Blumenthal – ein nicht nur „grüner“ Vorort
Ein Blick in die Zeitungen oder aktuelle Fernsehberichte
zerstört jedoch rasch dieses Bild von einer zumindest fast heilen Welt.
Schaumt man genauer hin, lernt man den Bremer Norden als
einen sehr differenzierten Stadtbezirk erkennen, denn sogar seine Stadt- und
Ortsteile sind sehr unterschiedlich. Ganz gleich, was man sich unter Bremen-Nord
vorstellt, ist daher zwangsläufig falsch, weil es die Breite dieser Vielfalt
nicht abdecken kann.
Die Siedlungsstruktur der Ortsteile von Bremen-Nord
Ortsteil | Einwohner (31.12.2011) |
Einwohnerdichte(Einwohner je ha) | Wohnungen in Einfamilienhäusern (in %) |
Blumenthal
|
31.091
|
||
Blumenthal
|
9.636
|
23,8
|
25,9
|
Rönnebeck
|
4.405
|
18,0
|
37,9
|
Lüssum-Bockhorn
|
11.853
|
23,8
|
26,3
|
Farge
|
2.849
|
5,1
|
41,5
|
Rekum
|
2.348
|
4,2
|
57,4
|
Burglesum
|
32.600 |
||
Burg-Gramke
|
6.744
|
14,6
|
30,9
|
Werderland
|
373
|
0,3
|
59,5
|
Burgdamm
|
10.734
|
25,4
|
23,3
|
Lesum
|
8.881
|
25,9
|
33,5
|
St. Magnus
|
5.868
|
20,8
|
28,3
|
Vegesack
|
33.393 |
||
Vegesack
|
6.445
|
35,9
|
18,5
|
Grohn
|
6.146
|
30,4
|
32,8
|
Schönebeck
|
5.337
|
21,1
|
49,5
|
Aumund-Hammersbeck
|
7.505
|
22,9
|
33,8
|
Fähr-Lobbendorf
|
7.960
|
33,4
|
23,8
|
Bereits so grobe Daten wie die Bevölkerungsentwicklung während der letzten zwanzig Jahre und der Anteil der landwirtschaftlichen Fläche illustrieren ein kontrastreiches Bild.
Sieht man einmal von dem besonderen Fall Werderland ab, da es sich hier um ein Marschgebiet handelt, das unter dem Flutniveau von Weser und Lesum liegt und größtenteils aus unter Naturschutz stehendem Grünland besteht, umfasst der Norden Bremens neben den relativ dünn besiedelten und noch hohe Anteile von landwirtschaftlicher Fläche aufweisenden Ortsteilen Farge und Rekum zahlreiche stark verdichtete Ortteile. Dabei handelt es sich nicht einmal nur um die zentralen Bereiche von Blumenthal und Vegesack, sondern auch um Wohngebiete am Stadtrand.
Einwohnerentwicklung 1991-2011
Ortsteil |
Bevölkerungszahl
2001
(31.12.1991 = 100)
|
Bevölkerungszahl
2011
(31.12.1991
= 100)
|
Landwirtschaftl.
Fläche (in
%)
|
Blumenthal |
|||
Blumenthal
|
99,3
|
95,9
|
5,4
|
Rönnebeck
|
102,6
|
97,0
|
1,9
|
Lüssum-Bockhorn
|
92,6
|
84,1
|
16,5
|
Farge
|
95,6
|
85,6
|
33,8
|
Rekum
|
125,5
|
114,2
|
42,9
|
Burglesum |
|||
Burg-Gramke
|
106,4
|
101,5
|
29,9
|
Werderland
|
128,4
|
126,0
|
62,0
|
Burgdamm
|
97,2
|
93,6
|
18,1
|
Lesum
|
96,3
|
89,9
|
12,7
|
St. Magnus
|
101,3
|
98,2
|
12,7
|
Vegesack
|
|||
Vegesack
|
104,1
|
100,3
|
1,1
|
Grohn
|
91,0
|
100,1
|
1,4
|
Schönebeck
|
90,7
|
87,0
|
12,8
|
Aumund-Hammersbeck
|
98,7
|
92,0
|
17,1
|
Fähr-Lobbendorf
|
95,2
|
92,7
|
0,3
|
Vergleichsortsteile |
|||
Borgfeld
|
122,5
|
182,3
|
70,3
|
Oberneuland
|
109,5
|
118,1
|
56,6
|
Bremen insgesamt
|
97,9
|
99,2
|
32,6
|
Bremens Konzept der Großsiedlungen
Im Zuge des Beseitigung der Wohnungsnot, die durch die Zerstörungen des 2. Weltkrieges und den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen bedingt war, entschloss sich Bremen zu einem großen Wurf. Man wollte nicht nur hier und dort neue Wohnungen errichten, sondern begann mit der Planung eines neuen Stadtteils von der Größe einer Mittelstadt, 10.000 Wohnungen für 40.000 Einwohner sollten es in der „Neuen Vahr“ werden.
Diese Gliederungs- und Orientierungsbereiche für die Bewohner umfassten jeweils ein kleines Zentrum, das als städtebauliche Dominante ein Punkthochhaus aufwies.
Grundprinzipien dieses Städtebaukonzepts waren einige Ideen des Bauhauses, nach denen Hochhäuser als bautechnische Möglichkeiten des modernen Städtebaus die alten Mietskasernen mit ihren Hinterhöfen aus der Zeit der Gründerjahren und frühen Industrialisierung ablösen sollten, um erschwingliche Sozialwohnungen mit viel Licht und Grün zu schaffen.
Neue Vahr (Quelle: wikipedia)
Die WiN-Gebiete
Um die komplexe Wechselwirkung zwischen Wohnungs- und Sozialstruktur in den Griff zubekommen, wurde in Verbindung mit dem bundesweiten Projekt „Soziale Stadt“ eine spezielles Förderprogramm für problemhafte Wohngebiete in Bremen gestartet, das den Namen „Wohnen in Nachbarschaften (WiN)“ trägt und im Dezember 1998 durch den Senat verabschiedet wurde. Sein Ziel ist es, „Stadtteile für die Zukunft“ zu entwickeln. Dabei setzen Bund und Land Fördermittel ein, um durch den Aufbau von Beteiligungsformen die Bürger/innen aktiv in die Entwicklung ihres Quartiers einzubeziehen.
Parallel hierzu haben im Jahr 1999 Bund und Länder das Städtebauförderungsprogramm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt" aufgelegt, mit dem die Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen umfassend verbessert werden sollen.
Unter den ersten zehn ausgewiesenen WiN-Gebiten in Bremen waren mit Blockdiek, Grohner Dühne, Lüssum-Bockhorn, Kattenturm, Marßel, Neue Vahr, Tenver und Sodenmatt/ Kirchhuchting acht Großsiedlungen und von diesen acht wiederum drei aus dem Stadtbezirk Bremen-Nord. Ganz gleich wie man es rechnet, ist der Norden Bremens damit wegen dieser Großsiedlungen bei den WiN-Gebieten unter den fünf Bremer Stadtbezirken deutlich überrepräsentiert.
Das klingt wegen des euphemistischen klingenden Akonyms WiN, das für Wohnen in Nachbarschaften steht, zunächst fast erfreulich. Nur ist er in der Bezeichnung anklingende Gewinn in diesen Fällen erst noch ein fernes Ziel, da es sich zunächst um Gebiete mit erheblichen Problemen in der Wohnungs- und Sozialstruktur handelt, kurz um soziale Brennpunkte.
In Bermen-Nord gehören drei Gebiete, die teilweise fast die Größe eines ganzen Ortsteils ausmachen, zu diesen Großsiedlungen, die in das WiN-Programm aufgenommen werden mussten, und zwar Marßel, Grohner Dühne Lüssum-Bockhorn.
Großsiedlungen und WiN-Gebiete in Bremen-Nord
Marßeler Feld
Das Wohngebiet Marßeler Feld entstand im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus eine „zeitentsprechende Großsiedlung“ in den 1960er Jahren östlich der A27 an der Stadtgrenze zu Niedersachsen im Ortsteil Burgdamm. Dort grenzt das Gebiet an die Ritterhuder Schweiz mit der Hamme als Quellfluss der Lesum.
Lüssum-Bockhorn
Im Ortsteil Lüssum-Bockhorn entstand um den Lüssumer Ring in den 1960er bis 1970er Jahren eine Großwohnsiedlung mit überwiegend zwei- und viergeschossigen Zeilenbauten sowie einigen Punkthochhäusern
Eine Analyse der Bevölkerungsstruktur im 2004 weist einen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund aus, die vor allem in der Türkei, in Polen oder der ehemaligen Sowjetunion geboren sind. Überdurchschnittlich hoch ist auch der der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit 31 % und der Sozialhilfeempfänger/innen mit 32 %. Die durchschnittliche Wohndauer von 10 Jahren liegt hingegen deutlich niedriger als in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Da es nur wenige Langzeitbewohner gibt, dient das Gebiet nach dem Urteil der Planer als Einwanderungsort für vor allem türkische Migranten, die nach einer ersten Orientierungs- und Integrationsphase Lüssum sehr häufig wieder verlassen. Das hat zwangsläufig erheblich Auswirkungen auf die Verhaltensmuster und blieb nicht ohne Folgen auf die Umgebung des ersten Schwerpunktgebietes. So umfasst das Programmgebiet WiN/Soziale Stadt seit 2005 den gesamten Ortsteil, also ein Gebiet mit fast 9.000 Einwohnern, während im Schwerpunktgebiet nur knapp 3.000 Menschen leben.
Um die Leerstände zu beseitigen, wurden 2005 und 2007 fünf Punkthochhäuser mit 320 Wohnungen „zurückgebaut“, wie in der euphemistischen Sprache der beteiligten Planer der Abriss genannt wird. So konnte der jeweilige Senator in Bremen nicht nur eine Festrede zum Baubeginn eines großen Bauprojektes halten, sondern später auch zum Start und zur Einweihung des „grünen Bandes für Lüssum“, das mit an der Stelle der ungeliebten Hochhäuser als Grün- und Freizeitbereich entstanden ist.
Grohner Düne
In der während der 1970er Jahren errichteten „großmaßstäbliche hochverdichteten Großwohnanlage „Grohner Düne“ leben rund 1.750 Menschen. Dabei handelt es sich um ein Wohngebiet mit zwei Hochhausriegeln mit bis zu 13 Stockwerken, das sich stark von der umgebenden Bebauung ab. So war der Ortsteil bis zu diesem stadtpolitischen Eingriff größtenteils durch eine Einfamilienhausbebauung geprägt ist, in der viele Beschäftigte der ehemaligen Bremer Werften als Eigentümer gelebt haben.
Seit 2005 umfasst das Programmgebiet WiN/Soziale Stadt, das von seiner Infrastrukturausstattung und der Nähe zum Zentrum Vegesack profitieren könnte, den gesamten Ortsteil Grohn, also ein Gebiet mit gut 6.000 Einwohnern. Die Bau-und Sozialstruktur stehen jedoch einer positiven Entwicklung entgegen. Die Grohner Düne gilt nicht zuletzt wegen der entsprechenden Medienberichterstattung als das „größte Armenhaus Bremens“ (Bild-Zeitung) oder „Einwandererghetto“ eines „kriminellen kurdischen Familienclans“ (rechte Internetwebseite), worauf die Bremische Verwaltung mit dem Start eines Projektes gegen Parallelgesellschaften reagierte und einen sogenannten „Kultur-Mittler“ einsetzte. Viele Lokalpolitiker in Vegesack wünschen sich hingegen eher zumindest einen Teilabriss dieser Betondüne.
Besonders problematisch sind in diesem Fall mögliche räumliche Auswirkungen, denn das im Westen an die Grohner Düne anschließende „Fährquartier“ im Ortsteil Vegesack weist eine ähnliche Sozialstruktur auf. So vermuten die Planer, dass Bewohner/innen der Grohner Düne in den vergangenen Jahren in das Fährquartier abgewandert sind und damit auch hier ähnliche Probleme entstehen können, wie sie bereits die Grohner Düne in Verruf gebracht haben.
In-Jobber in Win-Gebieten
Trotz zahlreicher Leerstände wird in Bremen das in den Großwohngebieten investierte Kapital in der Regeln nicht durch einen Abriss völlig vernichtet. Vielmehr arbeitet man nach dem Modell des Quartiersmanagments an einer Verbesserung der Gesamtsituation, indem Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen des in die Jahre gekommenen Wohnungsbestandes durch soziale Maßnahmen ergänzt werden. Dabei geht man davon aus, dass wegen der inzwischen entstandene Sozialstruktur Anstöße von außen kommen müssen, um die Wohnbevölkerung zu befähigen, an dem Verbesserungsprozess in ihrem Quartier aktiv teilnehmen zu können. Die Quartiersmanager sprechen bei dieser Anregung zur Selbsthilfe von Empowerment. Generelles Ziel dieser sozialpädagischen Arbeit ist es, die Verantwortung für das eigene Stadtquartier sollte langfristig zu stärken und selbsttragende Bewohnerorganisationen zu schaffen.
Neben der Aktivierung kann jedoch bei der alternden Bevölkerung auch die Betreuung nicht vergessen werden. Daher werden in Bremen von den Sozialeinrichtungen auch sogenannte Injobber beschäftigt. Diese Bezeichnung bezieht sich auf das Wort „Integrations-Job“, womit Langzeitarbeitslose gemeint sind, die durch eine Arbeit vom 35 Stunden pro Woche wieder in den regulären Arbeitsmarkt integriert werden sollen. Es handelt sich also um Aufgaben, die man außerhalb Bremens weniger funktional als 1-Euro-Jobber.
Auch ihre Beschäftigung ist in den WiN-Gebieten leichter durchsetzbar als außerhalb, sodass darüber diskutiert wird, ob es In-Jobber auch in Nicht-WiN-Gebieten geben kann, was für Marßel ein Problem sein kann.Neben diesen Wohngebieten, die für den suburbanen Raum, wie man ihn etwa aus amerikanischen Filmen kennt, so untypisch sind, darf man nicht vergessen, dass es auch andere Ortsteile gibt.
Suburbane Chancen
Neue Vahr (Quelle: wikipedia)
Bei dieser architekturgeschichtlichen
Einordnung muss es nicht überraschen, dass die neue Vahr nicht nur prosaisch
als eine simple Entlastungsstadt gesehen wurde wie die New Towns um Lomdon,
sondern eine fast sozialphilosophische Erhöhung erfuhr. So wurde die Ende der
1950er Jahre in knapp vier Jahren auf der „Kuhweide“ gebaute Neue Vahr „als
städtebauliche und stadtpolitische Errungenschaft ersten Ranges, als Symbol der
gelungenen Kooperation, wenn nicht gar Symbiose von Bremischer Kaufmannschaft
und Arbeiterschaft angesehen“. (Strubelt, S. 139)
Damals gab es viel Applaus
für das Projekt, sogar aus Hamburg, wo man neidvoll feststellte: „Das kleinste Bundesland
ist uns um Nasenlängen voraus!“
Bis weit in die 60er Jahre
galt die „Neue Vahr“, diese stark durchgrünte Großwohnsiedlung, die überwiegend
durch Hochhäuser in Zeilenbauweise, aber auch durch eine Durchmischung mit
Reihenhäuser und einzelne freistehende Häuser gekennzeichnet war, als Vorbild
für zahlreiche weitere Großsiedlungen, auch in Bremen. In dieser Zeit, als 1961
das 22-stöckige Aalto-Hochhaus des finnischen Architekten Alvar Aalto als
Wahrzeichen und Orientierungspunkt des neuen Stadtteils fertiggestellt wurden,
nannte der Volksmund die damals 30.000 Einwohner nicht gerade abschätzig
Vahraonen.
In Bremen wurde in den
1970er Jahren mit Tenever als „Demonstrativbauvorhaben“ nach dem
städtebaulichen Leitbild „Urbanität durch Dichte“ die letzte Großwohnsiedlung
errichtetet, deren Plan jedoch nur teilweise umgesetzt wurde, da sich die
Wohnungen nur schwer vermieten ließen.
Erst Ende des 20.
Jahrhunderts, also knapp 50 Jahre nach de Baubeginn, war dann die Euphorie
dieser Epoche der Großsiedlungen völlig verflogen. Die Wohnungen waren älter
geworden und die Bewohner in ihnen auch. Als noch gravierender erwiesen sich
jedoch die Auswirkungen der Globalisierung und des demografischen Wandels. So
wurden die alten Wohnungen in den Großsiedlungen unbeliebter und daher blieben in diesen Gebieten nur die
Altbewohner zurück, die keine moderneren Wohnungen mieten oder kaufen konnten.
In die leerstehenden Wohnungen zogen so häufig Migranten oder sie blieben
unbewohnt, was die Änderung der Sozialstruktur dieser Großsiedlungen weiter
verstärkte.
Über diese veränderte
Situation in den Großsiedlungen Bremens berichtet eine Studie Tempels, die sich
mit der unterschiedlichen Lebenserwartung der Bewohner ausgewählter Bremer
Wohngebiete beschäftigt. Besonders erschreckend war dabei die Entwicklung der
Säuglingssterblichkeit in den Großsiedlungen, für die man nur sehr bedingt
unterschiedliche Belastungen im Arbeitsleben verantwortlich machen kann
"Im Vergleich zu den bürgerlichen Vierteln beträgt sie jetzt mehr als
Doppelte“, konstatiert Tempel und zieht einen weiteren Vergleich: Der Wert von
10,8 gestorbenen einjährigen Kindern pro tausend lebend Geborene war damit
genau so hoch wie der bei den schwarzen Babys in New York.
Eine
Ursache dieser gesundheitlichen Situation dürfte die veränderte
Bewohnerstruktur der Großsiedlungen sein, wie sie sich 2002 aus dem Anteil der
Sozialhilfeempfänger ergibt.
Sozialhifeempfänger
2002
(Tempel, S. 41)
Gebietstyp
|
unter den deutschen
Bewohnern in %
|
unter den ausländischen
Bewohnern in %
|
Insgesamt
in %
|
Arbeiterviertel
|
9,3
|
20,6
|
11,1
|
Großwohnsiedlung
|
10,7
|
32,2
|
14,5
|
Bremen
insgesamt
|
6,4
|
20,2
|
8,4
|
Unter den ersten zehn ausgewiesenen WiN-Gebiten in Bremen waren mit Blockdiek, Grohner Dühne, Lüssum-Bockhorn, Kattenturm, Marßel, Neue Vahr, Tenver und Sodenmatt/ Kirchhuchting acht Großsiedlungen und von diesen acht wiederum drei aus dem Stadtbezirk Bremen-Nord. Ganz gleich wie man es rechnet, ist der Norden Bremens damit wegen dieser Großsiedlungen bei den WiN-Gebieten unter den fünf Bremer Stadtbezirken deutlich überrepräsentiert.
Das klingt wegen des euphemistischen klingenden Akonyms WiN, das für Wohnen in Nachbarschaften steht, zunächst fast erfreulich. Nur ist er in der Bezeichnung anklingende Gewinn in diesen Fällen erst noch ein fernes Ziel, da es sich zunächst um Gebiete mit erheblichen Problemen in der Wohnungs- und Sozialstruktur handelt, kurz um soziale Brennpunkte.
In Bermen-Nord gehören drei Gebiete, die teilweise fast die Größe eines ganzen Ortsteils ausmachen, zu diesen Großsiedlungen, die in das WiN-Programm aufgenommen werden mussten, und zwar Marßel, Grohner Dühne Lüssum-Bockhorn.
Großsiedlungen und WiN-Gebiete in Bremen-Nord
Wohngebiet
|
Ortsteil
|
WE im Programm
|
Bauzeit
|
Besonderheiten
|
Grohner Dühne
|
Grohne
|
570
|
1960er
Jahre
|
Orientierungsgebiet vor allem für
kurdisch-arabische Migranten
|
Lüssum-Bockhorn
|
Lüssum-Bockhom
|
1.100
|
1960-1970er Jahre
|
Orientierungsgebiet vor allem für Migranten aus
der Türkei
|
Marßel
|
Burgdamm
|
2.300
|
ab 1960
|
Das Wohngebiet Marßeler Feld entstand im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus eine „zeitentsprechende Großsiedlung“ in den 1960er Jahren östlich der A27 an der Stadtgrenze zu Niedersachsen im Ortsteil Burgdamm. Dort grenzt das Gebiet an die Ritterhuder Schweiz mit der Hamme als Quellfluss der Lesum.
Die Großsiedlung, in der heute rund 6,000 Einwohner leben, umfasst
viergeschossige Zeilenbauten, 4 achtgeschossige Hochhäuser sowie Reihenhäuser.
Hier haben die Wohnungsbaugesellschaften als Eigentümer in die
Sanierung und Modernisierung der Gebäudesubstanz investiert, und zwar mit einem
erkennbaren Erfolg, denn das Gebiet befindet sich seit 2004 im „Phasing-out“.
Lüssum-Bockhorn
Im Ortsteil Lüssum-Bockhorn entstand um den Lüssumer Ring in den 1960er bis 1970er Jahren eine Großwohnsiedlung mit überwiegend zwei- und viergeschossigen Zeilenbauten sowie einigen Punkthochhäusern
Eine Analyse der Bevölkerungsstruktur im 2004 weist einen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund aus, die vor allem in der Türkei, in Polen oder der ehemaligen Sowjetunion geboren sind. Überdurchschnittlich hoch ist auch der der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit 31 % und der Sozialhilfeempfänger/innen mit 32 %. Die durchschnittliche Wohndauer von 10 Jahren liegt hingegen deutlich niedriger als in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Da es nur wenige Langzeitbewohner gibt, dient das Gebiet nach dem Urteil der Planer als Einwanderungsort für vor allem türkische Migranten, die nach einer ersten Orientierungs- und Integrationsphase Lüssum sehr häufig wieder verlassen. Das hat zwangsläufig erheblich Auswirkungen auf die Verhaltensmuster und blieb nicht ohne Folgen auf die Umgebung des ersten Schwerpunktgebietes. So umfasst das Programmgebiet WiN/Soziale Stadt seit 2005 den gesamten Ortsteil, also ein Gebiet mit fast 9.000 Einwohnern, während im Schwerpunktgebiet nur knapp 3.000 Menschen leben.
Um die Leerstände zu beseitigen, wurden 2005 und 2007 fünf Punkthochhäuser mit 320 Wohnungen „zurückgebaut“, wie in der euphemistischen Sprache der beteiligten Planer der Abriss genannt wird. So konnte der jeweilige Senator in Bremen nicht nur eine Festrede zum Baubeginn eines großen Bauprojektes halten, sondern später auch zum Start und zur Einweihung des „grünen Bandes für Lüssum“, das mit an der Stelle der ungeliebten Hochhäuser als Grün- und Freizeitbereich entstanden ist.
Man kann eben die Folgen
städtebaulichen Fehlplanungen nicht nur durch zahlreiche sozialtherapeutische
Maßnahmen im Rahmen des Quartiermanagements abmildern, sondern sogar feierlich
begehen.
In der während der 1970er Jahren errichteten „großmaßstäbliche hochverdichteten Großwohnanlage „Grohner Düne“ leben rund 1.750 Menschen. Dabei handelt es sich um ein Wohngebiet mit zwei Hochhausriegeln mit bis zu 13 Stockwerken, das sich stark von der umgebenden Bebauung ab. So war der Ortsteil bis zu diesem stadtpolitischen Eingriff größtenteils durch eine Einfamilienhausbebauung geprägt ist, in der viele Beschäftigte der ehemaligen Bremer Werften als Eigentümer gelebt haben.
Seit 2005 umfasst das Programmgebiet WiN/Soziale Stadt, das von seiner Infrastrukturausstattung und der Nähe zum Zentrum Vegesack profitieren könnte, den gesamten Ortsteil Grohn, also ein Gebiet mit gut 6.000 Einwohnern. Die Bau-und Sozialstruktur stehen jedoch einer positiven Entwicklung entgegen. Die Grohner Düne gilt nicht zuletzt wegen der entsprechenden Medienberichterstattung als das „größte Armenhaus Bremens“ (Bild-Zeitung) oder „Einwandererghetto“ eines „kriminellen kurdischen Familienclans“ (rechte Internetwebseite), worauf die Bremische Verwaltung mit dem Start eines Projektes gegen Parallelgesellschaften reagierte und einen sogenannten „Kultur-Mittler“ einsetzte. Viele Lokalpolitiker in Vegesack wünschen sich hingegen eher zumindest einen Teilabriss dieser Betondüne.
Trotz zahlreicher Leerstände wird in Bremen das in den Großwohngebieten investierte Kapital in der Regeln nicht durch einen Abriss völlig vernichtet. Vielmehr arbeitet man nach dem Modell des Quartiersmanagments an einer Verbesserung der Gesamtsituation, indem Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen des in die Jahre gekommenen Wohnungsbestandes durch soziale Maßnahmen ergänzt werden. Dabei geht man davon aus, dass wegen der inzwischen entstandene Sozialstruktur Anstöße von außen kommen müssen, um die Wohnbevölkerung zu befähigen, an dem Verbesserungsprozess in ihrem Quartier aktiv teilnehmen zu können. Die Quartiersmanager sprechen bei dieser Anregung zur Selbsthilfe von Empowerment. Generelles Ziel dieser sozialpädagischen Arbeit ist es, die Verantwortung für das eigene Stadtquartier sollte langfristig zu stärken und selbsttragende Bewohnerorganisationen zu schaffen.
Auch ihre Beschäftigung ist in den WiN-Gebieten leichter durchsetzbar als außerhalb, sodass darüber diskutiert wird, ob es In-Jobber auch in Nicht-WiN-Gebieten geben kann, was für Marßel ein Problem sein kann.Neben diesen Wohngebieten, die für den suburbanen Raum, wie man ihn etwa aus amerikanischen Filmen kennt, so untypisch sind, darf man nicht vergessen, dass es auch andere Ortsteile gibt.
Suburbane Chancen
Bremen-Nord ist zwar mit
1.600 Einwohnern pro qkm verglichen mit den Umlandgemeinden hoch verdichtet. So
ist etwa das benachbarte Schwanewede mit nur 150 Einwohner qkm noch ein
typischer ländlicher Raum und auch die sich dynamisch entwickelnden Gemeinden
wie Stuhr, Ritterhude und Weyhe erreichen nur Werte um die 500 Einwohner je
qkm.
Gleichwohl bieten sich
auch in den Stadtteilen noch Flächen für kleinere neue Wohngebiete an, in denen
man nicht unbedingt die Fehler der Vergangenheit wiederholen dürfte, da es
dafür eine keine Nachfrage gibt.
Wichtig wäre es jedoch,
möglicherweise sogar auf ehemals gewerblich genutzten Flächen neue Wohnungen zu
errichten, damit die Ortsteile auch für junge Familien attraktiv bleiben und
vor allem werden, die sonst wegen fehlender Angebote in das einladende Umland
abwandern. Damit gehen Bremen schließlich nicht nur Einkommensteuerzahler
verloren, sondern auch die Einwohner, die ihr Leben ohne Quartiersmanager
selbst gestalten und sich an der Entwicklung ihrer Wohngebiete aktiv
beteiligen.
Dazu braucht man
allerdings nicht nur Bauland, wie es diese potenziellen Baufrauen und Bauherren
sich vorstellen, sondern auch ein positives Image, das man gemeinhin mit dem
Wohnen am Stadtrand verbindet.
Umweltbelastungen und
soziales Konfliktpotenzial in der Nachbarschaft sind bekanntlich Schreckgespenster,
mit denen man niemanden locken kann. Und falls sie sich nicht ganz vermeiden
lassen, wird es davon abhängen, ob sie von den
Stadtteilmanager transparent und kompetent behandelt, geregelt und
möglichst auch gelöst werden, ihr tatsächliches Verhalten also nicht ständig an
die bürokratischen Verwalter altes Stils erinnert.
Quellen:
Quellen:
Ein grünes Band für Lüssum, Pressemitteilung der
Senatspressestelle vom 4.5.2010.
Integrierte Handlungskonzepte für die Programmgebiete der sozialen Stadtteilentwicklung in
Bremen. Endbericht, Bremen, Oktober 2006.
Sack, Manfred, Noch ein Märkisches Viertel?, in: Die Zeit vom
18. Juni 1993.
Strubelt, Wendelin, Grußsiedlungen in Deutschland
zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Akzeptanz und Widerspruch. Ein
eher persönlicher Rückblick, in: Informationen
zur Raumentwicklung, 2006, S. 139 – 154
Tempel, Günter, Die Auswirkungen sozialer
Polarisierung. Zur Entwicklung der Lebenserwartung und Sterblichkeit in ausgewählten Bremer Wohngebieten",
Bremen 2006.
Statistisches Landesamt Bremen, Stadtteil- und
Ortsteiltabellen.
Wohnen in Nachbarschaften (WiN). Stadtteile für die
Zukunft entwickeln.
«Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die
soziale Stadt»
Stand der
Umsetzung der Programme (Juni 2002), Bremen, Januar 2003.
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