Donnerstag, 16. Mai 2013

Tanklager & Krebs



Besorgniserregende „Zufälle“

oder eine 

"Alternative Interpretation der Tanklager-Krebsstudie"



Das Bremer Krebsregister hat eine kleinräumige Auswertung seiner Daten für die Blumenthaler Ortsteile Farge und Rönnebeck vorgelegt, um einem möglichen Zusammenhang zwischen den Grundwasserkontaminationen durch das Tanklager Farge und Krebserkrankungen nachzugehen. Dabei wird nicht zwischen den Einwohnern, die auf den Kontaminationsfahnen leben, und der übrigen Bevölkerung unterschieden.

Betrachtet man die bei dem Untersuchungszweck interessierenden Benzol-affinen Krebserkrankungen, ergeben sich für die beiden Ortsteile Häufigkeiten, die deutlich über denen von Bremen insgesamt liegen, wobei dieser Unterschied in den letzten Jahren noch deutlich angestiegen ist. So war dieser Wert in den zehn Jahren zwischen 2000 und 2009 um 26 % höher. Dabei zeigte sich ein deutlicher Trend, denn während die Abweichung in den ersten fünf Jahren 16 % betrug, stieg sie in den letzten fünf Jahren auf 35 %.

Auch wenn die Zahl der Erkrankungen zum Glück für die betroffenen Anwohner absolut mit 57 Fällen insgesamt relativ gering ist und damit durch Erhebungsfehler und andere „Zufälle“ beeinflusst sein kann, weisen sie auf ein wahrscheinlich deutlich erhöhtes Krebsrisiko hin. Dafür spricht, dass alle drei verwendeten Teilindikatoren in dieselbe Richtung zeigen. 


Falls diese erhöhten Werte vor allem durch Krankheitsfälle auf der Kontaminationsfahne bedingt sind, kommt man in entsprechenden Modellrechnungen zu Fallzahlen, die als besorgniserregend einzustufen sind. 

Im Hinblick auf die anstehenden Entscheidungen zur weiteren Nutzung des Tanklagers ist es daher fahrlässig, wenn die Ergebnisse der Auswertungen als „nicht signifikant“ verharmlost werden.

Vielmehr sind Gesundheitsuntersuchungen erforderlich, die den tatsächlichen Zusammenhängen zwischen Kontakten mit dem verseuchten Grundwasser einerseits und Tanklager-affinen Erkrankungen andererseits nachgehen. Es reicht also nicht aus, wenn man ausschließlich mit verwässerten Daten arbeitet, ohne dieses Verfahren auch nur zu begründen.

Zudem muss berücksichtigt werden, dass die im Grundwasser nachgewiesenen Gifte nicht nur kanzerogen, also krebsauslösend, sind, sondern auch zu einer Reihe anderer Krankheiten führen können. Das gilt vor allem für die Kinder, die von Expositionen mit den Schadstoffen besonders betroffen sein dürften, bei denen aber allein wegen der langen Latenzzeiten praktisch noch keine Krebserkrankungen auftreten können.




Ein Text mit einstimmender Ouvertüre



Nachdem die Presse bereits vorab über eine kleinräumige Sonderauswertung des Krebsregisters informiert wurde, können inzwischen auch weniger privilegierte Interessierte diese Studie von zwei Wissenschaftlerinnen des Bremer Krebsregisters beim Blumenthaler Ortsamts abrufen, wenn sie auf dessen Seite mit etwas Glück fündig werden.

Schneller und leichter als die gesamte 24seitigen Studie mit ihrem Fachvokabular und ihren statistischen Feinheiten sind die Presseartikel lesbar. Dabei titelt das BLV „Farger haben häufiger Hautkrebs. Bei sechs von sieben Erkrankungsarten keine „signifikante Erhöhung“ festgestellt.“ (Drieling). Das sieht nach einer Art Entwarnung aus, da kaum jemand aufgrund seiner angelesenen Medizinkenntnisse Erkrankungen an Hautkrebs mit den Grundwasserkontaminationen in Verbindung bringen wird.

Bedrohlicher wirkt die Überschrift in der Norddeutschen, wo der Leser mit einem möglichen Widerspruch konfrontiert wird: „Mehr Krebs rund ums Tanklager. Gutachter sehen jedoch keinen direkten Zusammenhang“ (Denker). Das regt zum Nachdenken über die Wissenschaftler an, die möglicherweise ihre eigenen Zahlen kleininterpretieren wollen.

Dabei muss man nicht einmal daran denken, dass sie im Auftrag des Gesundheitsamtes gearbeitet haben (Luttmann/ Eberle, S.1), also einer Behörde des Gesundheitssenators, dem auch die Gewerbeaufsicht untersteht, die für die Betriebserlaubnis des Tanklagers verantwortlich ist. Vielleicht ist es einfach nur eine formale statistische Routine.

Wer sich jedoch beim Blumenthaler Ortsamt informiert, bekommt mit der Studie nicht nur eine gleichsam offizielle Zusammenfassung mitgeliefert, sondern auch eine ganz dicke Beruhigungspille. So heißt es dort: Bei sechs der sieben untersuchten Gruppen von Krebserkrankungen „wurden keine signifikanten Unterschiede ermittelt; dies gilt auch für die Leukämie- und Lymphomerkrankungen, die spezifischer mit einer Benzolexploration in Verbindung gebracht werden könnten.“

Damit scheinen die Vermutungen über einen Zusammenhang von Krebserkrankungen und der Grundwasserkontamination durch das Tanklager gegenstandslos zu sein.

Der ermittelte signifikante Unterschied beim nicht-melanotischen Hautkrebs scheint daher bestenfalls eine Randbemerkung zu verdienen. „Hauptrisikofaktor für diese Krebsart ist allerdings die ungeschützte Sonnenexposition“, heißt es daher erklärend und der unbekannte Autor dieser Zusammenfassung folgert: „Ein Zusammenhang mit dem Grundwasser wird als sehr unwahrscheinlich betrachtet.“



Zeitverlust durch Kontrolle 



Bei dieser deutlichen Entwarnung in der offiziellen Zusammenfassung bleibt es offen, warum eine Untersuchung, die nach der Angabe auf dem Titelblatt bereits im März 2013 vorgelegen hat, erst jetzt veröffentlicht wird. Danach lässt sich errechen, dass die Wissenschaftlerinnen etwa 10 Wochen für die Studie benötigt haben, während der wissenschaftliche Beirat des Krebsregisters anschließend acht Wochen für sein Votum gebraucht hat, „um sicherzustellen, dass die Methodik guten wissenschaftlichen Standards entspricht.“
Dabei ist es ohnehin die Frage, warum diese Prüfung, denn von Zensur kann sicherlich keine Rede sein, überhaupt erfolgt, da die Autorinnen der Studie durch ihre Promotion bewiesen habe, dass sie wissenschaftlich arbeiten können. So ist zumindest das Selbstverständnis einer freien Wissenschaft. 

Aber man darf natürlich nicht zu viel in diese merkwürdigen Fristen hineingeheimnissen, denn wahrscheinlich waren die Beiräte aufgrund ihrer vielfältigen Verpflichtungen nur zeitlich sehr beansprucht. Die acht Wochen müssen also nicht auf Unstimmigkeiten oder längere Vorüberlegungen zur Präsentation der Ergebnisse hinweisen.



Die Abgrenzung der betroffenen Bevölkerung



Wenn man Zusammenhängen zwischen zwei Merkmalen, wie hier den Krebserkrankungen und der Grundwasserkontamination durch das Tanklager nachgeht, ist die Abgrenzung des Untersuchungsbereichs von zentraler Bedeutung, da sich mögliche Effekte verwässern lassen, wenn man gleichzeitig Fälle betrachtet, bei denen gar keine Wirkung vermutet werden kann.
Falls man also die betrachtete Region nur genügend ausweitet, lässt sich praktisch jeder noch so enge Zusammenhang in der Menge aller Fälle „verstecken“, so dass kein signifikanter Zusammenhang mehr gefunden werden kann. 

Dieses Problem stellt sich bei dieser Studie in ganz gravierender Weise, da sich die Schadstoffe des Tanklager nicht durch die Luft wie in den Fällen der BWK- und der Stahlwerke-Region verbreiten, sondern durch das Grundwasser.

Es liegt daher nahe, vor allem die Bewohner der Grundstücke zu untersuchen, die auf der Kontaminationsfahne leben bzw. für die vom Umweltamt eine Warnung vor der Verwendung des Grundwassers im Hinblick auf ein erhöhtes Krebsrisiko erhalten haben.

Das machen die beiden Wissenschaftlerinnen jedoch nicht, sondern erklären ohne weitere Begründung die gesamten Ortsteile Farge und Rönnebeck zum Untersuchungsgebiet: „Auf Grundlage der Ergebnisse der bisherigen Grundwasseruntersuchungen innerhalb und außerhalb des Tanklagers Farge wurden für die kleinräumige Analyse die Ortsteile Farge und Rönnebeck als potentieller Gefährdungsbereich definiert.“ (Luttmann/ Eberle, S. 4) 


Neben dem Hinweis auf einen nicht näher erläuterten Zusammenhang mit den „Ergebnissen“ muss das Wort „potenziell“ in diesem Zusammenhang besonders überraschen, denn es lassen sich nur sehr, sehr wenige Krebsuntersuchungen finden, in denen nicht konkrete Expositionen, also reale Kontakte, sondern bereits mögliche Gefährdungen Krebserkrankungen ausgelöst haben. 


Nur Nebelkerzen? 

Fragezeichen muss man jedoch nicht nur bei der Abgrenzung des Untersuchungsbereichs, sondern auch bei Auswahl der betrachteten Krebserkrankungen setzen, die sich bekanntlich in ihrer Entstehung und ihrem Verlauf deutlich unterscheiden. 

Warum bei einer eindeutigen Forschungsfrage, die sich ausschließlich auf die karzinogenen Auswirkungen von den nachgewiesenen Giftstoffen bezieht, Krebserkrankungen generell ( Gruppe I) und speziell noch zusammengefasst Krebserkrankungen, bei denen breite Früherkennungsmaßnahmen (Gruppe II) eingesetzt werden, nicht nur ermittelt, sondern später bei der Präsentation der sieben Erkrankungsarten verwendet werden, bleibt unklar. So ist die Aussage nicht einmal korrekt, da alle speziell ausgewiesenen Erkrankungsarten (Gruppen III-VII) (1) und auch die Gruppe II bereits in der Gesamtzahl enthalten ist. Entsprechendes gilt für die Gruppen III und IV, die Teilmengen der Gruppe V sind. Es kann also keineswegs von sieben untersuchten Erkrankungsarten gesprochen werden.

Die besonders fragwürdige Gruppe II, die aus Krebslokalisationen besteht, für die nicht wegen ihrer Entstehung, sondern aufgrund ganz praktischer Überlegungen wie beim Brustkrebs Screenings erfolgen, soll angeblich der Aufdeckung einer „Beeinflussung der Inzidenzraten“ dienen, worauf allerdings später nicht näher eingegangen wird.

So sieht es für einen kritischen Leser so aus, dass diese Daten nur ermittelt und vor allem publiziert wurden, um nicht signifikante Ergebnisse auszuweisen, die jedoch wie die Autoren selbst schreiben, keinen Bezug zu den Tanklagerkontaminationen besitzen.

Es ist also irreführend, wenn etwa in der Zusammenfassung von sieben untersuchten Gruppen von Krebserkrankungen gesprochen wird, da niemand entsprechende Vermutungen etwa im Hinblick auf Krebserkrankungen gemacht hat, für die Früherkennungsmaßnahmen eingesetzt werden.

Man hätte dieses Spiel auch noch weiter treiben können, wenn man die Indikationen nicht zusammengefasst, sondern einzeln ausgewiesen hätte. Die Aussage über die sieben Gruppen von Krebserkrankungen, von denen nur eine signifikante Ergebnisse gebracht haben soll, die dann leicht als irrelevant im Hinblick auf das Tanklager Farge interpretiert werden konnten, ist also irreführend.

Im Hinblick auf die Grundwasserkontaminationen durch das Tanklager sind daher ausschließlich die Gruppen III, IV und V für mögliche Auswirkungen von Benzol und die Gruppen VI und VII für Benzpyren von Bedeutung. (Luttmann/ Eberle, S. 7)



Vergleichsortsteile nach dem Benachteiligungsindex



Um mögliche Verzerrungen der Ergebnisse durch ein unterschiedliches Gesundheitsverhalten zu reduzieren, verwendet das Bremer Krebsregister Vergleiche mit sozialstrukturell ähnlichen Regionen, für die als Indikator ein in der Gesundheitsbehörde entwickelter Benachteiligungsindex (Derzak) verwendet wird.


Diese Methode scheint sich vor allem für Untersuchungen zum Lungenkrebsrisiko zu eignen, das stark durch ein schichtspezifisches Raucherverhalten beeinflusst wird. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass der Benachteiligungsindex nicht für diesen Zweck entwickelt wurde und keine gesicherten Aussagen zum tatsächlichen Gesundheitsverhalten in einer Region zulässt.

Auch wenn man die Methode nicht an diesem Problem scheitern lassen will, verlangt sie jedoch eine saubere Anwendung, d.h. man muss ohne Wenn und Aber tatsächlich den ähnlichsten Ortsteil auswählen. Dazu heißt es in der Studie: „Die Auswahl erfolgte nach dem Ranking des Bremer Benachteiligungsindex durch Auswahl des jeweils im Ranking direkt darunter stehenden Ortsteils. Für die Ortsteile Farge und Rönnebeck weisen die Ortsteile Hulsberg und die Altstadt eine vergleichbare Sozialstruktur auf“ (Luttmann/ Eberle, S. 5)

Diese Aussage ist zwar nicht falsch, aber sie lässt eine ganz wichtige Frage unbeantwortet. Wenn man die Index-Zahlen, wie sie in der folgenden Tabelle zu finden sind, betrachtet, wird deutlich, dass die ausgewählten Ortsteile zwar ähnlich sind, aber nicht die größte Ähnlichkeit nach diesem Kriterium aufweisen. Das trifft vielmehr für Buntentor und Südervorstadt zu. Die somit willkürliche Auswahlentscheidung bleibt damit unbegründet.



Bremer Ortsteile und ihre Werte für den Benachteiligungsindex



Ortsteil
Benachteiligungsindex
Buntentor
2,14
Rönnebeck
7,42
Altstadt
15,93
Südervorstadt
20,39
Farge
20,64
Hulsberg
21,32

Quelle: Derzak, S. 14
Ohne jede Erklärung haben sich die Autorinnen also gegen das „Philosophenviertel“ der Südervorstadt und ein sich mauserndes Quartier wie Buntentor entschieden und wollen stattdessen vorstädtische Gemeinden mit der Altstadt und Hulsberg vergleichen. 

Da es vor allem um Benzol-affine Krebserkrankungen geht, wäre es vermutlich ohnehin sinnvoller gewesen, auf ähnliche Verkehrsbelastungen und weniger auf den Benachteiligungsindex zu achten, um Verzerrungseffekte für mögliche gesundheitliche Kontaminationsfolgen auszuschließen. Vielleicht hätte man dann in der Vergleichsregion auch keine „Erhöhung der Inzidenz für Leukämien und Lymphome“ gefunden, obwohl dort „eine .. Grundwasserproblematik nicht besteht.“ (Luttmann/ Eberle, S. 15)

Aber wegen der willkürlichen Wahl der Vergleichsgebiete ist diese Auswertung ohnehin eher fragwürdig.


Karzinogene Benzolwahrheiten


Wenn man mit den in der offiziellen Zusammenfassung erzeugten Erwartungen an die Lektüre der Studie geht, wird man von einigen Einzelergebnissen durchaus überrascht. So heißt es zum statistischen Zusammenhang, der vor allem interessiert: „Die Entitätengruppe IV und V beinhalten jeweils breiter gefasste Leukämie- und Lymphom-Erkrankungsformen; hier zeigen sich in beiden Untersuchungszeiträumen höhere Erkrankungsraten in der Untersuchungsregion, die jedoch keinen statistisch signifikanten Unterschied darstellen. Darüber hinaus zeigt sich eine Erhöhung der Inzidenz im Zeitverlauf, die auch im restlichen Stadtgebiet beobachtbar ist.“ (Luttmann/ Eberle, S.9) 

Mit anderen Worten stellen also die Wissenschaftlerinnen durchaus mögliche Auswirkungen bei den Benzol-affinen Krebserkrankungen fest. Nur verlieren sich diese Aussagen in der Flut weiterer Einzeldaten, deren Bezug zur Forschungsfrage unklar ist, und in der quasi offiziellen Zusammenfassung für den eiligen Leser taucht sie gar nicht auf. 

Dieses Schicksal ist jedoch angesichts der Kernfrage nach möglichen gesundheitlichen Folgen der Tanklager-Kontaminationen völlig unangemessen. Daher soll hier vor allem auf diese Daten eingegangen werden. Die folgende Tabelle zeigt, dass bei allen drei betrachteten Benzol-affinen Gruppen von Krebsindikationen im Untersuchungszeitraum die Fallzahlen deutlich über denen gelegen haben, die man erwarten musste, wenn das Krebsrisiko in Farge und Rönnebeck genau so hoch wäre wie in Bremen insgesamt.


Benzol-affine Krebserkrankungen in Farge und Rönnebeck 2000-2009


Krebs-Indikationen
Erhobene Fallzahl
Erwartete Fallzahl
Abweichung in %
III
9
7,7
17
IV
50
37,5
33
V
57
45,2
26


Für die Gruppe V, die die beiden Gruppen III und IV einschließt, liegt damit in den gesamten Ortsteilen Farge und Rönnebeck, verglichen mit dem Bremer Durchschnitt, ein deutlich erhöhter Wert vor, denn sonst müssten im Untersuchungsgebiet nur die erwarteten 45 Fälle gemeldet worden sein. Wegen der geringen Fallzahl gilt diese Zahl dennoch als statistisch nicht signifikant.



Ausdehnung der Kontaminationsfahne, steigende Krebsinzidenz



Diese Differenzierung mit den dadurch bedingten kleinen Fallzahlen führt auch in einem Zeitvergleich zu ähnlichen Ergebnissen. (vgl. die folgende Tabelle).


Zeitliche Entwicklung der Benzol-affinen Krebserkrankungen in Farge und Rönnebeck



Krebs-Inidikationen
Erkrankungen
2000-2004
Erkrankungen 2005-2009
Veränderung
in %
III
3
6
100
IV
22
28
27
V
25
32
28


Auch hier weisen die Zahlen einen deutlichen Anstieg der Fallzahlen in den beiden Untersuchungszeiträumen aus, der für alle drei Teilindikatoren der Gruppen III, IV und V gilt. 

Dieser Effekt ist auch unabhängig von der Entwicklung in Bremen insgesamt; denn während die Zahl der Benzol-affinen Erkrankungen zwischen 2000 und 2004 noch 16 % über dem Durchschnitt lag, waren es im letzten Zeitabschnitt bis 2009 sogar 35 %.


Danach scheint parallel zur Ausbreitung der Kontaminationsfahne das erhöhte Risiko für Benzol-affine Krebserkrankungen zu wachsen. Ein derartiger Zusammenhang wird zwar durch die Zahlen nicht bewiesen, die jedoch zumindest diese Aussage als Frage für weitere Forschungen nahe legen. 



Der „Zufall“ der Zufälle



Wie in einer Reihe anderer kleinräumiger Krebsstudien wurden auch in diesem Fall durchaus erhebliche Abweichungen vom Bremer Durchschnitt ermittelt. Dabei gilt jedoch immer der Vorbehalt, dass die Aussagen vor allem wegen der kleinen Fallzahl statistisch nicht signifikant sind.

Dabei muss man jedoch eine korrekte Interpretation dieser Aussage beachten; denn sie bedeutet keinesfalls, dass der ermittelte Zusammenhang vermutlich rein zufällig ist. Richtig interpretiert ist das ausgewiesene Ergebnis, das ja ganz reale Krankheits- und teilweise auch Todesfälle ausweist, vielmehr das tatsächlich wahrscheinlichste. Nur muss man dabei die Einschränkung machen, dass es möglicherweise auch durch Zufälle entstanden sein kann.

Diese Zufälle sind jedoch wiederum besonders selten, wenn, wie in diesem Fall, alle drei Indikatoren gleichgerichtet sind. Es ist dann sehr unwahrscheinlich, dass der Zufall zu derart vielen Zufällen führt.



Das Benzpyren-Bild


Für die beiden Gruppen von Krebsindikationen, die vermutlich mit PAK in Verbindung stehen und als Benzpyren-affin untersucht wurden, zeigt sich in den Durchschnittswerten zwar ein ähnliches Bild wie bei den Benzol-affinen. Nur zeigen sich diese beiden Teilbereiche VI und VII weniger einheitlich. Auch ist hier der Zusammenhang zwischen den Giften und den Krebslokalisationen weniger gut belegt, worauf bereits die Zeitungsartikel und die offizielle Zusammenfassung hinweisen.



Die möglichen Effekte der Verwässerungsmethode



Im Hinblick auf die gesundheitlichen Auswirkungen des Tanklagers interessieren vor allem die Benzol-affinen Krebserkrankungen. Ihre Zahl lag im Zeitraum 2000-2009 in Farge und Rönnebeck bei insgesamt 57 Neuerkrankungen mit 12 Fällen über dem Bremer Durchschnitt.


Wenn man einmal annimmt, dass hierfür das Tanklager verantwortlich sein kann und sich dessen karzinogene Wirkung auf den Bereich der Kontaminationsfahne konzentriert, muss man die Zahlen noch unter ganz anderen Aspekten auswerten. In diesem Fall lassen sich die errechneten 26 Tanklager-Kranken nicht der gesamten Bevölkerung von Farge und Rönnebeck zurechnen, sondern nur dem Anteil, der tatsächlich auf der Kontaminationsfahne lebt.

In einer Modellrechnung lässt sich der mögliche Hintergrund dieser zunächst recht klein erscheinenden Anzahl veranschaulichen. Falls beispielsweise ein Zehntel der Gesamtbevölkerung im eigentlichen Sinne betroffen ist, würde das bedeuten, dass bei einer Ausbreitung der Kontaminationsfahne auf die gesamt Fläche der Ortsteile Farge und Rönnebeck nicht 57, sondern 57 + 9 * 12 Einwohner erkrankt wären, also 165 neue Krebskranke mit Benzol-affinen Lokalisationen in die Auswertung eingehen müssten. Das wären immerhin deutlich mehr als die erwarteten 45 und ein Wert, der durchaus signifikant ist. Allerdings hat man durch die gewählte Methodik von vornherein vermieden, solche Ergebnisse ausweisen zu müssen.

Auch wenn vermutlich nicht jeder diese Zahl für realistisch halten wird, veranschaulicht diese Modellrechnung zwei wichtige Aussagen:

Zum einen kann der in der Untersuchungsmethodik angelegte Verwässerungseffekt die Entdeckung gefährlicher Krebsrisiken verhindern.

Zum anderen kann bei den ermittelten Daten das verdeckte tatsächliche Krebsrisiko so groß sein, dass eine sorgfältige Gesundheitsuntersuchung geboten ist.


Wissenschaft, Politik und Verantwortung



Da die Zukunft des Tanklagers ungewiss ist, lassen sich mögliche gesundheitliche Schäden sogar für kommende Generationen vermeiden, wenn man die Ergebnisse dieser Studie nicht verharmlost, sondern die Fakten so zur Kenntnis nimmt, wie sie sind:

- die Zahlen weisen auf ein erhöhtes Risiko beim Benzol-affinen Krebserkrankungen in Farge und Rönnebeck hin und

- es lässt sich ein deutlicher Anstieg im Zeitverlauf erkennen.

Diese Tendenzen bei kleinen Fallzahlen können leicht signifikant und in ihrem Ausmaß besorgniserregend sein, wenn sie vor allem auf die Erkrankungen bei den Bewohnern der Häuser resultieren, die auf der Kontaminationsfahne leben.

Verantwortungsvolle Wissenschaftler und Politiker sollten daher ungeachtet aller Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten diese Gefahr klar benennen und für Gesundheitsuntersuchungen eintreten, die sich ganz gezielt auf mögliche Expositionen im Bereich des Tanklagers konzentrieren und auch neben Krebs andere Erkrankungen berücksichtigen, die mit den Stoffen in Verbindung stehen, die im Grundwasser nachgewiesen wurden.

Eine formelhafte Erklärung wie „Das Bremer Krebsregister wird das Gebiet um das Tanklager mittel-und langfristig gezielt weiter beobachten“ (Luttmann/ Eberle, S. 15) ist daher nicht ausreichend, da der Datensatz des Krebsregisters begrenzt ist und damit viele wichtige Fragen unbeantwortet lassen muss.

Die wissenschaftliche Aufklärung muss daher vorrangig in eine andere Richtung gehen; denn es reicht nicht, wenn vom Krebsregister nur ein Wunschzettel formuliert wird, auf dem ganz oben steht: „Für die Ermittlung der Expositionsdauer müsste .. die genaue Wohndauer in dem Gefährdungsgebiet berücksichtigt werden.“ (Luttmann/ Eberle, S. 15)

Dieser Hinweis ist sicherlich sehr berechtigt. Nur welche Bedeutung hat er, wenn er faktisch zu keiner Verbesserung des Datenmaterials führt.

Wenn die Gesundheitsbehörde ihren Prüfauftrag zum Tanklager Farge ernst nimmt, darf sie auf diese Studie nicht mit einer Verharmlosungsstrategie reagieren und sich durch einen Verweis  auf „nicht signifikante“ Ergebnisse aus der Verantwortung stehlen. Sie muss die Studie des Krebsregisters vielmehr als explorative Voruntersuchung verwenden, um den gefundenen ersten Ergebnissen zu erhöhten Benzol-affinen Krebsrisiken gezielt nachzugehen.

Das macht allerdings nur Sinn, wenn dabei Gesundheitswissenschaftler ohne falsche Weichenstellungen und ergebnisoffen medizinische Daten für alle Personen erheben und auswerten, die möglichen Expositionen durch das Tanklager ausgesetzt sind. Dazu zählen vor allem auch die Mitarbeiter des Tanklager und die Kinder. Zudem darf auch die Vielzahl von Erkrankungen nicht „übersehen“ werden , die neben Krebs mit den Grundwasserbelastungen in Farge in Verbindung stehen können.

Das mag gegenüber der preiswerten Sonderauswertung von vorliegenden Daten des Krebsregisters auch ein Kostenproblem sein. Nur sollte die zuständige Behörde dann offen erklären, dass sie nicht bereit ist, für eine sorgfältige Untersuchung die erforderlichen Kosten aufzubringen oder dafür einen denkbaren Kostenträger zu suchen.

Falls jedoch ein tatsächliches Interesse an einer Aufklärung der Zusammenhänge zwischen Kontaminationen und Erkrankungen besteht, wird man solche Untersuchungen nicht vermeiden können. Die Studie des Krebsregisters weist jedenfalls aus, dass entsprechende Zusammenhänge wahrscheinlich sind.




Wissenschaftler und vor allem Politiker, denen die Gesundheit der Menschen in Farge und Rönnebeck nicht gleichgültig ist, müssten daher an einer weiteren Aufklärung interessiert sein. Sonst setzen sie sich leicht dem Verdacht aus, dass sie aufgrund ihrer politischen Verantwortlichkeit für den Betrieb des Tanklagers gar keine wissenschaftlich korrekte und umfassende Untersuchung wollen. 


1) In der Studie werden sieben „Gruppen“ von Krebsarten gebildet. Davon umfasst Gruppe I alle Krebserkrankungen und Gruppe 2 Darmkrebs, malignes Melanom, Brustkrebs, Gebärmutterhalskrebs sowie Prostatakrebs. Als Benzol-affin gelten die Gruppen III (akute nicht lymphatische Leukämien, myelodysplastisches Syndrom ), IV ( III und Non-Hodgkin-Lymphome, Multiples Myelom) und V (IV und ähnliche Erkrankungen) sowie als PAK- bzw. benzpyren-affin die Gruppen VI (Lungen- und Blasenkrebs) und VII (nicht-melanotischer Hautkrebs).

Quellen:
Denker, Christina, Mehr Krebs rund ums Tanklager. Gutachter sehen jedoch keinen direkten Zusammenhang, in: Die Norddeutsche vom 15.5.2013.
Derzak, Rolf, Sozialindikatoren 2009. Aktualisierung der Sozialindikatoren, Bremen März 2010.
Drieling, Regina, Farger haben häufiger Hautkrebs. Bei sechs von sieben Erkrankungsarten keine „signifikante Erhöhung“ festgestellt, in: BLV vom 15.5.2013.
Luttmann, Sabine und Eberle, Andrea, Kleinräumige Analyse zur Krebsinzidenz in der Region um das Tanklager Farge, Bremen März 2013.

Am diesen Stelle möchten ich allen UnterstützerInnen für ihre rasche Hilfe bei der Informationsbeschaffung danken.

Freitag, 3. Mai 2013

Aktuelles: Stadtteilfest



Blumenthaler Stadtteilfest

Vorüberlegungen und erste Vorschläge




Endlich hat sich die Mehrheit des Blumenthaler Beirats von ihrer unseligen Idee einer „Anschlusssause“ auf der Bahrsplate, also der Feier einer Hitlerunterschrift auf dem Gelände eines ehemaligen KZs, verabschiedet.

Damit ist jetzt der Weg frei, um einen Beschluss des Beirats für ein regelmäßiges Stadtteilfest umzusetzen. Darin wird das Ortsamt gebeten, „die Entwicklung eines Konzeptes zu einem regelmäßigen Stadtteilfest koordinierend zu begleiten, z.B. mit öffentlichen Veranstaltungen und Beiratssitzungen (unter Einbeziehung von VertreterInnen aus den Bereichen Kultur, Sport, Bildung, Soziales u.a. und unter Beteiligung der Blumenthaler Bevölkerung).“

Es werden jetzt also Vorschläge für regelmäßige Stadtteilfeste gesucht. Das ist zweifellos eine Aufgabe, die sich sehr gut in einem Internetforum lösen lässt. Hier kann man sehr unkompliziert nicht nur eigene Anregungen geben, sondern auch Rückfragen stellen und Ergänzungen hinzufügen, sodass sich nach und nach ein überzeugendes Konzept entwickeln lässt. Eine entsprechende Plattform, die allerdings nicht vom Ortsamt eingerichtet ist, kann auch bereits genutzt werden.

Stadt- und Stadtteilfest müssen nicht nur ausschließlich themenlose Feste sein, sondern sie können auch einen gewünschten Beitrag zur Entwicklung einer Stadt leisten. Auf ihnen kann man gemeinsam feiern, sich treffen, einige Worte wechseln und so die Kommunikation im Ort verbessern. Es ist jedoch auch möglich, durch ein ausgewähltes Thema dafür zu sorgen, dass den Bürgern die Vorzüge ihrer Heimat bewusster werden und sie damit besonders stolz auf ihren Stadtteil bleiben, ja, auch werden können.

Das dürfte überall dort wichtig sein, wo man etwa im Urlaub, bei einem Vorstellungsgespräch oder beim Small Talk nicht besonders gern seine Wohnort nennt, weil darüber in den Medien nicht nur positiv berichtet wurde. 
Wenn man an zahlreiche Fernsehsendungen und Zeitungsberichte während der letzten Wochen denkt, könnte das für Blumenthal zutreffen. Sollte man zudem noch die typisch niedrigen Blumenthaler Wahlbeteiligungen im Hinterkopf haben, scheint hier die Bindung an den Stadtteil und das Interesse an seinem Wohl und Wehe nicht besonders ausgeprägt zu sein. Stadtsoziologen sprechen in solchen Fällen von Anomie.

Eine in solchen Fällen wünschenswerte Stärkung des Zusammenhalts können zwar auch Feste leisten, wie die häufig nach Jahreszeiten benannten Frühlings-, Sommer- oder Herbstmärkte. Die lassen sich zweifellos als Veranstaltungen gestalten, die man mindestens noch ein ganzes Jahr in guter Erinnerung behält.

Um allerdings die Identifikation mit der Heimat und vor allem den Stolz auf ihre Einmaligkeit zu erhöhen, eignen sie sich weniger, weil es einfach zu viele von ihnen gibt.

Da versprechen Stadtteilfeste mehr, die eine starke Seite der eigenen Stadt thematisieren. Vermutlich gibt es unter diesem Blickwinkel viele Ideen für mögliche Stadtteilfeste, zu denen auch folgende drei Ausgangsgedanken gehören können:

- Schönes Blumenthal
  
Man kann die Schönheit der Landschaft in den Vordergrund stellen, etwa die Geestlandschaft der Bremer Schweiz mit Freizeitaktivitäten wie Wandern, Radfahren, Joggen oder Reiten. 


Blumenthaler Wolltage 


Einen anderen Akzent würde das Thema "Bremer Wollkämmerei" setzen, die für die Entwicklung der einstigen Kreisstadt Blumenthal prägend war. Hier würde die Erinnerung an das industrielle Zeitalter im Mittelpunkt stehen, als in Blumenthal dieses Unternehmen von Weltrang große Teile des Lebens bestimmt hat. Eine aktuelle Ergänzung könnten Ausstellungen und Marktstände zu den Bereichen „Schaf“ und „Wolle sein.



- Buntes Blumenthal 


Eine dritte Thematik könnten die sozialen Brennpunkte des Stadtteils sein, wie sie sich an der George-Albrecht-Straße oder im WiN-Gebiet Lüssum-Bockhorn zeigen. Hier sollte man nicht die Integrationsschwierigkeiten problematisieren, sondern den Reichtum in den Vordergrund stellen, der mit der kulturellen Vielfalt verbunden sein kann. Das könnten etwa Stadtteilfeste unter Bezeichnungen wie „Buntes Blumenthal“ oder „Blumenthaler Vielfalt“ zum Ausdruck bringen, wenn man die Namen hier als Motto und Ziel versteht.

Das sind, wie man leicht sieht nur erste Ideen, die vor allem einen Zweck haben: Hier zu einer regen Diskussion zu führen und viele kreative Beiträge zu entwickeln.


Entsprechendes gilt für die jeweiligen Standorte. Auch hier lässt sich das Für und Wider verschiedener Lokalität erörtern. Und man kann auch hier ganz offen an die Sache herangehen: also etwa einen Jahrmarkt mit Fahrgeschäften auf dem BRENOR-Gelände, Kulturelles auf der Burg Blomendal und ein multikulturelles Straßenfest mit kleinen Musikbühnen und internationaler Küche zwischen Blumenthal-Center und George-Albrecht-Straße vorsehen.

Gebraucht werden vor allem gute Ideen, die zu keinen neuen Fettnäpfchen führen. Sie sollten also das Wir-Gefühl aller Blumenthaler stärken und das Image der „Spitze Bremens“ verbessern.