Mittwoch, 16. Januar 2013

Wirtschaft

Arbeitsplätze zum jeden Preis?


Städte brauchen Bürger, die Einkommen beziehen. Soll es sich dabei nicht um Transferzahlungen oder Vermögen handeln, was nur für einige wenige Kurorte ein gangbarer Weg sein kann, sind Arbeitsplätze erforderlich. Das gilt vor allem für Orte, die hohe Arbeitslosenziffern und Hartz IV-Anteile aufweisen, wie Bremen und ganz besonders der Stadtbezirk Bremen-Nord. Schließlich ist Bremen seit Anfang der 1980er Jahre eine der Regionen mit der höchsten Arbeitslosigkeit in West-Deutschland. (Probst, S. 22). Die Politik hatte also durchaus Zeit, um aktiv zu werden, eben etwa dreißig Jahre oder mehr als sieben Legislaturperioden.

In einer solchen Situation kann eicht die Frage nach dem Gewinn und Verlust von Arbeitsplätzen zum wichtigsten Kriterium für alle stadtpolitischen Entscheidungen werden. Beispiele im Bremer Norden sind etwa das Kraftwerk Farge, wo Strom für das Flächenland Niedersachsen produziert wird, und die Müllverwertungsanlagen auf dem Gelände der Bremer Wollkämmerei in Blumenthal, wo man vor allem Kunststoffmüll aus dem Kreis Diepholz und aus Oldenburg verbrennt.

Obwohl solche Standortentscheidungen nicht gerade aus einem Lehrbuch für optimale räumliche Allokationen stammen dürften, konnten die industriellen Arbeitsplätze beim Vulkan und der BKW bis heute nicht ersetzt werden, sodass der Bremer Norden und vor allem der Stadtteil Blumenthal, den diesen beiden großen Betreibe früher zu einer blühenden Industriestadt gemacht hatten, sich heute mit vielen Arbeitslosen herumschlagen müssen.

Dennoch scheint es Hoffnung zu geben. So verspricht der Bremer Bürgermeister 6.000 Jobs für den Norden. Das mag kritische Hörer dieser Botschaft verblüffen. Wie kann ein Politiker derart quantifizierte Versprechungen abgeben, wird man sich fragen, und dabei an ökonomische Konjunkturen, den Wettbewerb zwischen verschiedenen Standorten und die Auswirkungen der Globalisierung auf den deutschen Arbeitsmarkt denken.


Zumindest macht dieses Versprechen neugierig, sodass man der Sache auf den Grund gehen will. Der Text unter der Schlagzeile, die sich so wunderbar als Leistungsausweis für die Politik und als Beruhigungspille für die Arbeitslosen eignet, ist jedoch recht ernüchternd. Er besteht in einer Rechnung, die kaum jeden Buchhalter überzeugen dürfte. Nach der Kalkulation, wie sie etwa im Juli 2012 auf der dritten Sitzung des Bremen-Nord-Arbeitskreises vorgetragen wurde, gilt die Annahme, dass die zur Verfügung stehenden 43 Hektar Gewerbefläche  „für rund 3000 neue Jobs reichen“. Das ist sicherlich eine interessante Faustzahl, bei der man allerdings gern erführe, wie sie errechnet wurde. Hat man dabei vielleicht alle Vorzüge genutzt, die etwa Kritiker statistischer Durchschnitte gern dann benutzen, wenn sie einen Raum als angenehm warm bezeichnen, weil er tagsüber eine Temperatur von 50 Grad und nachts von –30 Grad hat. Zumindest wüsste man gern, mit welchem Gewicht in diese Rechnung Bürohochhäuser,  Lagerflächen und Handwerksbetriebe eingegangen sind, um zu einem Richtwert zu gelangen, nach dem man für 100 Arbeitsplätze anscheinend 1,5 ha Gewerbefläche planungsrechtlich sichern muss.

In diesem Fall ist dieser Teil der Arbeitsplatzberechnung jedoch nur die halbe Wahrheit; wobei allerdings der zweite Teil mit einem nicht ganz so spitzen Bleichstift gerechnet wurde; denn weitere 3.000 Arbeitsplätze „können“ geschaffen werden, „wenn weitere 50 Hektar erschlossen werden, unter anderem auf dem BWK-Gelände.“

Bei diesem anscheinend zwingenden Zusammenhang von erschlossenen Gewerbeflächen und tatsächlichen Arbeitsplätzen ist es besonders vorteilhaft, wenn eine Koalitionsregierung besteht, in der man auf einen Partner angewiesen ist, der dummerweise den Senator für die entscheidende Behörde stellt. In diesem Fall geht es um die Neufestsetzung des Blumenthaler Wassereinzugsgebietes, das  „auch das BWK-Areal – und damit Investitionsentscheidungen von Unternehmen“ „berührt“. In anderen Stellungnahmen ist damit das Hochwasserschutzgebiet gemeint.

Wie dem auch sein, auf jeden Fall zeigt sich, dass auch die kurzen Wege, da im kleinsten Bundesland Stadt und Land praktisch zusammenfallen, manchmal recht lang werden können, wenn sie denn krumm sind. So ist es zumindest praktisch unmöglich, den angenommenen Mechanismus für die Arbeitsplatzerzeugung tatsächlich zu erproben, sodass man einen möglichen Fehler in der überzeugenden Kalkulation nicht erklären muss.

Aber natürlich ist diese Rechnung nicht der einzige Versuch zur Problemlösung; denn der Einbruch auf dem Bremer Arbeitsmarkt ist nicht erst gestern erfolgt. Vielmehr hat Bremen auch in diesem Fall einen sehr detaillierten Plan, wobei es sich sogar um einen Masterplan handelt.

Sparen und Investieren


Mit der Großen Koalition, die 1995 gebildet wurde, nachdem die SPD wegen einer Abspaltung ehemaliger Anhänger deutlich an Stimmen eingebüßt hatte und von der Höhe ihres Stimmenanteils her fast in die Nähe der CDU-Größte gerutscht war, die unter dem Motto "Sparen und Investieren" die großen Probleme Bremens, also die hohe Arbeitslosigkeit und Verschuldung, anpacken wollte.

In den Folgejahren wurde vor allem in den Tourismus sowie neue Gewerbegebiete und Technologieparks investiert. So stieg die Investitionsquote im Haushalt von 15,1 % in 2000 auf 17,6 % in 2002 und lag damit über dem Bundesdurchschnitt. Große Investitionen flossen in riskante Großprojekte flossen, durch die vor allem neue Angebote für den Tourismus setzte. Das Leuchtturmprojekt war dabei der Space Park.

Die gleichzeitig begonnenen expansive  Gewerbeflächenpläne, die auch auf Kosten von Naherholungsgebieten verwirklicht werden sollten, stießen in einigen Stadtteilen auf massive Gegenwehr. (Probst, S. 24). Auch wurden sie insgesamt als überdimensioniert angesehen (Probst, S. 20) 

Nach zwei Legislaturprioden musste man dann ein Scheitern dieser Sanierungskonzeption eingestehen, die das Scheitern des wagemutigen Glanzprojektes Space Park eindrucksvoll illustrierte. Hier hatte Zu Beginn der dritten Legislaturperiode der Großen Koalition war klar, dass wesentliche Ziele der Sanierungspolitik nicht erreicht werden würden. Als wirtschaftspolitisches Fiasko entpuppte sich der Space Park; denn 283 Tag nach der Eröffnung musste dieser vom Land subventionierte „Freizeitpark der Zukunft“ wieder schließen und Insolvenz anmelden. Das war für die Bremische Investitionspolitik ein doppeltes Desaster, denn einerseits waren staatliche Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe geflossen. Andererseits war der Space Park Teil eines Masterplans für die gesamte Weser-Region, in der die Freizeitindustrie zu einem Motor der wirtschaftlichen Entwicklung werden sollte. Nach dem Musicaltheater im Jahre 1999 war damit ein zweites Teilprojekt dieser Tourismusstrategie gescheitert. (S. 25)

Ein Masterplan für industrielle Arbeitsplätze

Eine Neuorientierung setzte dann mit einem Masterplan verstärkt wieder auf industrielle oder zumindest gewerblich Arbeitsplätze, da Bremen anders als Hamburg wenig Chancen hat, ein großes Dienstleistungszentrum wie Hamburg zu werden. Das gilt sowohl für die Verwaltungen großer Konzerne als auch für Medien und andere moderne Dienstleistungsangebote. Hier muss Bremen erheblich bescheidener agieren als die größere Metropole an der Elbe, was die Experimente im Tourismussektor zeigen, da sich Attraktionen nicht einfach aus der Retorte erschaffen lassen, wenn das Umfeld nicht stimmt.


Neue gewerbliche Arbeitsplätze in Bremen-Nord

Mit dem Masterplan wurde eine sorgfältige Übersicht der vorhandenen vermarktbaren Gewerbestandorte erstellt, die in der folgenden Tabelle aufgeführt sind, soweit sie sich im Stadtbezirk Nord befinden. Ergänzt wird diese regionale Begrenzung durch den Bremer Industriepark (BIP) , er sich an der südlichen Grenze des Stadtbezirks befindet, sowie einige großflächige Alternativangebote, da sich erst auf diese Weise ein Überblick über das gesamte Angebot gewinnen lässt, das allein in der Stadt Bremen auf einen Investor wartet, der später für Arbeitsplätze sorgen soll.


Gewerbegebiete in Bremen-Nord  (Größe in ha)   (Masterplan, S. 46)

Vermarktbarer Gewerbestandort
Stadtteil
Gesamt-
fläche
Planungs-
recht gesichert
Erschlos-sen

Schwerpunkte Produktion/ Logistik





Gewerbegebiet BWK/Vulkan-West
Blumenthal
15,4
9,2
1,6
Güterverkehrszentrum (GVZ)
Häfen/ Strom
353,7
82,7
45,7
Gewerbegebiet Hansalinie
Hemelingen
275,4
92,9
27,0
Bremer Industriepark
Industriehäfen
148,6
68,9
35,2


Gemischt gewerbliche Bestandsgebiete





Gewerbegebiet Blumenthal
Blumenthal
36,0
1,7
0
Gewerbegebiet Farge-Ost
Blumenthal
20,1
7,8
7,2





Schwerpunkte Dienstleistung/ Technologie





Science Park
Grohn
5,6
5,6
1,2
Überseestadt
Walle
214,5
54,2
18,7
Airport-Stadt
Neustadt
131,5
14,3
7,8


Wie die nüchternen Zahlen bereits erkennen lassen, bestehen zwei große Probleme für die konkrete Ansiedlung von Gewerbe und Industrie in Bremen-Nord.

Zum einen besteht sogar innerhalb Stadtgebiets eine harte Konkurrenz zwischen den Gewerbestandorten, so etwa mit dem Bremer Industriepark, der unter dem Slogan „Viel Platz – nicht nur für Giganten“ beworben wird, aber auch durch die Konkurrenz außerhalb der Stadtgrenzen. Dort wartet etwa der GewerbePark 23, „wenn’s zu eng wird“, und die Gemeinde Schwanewede lockt mit den Schlagworten: Unbürokratisch, mit kurzen Wegen, schnellen Entscheidungen, intensiver Betreuung und Förderung.

Zum anderen gibt es zwar eine große Gesamtfläche, von der jedoch nur ein relativ kleiner Teil planungsrechtlich gesichert und noch weniger tatsächlich erschlossen und somit zum Verkauf und zur Nutzung zur Verfügung steht.

Das Blumenthaler BKW-Areal

Diese Diskrepanzen werden besonders beim Gelände der BKW deutlich, wo sehr unterschiedliche Nutzungsinteressen aufeinander prallen, ohne dass ein Kompromiss oder eine bindende, rechtlich abgesicherte Entscheidung gefallen ist. Vor allem stehen sich hier die Befürworter einer großflächigen industriellen und die Anhänger einer kleinteiligen Lösung gegenüber, die verschiedene Nutzungen erlaubt. Dieser Verwertung nach einem Schritt-für-Schritt-System steht einerseits der Eigentümer entgegen, der einen großen Käufer mit industriellen Interessen sucht, andererseits jedoch auch die konfligierende Nutzung es Areals durch die benachbarte Sondermüllverwertung.

So sieht es beinahe danach aus, dass das Gelände, das die BWK seit ihrer Schließung im Jahre 2009 nicht mehr nutzt, weiterhin auf einen industriellen Investor wartet, der an der Müllverbrennung keinen Anstoß nimmt, sondern eine große Fläche an einem schiffbaren Fluss sucht. Die sind allerdings bekanntlich in Bremen und Bremerhaven nicht gerade Mangelware, sodass man mit einer unabsehbar langen Hängepartie rechnen muss.

Diese Wartezeit wirft selbst neue Probleme auf; da so weiterhin einige Rahmenbedingungen für den Ausbau des Blumenthaler Zentrums offen bleiben und  neue Nutzungswünschen wie der Bau eines Uferwegs artikuliert werden, über die sich sinnvollerweise erst im Zusammenhang mit einem Gesamtkonzept für das Gebiet entscheiden lässt. Es ist zeigt eben eine äußerst schwierige Situation an, wenn der Bürgermeister bezogen auf das ehemalige BWK-Gelände bekennen muss: „Wir sind auf einem Weg, dort industrielle Nutzung vorsehen zu können.“ (Preuschoff)

Übrige Gewerbegebiete in Bremen-Nord

Weniger umstritten sind die erschlossenen Gebiete. Nur wirken hier die Erfahrungen mit einem älteren Gewerbegebiet nicht gerade werbend; denn in Farge-West steht aktuell ein Viertel der Gewerbeimmobilien leer und es ist nicht einmal am Eingang des Gebietes eine Informationstafel vorhanden, auf dem die Standorte der Firmen vermerkt sind. (Theiner)

Ein Unternehmer, der einen Gewerbestandort sucht, wird sicherlich nicht nur in die Glitzerwelt der Prospekte schauen, sondern auch einmal nachsehen, was eine Kommune aus ihrem Gewerbegebiet macht, wenn sie die Flächen erstmals vermarktet hat.  Und dann wird sich nicht jeder Interessent von dem Glaubensatz leiten lassen, dass es unbedingt die Wesernähe in Bremen sein muss.

Neue Organisationsformen

So ist in Bremen offensichtlich nicht die Quantität der ausgewiesenen Flächen das Problem bei der Gewerbeansiedlung. Änderungen muss es vor allem in den Verhaltensmustern der zuständigen Standortmanager geben.

Effizientes Flächenmanagement


Hier müssen rasche verbindliche Entscheidungen an die Stelle einer dilatorischen Politik treten, die offenbar nicht den Mut hat, zwischen bestehenden unterschiedlichen Positionen eine Entscheidung zu treffen. Man kann so den Eindruck gewinnen, dass das Arbeitslosigkeitsproblem sich dank der Demografie und der Marktkräfte lösen soll, indem die alternden Arbeitslosen verrentet und die jungen Stellensuchende dem Markt folgen und sich einen Arbeitsplatz an einem anderen Ort suchen.

Stadtpolitische Prioritätensetzung


Mit einem fast unübersehbar großen Angebotskatalog von Möglichkeiten, wie er in Bremen vorliegt, kann die Stadt zwangsläufig keine gezielte Standortpolitik betreiben.

Die würde vielmehr zunächst eine Prioritätensetzung unter stadtpolitischen Gesichtspunkten verlangen, wobei dann harte Entscheidungen getroffen werden müssen, wenn nicht an jeder Stelle die Möglichkeit bestehen kann, dass gerade dort Arbeitsplätze entstehen können. Man müsste die Chancen einzelner Räume dadurch erhöhen, dass das Angebot insgesamt verknappt wird und so eine wirkliche Lenkungsfunktion bekommt.

Wenn man also den Norden Bremens nicht nur in Sonntagsreden durch die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern will, darf man seine Gewerbeflächen nicht in der Flut von Angeboten aus anderen Stadtbezirken untergehen lassen.

Management nach Nutzererfahrungen


Die beste Empfehlung für einen Standort dürften - ganz wie bei anderen Entscheidungen auch - die Testimonials von Unternehmern sein, die ein Gewerbegebiet bereits als Standort gewählt haben. Negative Kritik, wie sie etwa für Farge artikuliert wird, dürfte daher Gift für den die weitere Ansiedlungspolitik sein.

Besser wäre es sicherlich, sich mit Vertretern er Betriebe in den einzelnen Gewerbegebieten an einen Tisch zu setzten, um von deren Erfahrungen zu profitieren. Das zeigt das Interesse der Wirtschaftsförderer an den Ergebnissen ihrer Arbeit und kann möglicherweise die Ergebnisse spezieller Standortgutachten ersetzen. Das wäre ein direkter und schneller Weg, denn sonst müssten sich zunächst die beauftragten Gutachter, die auch nur mit Wasser kochen können, auch ihre Informationen von den Betroffenen beschaffen. Das ist zwar in Bremen ein beliebter politischer Ansatz für eine Problemlösung, die in einem Gutachten und der anschließenden  Beschäftigung eines Kümmerers besteht, aber vermutlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Dieses Vorgehen mag zwar die Politiker entlasten, weil sie auf diese sachverständigen Aktivitäten verweisen können.

Nur muss man sich fragen, ob dadurch wirklich Probleme gelöst werden. Schließlich verbraucht diese Vorgehensweise mit ihren zahlreichen Diskussionen in diversen Gremien vor allem Zeit, in der wie in der Medizin „Selbstheilungskräfte“ wirken können. In diesem Fall muss jedoch nicht eine tatsächliche Genesung am Ende stehen. Vielmehr kann die Zeit manches Problem auch demografisch beseitigen, und zwar zunächst durch eine Verrentung der Arbeitslosen und Hartz-IV-Bezieher.

Quellen:
Masterplan Industrie Bremen. Ein Beitrag zum Strukturkonzept 2012, Bremen 2010.
Probst, Lothar, Vorwahlanalyse zur Bürgerschaftswahl in Bremen 2007, Bremen, März 2007.
Preuschoff, Antje, Rückbesinnung auf die Industrie. Beim WIR-Dialogforum im Kito ging es um Arbeitsplätze in Bremen-Nord, in: BLV vom 12.12.2012.
Schröder, Alwin, Bremens "Space Park": Schwarzes Loch an der Weser, in: Der Spiegel vom 21.04.2004.
Theiner, Jürgen, Das fast vergessene Gewerbegebiet, in: Weser-Kurier vom 14.07.2012.
Theiner, Jürgen, Unternehmen entdecken den Industriepark, in: Weser-Kurier vom 09.05.2012.

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