Aufklärung durch trockene Statistik:
Blumenthal und Bremen-Nord als Mischung von alten Industrieorten und suburbanem Raum
Bremen weist wie auch andere Städte eine deutliche innere
Segregation der Bevölkerung auf. Dabei fällt auf, dass der Norden Bremens trotz
seiner großen Entfernung vom Stadtmittelpunkt nicht ein typischer suburbaner
Raum ist. Eine Ursache ist die historische Entwicklung Blumenthals, das bis
1939 eine selbständige Kreis- und Industriestadt mit eigenen städtischen
Strukturen war.
Jedoch findet man auch in den anderen Ortsteilen kaum
ausgeprägte Siedlungen mit jungen Familien, die ihre Kinder im Grünen
aufwachsen sehen möchten. Sogar die am Rand einer Agglomeration erwartete
geringe Umweltbelastung gilt in Bremen-Nord nur bedingt, da hier einige
Sonderbelastungen auftreten.
Daher fallen die für Stadtränder untypischen und zumindest
heute problembehafteten Großsiedlungen
auf, in denen sich Einwohner mit Migrationshintergrund, Arbeitslose und
Hartz-IV-Empfänger konzentrieren.
Betrachtet man einen Stadtplan oder erkundet gar
Großstädte wie Bremen zu Fuß oder per Rad bietet sich ein komplexes Mosaik von
Flächennutzungen, Gebäudetypen und nicht zuletzt vielen einzelnen Straßen und
zahllosen Häusern, die sich in ihrem Alter, ihrer Größe, ihrer Fassade und
ihrer Nutzung unterscheiden, sodass sich kaum eine Ordnung erkennen lässt.
Dennoch haben vor knapp hundert Jahren Stadtforscher in
Chicago in diesem Chaos eine grobe Regelmäßigkeit entdeckt, die sich, wenn auch
mit kleine Änderungen, in heutigen Städten wiederfinden lässt. Verursachende
Faktoren sind die Bodenpreise, die vom Kern in Richtung Peripherie fallen,
sowie die unterschiedlichen Einkommen einzelner Bevölkerungsgruppen, aber auch
abweichende Wohnpräferenzen.
So lässt sich etwa eine deutliche Trennung der
Wohnbevölkerung nach ihrem sozialen und ihrem familialen Status nachweisen,
indem jede Stadt einerseits typische Arbeiter- und bürgerliche oder gehobene
Wohnviertel aufweist und andererseits Quartiere, in denen entweder vor allem
Alleinstehende oder junge Familien mit Kindern leben.
In Bremen liegen zwischen den Ortteilen Bürgerpark und
Borgfeld die Gebiete mit einem hohen sozialer Status, während sich nördlich
davon zwischen Gröpelingen und Farge
entlag der Weser ein Sektor mit klassischen Arbeitervierteln
entlangzieht. Hierfür dürften einerseits die Häfen und Werften mit ihren
Arbeitsplätzen sowie andererseits die Parklandschaften von Bürgerpark und
Rhododendronpark als Anreize für betuchtere Anwohner verantwortlich sein, die
nicht ganz nahe an ihrem Arbeitsplatz mit den üblichen Umweltbelastungen wohnen
mussten.
Rhododendronpark im Ortsteil Horn
Rhododendronpark im Ortsteil Horn
Nimmt man den Anteil der Arbeiter und den der
Gymnasiasten als Indikatoren, lassen sich deutlich Unterschiede zwischen den
Ortsteilen der Stadtteile Blumenthal, Burglesum und Vegesack erkennen. So
findet man relativ wenige Arbeiter und viele Gymnasiasten in St. Magnus,
während vor allem Burgdamm und Grohn ein gegenteiliges Profil aufweisen. Dabei
sind die Unterschiede jedoch deutlich geringer als etwa die zwischen Bürgerpark
und Hohlweg, wenn man einen Blick auf das gesamte Stadtgebiet wirft.
Stadt- und Ortsteile in Bremen-Nord (Quelle: wikipedia)
Stadt- und Ortsteile in Bremen-Nord (Quelle: wikipedia)
Sozialer Status der Orteile Bremen-Nords
Ortsteile |
Arbeiter-
anteil (in%)
|
Gymnasiasten-
anteil (in%)
|
Blumenthal |
||
Blumenthal
|
49,7
|
31,2
|
Rönnebeck
|
47,0
|
34,1
|
Lüssum
|
52,9
|
34,1
|
Farge
|
47,0
|
39,1
|
Rekum
|
42,3
|
36,2
|
Burglesum
|
||
Burg-Gramke
|
45,3
|
29,3
|
Werderland
|
35,1
|
42,9
|
Burgdamm
|
54,9
|
29,9
|
Lesum
|
32,6
|
42,0
|
St.
Magnus
|
27,3
|
55,9
|
Vegesack | ||
Vegesack
|
37,0
|
43,1
|
Grohn
|
46,6
|
28,8
|
Schönebeck
|
34,9
|
56,0
|
Aumund-Ham.
|
46,6
|
35,3
|
Fähr-Lobbend.
|
46,3
|
42,6
|
Vergleichsortsteile |
||
Bürgerpark
|
9,9
|
86,4
|
Hohlweg
|
60,7
|
25,0
|
Nach dem Familienstatus unterscheiden sich generell die
Anforderungen an die Wohnumgebung, da Familien mit Kindern Häuser mit Gärten
oder zumindest Wohnungen mit viel Grün und Spielplätzen in der Umgebung
bevorzugen, die größere Flächen verlangen als Penthousewohnungen von Singles.
So findet man nahe der Stadtkerne mit ihren hohen
Bodenpreise nur wenige Einfamilienhäuser wie in der Alten Neustadt, während es
in einem äußeren Ring von Rekum im Nordosten über Borgfeld im Osten, Osterholz
und Habenhausen im Süden und Grolland im Südwesten relativ viele Haushalte mit
Kindern gibt bzw. eine hohen Anteil von unter 18-jährigen an der
Wohnbevölkerung.
Ortsteile
|
Haushalte
mit Kind (in %)
|
Wohnungen in Einfa-milienhäusern (in %)
|
Anteil
der Einpersonen-haushalte (in %)
|
Blumenthal
|
|||
Blumenthal
|
21,2
|
25,9
|
45,0
|
Rönnebeck
|
20,3
|
37,9
|
40,5
|
Lüssum
|
20,7
|
26,3
|
42,1
|
Farge
|
20,8
|
41,5
|
37,4
|
Rekum
|
22,7
|
57,4
|
28,7
|
Burglesum
|
|||
Burg-Gramke
|
18,2
|
30,9
|
44,5
|
Werderland
|
20,3
|
59,5
|
42,9
|
Burgdamm
|
20,1
|
23,3
|
42,5
|
Lesum
|
17,2
|
33,5
|
45,8
|
St. Magnus
|
17,1
|
28,3
|
44,3
|
Vegesack
|
|||
Vegesack
|
16,2
|
18,5
|
52,1
|
Grohn
|
18,1
|
32,8
|
39,7
|
Schönebeck
|
20,0
|
49,5
|
38,1
|
Aumund-Ham.
|
20,7
|
33,8
|
40,7
|
Fähr-Lobbend.
|
16,3
|
23,8
|
50,3
|
Vergleichsortsteile
|
|||
Borgfeld
|
31,5
|
65,6
|
28,1
|
Seehausen
|
29,8
|
52,8
|
30,0
|
Altstadt
|
4,4
|
7,1
|
78,1
|
Gebiete mit hohem und niedrigem Benachteiligungsstatus
Neben diesen beiden Verteilungsprinzipien gibt es noch ein
drittes, da die Betroffenen wegen niedriger Einkommen etwa aus
Transferzahlungen oder prekären Beschäftigungsverhältnissen, auf einen
besonders preiswerten Wohnraum angewiesen sind. Solche Wohnungen findet man in
der Regel in Sanierungsgebieten nahe der Stadtkerne.
Das gilt allerdings nicht für sanierte und entkernte
Altbaugebiete, die durch ihr Flair und ihren Charme häufig Haushalte anziehen,
die auch in der Lage sind, höhere Mieten zu zahlen. Die Einkommensschwächeren
müssen dann die Wohnungen mieten, die ihnen vom Preis her in anderen Teilen der
Stadt zur Verfügung stehen. Das sind in der Regel Sozialwohnungen, die sich in
Bremen in einer Reihe von Großsiedlungen konzentrieren. Nicht der Markt,
sondern die Stadtplanung und die meist kommunalen Wohnungsbaugesellschaften
sind damit für diese Form der sozialen Verteilung innerhalb des Stadtgebiets
verantwortlich.
In Bremen hat man für diese Bevölkerungsgruppen einen speziellen Benachteiligungsindex berechnet, bei dem 2009 die Ortsteile Gröpelingen (1), Tenever (2), Ohlenhof (3), Lindenhof (4), Neue Vahr Nord (5), Neuenland (6), Kattenturm (7), Oslebshausen (8), Kirchhuchting (9) und Hemelingen (10) besonders hohe Werte aufwiesen. (vgl. Derzak, S. 13)Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass in diesen Index auch Merkmale einbezogen wurden, die üblicherweise den sozialen Status erfassen. So wurde auf den Anteil der Haupt- und Realschüler zurückgegriffen.
Neben dem Benachteiligungsindex können die drei Merkmale
Arbeitslosenziffer, Anteil der Hartz-IV-Bezieher und Migrantenquote auf
spezielle Aspekte der Benachteiligung hinweisen. Das gilt etwa in Grohn für den
hohen Migrantenanteil und in Lüssum für die vielen Arbeitslosen. Insgesamt
liegen die Werte jedoch deutlich unter denen von Gröpelingen und Tenever, also den Bremer Gebieten mit der stärksten Benachteiligung in den Jahren 2005-9.
Ortsteile
|
Arbeitslosen-ziffer |
Hartz
IV-Empfänger
|
Migranten-
quote
|
Benachteili-
gungsrang
2005
|
Benachteili-
gungsrang 2009
|
Blumenthal
|
|||||
Blumenthal
|
16,6
|
25,0
|
34,3
|
15
|
19
|
Rönnebeck
|
13,9
|
15,7
|
17,0
|
45
|
39
|
Lüssum
|
21,4
|
25,8
|
29,1
|
11
|
14
|
Farge
|
14,7
|
15,5
|
15,7
|
48
|
45
|
Rekum
|
9,2
|
8,8
|
12,7
|
57
|
58
|
Burglesum
|
|||||
Burg-Gramke
|
15,9
|
18,8
|
24,8
|
27
|
30
|
Werderland
|
12,9
|
2,3
|
6,6
|
-
|
-
|
Burgdamm
|
18,0
|
23,2
|
36,2
|
24
|
25
|
Lesum
|
11,0
|
12,1
|
17,0
|
42
|
43
|
St. Magnus
|
8,2
|
7,1
|
15,7
|
60
|
64
|
Vegesack
|
|||||
Vegesack
|
19,4
|
18,9
|
26,3
|
32
|
33
|
Grohn
|
19,7
|
23,7
|
46,4
|
8
|
13
|
Schönebeck
|
11,2
|
12,0
|
17,8
|
55
|
48
|
Aumund-Ham.
|
19,0
|
20,8
|
25,8
|
37
|
34
|
Fähr-Lobbendorf
|
19,6
|
21,0
|
23,0
|
32
|
29
|
Vergleichsortsteile |
|||||
Tenever
|
27,0
|
39,5
|
61,6
|
1
|
2
|
Ostertor
|
14,7
|
12,3
|
21,9
|
49
|
52
|
Borgfeld
|
3,6
|
2,3
|
13,1
|
79
|
77
|
Bremen-Nord ist somit von seiner Wohnbevölkerung her ein
Stadtteil, der vom sozialen Status im Weser-Sektor liegt, der in Bremen trotz
seiner naturräumlichen Vorteile nicht zu den gehobenen bürgerlichen Vierteln
zählt. Der Fluss ist hier anders als etwa in Hamburg mit der Elbchaussee und
Blankenese nicht der Ausgangspunkt für gehobene Wohnlagen.
Das passt noch in das typische sozialräumliche Muster. Deutliche
Abweichungen vom üblichen Muster sind jedoch die fehlenden Wohnlagen für
Familien mit Kindern und vor allem die Problemviertel. Anders als im Modell,
das von einer freien Konkurrenz um Wohnstandorte ausgeht, liegen die
Brennpunkte nicht am Rande des Bremer Zentrums. Vielmehr befinden sie sich in
den Ortsteilen, in denen durch die Stadtpolitik ganz gezielt Großsiedlungen
errichtet wurden. So findet man hohe Arbeitslosenziffern und relativ häufige
Hartz IV-Zahlungen in Lüssum mit der Großwohnanlage Lüssumer Heide, in Grohn
mit Grohner Düne und in Burgdamm mit Marßel. Ähnlich hohe Problemindikatoren
besitzt in Bremen-Nord nur noch der Ortsteil Blumenthal, den man als altes
Mittelzentrum mit einem alten gewerblichen Kern interpretieren kann. Nur hier
ist also im Kleinformat ein klassisches Sanierungsgebiet entstanden, wie man es
von den alten Industrieflächen am Rande der Altstädte vieler Metropolen kennt.
Die nackten Zahlen der amtlichen Statistik weisen somit
die Ortsteile am nördlichen Bremer Stadtrand nicht als beliebtes Wohngebiet für
junge Familien aus, sondern in drei oder vier Fällen als einen Verdrängungsraum
für soziale Problemgruppen, die hier besonders konzentriert wurden.
Quellen:
Denker, Wolfgang, Sozialindikatoren 2005, Bremen 2006.
Derzak, Rolf, Sozialindikatoren 2009. Aktualisierung der Sozialindikatoren, Bremen 2010.
Statistisches Landesamt Bremen,Bremen Kleinräumig Infosystem und Bremer Wahlatlas: Bürgerschaftswahl 2011.Derzak, Rolf, Sozialindikatoren 2009. Aktualisierung der Sozialindikatoren, Bremen 2010.
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