene Kammstuhlpatente und Bau von Kämmereien in Frankreich, die um 1870 12 Mio. kg Kammzüge jährlich produzieren, durch Lister und Hoden
1853 Kammstuhl von James Nobel
1856 Kammstuhl von Isaac Holden
1863
Wollwaschmaschine „Leviathan“ durch Eugene Mélen in Verviers (Belgien)



Wie auch in anderen Wirtschaftssektoren ging diese beginnende industrielle Entwicklung der Veredlung von Rohwolle zunächst an Deutschland vorbei. So entstanden die ersten eigenständigen Kämmereien wie die der Kammstuhlerfinder Holden und Lister zunächst in England und Frankreich. Die deutschen Spinnereien mussten daher ihre Vorprodukte, die Kammzüge importieren oder selbst herstellen. 

Das änderte sich erst im Zuge der Gründerjahre nach dem deutsch-französischen Krieg 1870-71, als innerhalb kurzer Zeit die ersten deutschen Wollkämmereien entstanden. Den Anfang machten 1872 die Leipziger Wollkämmerei und -wäscherei sowie die Wollkämmerei in Döhren bei Hannover. In beiden Fällen wurden Standorte gewählt, die Vorteile aufgrund ihrer verkehrsgünstigen Lage innerhalb des deutschen Eisenbahnsystems sowie der Nähe und guten Erreichbarkeit von bestehenden Zentren der Wollverarbeitung boten. 

Die in Fachkreisen sehr beachtete Leipziger Wollausstellung von 1880 löste einen zweiten Gründungsschub aus, bei dem zwei ganz unterschiedliche Typn von Standorten gewählt wurden. Zunächst folgte 1882 die Wollkämmerei in Mylau (Vogtland), also innerhalb einer klassischen Wollregion mit bestehenden Wollspinnereien und -webereien, die als Tochterfirma des
Bankhauses Brückner unter "Mylauer Wollkämmerei Georgie & Co." firmierte.

1883/84 bzw. 1884 gründeten dann Bremer Wollhändler die Bremer Woll-Kämmerei in Blumenthal und 1884 die Norddeutsche Wollkämmerei in Delmenhorst" 
(Schöß). Damit konnten diese zeitlich zuletzt entstandenen Kämmereien auf den deutlich veränderten globalen Weltmarkt reagieren, durch den Deutschland zu einer einer Volkswirtschaft mit steigenden Wollimporten über die Bremer Häfen wurden. 



Das Geschäftsmodell der BWK: das Management von Wollpreisvolatilität

Eine große Wollkämmerei, wie sie die Mitglieder des Blumenthaler Konsortiums vor Augen hatten, wenn man an die immense Fläche des Betriebsgrundstücks denkt, benötigt nicht nur einen geeigneten Standort und möglichst problemlos arbeitende Maschinen zum Waschen, Kardieren und Kämmen von Rohwolle. Zumindest ebenso wichtig war es vor dem Hintergrund der anfallenden großen Mengen von Rohwolle und Kammzügen, eine organisatorische Lösung für das Problem der sehr volatilen Wollpreise zu finden.

Während sich andere Preise eher langfristig bewegen und in der Regel im Zuge einer wachsenden Weltbevölkerung eine generell steigende Tendenz aufweisen, gilt das nur sehr bedingt für die Wollpreise. Zwar wächst auch der Bedarf an Textilien mit der Zahl der Konsumenten, aber dieser langfristige Trend wird von ganz erheblichen Schwankungen teilweise bis zur Unkenntlichkeit überlagert. Dabei spielen für die Lagerhaltung und die Beschäftigung einer Wollkämmerei zwei kurz- und mittelfristige Phasen eine wichtige Rolle.

Ähnlich wie etwa bei anderen Konsumgüterindustrie und in Teilen des Handels treten deutliche saisonale Schwankungen auf, die bezogen auf die Kämmereikapazität von einer Vollauslastung bis zum teilweisen Stillstand mit Kurzarbeit und Entlassungen führen können. Der entscheidende Grund hiefür ist jedoch nicht das Käuferverhalten, indem man sich Wollkleidung etwa überwiegend zu Weihnachten leistet und schenkt, wie das etwa für die Süßwarenherstellung und den Buchhandel mit einem ausgeprägten Weihnachtsgeschäft gilt. Ursache ist vielmehr die Schafschur, und zwar aufgrund des Gewichts der australischen Merinos für den globalen Wollhandel der Termin auf der Südhalbkugel der Erde. 

In der Regel wurde die nach der Schur verkaufte Rohwolle gleich nach ihrer Anlandung bei der Wollkämmerei in Europa verarbeitet, um die Lagerzeiten und damit die Kapitalbindung mit ihren Zinskosten zu minimieren. Das führte dann zu wenig oder sogar gar nicht ausgelasteten Kapazitäten vor dem Beginn der nächsten Schur. Für die BWK brachte das "normalerweise" von Dezember bis Juni/ Juli Hochkonjunktur, "während im Spätsommer und Herbst regelmäßig Flaute herrschte. (Ellerkamp, S. 37) 

In den ersten Jahren nach der Gründung kam dieser saisonale Effekt sogar den polnischen Mitarbeitern aus den östlichen Provinzen Preußens entgegen, die zur Sommerernte und zur Winterbestellung in die Provinz Posen zurückkehrten. Diese Form einer saisonalen Doppelbeschäftigung im Westen und Osten Preußens hatte für das Unternehmen damit gleich zwei Vorteile. Zum einen konnte durch diese Anwerbung polnisch sprechender Migranten der akute Mangel an Arbeitskräften beseitigt werden, da es im Raum Blumenthal nicht genug Einwohner gab, die überhaupt an den ihnen fremden industriellen Tätigkeit interessiert waren. Zum anderen erledigte sich das Problem einer vom Management aus Kostengründen für erforderlich gehaltenen saisonalen Beschäftigung praktisch von selbst, da sie den Wünschen eines großen Teils der Betroffenen entsprach.

Daher war die BWK im Bremer Norden die "Initiatorin der systematischen Heranziehung ausländischer Arbeitskräfte." (Ellerkamp, S. 38) Dabei konzentrierte sich das Unternehmen vor allem auf den Kreis Adelnau, in dem 90% der Einwohner Polen waren und der durch den Wiener Kongress seit Mai 1815 an Preußen gekommen war. Diese Werbemaßnahmen waren so intensiv und erfolgreich, dass sich "wenige Jahre nach Produktionsbeginn .. die Belegschaft zu über 50 % aus Polen" zusammensetzte. (Ebenda). Dazu trug nicht zuletzt eine "Sogwirkung" bei, da den Unverheirateten zu Beginn der Anwerbung später "ganze Familien" folgten. (Ebenda). 

Ebenfalls typisch für den Wollmarkt sind kurze Zyklen von vielleicht drei Jahren, die sowohl durch die produzierte Wollmenge, die von den klimatischen Verhältnissen in den Produzentenländern ausgelöst werden und sich auf die Preise für Rohwolle und damit auch für Wollgarne und -stoffe auswirken, als auch durch die konjunkturell bedingten Einkommensschwankungen der Konsumenten und last but not least durch die jeweiligen Mode. Eine Dürre in Australien, niedrige Wollpreise, die Farmer dazu veranlassen, statt Schafen Rinder zu züchten, oder eine Mode, die stark auf Baumwolle oder eine ökologisch unbedenklichen Zellstofffaser setzt, bestimmen so die Menge der weltweit vorhandene Rohwolle und der nachgefragten Kammzüge. 

Bei einem unveränderten Stand der Automatisierung der Produktion werden damit auch unterschiedlich viele Mitarbeiter in einer Kämmerei benötigt. In der Praxis hat sich gezeigt, dass diese Faktoren zu relativ kurzfristigen Preisschwankungen von etwa drei Jahren führen. Innerhalb dieses Zeitraums ändert sich damit die Auslastung der vorhandenen Kämmereikapazität deutlich und daher auch der Zahl der benötigten Mitarbeiter. 

Wenn eine Kämmerei während der Zeiten hoher Nachfrage keine Kunden verlieren will, muss sie daher eine Produktionskapazität vorhalten, die sich an den Spitzenwerten orientiert. Das gilt zumindest für die Maschinen und Anlagen, die sich in derart kurzen Zeiträumen weder kurz vor einem plötzlich eintretenden Boom kaufen und installieren noch in der folgenden Rezession ohne herbe Verluste verkaufen lassen. Prinzipiell variabler muss dem Management daher die Zahl der Mitarbeiter erscheinen.

Beide Effekte stellen die Kämmerei, wenn sie keine Mitarbeiter bezahlen will, für die sie zeitweise keine Arbeit hat, aber in wenigen Monaten wieder benötigt, vor eine schwierige Aufgabe. Man muss dafür sorgen, dass die Beschäftigten sich wie eine kostengünstige Manövriermasse behandeln lassen, was vermutlich nur gelingt, wenn sie entsprechende Kompensationen erhalten. 

Dafür hat die BWK durch eine Reihe von Maßnahmen gesorgt, die zu einer engen Betriebsbindung beigetragen haben, sodass Arbeitskräfte immer wieder dann zur Verfügung standen, wenn sie gebraucht wurden. Die BWK musste daher, um die Schwankungen in der Beschäftigung auszugleichen, für ein Einnahmen bei ihren Mitarbeitern sorgen, die als Kombination von Löhnen und Arbeitslosen- bzw. Kurzarbeiterunterstützungen für ein Gesamteinkommen sorgten, das nicht zu großen Abwanderungen zu anderen Arbeitgebern führte. Das galt im Bremer Norden etwa für die auf dem Arbeitsmarkt konkurrierenden Werften und den Maschinenbau, die keine ähnlichen saisonalen und anderen kurzfristigen Beschäftigungszyklen kannten.

Zusätzlich zur Lohnhöhe hat die BWK während ihres Bestehens durch eine Reihe von Sozialleitungen und vor allem durch Prämien und Ehrungen für langjährige Mitarbeiter eine enge Bildung an das Unternehmen angestrebt, wie es praktisch von keinem anderen Betrieb im Bremer Norden berichtet wird.

Für einen ähnlichen Effekt dürfte auch der Bau von Eigenheimen mit größeren Gärten geleistet haben, der eine Kleintierhaltung und teilweise Selbstversorgung ermöglichte. Ähnlich wie bei den handwerklichen Wollkämmern im Raum Bradford ließen sich mit Kartoffeln und Gemüse aus einem eigenen Garten und dank eines Schweins solche Notzeiten einigermaßen überbrücken.

Die Preis- und Mengenvolatilität der Wolle traf allerdings nicht nur die Beschäftigten, sondern auch die Eigentümer der BWK, da sich das in die Maschinen und Anlagen investierte Geld nicht rentierte, wenn die Produktion nur auf Sparflamme oder gar nicht lief. Vielmehr konnten sogar gleichzeitig erhebliche Verluste eintreten, falls teuer eingekaufte Rohwolle oder aus ihr produzierte Kammzüge im Wert abgeschrieben werden mussten, weil der Preis auf dem Wollmarkt zu einem Bilanzstichtag gefallen war. 

Die Mitglieder des Gründungskonsortiums wollten daher im Prinzip ihre Wollkämmerei nur als Dienstleister für andere einsetzen, die selbst die Rohwolle kauften, der BWK dann zur Veredlung übergaben und anschließend die Kammzüge und Kämmlinge weiterverkauften oder in ihren Spinnereien verarbeiteten. Auf diese Weise wäre die BWK kein Eigentümer der Rohwolle und der Kammzüge geworden und diese volatilen Posten würden in ihrer Bilanz nicht auftauchen. Die BWK hätte also kein direktes Risiko bei den Wollpreisen übernommen, sondern wäre nur von den indirekten Preiseffekten auf die bearbeitete Wollmenge betroffen gewesen.

Dieses Geschäftsmodell funktionierte allerdings nur bedingt, und zwar aus zwei Gründen.

Zum einen stellte sich heraus, dass dieses Auftragsgeschäft nicht die gesamte Kapazität der BWK übers Jahr hin auslastete und zudem im Zeitablauf eher zurückging. Vor allem konzentrierten sich diese Aufträge auf die Monate kurz nach der Schur, sodass diese Geschäfte extrem saisonal verliefen. Wenn die BWK den saisonalen Effekt reduzieren wollte, um eine gleichmäßigere Kapazitätsauslastung und Beschäftigung zu erreichen, war daher ein größeres ergänzendes Eigengeschäft für die schwachen Zeiten erforderlich.

Dabei versuchte das Unternehmen, wenn man seinen öffentlichen Erklärungen folgt, keine Spekulationsgeschäfte mit dem Wollpreis einzugehen. Die Wollpositionen, die im Rahmen des Eigengeschäfts als Vorräte gehalten werden mussten, wurden daher in der Regel per Termin ge- und verkauft.

Wie ein Blick auf längere Phasen der Wollpreisentwicklung zeigt, hat die BWK damit auf die Chancen eines insgesamt steigenden Wollpreises verzichtet. In vielen Perioden hätte man so etwa mit der Lagerung von Rohwolle oder von Kammzügen mehr Geld verdienen können als mit der Veredlungsarbeit.

Aber das galt nicht für jedes Jahr. Die großen Gefahren einer Wollspekulation sollten sich für die BWK bereits während der Wollkrise 1900 sehr eindringlich zeigen.



Die BWK als anfängliche Enklave in Blumenthal


In mancher Hinsicht erinnert die Gründung der Fabrikstadt BWK außerhalb der Grenzen Bremens an eine koloniale Enklave, in der Bremer Geld unter einem Bremer Management mit vor allem extern rekrutieren Mitarbeitern auf einem preiswert erworbenen Grundstück Kammzüge herstellten.

Die spätere enge Verbindung mit Blumenthal und seiner Entwicklung als Industriestadt brachte erst die Zeit. Es dauerte eben Jahre, bis sich die ursprünglich polnisch sprechenden Mitarbeiter als Blumenthaler sahen, Ehen zwischen den Bevölkerungsgruppen nach der Überwindung interkultureller und konfessionelle Hindernisse geschlossen wurden, wie sie beispielsweise im Roman "Maddo Clüver" geschildert werden, und sogar die Manager teilweise in Blumenthal wohnten, was das Gründungskonsortium zunächst per Satzung ausschließen wollte. Während daher zunächst die Bezeichnung "Bremer" Kämmerei, obwohl sie geografisch unzutreffend war, die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse korrekt beschrieb, konnte man später von der Sache her von einer Blumenthaler Wollkämmerei sprechen. Allerdings hatte dann diese sprachliche Unterscheidung ihre Bedeutung verloren, nachdem Blumenthal 1939 ein Teil Bremen geworden war. 



(Der zweite Teil folgt hier)