Mittwoch, 16. Januar 2013

Sozialräume: HB-Nord



Aufklärung durch trockene Statistik:


Blumenthal und Bremen-Nord als Mischung von alten Industrieorten und suburbanem Raum





Bremen weist wie auch andere Städte eine deutliche innere Segregation der Bevölkerung auf. Dabei fällt auf, dass der Norden Bremens trotz seiner großen Entfernung vom Stadtmittelpunkt nicht ein typischer suburbaner Raum ist. Eine Ursache ist die historische Entwicklung Blumenthals, das bis 1939 eine selbständige Kreis- und Industriestadt mit eigenen städtischen Strukturen war.

Jedoch findet man auch in den anderen Ortsteilen kaum ausgeprägte Siedlungen mit jungen Familien, die ihre Kinder im Grünen aufwachsen sehen möchten. Sogar die am Rand einer Agglomeration erwartete geringe Umweltbelastung gilt in Bremen-Nord nur bedingt, da hier einige Sonderbelastungen auftreten.

Daher fallen die für Stadtränder untypischen und zumindest heute  problembehafteten Großsiedlungen auf, in denen sich Einwohner mit Migrationshintergrund, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger konzentrieren.
 

Betrachtet man einen Stadtplan oder erkundet gar Großstädte wie Bremen zu Fuß oder per Rad bietet sich ein komplexes Mosaik von Flächennutzungen, Gebäudetypen und nicht zuletzt vielen einzelnen Straßen und zahllosen Häusern, die sich in ihrem Alter, ihrer Größe, ihrer Fassade und ihrer Nutzung unterscheiden, sodass sich kaum eine Ordnung erkennen lässt.

Dennoch haben vor knapp hundert Jahren Stadtforscher in Chicago in diesem Chaos eine grobe Regelmäßigkeit entdeckt, die sich, wenn auch mit kleine Änderungen, in heutigen Städten wiederfinden lässt. Verursachende Faktoren sind die Bodenpreise, die vom Kern in Richtung Peripherie fallen, sowie die unterschiedlichen Einkommen einzelner Bevölkerungsgruppen, aber auch abweichende Wohnpräferenzen.

So lässt sich etwa eine deutliche Trennung der Wohnbevölkerung nach ihrem sozialen und ihrem familialen Status nachweisen, indem jede Stadt einerseits typische Arbeiter- und bürgerliche oder gehobene Wohnviertel aufweist und andererseits Quartiere, in denen entweder vor allem Alleinstehende oder junge Familien mit Kindern leben.

In Bremen liegen zwischen den Ortteilen Bürgerpark und Borgfeld die Gebiete mit einem hohen sozialer Status, während sich nördlich davon zwischen Gröpelingen und Farge  entlag der Weser ein Sektor mit klassischen Arbeitervierteln entlangzieht. Hierfür dürften einerseits die Häfen und Werften mit ihren Arbeitsplätzen sowie andererseits die Parklandschaften von Bürgerpark und Rhododendronpark als Anreize für betuchtere Anwohner verantwortlich sein, die nicht ganz nahe an ihrem Arbeitsplatz mit den üblichen Umweltbelastungen wohnen mussten.


                                       Rhododendronpark im Ortsteil Horn

Gebiete mit hohem und niedrigem sozialen Status

Nimmt man den Anteil der Arbeiter und den der Gymnasiasten als Indikatoren, lassen sich deutlich Unterschiede zwischen den Ortsteilen der Stadtteile Blumenthal, Burglesum und Vegesack erkennen. So findet man relativ wenige Arbeiter und viele Gymnasiasten in St. Magnus, während vor allem Burgdamm und Grohn ein gegenteiliges Profil aufweisen. Dabei sind die Unterschiede jedoch deutlich geringer als etwa die zwischen Bürgerpark und Hohlweg, wenn man einen Blick auf das gesamte Stadtgebiet wirft.

                                Stadt- und Ortsteile in Bremen-Nord (Quelle: wikipedia)


Sozialer Status der Orteile Bremen-Nords


Ortsteile

Arbeiter-
anteil (in%)
Gymnasiasten-
anteil (in%)

Blumenthal



Blumenthal
49,7
31,2
Rönnebeck
47,0
34,1
Lüssum
52,9
34,1
Farge
47,0
39,1
Rekum
42,3
36,2
Burglesum



Burg-Gramke
45,3
29,3
Werderland
35,1
42,9
Burgdamm
54,9
29,9
Lesum
32,6
42,0
St. Magnus
27,3
55,9
Vegesack


Vegesack
37,0
43,1
Grohn
46,6
28,8
Schönebeck
34,9
56,0
Aumund-Ham.
46,6
35,3
Fähr-Lobbend.
46,3
42,6


Vergleichsortsteile



Bürgerpark
9,9
86,4
Hohlweg
60,7
25,0


Gebiete mit hohem und niedrigem familialem Status

Nach dem Familienstatus unterscheiden sich generell die Anforderungen an die Wohnumgebung, da Familien mit Kindern Häuser mit Gärten oder zumindest Wohnungen mit viel Grün und Spielplätzen in der Umgebung bevorzugen, die größere Flächen verlangen als Penthousewohnungen von Singles.

So findet man nahe der Stadtkerne mit ihren hohen Bodenpreise nur wenige Einfamilienhäuser wie in der Alten Neustadt, während es in einem äußeren Ring von Rekum im Nordosten über Borgfeld im Osten, Osterholz und Habenhausen im Süden und Grolland im Südwesten relativ viele Haushalte mit Kindern gibt bzw. eine hohen Anteil von unter 18-jährigen an der Wohnbevölkerung.

Familialer Status der Orteile Bremen-Nords

Ortsteile

Haushalte mit Kind (in %)
Wohnungen in Einfa-milienhäusern (in %)
Anteil der Einpersonen-haushalte (in %)

Blumenthal




Blumenthal
21,2
25,9
45,0
Rönnebeck
20,3
37,9
40,5
Lüssum
20,7
26,3
42,1
Farge
20,8
41,5
37,4
Rekum
22,7
57,4
28,7
Burglesum



Burg-Gramke
18,2
30,9
44,5
Werderland
20,3
59,5
42,9
Burgdamm
20,1
23,3
42,5
Lesum
17,2
33,5
45,8
St. Magnus
17,1
28,3
44,3

Vegesack




Vegesack
16,2
18,5
52,1
Grohn
18,1
32,8
39,7
Schönebeck
20,0
49,5
38,1
Aumund-Ham.
20,7
33,8
40,7
Fähr-Lobbend.
16,3
23,8
50,3

Vergleichsortsteile




Borgfeld
31,5
65,6
28,1
Seehausen
29,8
52,8
30,0
Altstadt
4,4
7,1
78,1


Gebiete mit hohem und niedrigem Benachteiligungsstatus 


Neben diesen beiden Verteilungsprinzipien gibt es noch ein drittes, da die Betroffenen wegen niedriger Einkommen etwa aus Transferzahlungen oder prekären Beschäftigungsverhältnissen, auf einen besonders preiswerten Wohnraum angewiesen sind. Solche Wohnungen findet man in der Regel in Sanierungsgebieten nahe der Stadtkerne.

Das gilt allerdings nicht für sanierte und entkernte Altbaugebiete, die durch ihr Flair und ihren Charme häufig Haushalte anziehen, die auch in der Lage sind, höhere Mieten zu zahlen. Die Einkommensschwächeren müssen dann die Wohnungen mieten, die ihnen vom Preis her in anderen Teilen der Stadt zur Verfügung stehen. Das sind in der Regel Sozialwohnungen, die sich in Bremen in einer Reihe von Großsiedlungen konzentrieren. Nicht der Markt, sondern die Stadtplanung und die meist kommunalen Wohnungsbaugesellschaften sind damit für diese Form der sozialen Verteilung innerhalb des Stadtgebiets verantwortlich.

In Bremen hat man für diese Bevölkerungsgruppen einen speziellen Benachteiligungsindex berechnet, bei dem 2009 die Ortsteile Gröpelingen (1), Tenever (2), Ohlenhof (3), Lindenhof (4), Neue Vahr Nord (5), Neuenland (6), Kattenturm (7), Oslebshausen (8), Kirchhuchting (9) und Hemelingen (10) besonders hohe Werte aufwiesen. (vgl. Derzak, S. 13)

Mithilfe dieses Indikators können nicht nur soziale Unterschiede zwischen den einzelnen Ortsteilen gemessen werden, sondern auch relative Entwicklungstendenzen. Vergleicht man etwa die Einstufungen von 2005 und 2009, wie es in der folgenden Tabelle unternommen ist, kann man für Grohn eine relativ positive Entwicklung erkennen, da dieser Ortsteil fünf Rangplätze „gewonnen“ hat. Auf der anderen Seite hat Schönbeck von seiner guten Ausgangsposition im Jahr 2005 sieben Rangplätze verloren.

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in diesen Index auch Merkmale einbezogen wurden, die üblicherweise den sozialen Status erfassen. So wurde auf den Anteil der Haupt- und Realschüler zurückgegriffen.


Neben dem Benachteiligungsindex können die drei Merkmale Arbeitslosenziffer, Anteil der Hartz-IV-Bezieher und Migrantenquote auf spezielle Aspekte der Benachteiligung hinweisen. Das gilt etwa in Grohn für den hohen Migrantenanteil und in Lüssum für die vielen Arbeitslosen. Insgesamt liegen die Werte jedoch deutlich unter denen von Gröpelingen und Tenever, also den Bremer Gebieten mit der stärksten Benachteiligung in den Jahren 2005-9.

Der Ortsteil Blumenthal ähnelt heute in städtebaulicher Hinsicht teilweise der früheren Situation im Quartier Ostertor, wo vor der Sanierung zwischen 1973 und 1990 vor allem Bevölkerungsgruppen mit einem niedrigen sozialen Status lebten. Das hat sich jedoch inzwischen deutlich geändert, wie beispielsweise der Anteil der Hartz-IV-Bezieher zeigt.

Benachteiligungsstatus der Ortsteile Bremen-Nords


Ortsteile

Arbeitslosen-ziffer
Hartz IV-Empfänger
Migranten-
quote
Benachteili-
gungsrang 2005
Benachteili-
gungsrang 2009

Blumenthal






Blumenthal
16,6
25,0
34,3
15
19
Rönnebeck
13,9
 15,7
 17,0
45
39
Lüssum
21,4
25,8
 29,1
11
14
Farge
14,7
 15,5
 15,7
48
45
Rekum
9,2
 8,8
 12,7
57
58
Burglesum





Burg-Gramke
15,9
18,8
24,8
27
30
Werderland
12,9
2,3
6,6
-
-
Burgdamm
18,0
23,2
36,2
24
25
Lesum
11,0
12,1
17,0
42
43
St. Magnus
8,2
7,1
15,7
60
64

Vegesack






Vegesack
19,4
18,9
26,3
32
33
Grohn
19,7
23,7
 46,4
8
13
Schönebeck
11,2
12,0
17,8
55
48
Aumund-Ham.
19,0
20,8
25,8
37
34
Fähr-Lobbendorf
19,6
21,0
23,0
32
29


Vergleichsortsteile






Tenever
27,0
39,5
61,6
1
2
Ostertor
14,7
12,3
21,9
49
52
Borgfeld
3,6
2,3
13,1
79
77

Die Individualität Bremen-Nords

Bremen-Nord ist somit von seiner Wohnbevölkerung her ein Stadtteil, der vom sozialen Status im Weser-Sektor liegt, der in Bremen trotz seiner naturräumlichen Vorteile nicht zu den gehobenen bürgerlichen Vierteln zählt. Der Fluss ist hier anders als etwa in Hamburg mit der Elbchaussee und Blankenese nicht der Ausgangspunkt für gehobene Wohnlagen.

Das passt noch in das typische sozialräumliche Muster. Deutliche Abweichungen vom üblichen Muster sind jedoch die fehlenden Wohnlagen für Familien mit Kindern und vor allem die Problemviertel. Anders als im Modell, das von einer freien Konkurrenz um Wohnstandorte ausgeht, liegen die Brennpunkte nicht am Rande des Bremer Zentrums. Vielmehr befinden sie sich in den Ortsteilen, in denen durch die Stadtpolitik ganz gezielt Großsiedlungen errichtet wurden. So findet man hohe Arbeitslosenziffern und relativ häufige Hartz IV-Zahlungen in Lüssum mit der Großwohnanlage Lüssumer Heide, in Grohn mit Grohner Düne und in Burgdamm mit Marßel. Ähnlich hohe Problemindikatoren besitzt in Bremen-Nord nur noch der Ortsteil Blumenthal, den man als altes Mittelzentrum mit einem alten gewerblichen Kern interpretieren kann. Nur hier ist also im Kleinformat ein klassisches Sanierungsgebiet entstanden, wie man es von den alten Industrieflächen am Rande der Altstädte vieler Metropolen kennt.

Die nackten Zahlen der amtlichen Statistik weisen somit die Ortsteile am nördlichen Bremer Stadtrand nicht als beliebtes Wohngebiet für junge Familien aus, sondern in drei oder vier Fällen als einen Verdrängungsraum für soziale Problemgruppen, die hier besonders konzentriert wurden.

Quellen:
Denker, Wolfgang, Sozialindikatoren 2005, Bremen 2006.
Derzak, Rolf, Sozialindikatoren 2009. Aktualisierung der Sozialindikatoren, Bremen 2010.
Statistisches Landesamt Bremen,Bremen Kleinräumig Infosystem und Bremer Wahlatlas: Bürgerschaftswahl 2011.

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