Dienstag, 15. Juli 2014

neu: Bürger-beteiligung "gleichge-schaltet"



Weiterhin Demokratie wagen!



Eine Dokumention zum SPD-Beiratsantrag "Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen optimieren "



Während die Mehrheitsfraktionen der Bürgerschaft vom Senat einen "Entwicklungsplan Bürgerbeteiligung" gefordert haben, wollte die Blumenthaler SPD-Fraktion einen anderen Weg gehen. Unter dem Stichwort "Optimierung" der Zusammenarbeit von Beirat und Bürgerintitiven hat sie offenbar eine weitgehende Kontrolle der Bürgerbeteiligung durch die Blumenthaler Beiratsmehrheit angestrebt.

Auf diesen Versuch einer "Gleichschaltung" von Bürgerinitiativen hat das kommunalpolitische Forum "Blumenthal:Probleme und Chancen"
 schnell reagiert

Dort wurden in vier Postings die verschiedenen Aspekte des SPD-Antrags kritisch beleuchtet. So beschäfigt sich der Beitrag "Gleichschaltung von Bürgerprotesten?" mit den Auswirkungen auf das demokratische Beteiligungsverhalten, unter dem Titel "Verführungsversuch?" werden die Auswirkungen für die Bürgerinitiative Tanklager Farge analysiert, das Posting "Politische Verpackung" sucht nach Motiven hinter dem SPD-Antrag und die Erzählung "2018" will an einem Beispiel zeigen, wie sich eine Annahme des SPD-Antrags auf das Leben in Blumenthals auswirken würde.

Zusätzlich erschien im Weser-Kurier ein Leserbrief, der auf die Gesamtproblematik des Antrags eingegangen ist.

Alle Leserinnen und Leser, die von den im Forum vorgetragenen Argumenten überzeugt waren, werden über das Abstimmungsergebnis im Blumenthaler Beirat sicherlich nicht traurig sein. Es bleibt alles beim Alten. Das wird nicht jeder für gut halten, dürfte jedoch allemal einer "Optimierung" im Sinne des Antrags der SPD-Faktion vorzuziehen sein.

Im Folgenden sind der SPD-Antrag (1), ein Link zum Artikel aus dem Weser-Kurier (4), ein Leserbrief (5), fünf Postings aus dem Forum und Links zu Berichten des BLV (9) und des Weser-Kuriers (10) über die Beiratsabstimmung in chronologischer Reihenfolge zu finden.





1) Der SPD-Antrag vom 4.7.2014


Der Beirat Blumenthal möge beschließen:



Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen optimieren


In den Beiratssitzungen und in der öffentlichen Wahrnehmung macht es den Eindruck, als ob es eine Diskrepanz zwischen der Arbeit von Bürgerinitiativen und der politischen Arbeit des Beirats gibt.

Aktuell geht es dabei um scheinbare Konflikte zwischen Beirat und der Bürgerinitiative Tankla-ger Farge.

Diese scheinbaren Konflikte resultieren sicher in der Tatsache, dass die meisten Beiratsmitglieder nicht so intensiv mit Detailfragen zu diesem gewaltigen Themenkomplex befasst sind und daher bei der kurzfristigen gewünschten Übernahme von Fragen und Thesen aus den Bürgeran-trägen der BI die Beiratsmitglieder überfordert werden und ihrem politischen Auftrag einer Meinungsbildung und Entscheidung im Sinne einer Interessenabwägung nicht ausreichend nach-kommen können.

Diese Situation führt dann zu wechselseitiger Unzufriedenheit, die auch nicht dadurch verbessert wird, in dem man sich oder Teile der jeweiligen Gremien gegenseitig beschimpft.

Der Beirat Blumenthal beschließt, mit der Bürgerinitiative Tanklager Farge in Gespräche über die Bildung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zu treten und diese einzurichten, wenn die Bürgerinitiative dieses Angebot annimmt.
Diese Arbeitsgruppe soll möglichst häufig nicht öffentlich zusammentreten und die Detail-kenntnisse für den Beirat optimieren und an der Formulierung von Bürgeranträgen aus dem Kreis der BI mitwirken. Dazu soll auch über den optimalen Zeitpunkt der Einreichung solcher Anträge und die Umgangsweise, damit Einvernehmen erzielt werden.

Die Arbeit der Arbeitsgruppe soll im Abstand von jeweils sechs Monaten überprüft werden und dann beispielgebend für die Zusammenarbeit von Beirat und Bürgerinitiativen und Organisationen werden, die sich im Beiratsgebiet gebildet haben oder bilden werden.

Ziel und Ergebnis dieser Arbeitsgruppenarbeit sollen der Umgang mit den vorhandenen und zu erwartenden Gutachten und die daraus abzuleitenden Sanierungsmaßnahmen, für die der jetzige Besitzer, der Bund, verantwortlich zeichnet. Schuldzuweisungen, wer Verursacher der Grundwasserverunreinigungen in der Vergangenheit war, sind nicht zielführend, da der Rechtsnachfolger und damit Verantwortliche bekannt ist. Maßgebendes Ergebnis der Sanierung muss die restlose Entfernung aller nicht natürlichen Stoffe aus dem Erdreich und dem Grundwasser sein, damit das Areal einer anderen, von allen Betroffenen und Verantwortlichen akzeptierten, Verwendung zugeführt werden kann.

Helma Stitz, Alex Schupp und die Fraktion der SPD
Blumenthal, d. 04.07.2014






2) Gleichschaltung von Bürgerprotesten? (Posting vom 5.7.2014)





Für viele Menschen in unserem Land steht die SPD nicht nur für soziale Gerechtigkeit,  sondern auch für die Verteidigung und den Ausbau der Demokratie.


Diese Leistungen für die deutsche Demokratie werden besonders augenfällig, wenn man sich im Blumenthal jetzt mit der NS-Zeit beschäftigt, wofür die geplante BWK-Ausstellung und das Anschlussjubiläum Anlässe sein können. So hat sich der SPD-Abgeordnete Otto Wels 1933 in einer eindrucksvollen Rede für die pluralistische Demokratie eingesetzt, in der es einen fairen Wettstreit verschiedener Positionen um ein Beschluss gibt.


Das haben damals andere, und zwar nicht nur die Nationalsozialisten anders gesehen, denen der „als Zerrissenheit verstandene Pluralismus in Staat und Gesellschaft“ nicht gefiel. Sie haben deshalb eine „Gleichschaltung“ gefordert und durchgesetzt, wodurch es kurze Zeit später nur noch eine Meinung geben durfte.

Während also damals und auch später die Sozialdemokraten auf der Seite der Demokratie standen, kann man an einer entsprechenden Haltung ihrer gewählten Beiratsmitglieder in Blumenthal Zweifel haben. Für einige unter ihnen scheint die Demokratie kein besonders hoher Wert zu sein, wenn ihnen Beiratsdebatten lästig erscheinen und es ihnen nichts ausmacht, den totalitären Akt der Angliederung Blumenthals an Bremen mit Saus und Braus auf der Bahrsplate zu feiern.

In dieser unguten eigenen Tradition hat die Blumenthaler SPD-Fraktion jetzt nachgelegt, wenn sie zwar keine Gleichschaltung fordert, aber eine „Optimierung“. Betroffen sind jetzt auch nicht die anderen Parteien, sondern alle in Blumenthal bestehenden und später einmal gegründeten Bürgerinitiativen. 

Für diese wichtigen Institutionen einer lebendigen Demokratie sieht ein SPD-Antrag, der sich als Beispiel die Tanklager-Bürgerinitiative ausgewählt hat, eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Beirat und Bürgerinitiative vor.  

Wie soll diese Gleichschaltung, Kastrierung oder eben Optimierung nach dem Blumenthaler SPD-Modell jedoch konkret erfolgen? Der Antrag sieht vor, dass die gemeinsame Arbeitsgruppe von Beirat und Bürgerinitiative „möglichst häufig nicht öffentlich zusammentreten und die Detailkenntnisse für den Beirat optimieren und an der Formulierung von Bürgeranträgen aus dem Kreis der BI mitwirken“ soll.

Der Bürgerinitiative will man also ihre wichtigste, wahrscheinlich sogar einzige Grundlage für einen Einfluss nehmen: die Öffentlichkeit, d.h. den Kontakt zu den Medien und zu den Betroffenen, die kaum zu einer Anwohnerversammlung kommen werden, wenn über alle wichtigen Vorgänge zuvor eine „Geheimhaltung“ vereinbart wurde.

Damit aber noch nicht genug! Über „den optimalen Zeitpunkt der Einreichung“ von Anträgen und „die Umgangsweise“, soll einvernehmlich entschieden werden, also mit einem Vetorecht der Beiratsmehrheit.

Nach einer „Gleichschaltung“ der Tanklager Bürgerinitiative sollen dann alle anderen Bürgerinitiativen, die bestehen bzw sich noch irgendwann einmal bilden werden, nach diesem Modell ebenfalls an die Kandare der Beiratsmehrheit gelegt werden. So heißt es im SPD-Antrag: „Die Arbeit der Arbeitsgruppe soll im Abstand von jeweils sechs Monaten überprüft werden und dann beispielgebend für die Zusammenarbeit von Beirat und Bürgerinitiativen und Organisationen werden, die sich im Beiratsgebiet gebildet haben oder bilden werden.“ 

Blumenthal und seine „innovativen“ Sozialdemokraten werden sich mit diesem Vorschlag zur Domestizierung von Bürgerinitiativen sicherlich in Bremen erneut ins demokratische Abseits manövrieren. Aber das kennen sie ja bereits seit ihrem Plan einer Anschlusssause auf der Bahrsplate. 


3) Verführungsversuch? (Posting vom 9.7.2014)



In der Politik gibt es manchmal Knartsch. Das ist auch ganz natürlich, weil nicht alle Bürger dieselben Ziele verfolgen. Das gilt vor allem dann, wenn sie in ganz unterschiedlicher Weise betroffen sind, sich also beispielsweise die einen von Umweltschäden durch das Tanklager Farge bedroht fühlen, während die anderen zwar für Blumenthal politisch verantwortlich waren, jedoch noch vor wenigen Monaten für ein Weiterbestehen gerade dieser Umweltbedrohung gestimmt haben.



Ende letzten Jahres schien diese Divergenz behoben, als der Blumenthaler Beirat einstimmig einen Antrag zur Stilllegung des Tanklagers beschlossen hat, an dem Vertreter der Tanklager-Bürgerinitiative mitgearbeitet hatten.

Diese Einvernehmlichkeit war jedoch nur von kurzer Dauer, denn in der letzten Beiratssitzung hat man sich „beschimpft“, wie es die SPD-Fraktion in einem aktuellen Beiratsantrag ausdrückt.

Um so etwas zukünftig zu vermeiden, will die SPD-Fraktion jetzt die „Zusammenarbeit mit Bürgerinitiativen optimieren“.

Deshalb soll jetzt der Beirat der Tanklager-Bürgerinitiative ein ganz besonderes Angebot zu einer „Teilheirat“ machen. Dabei wird zwar kein Bund fürs Leben geschlossen, wie man ihn früher kannte, aber ein Vertragsverhältnis eingegangen, das für das zukünftige Verhalten der Braut feste Regelungen vorsieht. 

Ganz wie vor dem richtigen Eheleben soll nach den Überlegungen der SPD-Fraktion der Beirat um seine „Braut“, die Tanklager-Bürgerinitiative, werben. Dabei hat man an Komplimente gedacht, die gleichzeitig die bisherige „wechselseitige Unzufriedenheit“ erklären. Hier soll sich der Beirat schuldig bekennen, da die „meisten Beiratsmitglieder nicht so intensiv mit Detailfragen zu diesem gewaltigen Themenkomplex befasst sind und daher bei der kurzfristigen gewünschten Übernahme von Fragen und Thesen aus den Bürgeranträgen der BI die Beiratsmitglieder überfordert werden und ihrem politischen Auftrag einer Meinungsbildung und Entscheidung im Sinne einer Interessenabwägung nicht ausreichend nachkommen können.“

Die Lösung wird in einer Spezialehe gesehen, die konkret in einer gemeinsamen „Arbeitsgruppe“ besteht, die „möglichst häufig nicht öffentlich zusammentreten und die Detailkenntnisse für den Beirat optimieren und an der Formulierung von Bürgeranträgen aus dem Kreis der BI mitwirken“ soll.

Damit werden auch gleich die besonderen Rechte in dieser extrem patriarchalen Eheform definiert: die Projekte und Vorhaben der Bürgerinitiative sollen nicht wie bisher in Anwohnerversammlungen, sondern geheim im „Schlafzimmer“ abgesprochen werden und die Anträge darf nicht mehr die „Braut“ Bürgerinitiative selbst schreiben, sondern muss sich der Zensur durch die Beiratsmehrheit unterwerfen.

Glaubt etwa die SPD-Fraktion, mit einem unverbindlichen Kompliment die Tanklager-Bürgerinitiative in diese unemanzipierte Beziehung locken zu können? Hält man etwa die Beratung durch die innovative Verwaltung für so wertvoll, dass man deswegen auf seine Unabhängigkeit verzichtet? Soll etwa die Tanklager-Bürgerinitiative in ein ähnliches Verhältnis gebracht werden, in dem sich die SPD-Fraktion schon befindet?

Bisher sieht es allerdings nicht so aus, dass die „Braut“ diesem unmoralischen und undemokratischen Angebot folgt, denn noch nimmt sie daran Anstoß, dass sie der Ortsamtsleiter „beschimpft“ und unterstellt man wolle den Beirat “über den Tisch ziehen”.


4) Zeitungsartikel von Christina Denker

Denker, Christina, Sozialdemokraten wollen mit Tanklager-Bürgern an einen Tisch. Vorschlag: Gemeinsame Arbeitsgruppe soll hinter verschlossenen Türen über Gutachten und Sanierungsmaßnahmen beraten, in: Weser-Kurier vom 11.07.2014 



5) Demokratieverständnis der besonderen Art (Leserbrief vom 11.7.2014)

Die Blumenthaler Sozialdemokraten schlagen der Tanklager-Bürgerinitiative einen ganz ungewöhnlichen politischen Deal vor. 

Man verspricht den Tanklager-Gegnern seine Hilfe bei der Beschaffung ausstehender Gutachten und eine Zusammenarbeit bei der Überwachung der anstehenden Sanierungsmaßnahmen 

Das ist zweifellos eine Leistung, wie man sie von gewählten Beiräten erwarten kann, da sie sich ja aufgrund ihres Amtes für das Wohl der Bürger einsetzen müssen, die sie politisch repräsentieren. Dieser Hinweis ist also eine schöne Geste, wenn man diese Selbstverständlichkeit in einem demokratischen Staat nochmals schriftlich bestätigt findet.

Nur hat dieser Deal noch ein ganz andere Seite. Zu dieser demokratischen Selbstverständlichkeit soll der Beirat nach dem Willen der SPD-Fraktion nur bereit sein, wenn sich die Bürgerinitiative sowohl zu geheimen Absprachen mit dem Beirat verpflichtet als auch eine Art Zensur ihrer Bürgeranträge akzeptiert.

Mit anderen Worten soll sich nach diesem Plan der SPD-Fraktion der Blumenthaler Beirat offenbar nur für die Interessen der Bürger einsetzen, wenn diese auf wichtige Rechte verzichten. Dazu gehören für eine Bürgerinitiative zweifellos die Meinungsbildung in Anwohnerversammlungen und die Freiheit, Bürgeranträge so zu stellen, wie es die Bürgerinitiative oder ihre Mitglieder für richtig halten. Für eine korrekte politische Arbeit des Beirats wird also als Gegenleistung ein Verzicht auf Öffentlichkeit und auf das Recht jedes Bremer Bürgers verlangt, einen Bürgerantrag ohne äußere Einflussnahme stellen zu können.

Der SPD-Antrag ist damit nicht nur ein unmoralisches, sondern auch ein undemokratisches Angebot an die Tanklager-Bürgerinitiative.



6) Politische Verpackung   (Posting vom 13.7. 2014)



Frau Denker hat ihren Bericht über den SPD-Antrag zur „Optimierung“ der Zusammenarbeit von Beirat und Bürgerinitiativen unter die Überschrift „Sozialdemokraten wollen mit Tanklager-Bürgern an einen Tisch“ gestellt.



Das sieht nach einem Wunsch aus, dem niemand widersprechen wird. Warum sollen sich die Sozialdemokraten bzw die Mitglieder des Beirats nicht mit Mitgliedern der Bürgerinitiative Tanklager Farge zusammensetzen, um mögliche Missverständnisse oder auch unterschiedliche Positionen zu klären? Das ist schließlich nichts Neues, wie die gemeinsame Erarbeitung des Antrags zur Stilllegung des Tanklagers im letzten Jahr bewiesen hat. Da wird man sich eher fragen, wer um alles in der Welt dagegen sein könnte.



Wenn man allerdings genauer liest, entdeckt man, dass ein derartiges Informationsgespräch gar nicht angestrebt wird, wie es die Überschrift erwarten lässt wird.

Vielmehr geht es um die hier im Forum bereits mehrfach kritisierte Gleichschaltung von Bürgerinitiativen, die von der Beiratsmehrheit kontrolliert werden sollen. Darauf weist auch Frau Denker hin, wenn sie auf die geforderte Geheimhaltung und Einvernehmlichkeit betont, die ein Gespräch auf Augenhöhe nicht kennt und die einer Bürgerinitiative ihre wichtigsten Einflussmöglichkeiten nehmen.

Die sozialdemokratischen Antragsteller wollen daher kaum ein Gespräch mit der Bürgerinitiative, wie man es nach der Überschrift im Weser-Kurier erwarten könnte. Das ließe sich auch ohne formelle Beschlüsse leicht erreichen, wenn man sich einfach gegenseitig einladen würde.

Doch worum geht es dann?

Der Antragstext gibt einen wichtigen Hinweis. Hierin werden nicht  nur ganz allgemein geheime Sitzungen und ausschließlich einvernehmlich formulierte Bürgeranträge verlangt. Vielmehr wird eine der Positionen, die auf diese Weise durchgesetzt werden soll, ganz ausdrücklich benannt: „Schuldzuweisungen, wer Verursacher der Grundwasserverunreinigungen in der Vergangenheit war, sind nicht zielführend, da der Rechtsnachfolger und damit Verantwortliche bekannt ist.“

Die Bürgerinitiative soll also mit anderen Worten keine Anträge mehr stellen, in denen es um den oder die Schuldigen für die Kontaminationen geht. 

Bei dieser Aussage ist weniger der Hinweis auf den Bund als Immobilienbesitzer interessant, da dessen Haftung unstrittig ist.

Das gilt jedoch keineswegs für die vom Gesetz her vorgesehenen Bremer Kontrollbehörden, also vor allem die Gewerbeaufsicht und die Umweltbehörde. Hier ist zu fragen, ob das Tanklager Farge die Voraussetzungen für die Betriebsgenehmigung, die immer noch nicht zugänglich ist, während der gesamten Nachkriegszeit erfüllt waren und ob die Einhaltung der Vorschriften korrekt geprüft wurde.

Soll etwa auf diese Weise die Bürgerinitiative Tanklager Farge auf eine Überprüfung verzichten, um damit Bremer Behörden, die teilweise auch sozialdemokratischen Senatoren unterstanden, unangenehme Fragen zu stellen?

  

7) 2018   (Posting vom 14.7.2014)



Es war einige Zeit nach jenen denkwürdigen drei Tagen im Juli 2014, als mit der Einweihung des Bolzplatzes auf der Bahrsplate "Blumenthal einen großen Schritt nach vorn" machte, Deutschland Weltmeister wurde und die Bürgerbeteiligung in Blumenthal „optimiert“ werden konnte.



So könnte es beispielsweise das Jahr 2018 sein, in dem sich Folgendes ereignet hat:



Die Eheleute Bi. waren aus einem anderen Bremer Ortsteil, sagen wir aus Vegesack, nach Blumenthal zugezogen und hatten bei der Wahl ihrer neuen Wohnung den Verkehrslärm auf der Rönnebecker Straße unterschätzt. Der war nicht mit dem heutigen vergleichbar, da es ein oder zwei Jahr zuvor der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) gelungen war, zu recht niedrigen Grundstückspreisen und einigen steuerlichen Vorteilen eine große Gewerbefläche auf dem alten BWK-Gelände an ein Logistikunternehmen zu verkaufen. Das hatte dann auf den Blumenthaler Durchgangsstraßen zu einem deutlich erhöhten Verkehrsaufkommen geführt, da die Fahrer einfach nicht der Prognose der Planer des Bauamtes Bremen-Nord folgen wollten. Sie wählten nicht, wo immer die Fahrt auch hingehen sollte, einen Weg über die nächste Autobahnauffahrt.

Diese Gefahr hatten zwar Blumenthaler Sozialdemokraten bereits 2013 gesehen, aber nicht in die Planung des BWK-Geländes eingebracht. So entsprach die Nutzung durch das Logistikunternehmen ganz den Vorgaben des Bebauungsplans 1288, sodass ohne Regresszahlungen an das Logistikunternehmen keine Änderung des Bebauungsplans mehr möglich war.

Das war die jüngere Vergangenheit, der jetzt, wie das Ortamt voller Stolz erklärte, eine zweite Ausbaustufe beim Logistikunternehmen und damit die Schaffung zahlreicher neuer Arbeitsplätze folgen sollte.

Diese Sicht teilten die Eheleute Bi. nicht, da sie als Folge dieser Pläne eine noch stärkere Lärmbelastung erwarteten. Daher sprachen sie mit ihren Nachbarn über das Problem und mögliche Reaktionen der Lärmgeschädigten. Dabei erwarteten sie wenig vom Ortsamt und den gewählten Beiräten, da diese Lokalpolitiker bereits die Weichen in Richtung einer Unternehmenserweiterung gestellt hatten und sich die Schaffung neuer Arbeitsplätze als ganz besondere Leistung anrechneten.

So schlug Herr BI die Gründung einer Bürgerinitiative vor, da er von ähnlichen Aktivitäten in anderen Stadtteilen gelesen hatte. Doch da warnten ihn seine Blumenthaler Nachbarn, indem sie ihm erklärten: „Das ist bei uns anders. Hier kann man nicht einfach eine Bürgerinitiative gründen. Da muss man sich an ganz bestimmte Regeln halten, die unser Beirat im Juli 2014 beschlossen. Da musst Du Dich erst bei unsrem Ortsamt erkundigen, bevor Du etwas Falsches macht.“

Da Frau und Herrn BI die erwarteten Brummis schon im Voraus in den Ohren dröhnten, gaben sie nicht gleich auf, sondern folgten dem Hinweis der alteingesessenen Blumenthaler.

So machte sich Herr BI zum Ortsamt auf, um sich nach den besonderen Regeln für Bürgerinitiativen in Blumenthal zu erkundigen.

Dort wurde Herr BI nach einer freundlichen Begrüßung darüber aufgeklärt, dass für die Gründung einer Bürgerinitiative in Blumenthal selbstverständlich keine Genehmigung durch den Ortsamtsleiter oder den Beirat erforderlich sei.

Allerdings suche die innovative Verwaltung und auch der Beirat immer das Gespräch mit den Betroffenen, da sich auf diese Weise vieles besser klären lasse. Auch hätte man vor dem Optimierungsbeschluss den Eindruck gewonnen, dass die senatorischen Behörden wegen der Vielzahl von Bürgeranträgen aus Blumenthal verärgert seien. Man könne daher nicht immer mit einer wohlwollenden und gründlichen Prüfung der Anliegen rechnen, wenn die Beamten zuvor in den Medien an den Pranger gestellt worden seien.

Das überzeugte Herrn BI noch nicht völlig. Er musste an den Lärm denken, den er, seine Frau und seine Nachbarn dank dieser wohlwollenden Bürokraten täglich vor den Fenstern hatten. Aber er war ein wenig verunsichert und wollte nicht als einzelner Querulant die Sache verfolgen. Daher erkundigt es sich beim Ortsamtsleiter nach der Organisation einer Bürgerversammlung. 

Auch dazu wurde von der innovativen Verwaltung aufgeklärt. „Auch das kann natürlich jeder Bürger bei uns in Bremen machen, nur kann man auf diesem Weg leicht die Chancen verlieren, die bei uns in Blumenthal das Optimierungsangebot des Beirates beinhaltet.“

Herr Bi. bedankte sich für die Auskünfte, die er mit seinen Nachbarn besprechen wollte. So setzten sich die Nachbarn an einem Abend zusammen und berieten die Situation. Dabei fand die Idee einer Bürgerinitiaitve weiterhin viel Zustimmung, nur wollte man sie selbst organisieren und sich nicht an Vorgaben von Politikern orientieren, die mit der Verwaltung unter einer Decke zu stecken schienen. 

Allerdings wies Herr K., der die Lokalpolitik aufmerksam und kritisch beobachtete, dabei auf ein Problem hin. Er erinnerte an die Erfahrungen zahlreicher Blumenthaler mit der Behandlung von Bürgeranträgen im Beirat. „Die werden dort sehr unterschiedlich diskutiert“, berichtete er, „manche werden als überflüssig abgelehnt, andere versanden irgendwo und wieder andere werden so verändert, dass sie der Antragsteller nicht mehr wiedererkennen kann. Deswegen soll es sogar schon einmal eine Petition an die Bürgerschaft gegeben haben“, schloss Herr K. seinen Erfahrungsbericht.

Die Nachbarn waren sich aufgrund dieser Erfahrungen weitgehend einig. Man wollte eine Bürgerinitiative gründen, aber dabei mit dem Beirat kooperieren, um mögliche Anträge auch durch den Beirat zu bekommen und damit bei den senatorischen Behörden etwas zu erreichen. Daher wurde Herr Bi. mit einem weiteren Gang zur innovativen Verwaltung beauftragt, um dort die genauen Bedingungen des Optimierungsbeschlusses in Erfahrung zu bringen.

Dort interpretierte der Ortsamtsleiter den Beschluss, indem er zunächst auf eine mögliche Gründung einer Bürgerinitiative in Blumenthal einging: „Zur Gründungsphase einer Bürgerinitiative hat sich der Beirat zwar keine Gedanken gemacht, aber wir gehen davon aus, dass es gut ist, wenn die drei Gründungsmitglieder nicht erst mit immensen Werbeaktionen, die immer auch mit der Beunruhigung viele Bürger verbunden sind, möglichst viele Mitglieder gewinnen wollen. Meiner Meinung nach sollten sich die Gründer gleich an den Beirat bzw. den Stadtteilmanager wenden, der dann alles Weitere mit ihnen abspricht.“

„Und wie würden diese Absprachen in unserm Fall aussehen?“, erkundigte sich Herr Bi. "Dazu kann ich Ihnen natürlich jetzt nichts sagen“, entgegnete der Ortsamtsleiter auf diese Frage aller Fragen, „denn dazu haben wir ja eine Reihe geheimer Arbeitstreffen vorgesehen. Allerdings wird es sicherlich keinen einvernehmlichen Antrag geben, der sich gegen eine Erweiterung des Logistikunternehmens ausspricht, denn dafür haben wir uns ja im Interesse Blumenthals stark gemacht.“

Als Herr Bi. seinen Nachbarn von dem Gespräch berichtete, war die Stimmung gedrückt. Sie sollten sich zwischen der Gründung einer Bürgerinitiative entscheiden, deren Anträge nicht grade wohlwollend im Beirat behandelt wurden, und einer Bürgerinitiative, die solche Anträge erst gar nicht stellen konnte, da sich dafür keine einvernehmliche Formulierung finden ließ. 

Oder gab es noch einen dritten Weg? Einen Umzug in einen anderen Stadtteil, wenn man seine Bürgerrechte ohne Einschränkungen ausüben wollte.



8) Umzug überflüssig (Posting vom 15.7.2014)


Der Blumenthaler Beirat hat gestern Abend dafür gesorgt, dass die Zukunft, wie sie im Posting „2018“ erzählt wurde, nicht eintreten wird. Das ist eine gute Nachricht für alle Bürger, denen die Bürgerbeteiligung nicht gleichgültig ist.

Da die Antragsteller eine sehr knappe Niederlage erlitten, bleibt alles beim Alten. 

An der Abstimmung haben 15 Beiratsmitglieder teilgenommen, darunter alle acht Mitglieder der SPD-Fraktion, also des Antragstellers. Das hätte eine Mehrheit bedeutet, wenn alle einem „Fraktionszwang“ gefolgt wären.

In der Sitzung war jedoch zwei SPD-Mitgliedern eine lebendige Demokratie wichtiger als ein solidarisches Verhalten gegenüber einem Antrag, der Bürgerinitiativen in Blumenthal durch eine Beiratsmehrheit kontrollieren wollte. Sie haben sich der Stimme enthalten, wodurch die SPD nur auf sechs Stimmen für ihren Antrag gekommen ist. Das war eine Stimme weniger als die sieben Stimmen der „Koalition“ aus CDU, Grünen und Linken. 


9) Zeitungsartikel von Regina Drieling

Drieling, Regina, Keine Absprache zur Kommunikation. SPD-Antrag zur Zusammenarbeit mit BI Tanklager scheitert in eigenen Reihen, in: BLV vom 16.7.2014.


10) Zeitungsartikel von Christina Denker

Denker, Christina, Tanklager: Beirat gegen SPD-Antrag. Arbeitsgruppe abgelehnt, in: Weser-Kurier vom 17.07.2014.

Dienstag, 8. Juli 2014

EU-Wahl: Rechter Rand



Die Wählerstrukturen der extremen Rechten



Rechte Anti-Zuwanderungsgruppen sozialräumlich betrachtet




Wenn man eine Analyse der deutschen Parteien am rechten Rand ausschließlich auf die regionale und kleinräumige Verteilung ihrer Wähler konzentriert, kann man zu teilweise überraschenden Ergebnissen gelangen. Die Hochburgen dieser Parteien liegen fast ausschließlich in den neuen Bundesländern, die immer noch einen Soli für sich beanspruchen, und in Städten an Rhein und Ruhr, die für sich eine ähnliche Förderung reklamieren.

Dieses Verteilungsmuster wird auf der Ebene von Stadtteilen bestätigt, denn hier können die rechten Gruppierungen vor allem in sozial benachteiligten Vierteln viele Wähler gewinnen.

Diese Bildung räumlicher Hochburgen führt dazu, dass die extreme Rechte nicht dort stark ist, wo es auch die rechte Mitte ist, sondern vielmehr in Gebieten mit hohen Wähleranteilen der Linken vor allem im Osten oder der SPD, wenn die Linke nur ein geringes Gewicht besitzt.

Die extreme Rechte ist damit in Deutschland vor allem in benachteiligten Regionen und Quartieren stark. Sie konkurriert in alten Arbeitervierteln sowie in Groß- und Plattenbausiedlungen mit den Parteien links der Mitte, die mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit für sich werben, um dieselbe Wählerklientel.

Nicht selten dürfte daher die Wahl dieser Gruppierungen am rechten Rand ein Protest gegen die soziale Lage in diesen Stadtteilen sein, die keine Perspektive zu haben scheinen. Es ist daher fraglich, ob Strategien, die das Wahlverhalten durch politische Aufklärung und sozialpädagogische Maßnahmen verändern wollen, wirksam sein können. Schließlich wird dadurch der Eindruck verstärkt, dass hohe Anteile rechter Parteien erst die Politiker auf soziale Probleme aufmerksam machen.

Dieser Mechanismus zwischen hohen Stimmenanteilen für die extreme Rechte und einer gesteigerten politischen Aufmerksamkeit dürfte erst durchbrochen werden, wenn sich die Lage der Betroffenen ganz real bessert. Es ist also weniger Sozialpädagogik und mehr Sozialplanung gefordert.




Aufgrund der Vergangenheit werden die Parteien und Wählergruppen am rechten Rand des politischen Spektrums in Deutschland erheblich kritischer betrachtet als ähnliche Gruppierungen in anderen europäischen Ländern, wo sie unter Sammelbegriffen wie „extrême droite" oder "far-right", wenn sie nur einen Wählerzuspruch wie gegenwärtig in Deutschland erfahren, als politisches Randphänomen kaum Beachtung erfahren.

Das ist in Deutschland anders, wo sich eine breite Öffentlichkeit mit diesen Parteien beschäftigt, zu denen neben Politikwissenschaftlern und Politikern auch zahlreiche Bürgerinitiativen gehören, die unter einem Motto wie «Bunt statt braun» gegen die Aktivitäten am rechten Rand protestieren.

Dabei wird nicht zuletzt im Hinblick auf mögliche Verbote vor allem die Verfassungstreue der rechten Parteien diskutiert, die üblicherweise nicht politisch «korrekt» sein wollen und gegen wesentliche Positionen des Mainstreams agieren, wie sie die veröffentlichte Meinung, aber weniger die Stammtische vertreten.

Im Zentrum dieser Auseinandersetzung stehen die Politiker dieser Gruppierungen der extremen Rechten, die meist keine unbeschriebenen Blätter sind. Sie haben meist eine Vergangenheit, auch wenn sie heute nicht mehr wie früher bis in die Zeiten des NS-Regimes zurückreicht. Dennoch waren sie häufig Mitglieder unterschiedlicher Parteien und Wählergruppen und haben sich in diesen Rollen zu einer Reihe politischer Fragen in einer Weise geäußert, die der Verfassungsschutz festgehalten hat. Aufgrund dieser entstandenen informellen Netzwerke und intensiver Schulungen scheinen sich die aktiven Mitglieder und die Wähler der Parteien am rechten Rand stärker zu unterscheiden als das bei anderen deutschen Parteien der Fall ist.


Um diesen organisatorischen Kern des rechten politischen Randes, über den es zahllose Veröffentlichungen gibt, soll es hier nicht gehen. Stattdessen steht ausschließlich die Wählerschaft im Fokus, und zwar anhand der Daten, die eine sozialräumliche Analyse erfordert.

Diese Möglichkeit ist dank der Wahlatlanten und sozialräumlichen Datenaufbereitungen möglich, wie sie für die letzten Wahlen für einige deutsche Großstädte veröffentlicht worden sind.



                                 Video "Die NPD: Heimat, Hitler, Hass" (Quelle: youtube)





Der rechte Rand in der Städte- und Wahlstatistik



Die extreme Rechte wird damit ohne lange akademische Diskussionen über Begriffe wie Neofaschismus, Rechtsextremismus Rechtspopulismus durch das auf diese Weise vorliegende aktuelle Datenmaterial definiert. Dabei stellen nicht nur die geringe Zahl von Städten, die sozialräumlich analysierbare Zahlen veröffentlichen eine enge Restriktion dar, sondern vor allem auch die niedrigen Anteilswerte der rechten Gruppierungen. So gibt es beispielsweise nur wenige Städte, die die NPD nicht unter „Sonstige“ fassen, sondern getrennt ausweisen.


Neben den Daten der NPD bei der Europawahl 2014 können daher nur die von den bayerischen Bürgerinitiativen Ausländerstopp, der Bürgerbewegung Pro NRW und von der Partei „Die Rechte“ bei der Kommunalwahl 2014 verwendet werden.

Bei diesem unsystematischen Datenmaterial ist besonders auf Ähnlichkeiten zu achten, da allein daraus auf generelle Aussagen über die sozialräumliche Verteilung der Wähler extrem rechter Parteien in Deutschland geschlossen werden kann.





Ein Erfolg dank des Verfassungsgerichts: die NPD im Europaparlament



Trotz der Belastungen durch finanzielle Probleme und den anstehenden Verbotsprozess konnte die NPD bei der Europawahl 2014 und den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen in einer Reihe von Bundesländern auch kleinere Wahlerfolge aufweisen, wenn man die Latte dafür nicht allzu hoch legt.

Immerhin gelang es ihr, nachdem durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die für Europawahlen bestehende Drei-Prozent-Hürde gefallen war, ihren ersten Abgeordneten ins Europaparlament zu entsenden. Dazu reichten gut 300000 Wähler oder 1 % der abgegebenen gültigen Stimmen. Damit erreichte die Partei unter den veränderten Erfolgsaussichten ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Europawahl.


Die Anteilswerte für die NPD sind dabei sehr unterschiedlich auf die Bundesländer verteilt; denn alle fünf ostdeutschen Länder rangieren an der Spitze und mit dem Saarland liegt nur ein westliches Land über dem Bundesdurchschnitt. Die NPD ist damit weiterhin vor allem eine ostdeutschen Partei, wo sie auch in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vertreten ist. Dort konnte sie 2009 mit 5,6 % in Sachsen und mit 6,0 % in Mecklenburg-Vorpommern die Sperrklausel von 5 Prozent überwinden.


Bundesländer mit hohen NPD-Anteilen in der Europawahl 2014

Bundesland
NPD-Anteil in %
Sachsen
3,6
Thüringen
3,4
Mecklenburg-Vorpommern
3,0
Brandenburg
2,6
Sachsen-Anhalt
2,1
Saarland
1,3
Berlin
1,0
Quelle: www.bundeswahlleiter.de


Entsprechend diesem Ost-West-Gefälle liegen auch die Kreise, in denen die NPD bei der Europawahl mehr als 5 % erreichen konnte, ausschließlich in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Dabei handelt es sich mit Ausnahme der Stadt Eisenach um Landkreise.

Eisenach scheint sich zu einem Schwerpunkt der NPD zu entwickeln, denn dort erzielte die Partei bei den gleichzeitig stattgefundenen Kommunalwahl 7,4 % der Stimmen, womit sie ihr Ergebnis von 2004, das bei 5,0% lag, deutlich übertraf.



Kreise mit NPD-Anteilen von 5 % und mehr in der Europawahl 2014



Kreis
NPD-Anteil in %
Sächs.Schweiz-Osterzgebirge
5,7
Vorpommern-Greifswald
5,6
Eisenach (Stadt)
5,5
Kyffhäuserkreis
5,1
Quelle: www.bundeswahlleiter.de

    

Die NPD in Bremen, Dresden, Erfurt und München



Aufgrund der begrenzten Datensituation kann dieser Entwicklung in Eisenach nicht weiter nachgegangen werden, wo die NPD in einem Stimmbezirk bei der Kommunalwahl hinter der Linken mit 19,6 % der Stimmen zweitstärkste Partei geworden ist.

Wenigstens halbwegs ausreichende sozialräumliche Informationen liegen jedoch für die Landeshauptstädte Bremen, Dresden und München vor.



Bremen als ehemalige rechte Kleinstbasis im Westen


In Bremen und vor allem in Bremerhaven weisen die extrem rechten Parteien noch in jenen Jahren eine kleine Erfolgsgeschichte vor, als sie in anderen Teilen Westdeutschlands fast vergessen waren. So erreichte die DVU in Bremerhaven in den Wahlen von 1987, 1991, 1999, 2003 und 2007 mehr als 5 % der Stimmen und damit aufgrund des Bremer Wahlgesetzes eine Vertretung in der Bremer Bürgerschaft. 1991 gelang ihr sogar im gesamten Bundesland mit 6,1% der Sprung über die 5-Prozent-Hürde. (Hertel)

Das hat sich inzwischen geändert. Die DVU wurde Teil der NPD, die bei den Bürgerschaftswahlen 2011 sogar in Bremerhaven nur auf 2,3 % der Stimmen kam. Allerdings erreichte die NPD Mandate in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung in sowie den Beiräten von Blumenthal und Gröpelingen, da für diese Wahlen keine 5-Prozent-Hürde besteht. Das ist jedoch inzwischen ebenfalls Vergangenheit, denn bei der Europawahl 2014 kam die NPD nur auf 0,6 % im Land Bremen und 1,0 % in Bremerhaven.

Vor diesem Hintergrund einer Kleinpartei müssen die folgenden sozialräumlichen Auswertungen der Anteilswerte für die letzte Europawahl gesehen werden. Es handelt sich in der Regel um eine absolut geringe Stimmenzahl, sodass bereits wenige Stimmen mehr oder weniger zu deutlichen prozentualen Veränderungen führen.

Betrachtet man die Bremer Ortsteile, in denen die NPD mehr als ein Prozent der Stimmen, also den Durchschnittswert von Bremerhaven erzielt hat, ist eine räumliche Schwerpunktbildung im Bremer Norden mit Farge, Blumenthal, Lüssum-Bockhorn und Fähr-Löbbendorf sowie in den traditionellen Arbeiterquartieren Gröpelingen und Ohlenhof zu erkennen.

Obwohl bei der Europawahl anders als bei der Bürgerschaftswahl 2011 mit einem Mandat zu rechnen war, ist der Stimmenanteil in allen diesen Ortsteilen seit 2011 deutlich auf etwa die Hälfte gefallen.




Bremer Ortsteile mit hohen NPD-Anteilen in der Europawahl 2014


Ortsteil
Europa 2014
Bürgerschaft 2011
Beirat 2011
Farge
1,9
3,7
4,0
Oslebshausen
1,5
2,4
3,6
Gröpelingen
1,4
2,7
3,7
Neue Vahr Südost
1,4
2,6
2,7
Ohlenhof
1,2
3,6
4,8
Blumenthal
1,2
4,2
4,5
Lüssum-Bockhorn
1,2
4,0
4,4
Fähr-Löbbendorf
1,2
2,7
-
Steffensweg
1,2
2,5
3,2
Neue Vahr Nord
1,2
1,7
2,1
Quelle: Stat. Landesamt.



Ordnet man die Bremer Ortsteile wichtigen Sozialraumtypen zu, ergibt sich für die NPD-Anteile ein deutliches Verteilungsmuster. Dabei sind die Unterschiede wegen des niedrigen Gesamtanteils der Partei zwar absolut gering, relativ jedoch erheblich. So ist die NPD eine Partei der Bremer WiN-Gebiete, wie man an der Weser aufgrund eines Förderprogramms des Landes sozial benachteiligte Wohnquartiere bezeichnet. 

In diesem Raumtyp, der durch einen hohen Transferstatus gekennzeichnet ist, liegt der NPD-Anteil fast doppelt so hoch wie in Bremen insgesamt und fast beim Vierfachen des Anteils in den innenstadtnahe Altbaugebieten, in denen sich die Hochburgen der Grünen befinden.


Wähleranteile in ausgewählten Bremer Sozialräumen (1) 2014 (Angaben in %)

Partei
WiN-Gebiete
Single-Gebiete
Gebiete mit wenigen Ausländern
Gebiete mit hohem soziale Status
Gebiete mit vielen alten Menschen
SPD
43,1
25,2
34,3
26,6
34,4
CDU
18,5
10,9
31,3
26,8
27,5
Grüne
9,5
31,8
14,5
23,7
15,1
FDP
1,8
1,9
3,6
6,4
4,4
Linke
12,5
17,3
5
7,1
6,2
Piraten
2,2
3,5
1,1
1,6
1,3
AfD
6,5
3
6,8
4,7
7,5
NPD
1,1
0,3
0,5
0,1
0,4







Wahlbeteiligung
26
49,3
49,4
59,8
47,2
1) Zu den Sozialraumtypen siehe: www.blumenthal-zeitung.blogspot.de/2014/05/europawahl-bremen.html



Dresden: die Landeshauptstadt der NPD-Hochburg Sachsen



Anders als in Bremen haben in ganz Sachsen und auch in Dresden die Parteien am rechten Rand in den letzten Jahren überdurchschnittlich viele Wähler gewonnen. So ist die NPD seit 2004 im Landtag vertreten, als sie auf sensationelle 9,4 % der Stimmen kam. Der Anteilswert in Dresden betrug damals 5,3 %.

Von diesen Höchstmarken ist die NPD inzwischen weit entfernt. Das zeigen die Werte für die Wahlen am 25. Mai 2014, als sie in Dresden 2,3 % bei der Europa- und 2,8 % bei der Stadtratswahl erzielte. Trotz dieses Rückgangs sind allerdings die NPD-Anteile in einer Reihe von Wahlbezirken, wie die Tabelle zeigt, weiterhin zweistellig.


NPD-Hochburgen bei der Stadtratswahl 2014 in Dresden (Anteile in %)

Wahlbezirk Straßen
NPD
CDU
Linke
SPD
AfD
Grüne
Gorbitz-Süd Wilsdruffer Ring
11,6
18,6
29,6
12,9
12,5
5,6
Reik Lübbenauer Str.
11,5
24,3
20,9
13,5
11,9
6,2
Mickten Lommatzscher Str.
11,1
22,1
26,6
11,9
8,8
7,5
Gorbitz-Süd Wölfnitzer Ring-Ost
10,8
20,6
35,8
10,4
11,9
3,0
Leubnitz Karl-Laux-Str.
10,3
21,5
28,4
12,5
7,5
7,4
Neu-Omsewitz Ginsterst.
10,1
21,9
32,2
10,7
8,4
6,2
Durchschnitt

10,9
21,5
28,9
12
10,2
6,0
Dresden

2,8
27,6
20,9
12,8
7,0
15,7



Schwerpunkte in einem Plattenbauviertel wie Gorbitz lassen bereits eine Abhängigkeit von Indikatoren erwarten, die für einen niedrigen sozialen Status, ja, für Armut, stehen. Das trifft nach den ökologischen Korrelationen auch tatsächlich zu; denn die NPD-Anteile sind höher, wenn der Anteil der Arbeitslosen und der Hartz V-Bezieher in einem Quartier steigt. Mit anderen Worten sind also Gebiete mit einem hohen Transferstatus Hochburgen der NPD. Dabei muss man allerdings immer das niedrige Niveau berücksichtigen, denn „hoch“ bedeutet hier maximal gut 10 %, wie die Auflistung der Dresdener Wahlbezirke mit den höchsten NPD-Anteilen zeigt.



                                                 Gorbitz (Quelle: wikipedia)




Außerdem besteht auf der räumlichen Ebene ein Zusammenhang zwischen dem Anteil der 40-bis 65-jährigen und negativ mit dem Anteil der Einwohner, die einen Migrationshintergrund besitzen. In beiden Fällen entspricht das Verteilungsmuster der NPD dem der CDU. Offenbar haben beide Parteien in Dresden eine relativ starke Position in Wohngebieten, in die keine starke Zuwanderung von Migranten und auch jüngeren Einwohnern erfolgt.

 
Ökologische Korrelationen zwischen ausgewählten Sozialindikatoren und NPD-Anteilswerten bei der Stadtratswahl 2014


Sozialindikatoren
CDU
SPD
Linke
Grüne
NPD
Wahlbeteiligung





Unter 18
0,19
-0,30
-0,62
0,27
-0,02
18 - 40
-0,75
0,20
0,24
0,62
-0,29
40 - 65
0,71
-0,41
-0,40
-0,49
0,38
Migrationshintergrund
-0,56
0,41
0,40
0,30
-0,34
Wanderungssaldo
-0,26
0,04
0,25
0,16
-0,11
Einpersonenhaushalte
-0,75
0,35
0,68
0,35
-0,07
Haushalte mit Kindern
0,41
-0,36
-0,75
0,12
-0,05
Arbeitslose
-0,32
0,01
0,84
-0,28
0,65
Hartz IV-Bezieher
-0,38
0,04
0,87
-0,23
0,61
Wohnungen in Eigenheimen
0,66
-0,42
-0,70
-0,24
-0,02
Durch. Wohnungsgröße
0,49
-0,20
-0,81
0,02
-0,30
Quelle: Dresdener Wahlatlas.

Das ist aber auch weitgehend die einzige Gemeinsamkeit zwischen der Verteilungsstruktur der beiden Parteien, denn die Verteilung der NPD-Wähler ähnelt in Dresden auf dieser räumlichen Ebene erheblich stärker dem Muster der Linken, während ihr das der Grünen diametral gegenübersteht.


Interkorrelationen der Anteile der Parteien bei der Stadtratswahl 2014 in Dresden


Partei
CDU
SPD
Linke
Grüne
FDP
NPD
CDU
1
-0,39
-0,4
-0,68
0,4
0,22
SPD

1
0,11
0,21
-0,23
-0,33
Linke


1
-0,27
-0,52
0,48
Grüne



1
-0,23
-0,68
FDP




1
-0,07
NPD





1
Quelle: Dresdener Wahlatlas.


Die kleinere Plattenbaupartei: die NPD in der Landeshauptstadt Erfurt



In der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt haben die Wahlstatistiker eine Sonderauswertung der Ergebnisse für drei „Siedlungsstrukturtypen“ vorgenommen. Dabei unterscheiden sie zwischen städtischen, dörflichen und Plattenbausiedlungen.


Nach den Erfurter Daten entsprechen die Plattenbausiedlungen weitgehend den Ergebnissen in den sozial benachteiligten Gebieten anderer Städte in West- und Ostdeutschland. Die Erfurter Statistiker machen in ihrer Analyse vor allem auf die besondere Bedeutung der Plattenbauviertel für die Linke aufmerksam, die in diesen Neubaugebieten stärkste Partei ist und hier über zehn Prozentpunkte an Stimmen mehr erringt als in den beiden anderen Siedlungsstrukturtypen.

Daneben sollte jedoch auch die niedrige Wahlbeteiligung, wie sie für sozial benachteiligte Gebiete typisch ist, nicht übersehen werden, aber auch nicht die relativ ausgeprägten Unterschiede bei den NPD-Anteilen. Auch in Erfurt ist die NPD keine „städtische“ Partei, und das sogar noch weniger als die Linke, wenn man auf die relativen Zahlen schaut, denn der NPD-Anteil liegt in den Plattenbauten mehr als doppelt so hoch wie in den städtischen Quartieren Erfurts, wo die Grünen und die Piraten ihre Hochburgen besitzen.


Zweitstimmenanteile (in %) bei der Bundestagswahl 2013 in drei Siedlungsstrukturtypen Erfurts

Siedlungsstrukturtyp
WB
CDU
Linke
SPD
FDP
Grüne
Piraten
AfD
NPD
städtisch
71
33,3
21,5
18,2
2,7
10,4
3,4
6,2
1,7
Plattenbau
60,3
28,2
32,4
19,3
1,6
4,1
2,5
6,2
3,5
dörflich
76,7
42,1
19,9
15,2
2,9
5,6
2,2
7,2
2,6
Erfurt
69,4
34,2
23,6
17,7
2,5
7,8
2,9
6,4
2,3
Quelle: Erfurt 2013, S. 52 ff.



Die NPD in der ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ München


In der bayerische Landeshauptstadt München müssen die korrelativen Zusammenhängen vor einem deutlich anderen Hintergrund gesehen werden. Hier kam die NPD bei de Europawahl nur auf 0,3 % der Stimmen. Auch die Position der Linken ist mit einem Anteil von 4,0 % bei der Europawahl nicht mit den 19,2 % in Dresden vergleichbar, sodass hier die SPD eine ähnliche Funktion einnimmt wie die Linke in Dresden aus. Noch größer ist jedoch die Ähnlichkeit der räumlichen Stimmenverteilung mit der AfD. 


Hingegen weicht das Verteilungsmuster der NPD auch hier deutlich von dem der Grünen und der FDP ab.



Interkorrelationen der Anteile "NPD" mit ausgewählten anderen Parteien bei der Europawahl 2014





WB
CSU
SPD
Grüne
Linke
AfD
Piraten
FDP
Stadtbezirke
-0,86
0,26
0,51
-0,49
0,05
0,65
-0,04
-0,74



Erklärungen für diese Ähnlichkeiten lassen sich aus den ökologischen Korrelationen ableiten. Danach besteht ein besonders enger Zusammenhang zwischen den NPD-Anteilen und wichtigen Indikatoren für den Transferstatus, also den Anteil von Arbeitslosen, Hartz IV-Empfängern und Einwohnern mit einem Migrationshintergrund bzw. einem hohen Anteil an Nicht-EU-Ausländern. Dabei fällt die negative Korrelation mit der Wahlbeteiligung (r = -0,86) besonders ins Gewicht. Die NPD-Anteile steigen also mit sinkender Stimmabgabe. Diese Kombinationen von Indikatorenwerten gehen für die SPD und die AfD in dieselbe Richtung, sind jedoch erheblich geringer ausgeprägt.

Die Linke in München besitzt hingegen anders als in Dresden, wo die Herkunft aus der ehemaligen Staatspartei nachwirkt, teilweise eine ähnliche Verteilung wie die Grünen, indem hohe Korrelationen mit dem Anteil von Ledigen und von Angehörigen der Altersgruppen der 25- bis 44-jährigen bestehen. Das gilt jedoch nicht für Indikatoren für Indikatoren, die den Transferstatus repräsentieren.

Ökologische Korrelationen zwischen ausgewählten Sozialindikatoren und den Anteilswerten der Parteien bei der Europawahl 2014


Sozialindikator
SPD
Linke
Grüne
FDP
AfD
NPD
Einwohner






Deutsche
-0,53
-0,57
-0,09
0,39
-0,11
-0,58
EU-Ausländer
0,30
0,76
0,52
-0,03
-0,34
0,19
Nicht-EU-Ausländer
0,59
0,28
-0,29
-0,59
0,46
0,77
Migrationshintergrund
0,58
0,34
-0,20
-0,51
0,40
0,74
Ledige
0,01
0,64
0,86
0,51
-0,84
-0,52
Verheiratete
-0,06
-0,68
-0,84
-0,47
0,81
0,49
Wahlberechtigte






Deutsche
-0,38
-0,71
-0,39
0,16
0,20
-0,35
EU-Ausländer
0,38
0,71
0,39
-0,16
-0,20
0,35
18 - 24
0,52
0,07
-0,18
-0,08
0,18
0,26
25 - 34
0,13
0,73
0,82
0,33
-0,79
-0,37
35 - 44
-0,41
0,50
0,84
0,41
-0,78
-0,51
45 - 59
-0,36
-0,55
-0,56
-0,33
0,57
0,27
60 und mehr
0,07
-0,70
-0,87
-0,33
0,80
0,39
Ledigenanteil
0,08
0,66
0,79
0,48
-0,75
-0,47
Haushalte mit Kindern
-0,14
-0,57
-0,68
-0,44
0,67
0,44
Durchschnittl. Wohndauer
0,05
-0,59
0,80
-0,56
0,76
0,50
SV-Beschäftigtendichte
0,14
0,34
0,06
-0,64
0,08
0,31
Arbeitslosendichte
0,43
0,33
-0,25
-0,83
0,47
0,82
SGB II-Dichte
0,41
0,15
-0,42
-0,84
0,61
0,82

Quelle: www.mstatistik-muenchen.de/wahlatlas_eu2014/html5/atlas.html?geog=1&indicator=i1&date=CSU&geog2=1&indicator2=i1&date2=SPD

  

Die Bürgerinitiativen Ausländerstopp (BIA) in München und Nürnberg


Den rechten Rand des politischen Spektrums in Deutschland bildet nicht allein die NPD, sondern auch eine Reihe weiterer Wählergruppen, die allerdings keine nationale Infrastruktur besitzen. Das gilt auch für die Bürgerbewegung pro NRW, die neben der NPD bei der Europawahl 2014 angetreten ist. Sie erhielt insgesamt 0,2 % oder gut 50.000 Stimmen, von denen 80% auf Nordrhein-Westfalen entfielen. Zu diesen kommunalen Gruppen gehören auch die Bürgerinitiativen Ausländerstopp, die bereits Anfang der 1980-er Jahren aktiv wurden und inzwischen vor allem in Bayern zu Bürgermeister- und Stadtratswahlen antreten.


Die Situation in der ehemaligen Stadt der Reichsparteitage Nürnberg




In der fränkischen Metropole Nürnberg, die als Stadt der Reichsparteitage und der Nürnberger Prozesse in ganz besonderer Weise mit der NS-Vergangenheit verbunden ist, wurde 2001 eine Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) gegründet, die bei der Stadtratswahl im März 2002 2,3 % de Stimmen erreichte. 2008 erreichte sie dann 3,3 %, bevor sie Anfang 2014 leicht auf 3,1 % verloren hat. Allerdings behielt sie weiterhin zwei Mandate im Stadtrat, nachdem sie 2004 mit einem Sitz begonnen hatte.

Sehr informativ ist eine Nürnberger Wahlnachfrage, die Aufschluss über die Alters- und Geschlechtsstruktur der Wähler gibt. Danach findet man in der jüngsten Altersklasse, den 18-bis 25-jähigen, sowohl den höchsten als auch den niedrigsten Anteilswert für die BIA. Das Geschlecht macht hier den Unterschied, denn 7,8 % der Wähler und 1,1% der Wählerinnen haben ihre Stimme der BIA bei der Stadtratswahl 2014 gegeben. (Kommunalwahl 2014, S. 7)

Da die Nürnberger Stadtforscher und Wahlstatistiker eine Auswertung für fünf Sozialraumtpen vornehmen, kann hier auf diese Daten zurückgegriffen werden. Danach ist die BIA vor allem in dem Typ III stark, während sie in dem Typ I nur gut die Hälfte dieses Anteilswertes erzielt. Damit bestehen von der Größenordnung her Unterschiede etwa gegenüber den NPD-Anteilen in Bremen. Zwar sind in beiden Städten die Anteile in den durch eine Alternativkultur geprägten Vierteln besonders niedrig, aber die Hochburgen der Rechten liegen in Nürnberg nicht so stark in den sozial benachteiligten Gebieten, die in etwa dem Typ II entsprechen.

Der Typ III ist hingegen weitgehend mit den für Bremen ausgewiesenen Gebieten, in denen viele ältere Menschen und wenige Ausländer leben, gleichzusetzen. In Nürnberg werden sie als Ein-und Zweifamilienhausgebiete mit älteren Kleinhaushalten bezeichnet.


Die Ergebnisse der Stadtratswahl 2014 in den Nürnberger Sozialräumen (Wähleranteile in %)


Partei
Typ I
Typ II
Ty III
Typ IV
Typ V
Wahlbeteiligung
44,4
30,1
41,5
55,6
44,8
CSU
21,2
21,2
26,6
33,4
30,2
SPD
44,7
46,1
47,4
44,8
45,3
Freie Wähler
2,4
2,1
2,6
2,7
2,8
Grüne
13,6
10,2
8,0
7,9
8,5
Linke Liste
5,6
8,5
4,9
2,4
3,3
FDP
2,5
1,4
1,4
1,8
1,6






BfA
2,1
3,3
3,8
2,6
3,4
Quelle: Nürnberg, Kommunalwahl 2014, S. 8.

Konkreter greifbar werden diese Durchschnittsdaten durch einen Blick auf die Verteilung der Stimmenanteile im gesamten Stadtgebiet und auf die Stadtbezirke, in denen die BIA ihre höchsten Ergebnisse erzielt hat.



                        Quelle: Nürnberg, Stadtratswahl 2014, S. 16.



Vergleicht man die Wahlergebnisse mit denen der Gesamtstadt, fällt die erheblich geringere Wahlbeteiligung auf, was in Deutschland vor allem für sozial benachteiligte Gebiete gilt. Diese Zuordnung wird durch den sehr niedrigen Anteilswerte der Grünen und die leicht überdurchschnittlichen Werte für die SPD und die Linke bestätigt.


Die fünf Stat. Bezirke mit den höchsten BIA-Anteilen bei der Stadtratswahl 2014



Stat. Bezirke
Nr.
BIA
WB

CSU

SPD

Grüne

Linke

FDP

Piraten

Sündersbühl 21
8,4
27,8

25,5

46,1

4,9

6,8

1,4

2,3

Dianastraße 43
7,3
20,8
29,1
47,0
2,2
7,7
0,6
2,1
Werderau 46
7,3
41,5
25,0
54,1
4,2
3,0
0,5
1,0
St. Leonhard 20
5,7

30,5

26,3

45,3

6,7

6,9

1,7

2,0

Langwasser Nordwest 32
5,7
42,0
32,1
47,6
3,9
3,3
0,6
1,3
Durchschnitt -
6,9
32,5
27,6
48,0
4,4
5,5
1,0
1,7
Nürnberg -
3,1
44,3
29,4
44,1
9,0
4,1
2,0
1,7

Quelle: Nürnberg, Kommunalwahl 2014, S. 21ff.


Eine weitere Absicherung erfährt diese Einschätzung durch die Wahlergebnisse in vier Stadtbezirken, die für wichtige Sozialräume typisch sind. Auch hier erringt die BIA ihr höchstes Ergebnis in dem Quartier, das Gebiete mit einem hohen Transferstatus repräsentiert, d.h. in Langwasser-Nordwest. Schwächer ist sie in einem klassischen Arbeiterquartier wie der Rangierbahnhof-Siedlung und vor allem einem alternativen Stadtviertel wie Gostenhof und einem bürgerlichen Vorort wie Erlenstegen.


Stimmenanteile in % in exemplarischen Bezirken bei der Nürnberger Stadtratswahl 2014



Stat. Bezirke Nr.
BIA
WB

CSU

SPD

Grüne

Linke

FDP

Piraten

Sündersbühl 21
8,4
27,8

25,5

46,1

4,9

6,8

1,4

2,3

Dianastraße 43
7,3
20,8
29,1
47,0
2,2
7,7
0,6
2,1
Werderau 46
7,3
41,5
25,0
54,1
4,2
3,0
0,5
1,0
St. Leonhard 20
5,7

30,5

26,3

45,3

6,7

6,9

1,7

2,0

Langwasser Nordwest 32
5,7
42,0
32,1
47,6
3,9
3,3
0,6
1,3
Durchschnitt -
6,9
32,5
27,6
48,0
4,4
5,5
1,0
1,7
Nürnberg -
3,1
44,3
29,4
44,1
9,0
4,1
2,0
1,7

Quelle: Nürnberg, Kommunalwahl 2014, S. 21ff.
  









Die extreme Rechte im Münchener Stadtrat


In der Landeshauptstadt wurde eine namensgleiche Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) im September 2007 gegründet, die erstmals am 2. März 2008 an der Stadtratswahlen teilgenommen hat. Dabei erreichte sie einen Stimmenanteil von 1,4 %. Diesen Anteil konnte sie 2014 nicht halten, behielt aber mit 0,7 % der Stimmen ihren Sitz im Stadtrat.

Auch in München erreichte die BIA ihr bestes Wahlergebnis mit 1,2 % in dem Stadtbezirk mit der niedrigsten Wahlbeteiligung, die in Feldmoching - Hasenbergl 36,0 % bei der Kommunalwahl betrug, in der auch der Münchener Bürgermeister neu gewählt wurde. Diese administrative Einheit ganz im Norden gilt als Münchener Stadtteil mit den größten Unterschieden: Landhausstil mit Tradition in Feldmoching und triste Trabantensiedlungen im Hasenbergl.






                                                 Quelle: Wahlatlas der Stadt München





Interkorrelationen der BIA-Anteile mit ausgewählten anderen Parteien bei der Stadtratswahl 2014







WB
CSU
SPD
Grüne
Linke
AfD
Piraten
FDP
Stadtbezirke
-0,50
0,48
0,63
-0,80
-0,29
0,73
-0,10
-0,70



Diese korrelativen Ähnlichkeiten lassen sich anhand der ökologischen Korrelationen mit ausgewählten Sozialindikatoren näher analysieren. Danach führen die hohen Werte für Indikatoren des Transferstatus, also hohe Anteile an Arbeitslosen, Hartz IV-Beziehern und Migranten bzw. Nicht-EU-Ausländern, zu dem Korrelationskoeffizienten von r = 0,63 für die Anteile von NPD und SPD.

Das gilt auch teilweise für die AfD. Hier wirkt sich jedoch, ähnlich wie bei der CSU, vor allem eine Übereinstimmung im Bereich des familialen Status aus. In Quartieren, in denen relativ viele Einwohner in eher traditionellen Familienverhältnissen, also als Verheiratete, in Haushalten mit Kindern und einschließlich vieler älterer Menschen über 45 Jahre nicht nur kurze Zeit leben, erzielen diese Parteien relativ zahlreiche Stimmen, wobei sich relativ auf die Anteilswerte der jeweiligen Partei bezieht, die sich hingegen in der absoluten Höhe so deutlich unterscheiden wie Riesen und Zwerge.

Daneben ermöglichen die Münchener Daten einen zweiten Vergleich, und zwar den zwischen den BIA-Anteilen bei der Stadtratswahl 2014 und dem der NPD in der kurze Zeit später erfolgten Europawahl.

Obwohl dabei zwei Gruppierungen mit unterschiedlichen Namen für zwei ganz verschiedene Aufgaben angetreten sind, differieren die ökologischen Korrelationen nur unwesentlich. Die Richtungen sind in jedem Einzelfall identisch und die Höhe der Koeffizienten weist nur geringe Abweichungen auf. Die Interpretation der Ergebnisse kann und muss daher identisch ausfallen.


Ökologische Korrelationen zwischen verschiedenen Sozialindikatoren und den Anteilen ausgewählter Parteien bei der Stadtratswahl 2014 sowie der NPD bei der Europawahl 2014

Sozialindikator
SPD
CSU
AfD
BIA
NPD (Europawahl)
Einwohner





Deutsche
-0,69
0,42
-0,15
-0,45
-0,58
EU-Ausländer
0,40
-0,74
-0,30
-0,06
0,19
Nicht-EU-Ausländer
0,76
-0,06
0,48
0,75
0,77
Migrationshintergrund
0,77
-0,16
0,41
0,66
0,74
Ledige
-0,12
-0,86
-0,68
-0,68
-0,52
Verheiratete
0,04
0,88
0,63
0,62
0,49
Wahlberechtigte





18 - 24
0,40
-0,08
0,19
0,34
0,26
25 - 34
0,05
-0,88
-0,63
-0,54
-0,37
35 - 44
-0,42
-0,63
-0,77
-0,78
-0,51
45 - 59
-0,16
0,70
0,39
0,35
0,27
60 und mehr
0,10
0,84
0,73
0,61
0,39
Einpersonenhaushalte
-0,00
-0,84
-0,54
-0,58
-0,47
Haushalte mit Kindern
-0,01
0,73
0,46
0,50
0,44
Durchschnittl. Wohndauer
0,15
0,82
0,61
0,67
0,50
SV-Beschäftigtendichte
0,42
-0,13
0,14
0,34
0,31
Arbeitslosendichte
0,73
-0,03
0,41
0,73
0,82
SGB II-Dichte
0,72
0,15
0,56
0,83
0,82
Quelle: Münchener Wahlatlanten.

Die Bürgerbewegungen pro Köln und pro NRW





Auch wenn die Wahlberechtigten diesmal in ganz Deutschland bei der Europawahl der Bürgerbewegung pro NRW eine Stimme geben konnten, handelt es sich um Wählergruppen, die vor allem in nordrhein-westfälischen Städten und Kreisen kandidieren. So ist auch die Programmatik lokal, wenn man gegen den Bau von Moscheen oder die Vermüllung einzelner Viertel protestiert.

Ausgangspunkt dieser Gruppierungen ist pro Köln, denn in der Domstadt erfolgte die Gründung bereits in Juni 1996. Als regionale Erweiterungen dieser ersten pro-Bewegung wurden 2005 die Bürgerbewegung pro Deutschland und 2007 die Bürgerbewegung pro NRW gegründet. Damit konnte pro NRW erstmals in mehreren Städten zur Kommunalwahl 2009 antreten.


Die Wählerentwicklung ist in der folgenden Tabelle dargestellt. Dabei ist es pro NRW in einigen Städten – so in den kreisfreien Großstädten Duisburg, Essen, Hagen, Remscheid und Wuppertal - aus dem Stand gelungen, zwei und mehr Sitze im Stadtrat zu gewinnen. Dem stehen allerdings auch Verluste im Vergleich zu 2009 gegenüber. Das trifft vor allem auf Köln zu, wo der Anteil von pro Köln sich seit 2009 mehr als halbiert hat, nachdem es 2009 noch einen kleinen Zuwachs gegenüber dem ersten Kölner Ergebnis von 4,7 % gegeben 
hatte.

Stimmenanteile (in %) und Sitze von pro-Gruppen bei der Kommunalwahlen in NRW 2014

Stadt/ Kreis
Anteil 2014
Anteil 2009
Sitze
Aachen
1,1
-
1(0)
Bergheim
6,0
-
3(0)
Bochum
1,3
-
1(0)
Bonn
1,6
1,6
1(1)
Duisburg
4,2
-
4(0)
Essen
1,7
-
2(0)
Gelsenkirchen
4,0
4,3
3(3)
Hagen
2,0
-
1(0)
Köln
2,6
5,4
2(5)
Leverkusen
4,4
4
2(2)
Mönchengladbach
1,9
-
1(0)
Oberbergischer Kreis
1,5
1,8
1(1)
Pulheim
2,8
-
2(0)
Radevormwald (Oberbeg. Kreis)
4,0
5,1
2(2)
Remscheid
4,4
-
2(0)
Rhein-Erft-Kreis
3,1
2,6
2(2)
Solingen
2,6
-
1(0)
Witten
2,8
-
2 (0)
Wuppertal
2,5
-
2(0)
Anmerkung: Die Wählergruppe Pro Hamm gehört trotz ihres Namens nicht zur rechten pro-Bewegung, sondern ist eher eine Migrantenwählergemeinschaft.
Quelle: NRW 2014, S. 12 ff.
Insgesamt gesehen ist allerdings die Zahl der Mandate in den Vertretungen der kreisfreien Städte und kreisangehörigen Gemeinden von 18 im Jahr 2009 auf 28 Sitze gestiegen. (NRW 2014, S. 184) Ohne die kreisangehörigen Gemeinden beträgt der Anstieg 8 Sitze, und zwar von 12 (2009) auf 20 (2014) (Ebenda, S. 122)




Dom statt Moschee: pro Köln

Lange Zeit galt pro Köln als Vorbild und Aushängeschild der pro-Bewegung, da diese Wählergruppe in der Domstadt vor allem durch ihre Kampagnen gegen den Bau einer Zentralmoschee ihre Wähleranteile steigern konnte, obwohl ein breites Bündnis gegen die rechte Wählergruppe Front machte. Trotzdem konnte sie ihr erstes Kölner Ergebnis von 4,7% im Jahr 2014 auf 5,4 % steigern und damit 5 Ratssitze erobern.



                       Zentralmoschee (Quelle: wikipedia)

Die Schwerpunktgebiete liegen überwiegend in den Stadtbezirken Mülheim, Chorweiler, Kalk und Porz. In den eher bürgerlichen bzw. alternativen Stadtbezirken Lindenthal und Innenstadt konnte pro Köln hingegen in keinen Stimmbezirk auch nur annähernd 5 % der Stimmen gewinnen.




            Stimmenanteile von pro Köln bei der Kommunalwahl 2014 (Quelle: Köln, S. 78)




Hochburgen von pro Köln bei der Stadtratswahl 2014 
(Anteilswerte in %) 



Wahlbezirk
pro Köln
WB
SPD
CDU
Grüne
Linke
AfD
Gremberghoven
10,0
30,8
44,3
18,9
3,9
9,2
5,3
Chorweiler
7,1
23,8
31,5
26,2
6,0
15,5
3,7
Buchforst
7,0
34,1
37,5
18,5
12,5
10,3
4,1
Seeberg
6,9
34,9
32,0
31,5
7,7
8,4
3,6
Godorf
6,8
38,3
33,2
31,8
10,5
6,3
5,9
Durchschnitt
7,6
32,4
35,7
25,4
8,1
9,9
4,5
Köln
2,6
49,7
29,4
27,2
19,5
6,9
3,6
Quelle: Köln S. 45 ff.9



Bei den Hochburgen handelt es sich im Fall Gremberghoven um eine Eisenbahnersiedlung, die nach dem Ersten Weltkrieg entstanden ist und deren mehrgeschossigen Wohnblocks und Reihenhäuser heute vorwiegend als einfache Wohnlage gelten.


                                           Gremberghoven (Quelle: wikipeida)



Chorweiler ist hingegen eine Trabantenstadt mit verdichteter Hochhausbebauung, wie man sie auch in Bremen, Dresden oder München findet, wo extrem rechte Parteien ebenfalls überdurchschnittlich hohe Werte erzielen.






                                    Panoramansicht von Chorweiler (Quelle: wikipedia)


Die Hochburgen von pro Köln unterschieden sich sozialstrukturell recht deutlich von denen der anderen Parteien. So leben hier, wenn man auf den klassischen sozialen Status sieht, relativ mehr Arbeiter als in den Hochburgen der ehemaligen Arbeiterpartei SPD. Und auch das Monatseinkommen, das für Köln als weiterer Indikator zur Verfügung seht, in den Hochburgen NPD und der Linken fällt deutlich gegenüber dem der anderen Parteien ab. Dasselbe gilt für den Anteil der Fach- und Hochschulabsolventen, wo die Hochburgen von pro Köln sogar allein auf dem untersten Rang liegen. Es kann daher nicht überraschen, dass in den pro Köln-Hochburgen 36% der Haushalte und daher ebenfalls mehr als in den Hochburgen der anderen Parteien unter der Armutsgrenze leben.

Dieser niedrige soziale Staus ist mit einem hohen Transferstatus verbunden, denn auch der Anteil der Hartz IV-Bezieher liegt in den Hochburgen von pro Köln noch über dem in den Hochburgen de Linken, für die der Kampf gegen die Agendapolitik noch immer ein wichtiges Thema ist. Dabei handelt es sich zudem um Quartiere mit einem hohen Ausländerstatus und einer eher traditionellen Haushalts- und Familienstruktur. 

Auch in Köln stellen daher beim sozialen Status die FDP und beim familialen Status die Grünen Gegenpole zu pro Köln dar.


Bevölkerung und Sozialstruktur in den Schwerpunktgebieten der Parteien (S. 30)
  

Strukturmerkmal
SPD
CDU
Grüne
FDP
Linke
AfD
pro Köln
Köln
Anteil der Wahlberechtigten
86,5

94,8

94,2

96,9

78,6

85,4

77,2

90,2
Migranten
41,6

26,9

27,2

23,2

54,8

31,7

58,7

34,9
65 und mehr
18,8

22,2

12,8

21,1

13,6

20

16,3

17,8

Einpersonenhaushalte
43,2
41,8

63,1

46,4

52,2

39,1

38,9

50,1

Einpersonenhaushalte unter 40
14,4

13,1

34,3

15,6

25,2

10,6

12,8
21,2

Familienhaushalte
22,1

22,8

13

19,4

19,6

22,3

26,1

18,4

(Fach-)Hochschul-absolventen
18,9

26,5

41,7

42

25,3

15,4

13,7

26,4

(Fach-)Arbeiter
15,6

9,8

4,3

3,7

16,2

16,2

21,3
10,8

SGB II-Bezieher
15,3

6,5

4,3

3,7

21,9

10,7

23,5
10,7

Monatseinkommen (netto)
2300 €

3100 €

2500 €

3800 €

1900 €

2800 €

2000 €
2500 €

Haushalte unter Armutsgrenze
21,5

12,9

19,9

10,3

35,5

14,4

36,0
20,8
Quelle: Köln, S. 30.

Für die Kommunalwahl 2014 haben die Kölner Wahlstatistiker eine Wanderungsbilanz für pro Köln ermittelt. Aus ihr geht hervor, dass viele Wähler von 2009 diesmal nicht zur Wahl gegangen sind. Im statistischen Amt zieht man draus den Schluss, dass das „Parteienspektrum .. den ehemaligen PRO KÖLN-Wählern offenbar keine geeignete Alternative zu bieten“ scheint. (Köln, S. 18)

Die ehemaligen Wähler haben sich also nicht für eine andere Partei und damit ein anderes Programm entschieden, sondern verweigern nur pro Köln ihre Stimme. Für diese Haltung dürfte die besondere Situation dieser Wählergruppe in der Domstadt verantwortlich sein.




Wanderungsbilanz bei der Kommunalwahl 2014 nach dem Logit-Modell (Quelle: Köln, S. 18)


Das legen auch die stabilen Ergebnisse in anderen Städten nahe. Auslöser dieser Wählerreaktion dürfte der Vorwurf “banden- und gewerbsmäßiger Betruges“ gegen die Führung von pro Köln sein, der fast gleichzeitig mit der Wahl vor Gericht verhandelt wurde. Dabei beschuldigt die Staatsanwaltschaft die pro Köln-Mitglieder im Stadtrat sowie sachkundige Bürger, die von dieser Gruppe vorgeschlagen wurden, Sitzungsgelder unrechtmäßig abgerechnet zu haben. Da ein Angeklagter unentschuldigt fehlte, wurde er sogar festgenommen. Das blieb offenbar nicht ohne Wirkung auf die Wähler.




                                  Video "Was steckt hinter Pro NRW?" (Quelle: wikipedia)


Das Beispiel Duisburg


Insgesamt hat die pro-Bewegung jedoch bei der Kommunalwahl 2014 eine Reihe von Erfolgen erzielt, so in Duisburg, wo pro NRW erstmals zu einer Wahl angetreten ist und auf Anhieb mit vier Vertretern in den Stadtrat einziehen konnte.
Die Hochburgen in der von sozialen Problemen besonders belasteten Ruhrgebietsstadt Duisburg weisen deutlichen Ähnlichkeiten mit den Hochburgen von pro Köln auf. Hohe Anteile der pro-Bewegung sind also mit einer besonderen sozailräumlichen Situation von Wohngebieten verbunden. Besonders auffallend ist dabei die niedrige Wahlbeteiligung, die ca. zehn Prozentpunkte unter dem Duisburger Durchschnitt liegt. Relativ groß ist daneben der Unterschied bei den Stimmenanteil der Grünen, die in den pro NRW-Hochburgen sehr schwach sind. Unterdurchschnittlich sind zudem die Werte für die CDU, geringfügig höher hingegen die für die SPD und die Linke.

Auch in Duisburg konnte pro NRW ähnlich wie pro Köln in der Domstadt also vor allem in sozial benachteiligten Wohngebieten rasch relativ hohe Stimmenanteile gewinnen.




Die Hochburgen von pro NRW in Duisburg bei der Stadtratswahl 2014 (Anteile in %)

Wahlbezirk
WB
pro NRW
SPD
CDU
Grüne
Linke
AfD
Neumühl
29,9
9,4
44,9
20,0
3,0
6,7
-
Beek/ Bruckhausen
29,8
8,0
40,1
21,3
2,6
7,4
-
Obemeiderich
31,5
7,1
44,2
21,7
4,7
7,0
-
Untermeiderich
30,1
8,2
46,4
18,6
4,0
7,4
-
Ruhrort
40,7
6,5
36,5
25,7
9,1
7,7
-
Durchschnitt
32,4
7,8
42,4
21,5
4,7
7,2
0
Duisburg
40,5
4,3
41,0
24,8
7,4
6,6
3,5
Quelle: Duisburger Wahlstatistik.


Die Rechte in Dortmund


Seit ihrer Gründung im Mai 2012 besteht mit der "Rechten" eine weitere Partei am rechten Rand, die in programmatischer Hinsicht eine Neuauflage der DVU (Heitmeyer u.a.) darstellt, sich jedoch selbstbewusst in Anlehnung an "Die Linke" den Namen "Die Rechte" gegeben hat.

Auch wenn die Stadt Dortmund keine sozialräumlich verwertbaren Daten veröffentlicht, lässt sich bei der "Rechten" eine starke Konzentration auf den Stadtbezirk Mengede feststellen.



                                          Quelle: Wahlstatistik der Stadt Dortmund.


Dabei scheinen neben sozialen Gründen – so sind zwei Stadtteil Mengedes Aktionsräume im Rahmen des Dortmunder Aktionsplans Soziale Stadt – auch historische Faktoren eine Rolle zu spielen. So konnte hier die DVU, die im Mai 2012 mit der NPD fusionierte, zwischen 1999 und 2012 jeweils einen Sitz in der Bezirksvertretung gewinnen, der 2012 an die NPD ging.

Man kann jedoch noch weiter in die Vergangenheit zurückgreifen, denn Mengede entsprach bereits in den 1920-er Jahren nicht dem Klischee vom roten Ruhrpott. So hat sich hier aus der Freien Arbeiter-Union Mengede (FAUD Mengede), einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft, bereits im Juni 1922 ein Ortsverband der NSDAP abgespalten.


Die Hochburgen der "Rechten" bei der Stadtratswahl 2014 in Dortmund (Anteile in %)


Stadtbezirk

Stimmbezirk

Rechte
SPD
CDU
Grüne
Linke
NPD
Mengede 39104
9,9
45,7
16,1
6,7
9,4
3,6
Mengede 40105
7,4
47
15,3
6,8
9,3
3,1
Mengede 39105
7,3
44.8
21
10,5
4,8
2,5
Innenstadt-West 10101
6,9
31,6
17,9
18,5
13,5
1,5
Mengede 39107
6,6
40,7
17,8
13,0
10,2
3,0
Durchschnitt

7,6
33,0
17,6
11,1
9,4
2,7
Mengede KWB 39
3,7
42,4
26,1
10,4
6,3
1,9
Dortmund

1,0
38,2
27,2
15,4
6,8
0,9
Quelle: Dortmunder Wahlstatistik.




Sozialplanung oder Sozialpädagogik


Aufgrund der Vergangenheit gehört es in Deutschland zum politisch korrekten Verhalten, mit einem großen Einsatz von intellektuellen, personellen und finanziellen Ressourcen eine Reduktion der Wähler rechter Parteien anzustreben.

Um dieses Ziel zu erreichen, setzen Medien, Politiker und Wissenschaftler eine Reihe von Maßnahmen, die sich vor allem gegen das Führungspersonal der rechten Parteien richten. So werden die Vertreter der Rechten in den Parlamenten mit Missachtung bestraft, ihre Anträge in den Medien verschwiegen, Aktionsbündnisse gegen Rechts gebildet, die „rechte“ Konzerte, Aktionen und Aufmärsche verhindern, und Teile der NS-Ideologie in den Reden der heutigen Vertreter von Parteien am rechten Rand suchen und darüber eine kritische Öffentlichkeit informieren. Auf diese Weise will man das „antisemitische, rassistische und menschenverachtende Weltbild dieser Partei vor Ort entlarven“ (Schickert, S. 226) und eine „Hemmschwelle“ (Ebenda, S. 235) gegenüber einer Wahl der Parteien vom rechten Rand aufbauen.

Eine Reihe von Kommunen wie Hannover, Köln und München haben so Stellen geschaffen, die mit lokalen Initiativen gegen Rechts zusammenarbeiten. 



Informationsbroschüre der Münchener Fachstelle gegen Rechtsextremismus



Das „Mähen“ des „Nährbodens“



Für die Zielsetzung dieser Maßnahmen hat der stellvertretende Präsident des deutschen Städtetages, der Heilbronner Oberbürgermeister, ein Bild aus der Botanik gewählt. Auf diese Weise wollen danach die Kommunen „den Rechtsradikalen den Nährboden entziehen“.

Wenn man bei der Metapher bleibt, muss man allerdings fragen, ob wirklich der Nährboden entzogen wird oder nicht nur der Rasen oder gar das „Unkraut“ gemäht wird. Sachlich ausgedrückt geht es hier um die Motive und Ursachen, die zur Wahl rechtsextremer Parteien führen.

Dazu gibt es unterschiedliche wissenschaftliche Zugänge. Historiker suchen nach Bezügen zur NS-Vergangenheit, Pädagogen nach Schwachstellen im Schulbetrieb und Psychologen und Soziologen nach der Entstehung menschenfeindlicher Einstellungen. Das sind zweifellos spannende Problemzugänge, die allerdings sehr theoretisch und abstrakt bleiben, da sie das konkrete Wahlverhalten vor Ort kaum einbeziehen.

Daher kommt eine sozialräumliche Wahlanalyse vermutlich auch zu einigen abweichenden Aussagen. Betrachtet man die unterschiedlichen Sozialräume als „Nährboden“ eines spezifischen Wahlverhaltens, führen im konkreten Fall sozial benachteiligter Gebiete in einigen Städten zu relativ vielen Wählern rechtsextremer Parteien. In den betroffenen Hochhaussiedlungen aus den 1960-er und 1970-er Jahren oder in alten Arbeiterquartieren ist nicht nur eine sehr hohe Wahlenthaltung zu finden, wie sie in der letzten Zeit intensiv thematisiert wurde, sondern auch auf einem erheblich niedrigeren Niveau eine Stimmabgabe für Parteien vom rechten Rand.

Eine Stadtteilentwicklungspolitik, die räumliche Disparitäten innerhalb einer Stadt abbaut, kann daher nicht nur zu einer höheren Wahlbeteiligung, sondern auch zu geringeren Wähleranteilen rechter Parteien führen. Wie das Beispiel Köln zeigt, lassen sich durch viele andere Maßnahmen zwar die Stimmenanteile rechter Parteien zumindest kurzfristig senken, aber nur zulasten der Wahlbeteiligung.

Auf diese Weise erhalten die Viertel also keine neuen Impulse für eine besser Entwicklung, sondern eher eine Verstärkung der wahrgenommenen Perspektivlosigkeit, wenn sich die Gegendemonstranten vorwiegend aus anderen Quartieren mit einer völlig anderen Sozialstruktur rekrutieren.

Benachteiligte Stadtteile brauchen daher nicht nur Bündnisse gegen Rechts. Vielmehr sind Bündnisse für eine bessere Quartiersentwicklung erforderlich, die konkrete Bildungs- und Städtebaumaßnahmen durchsetzen.



Quellen

Heitmeyer, Wilhelm, Borstel, Dierk, Grau, Andreas, Legge, Sandra, Luzar, Claudia und Marth, Julia, Analysen und Handlungsvorschläge zum Rechtsextremismus in Dortmund, Bielefeld 2009.

Hertel, Gerhard, Die DVU - Gefahr von Rechtsaußen, München 1998 (aktuelle analysen 12 der Hanns-Seidel-Stiftung e.V.)

Landeshauptstadt Erfurt (Hg.), Bundestagswahl am 22. September 2013 in der Landeshauptstadt Erfurt , Erfurt 2013 (Kommunalstatistisches Heft 84)

Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Kommunalwahlen 2014. Vorläufige Ergebnisse der Wahlen am 25. Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2014 (Heft 2.1)

Müller, Timo, Neonazis mischen weiter in Bayerns Kommunalpolitik mit!, in: Die Zeit vom vom 18.3.2014.

Schickert, Petra, Rechtsextreme Fraktionen in Kommunalparlamenten, in: Molthagen, Dietmar und Korgel, Lorenz (Hg.), Handbuch für die kommunale Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, Berlin 2009, S. 225 – 235

Stadt Köln. Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Wahlen in Köln – 
Analyse der Kommunalwahl am 25. Mai 2014, Köln 2014 (Kölner Statistische Nachrichten – 2/2014)

Stadt NürnbergAmt für Stadtforschung und Statistik für Nürnberg und Fürth,
Europawahl 2014. Nürnberg 2014 (W 196)

Steiner, Felix M., Die Rechte. Kaum Erfolgschancen für neue Neonazi-Partei, in: Die Zeit vom 14.8.2012.