Blumenthal im Schlepptau der Bremer Attraktivität
Bremen ist ein attraktives Ziel für Touristen. Hingegen
rangiert es als Wohn- und Wirtschaftsstandort nur im Mittelfeld der größten
deutschen Städte.
Dabei besitzt die Stadt innovative Industrien, durch Ihren
Flugplatz eine gute Zentralität und erschwingliche Wohnungen. Deutlich negativ
werden jedoch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die Leistungen des Schulsystems
und die hohe Kriminalität bewertet. Auch weist die rotgrün regierte Hansestadt
einen relativ hohen Anteil von Menschen und vor allem Kindern auf, die von
Armut bedroht sind.
Park Hotel
Auch Städte, die nicht in einer erfolgreichen Konkurrenz
mit anderen Regionen ihre wichtigsten Aufgaben sehen, müssen sich in einer
Marktwirtschaft den Folgen stellen, die aus dem Wettbewerb um Arbeitsplätze,
Kunden, Touristen, Studenten und nicht zuletzt auch Einwohnern resultieren.
Das gilt auch für Bremen, das immer stolz auf seine
Unabhängigkeit und seinen eigenen Weg war und ist.
Vergleiche lassen sich allerdings auch benutzen, um gerade
diese Besonderheiten aufzuspüren, bevor man sie bewertet und daraus
möglicherweise Schlüsse für die weitere Politik und Planung zieht.
Und was man bei alle dem nicht vergessen sollte:
Vergleichsdaten können auch etwas über die Lebensqualität in einer Stadt
aussagen. Damit stellen diese Vergleiche oder neudeutsch Rankings Stärken
heraus, aber sie weisen auch auf Bereiche hin, in denen
Verbesserungsmöglichkeiten wünschenswert sind.
Ein ganz alter Indikator, der aber dennoch nichts von
seiner Bedeutung verloren hat, ist die Entwicklung der Einwohnerzahl, in der
man so etwas wie eine Abstimmung mit den Füßen sehen kann. Die Agglomeration
Bremen ist in den letzten 15 Jahren oder genau zwischen Ende 1995 und Ende 2010
um knapp ein Prozent gewachsen, während Deutschland in dieser Zeit leicht an
Einwohnern verloren hat. Dieser Zuwachs
durch Zuwanderer erfolgte jedoch nicht innerhalb der Stadtgrenzen, sondern in
den Randgemeinden, die zu Niedersachsen gehören; denn die Stadt selbst hat
innerhalb ihrer administrativen Grenzen im Zuge der demografischen Entwicklung
Einwohner verloren.
Einen besseren Einblick als grobe Einwohnerzahlen bieten
jedoch Untersuchungen, die eine Vielzahl von Daten der Städtestatistik
umfassen, wie sie seit 2003 über Urban Audit, ein spezielles Datenangebot der
europäischen Statistikbehörde Eurostat, zur Verfügung stehen.
Einen sehr umfangreichen Städtevergleich führte 2012 in
Deutschland teileise mit diesen Daten die IW Consult GmbH, eine
Tochtergesellschaft des Instituts der deutschen Wirtschaft, im Auftrag der Zeitung Wirtschaftswoche und
der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die vom Arbeitsgeberverband
Gesamtmetall gegründet wurde, für die 50 größte deutschen Städte durch. Wie es
bei diesen Auftraggebern nicht anders zu erwarten ist, stand dabei eine Ausrichtungen
am Einkommen im Vordergrund.
So wurde es als Ziel jeder Kommune angenommen, dass sie
ein „möglichst hohes Wohlfahrtsniveaus ihrer Einwohner“ erreichen will. Die
wichtigsten Indikatoren für das so verstandene Wohlfahrtsniveau waren das
verfügbare Einkommen, die Kaufkraft, die Einkommensteuerkraft, die
Arbeitslosenquote und die Arbeitsplatzversorgung.
Zwischen diesen Zielgrößen der Stadtpolitik und einer
Reihe anderer Merkmale, die die Autoren den Begriffen „Struktur“ und „Standort“
zuordnen und als politische Einflussgrößen sehen, werden Zusammenhänge
angenommen. Durch eine Senkung der Strukturgröße Schulabbrecherquote lässt sich
danach beispielsweise die Arbeitsmarkt- und Einkommenssituation verbessern und
damit das Wohlfahrtsniveau einer Stadt erhöhen.
Die Zielbereiche „Wohlstand“ und „Arbeitsmarkt“ werden
durch Einkommens- und Arbeitslosigkeitskennziffern relativ gut nachvollziehbar
erfasst. Das gilt weniger für die Definition und statistische Unterfütterung
der beiden anderen Dimensionen. So bezieht sich „Struktur“ vorrangig auf
sozio-kulturelle Merkmale der Bevölkerung wie die Gewerbeanmeldungen, den
Anteil versicherungspflichtig Beschäftigter, die Lebenserwartung und die
Häufigkeit von Straftaten, während in dem Bereich „Standort“ Kostenaspekte, die
infrastrukturelle Ausstattung und das Humankapital des städtischen Raumes im
Vordergrund stehen, also ein sehr breites Spektrum, das von der Arztdichte bis
zur erfragten Wirtschaftsfreundlichkeit der Verwaltung reicht.
Die Ränge und Indikatorwerte ausgewählter Städte nach IW Consult 2012
Rang
|
Stadt
|
Wohlstand
|
Arbeitsmarkt
|
Struktur
|
Standort
|
Gesamt
|
8
|
Hamburg
|
16,5
|
13,9
|
16,1
|
9,9
|
56,5
|
18
|
Oldenburg
|
13,0
|
13,2
|
15,7
|
10,6
|
52,5
|
26
|
Bremen
|
13,3
|
11,5
|
14,1
|
9,8
|
48,7
|
40
|
Lübeck
|
11,2
|
11,2
|
13,1
|
9,3
|
44,7
|
47
|
Berlin
|
10,5
|
7,9
|
13,5
|
9,8
|
41,7
|
Im Gesamtranking liegt Bremen unter den 50 Städte auf Platz 26, also eindeutig im Mittelfeld. Verglichen mit Hamburg und auch Oldenburg ist das Wohlfahrtsniveau also eher negativ zu beurteilen, während Bremen eindeutig besser abschneidet als die Ostseehafenstadt Lübeck und vor allem auch die deutsche Hauptstadt und Metropole Berlin.
Informativer als dieses Gesamtranking ist die Betrachtung einzelner Aspekte. Auf der positiven Seite weist hier Bremen nach den Worten der Autoren dieser Studie eine „hervorragende Gründungsdynamik“ auf, da es in dieser Dimension Rang sechs belegt. Deutlich über dem Schnitt liegt auch die Ingenieurquote mit einem Wert von 3,8 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Das verweist darauf, dass Bremen ein Hightech-Standort mit so bekannten Unternehmen wie Daimler, EADS oder OHB ist.
Positiv wird in dem Städteranking die
vergleichsweise geringe Zahl an Schulabbrechern gewertet; denn in der
Hansestadt beträgt die Quote 4,4 Prozent, während der bundesweite
Durchschnittswert bei 7,1 Prozent liegt.
Auch wenn dieser Indikator für ein
leistungsfähiges Bildungsangebot zu sprechen scheint, warnen die Ergebnisse der
PISA-Untersuchungen vor voreiligen Schlüssen; denn hier rangiert Bremen zumeist
deutlich abgeschlagen auf dem letzten Rang unter den 16 Bundesländer.
Vor diesem Hintergrund der beiden erhobenen
Tatbeständen „schlechte schulische Leistungen“ und „geringe
Schulabbrecherquote“ lässt sich so nicht unbedingt von den Abschlusszeugnissen
der Schulabgänger auf gute Chancen im weiteren Bildungs- und Ausbildungssystem
schließen. Man kann auch fragen, was die erworbenen Schulabschlüsse bei einem
Lernrückstand von über einem Jahr gegenüber anderen Bundesländern tatsächlich
bedeuten.
Negativ fallen in dieser Studie zwei
Indikatoren auf. So spricht die Untersuchung von einer "deutlichen
Schwäche" im Bereich der öffentlichen Sicherheit. Bremen findet sich so
wegen seiner hohen Kriminalitätskennzahlen auf Platz 46 wieder. Zudem schätzen
die Wirtschaftsakteure das Kostenbewusstsein der Verwaltung eher
unterdurchschnittlich ein: Nur jeder dritte Befragte gab ein positives Urteil
ab. Hier liegt Bremen nur auf dem 48. und damit drittletzten Platz.
Die Leiter dieser Untersuchung finden daher einerseits
durchaus lobende Worte: "Bremen hat hochproduktive zukunftsfähige
Industrien und im Bildungssektor offenbar auch vergleichsweise gute
Voraussetzungen." Allerdings geben sie auch zu bedenken: "Aus diesen
Voraussetzungen muss Bremen noch mehr machen. Denn wenn die Stadt überhaupt
Aussichten haben will, seine Verschuldungssituation erfolgreich anzugehen,
braucht es auf lange Sicht nachhaltige Wachstumsraten."
Das Städte-Ranking der Deka-Bank
Thematisch ähnlich
breit, aber weniger umfangreich und deutlich übersichtlicher als die IW
Consult-Analyse ist ein jährliches Städte-Ranking der Deka-Bank, also des
zentralen Asset Managers der Sparkassen-Finanzgruppe, die u.a. auch
Immobilenfonds betreut. Daher will dieses Ranking auch speziell die
Attraktivität der städtischen Immobilienmärkte herausstellen. Dazu dienen die
Teilaspekte: Lage auf dem Arbeitsmarkt, Demografie, Wohlstand, Zentralität,
Stabilität und Lebensqualität sowie speziell der Wohnungsmarkt.
Bremen gehört in dieser Untersuchung zum unteren
Mittelfeld, da es unter 32 Städten den Rang 26 belegt.
Rangplätze von Bremen, Hamburg und Hannover im Jahr 2012 in der Deka-Bank-Studie
Bereich
|
Bremen
|
Hamburg
|
Hannover
|
Arbeitsmarkt
|
22
|
12
|
20
|
Wohlstand
|
24
|
6
|
11
|
Stabilität
|
27
|
6
|
8
|
Demografie
|
15
|
1
|
11
|
Zentralität
|
19
|
10
|
7
|
Lebensqualität
|
31
|
3
|
24
|
Wohnungsmarkt
|
22
|
2
|
21
|
Gesamtergebnis |
26
|
2
|
12
|
Innerhalb dieser
sieben Bewertungsdimensionen liegt Bremen nach der Demografie, der Zentralität
sowie dem Arbeits- und Wohnungsmarkt relativ weit oben, während die Stabilität
und vor allem die Lebensqualität für das insgesamt eher durchwachsene Ergebnis
verantwortlich sind.
Ein Blick auf die
Einzelindikatoren kann diese Gesamtbewertungen erklären und verständlicher
machen. So weist Bremen im Bereich der Demografie einen besonders hohen Anteil
junger Menschen auf, die noch keine 18 Jahre waren. Ausschlaggebend für die
gute Zentralitätsbewertung ist der Flughafen, der von allen Teilen der Stadt
gut erreichbar ist. Der Arbeitsmarkt wurde trotz der hohen Arbeitslosenquote
positiv beurteilt, weil er gegenüber konjunkturellen Schwankungen relativ
resistent ist.
Die niedrige
Lebensqualität, wie sie von den Autoren dieser Studie definiert wird, resultiert größtenteils aus der hohen
Kriminalitätsziffer und erheblich weniger stark aus Mängeln bei der Ausstattung
mit kulturellen Einrichtungen.
Da Bremen nicht nur
eine große deutsche Stadt ist, sondern auch, sieht man einmal von dem deutlich
kleineren Bremerhaven ab, gleichzeitig das kleinste Bundesland ist, lassen sich
auch Analysen von Bundesländern ohne die Gefahr großer Fehler für die Stadt Bremen
verwenden. Das gilt etwa für die Pisa-Untersuchungen zu den schulischen
Leistungen, die nicht nur für internationale Vergleiche herangezogen werden,
sondern auch etwas übe die Erfolge der Schulpolitik der einzelnen Bundesländern
aussagen, da es hier in Deutschland mit seinem föderalen Bildungssystem sehr
deutlich Unterschiede gibt.
Ergebnisse der PISA-E- Auswertung von 2003 in den
Bereichen Lesen, Rechtschreibung und Mathematik (jeweils
Punkte und (Rang))
Bundesland
|
Lesekompetenz
|
Rechtschreibung
|
Mathematik
|
Bayern
|
509 (1)
|
524 (1)
|
533 (1)
|
Berlin
|
480
(15)
|
479
(13)
|
488
(14)
|
Hamburg
|
484
(14)
|
474
(14)
|
481
(15)
|
Bremen
|
469
(16)
|
461
(16)
|
471
(16)
|
Diese Ergebnisse sind für Bremen wenig schmeichelhaft, da
seine Schülerinnen und Schüler in allen untersuchten Bereichen meist deutlich
die schlechtesten unter den 16 Bundesländern sind. Da lassen sich als Ursachen
kaum Erhebungsunzulänglichkeiten verantwortlich machen.
Einnahmen, Ausgaben und Schulden der Bundesländer
Bundesland
|
Durchschn.
Einkommensteuer je Steuerpflichtigem (2007) (1)
|
Mitarbeiter
in der Kern-verwaltug (je 1.000
Einwohner
2009) (2)
|
Schulden
je Einwohner (2010) (3)
|
Schuldenquote
(2010)
(3)
|
Hamburg
|
10.325
€
|
6,0
|
14.119 €
|
28,4 %
|
Berlin
|
7.212 €
|
3,2
|
17.381
€
|
63,2 %
|
Bremen
|
7.627 €
|
5,6
|
27.129 €
|
64,5 %
|
Bayern
|
8.758 €
|
3,8
|
3.451 €
|
9,8 %
|
Auch in speziellen
Städtevergleichen zur Armut zählt Bremen zu den Sorgenkindern der deutschen Politik. So wies Bremen
im sogenannten Armutsbericht für 2011 hinter Berlin und noch vor
Mecklenburg-Vorpommern den zweithöchsten Anteil von
Arbeitslosengeld-II-Empfängern auf und lag bei der Armutsgefährdungsquote sogar
an der Spitze. Als armutsgefährdet gelten dabei Personen in Haushalten,
„deren Einkommen weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen
bedarfsgewichteten Einkommens (Median) in Deutschland beträgt.“
Armut in den Bundesländern 2011 (Armutsbericht
2012)
Bundesland
|
Armutsgefährdungsquote
|
SGB-II-Quote
|
Berlin
|
21,1
|
21,1
|
Hamburg
|
14,7
|
13,0
|
Bremen
|
22,3
|
18,1
|
Mecklenburg-Vorpommern
|
22,2
|
16,1
|
Deutschland
|
15,1
|
9,8
|
Von der Armutssituation in Bremen sind dabei die Kinder besonders betroffen, denn hier liegt Bremen jeweils bei den Hilfequoten sehr deutlich über dem Durchschnitt der größten 15 deutschen Städte.
Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II von
Kindern 2011 (Seils/Meyer)
Stadt/ Region
|
Hilfebedürftige unter den 3-jährige in %
|
Hilfebedürftige unter den 15-jährige in %
|
Bremen
|
31,1
|
28,5
|
Hamburg
|
21,1
|
21,3
|
15 Großstädte
|
24,2
|
23,2
|
Deutschland insgesamt
|
17,5
|
14,9
|
Zusammenfassend lässt sich so folgern, dass eine Reihe
von breit angelegten Studien zu sehr ähnlichen Diagnosen Bremens gelangen.
Anders als es dem
Bremischen Selbstverständnis entsprechen mag, ist danach Bremen unter den
meisten Aspekten nicht Spitze in Deutschland, auch nicht in einem positiven
Sinne anders als die übrige Bundesrepublik, denn nicht einmal bei den zentralen
Themen der Sozialdemokratie wie Bildung und Gleichheit bzw. Gerechtigkeit kommt
Bremen eine Vorbildfunktion zu. So schneiden sogar im Vergleich mit Städten
ähnlicher Struktur die Leistungen der Schulen unterdurchschnittlich ab und der
Anteil armer Einwohner ist relativ hoch.
Neben diesem
Wohlfahrtsranking, das zumindest teilweise eine Reihe von Teilaspekten
einschließt, gibt es noch ganz spezielle Studien; denn Städte lassen sich nicht
nur im Hinblick auf das Einkommensniveau oder die Lebensqualität ihrer Bewohner
beurteilen.
Man kann die
Attraktivität Bremens auch mit den Augen von Touristen oder gar Fußballfans
sehen. Das sind sogar Aspekte, die für Bremen deutlich positiver ausfallen als
die sozio-ökonomischen Daten der Statistik insgesamt. So war etwa Werder Bremen nicht nur zuletzt 2004 deutscher
Fußballmeister, sondern zählt zu den erfolgreichsten deutschen
Fußballmannschaften, was die Stadt an der Weser auch zu einem beliebten
Reiseziel für Fußballfans gemacht hat.
Werbung für Werder Bremen
Werbung für Werder Bremen
Aber Bremen mit
seiner Altstadt, die zum Weltkulturerbe zählt, hat für Touristen erheblich mehr
zu bieten als Fußball. So rangiert die Hansestadt als Gästeziel unter den
deutschen Städten auf Platz 11 und damit noch vor so bekannten
Tourismusmagneten wie Freiburg im Breisgau, Heidelberg und Würzburg. Betrachtet
man nur die beliebtesten Reiseziele von Städtereisen rangierte Bremen im Jahr
2011 sogar hinter Berlin, Hamburg, München, Dresden, Köln und Stuttgart auf
Platz 7, denn genau 1,3% aller Kurzreisen in deutsche Städte hatten die
Weserstadt als Ziel.
Bremen ist also ein sehr beliebtes Reiseziel für Touristen, das als
Wirtschaftsstandort und Wohnort jedoch eher im Mittelfeld der deutschen Städte
liegt, wobei sich Defizite vor allem aus problematischen Daten für die
Kriminalität, die Schulen und kulturelle Angebote für die Wohnbevölkerung
ergeben.Aber es wird sicherlich möglich sein, die vorhandenen Probleme zu managen, wenn man nach dem alten bremischen Kaufmannsspruch „buten un binnen – wagen un winnen“ handelt und mutig Lösungen sucht und tatkräftig realisiert.
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