Mittwoch, 16. Januar 2013

Versorgung

Zerbröselnde Nordbremische 

(Kauf-)kraft


Hintergrund: Nach dem Kommunalen Zentren- und Nahversorgungskonzept, das unter dem programmatischen Titel “Komm mit nach Morgen“ steht, strebt Bremen eine „Konzentration auf Zentren“ an, wodurch die polyzentrische Struktur mit der Innenstadt, dem Mittelzentrum Vegesack, den Nebenzentren in den Stadtteilen sowie den Nahversorgungsbereichen in den Ortsteilen stabilisiert und weiterentwickelt wird.

Im Stadtbezirk Bremen soll sich der Einzelhandel daher auf das Zentrum Vegesack, die Stadteilzentren Blumenthal und Burglesum sowie die Nahversorgungszentren Farge, Lüssum und Marßel konzentrieren.

Dieser angestrebten Struktur steht einerseits die Konkurrenz durch das Shopping- und Freizeit-Center Waterfront im benachbarten Stadtteil Häfen entgegen, das aus dem Flop der ursprünglichen Entertainment-Anlage Space Park hervorgegangen ist.

Probleme stellen andererseits die bisher wenig verdichteten und architektonisch kaum ansprechenden Stadtteilzentren in Blumenthal und Burglesum, die im Wettbewerb mit den Dienstleistungsmagneten der Waterfront und Vegesacks, aber auch SB-Warenhäusern in den Umlandgemeinden stehen.

Bestenfalls suboptimal ist in diesem Konzept auch die Nahversorgungssituation einer Reihe von Ortsteilen gelöst, die relativ weit von Zentren entfernt liegen, wie etwa die in Rekum.

Es bestehen somit ständige Konflikte zwischen dem Leitbild der Stadtplanung und der Vitalität des Marktes, die zu ständig neuen Vertriebsformen und Kombinationen von gastronomischen und Erlebnisangeboten führt.



Bremen ist eine ordentliche Stadt. Daher ist man gegenüber den wilden Kräften der Marktes skeptisch und will sie mit der ordnenden Hand der Planung in für wünschenswert gehaltene Bahnen lenken.

Das gilt jedenfalls für die Verteilung der Einkauf- und Dienstleistungsangebote. Hier hat man eine sorgfältige Bestandsaufnahme vornehmen lassen, um zu sehen, ob auch die Einwohner in der gesamten Stadt gut versorgt sind. Grundlage für diese Beurteilung ist die von dem deutschen Regionalwissenschafter Walter Christaller entwickelte Theorie der zentralen Orte, nach der sich in einer idealen Gesellschaft ein System von Orten hierarchischer Zentralität herausbildet, wobei jeweils ein Zentrum höherer Ordnung, also etwa ein Oberzentrum wie Bremen, von einem Ring von Mittelzentren wie beispielsweise Vegesack, Delmenhorst und Achim umgeben ist.

Dieses System wurde auf die innere Gliederung von Stadtregionen übertragen, so dass es in Städten wie Bremen neben der City als Hauptzentrum, Stadtteil- und weitere Nebenzentren gibt.

Der Einzelhandel in Bremen-Nord

Empirische Grundlage des Konzepts ist eine umfassende Bestandserhebung aller
Einzelhandelsbetriebe (inkl. Leerstände) in der gesamten Region Bremen, die im Zeitraum von Januar bis Mai 2006 durch das Büro Staiger, Leonberg, durchgeführt wurde.

Die Auswertung für Bremen erfolgte anschießend durch das Dortmunder Büro Junker und Kruse, das sich auf Fragen des Einzelhandels im Rahmen der Stadtplanung spezialisiert hat und u.a. bereits 1999 eine Bewertung potenzieller Einzelhandelsstandorte im Stadtbezirk Blumenthal durchführte, wie aus der Referenzenliste des Büros hervorgeht.

Hinsichtlich der damals vorhandenen Verkaufsfläche wird eine Konzentration des mittelfristigen Bedarfs auf Vegesack deutlich, während bei Nahrungs- und Genussmitteln sowie generell im kurzfristigen Bedarf auch in Blumenthal eine recht große Verkaufsfläche zur Verfügung steht. Das gilt deutlich weniger für den Stadtteil Burglesum.

Verkaufsfläche pro Einwohner in den Stadtteilen Bremen-Nords 2006

Warengruppe
Blumenthal
Burglesum
Vegesack
Nahrung- und Genussmittel
0,40 
0,27
0,48
Kurzfristiger Bedarf
0,50
0,41
0,67
Mittelfristiger Bedarf
0,09
0,13
0,57
Langfristiger Bedarf
0,53
0,41
0,37

Eine Umrechnung auf einen Zentralitätswert unterstreicht diese erste Einschätzung sehr deutlich. Diese Kennziffer gibt die Relation zwischen dem tatsächlichen Umsatz und  der am Ort vorhandenen Kaufkraft an, sodass Werte über 1 einen Zufluss an Kaufkraft von Käufern jenseits der Stadtteilgrenzen bedeuten. Es lässt sich also deutlich erkennen, dass zum Zeitpunkt der Erhebung, also 2006, Vegesack die Funktion eines Mittelzentrums und Blumenthal recht knapp die eines Stadtteilzentrums erfüllte.

Zentralität in den Stadtteilen Bremen-Nords

Warengruppe
Blumenthal
Burglesum
Vegesack
Nahrung- und Genussmittel
1,16
0,77
1,34
Kurzfristiger Bedarf
1,02
0,78
1,22
Mittelfristiger Bedarf
0,31
0,40
2,22
Langfristiger Bedarf
0,63
0,55
0,79

Vom Ist- zum Soll-Zustand

Durch die Bestandserhebung konnte so der Ist-Zustand erfasst werden, der anschließend von den Planern eine stadtplanerische Bewertung erfuhr. Daraus entwickelten sie ein Zentrenkonzept, das von den zuständigen politischen Gremien absegnet und daher für die Verwaltung bei den jeweiligen Genehmigungen bindend ist.

Dabei kann eine realistische Planung zwangsläufig den vorhandenen Bestand nicht durch einige Federstriche auf dem Papier völlig verändern, indem sie ein neues, besseres Verteilungsszenario zeichnet.

Das ist einerseits irreal, da in dem Ist-Zustand eine in vielen Jahren gebaute Umwelt mit Geschäftslokalen, Parkplätzen etc. und damit erheblichen Investitionsmitteln vorhanden ist. Änderungen bedeuten somit immer die Vernichtung von Volksvermögen und verstoßen rechtlich gesehen gegen einen Bestandsschutz.

Andererseits ist dieser Ist-Zustand durch Marktkräfte entstanden. Einzelhändler und andere Dienstleister haben Angebote geschaffen, was nur möglich war, da sie an dem jeweiligen Standort genügend Nachfrage gefunden haben.

Dennoch darf man in der jeweiligen Situation kein starres System sehen, da ständig neue Angebote entstehen, die mehr oder weniger erfolgreich sind, während andere Geschäfte Kunden verlieren oder aus persönlichen Gründen von ihren Besitzern aufgegeben werden.

Zu besonders großen Veränderungen haben jeweils neue Vertriebsformen des Handels geführt. Das galt etwa seit den 1970er Jahren für die SB-Warenhäuser und aktuell etwa die Factory-Outlet-Center, die die Planer vor große Herausforderungen stellen, da sie sich fast ausschließlich an Pkw-Kunden richten, wegen ihres großen Flächenbedarfs nur schlecht in gewachsenen Zentren integrieren lassen und von ihrem breiten Sortiment her häufig bereits eigene städtische Zentren bilden.


Ähnliches gilt für Einkaufspassagen und die enge Verzahnung von Einkaufs- und Freizeitangeboten. Auch vom wachsenden Internethandel sind deutliche Auswirkungen zu erwarten, da sie zu einer deutlichen Verschiebung der benötigten Flächenstruktur führen dürften. So wird der Bedarf an Flächen für die Warengruppen, bei denen es besonders große Steigerungen gibt wie etwa Bücher, Medien, Bild- und Tonträger sinken, während Anbieter, die ein Einkaufserlebnis, eine fachliche Beratung und eine Prüfung von Waren bieten, an Bedeutung gewinnen werden. Daher gilt also gerade heute die Formel „Handel ist Wandel“, was die häufig komplexe und daher schwerfällige Stadtplanung vor erhebliche Probleme stellen kann.

Die Bremer Sortimentsliste

Diese Schwierigkeiten lassen sich am Beispiel der sogenannten Sortimentlisten verdeutlichen. Zuerst wurden sie in Städten wie Köln und Bielefeld aufgestellt, um die City und bestehende andere Stadtteilzentren vor der neuen Vertriebsform der SB-Warenhäuser auf der „grünen Wiese“ zu schützen. Verwaltungsgerichte schränken später diese planerischen Vorgaben ein, indem sie für jede Stadt spezifische Listen forderten. Da die Kundenwünsche und der Raumbedarf sich jedoch von Stadt zu Stadt bestenfalls wenig unterscheiden, sind diese Sortimentslisten weiterhin sehr ähnlich aufgebaut. So findet man generell neben den nahversorgungsrelevanten Sortimenten die zentrenrelevanten und die nicht zentrenrelevanten Sortimente.

Zu den nahversorgungsrelevanten Sortimente, die dem kurzfristigen Bedarf dienen, gehören etwa Milch, Brot, Getränke, Zeitungen, Shampoo, Hustensaft, Blumen und Briefpapier.  


Diese nahversorgungsrelevanten Sortimente können auch zentrenrelevant sein, werden dann jedoch durch weitere zentrenrelevanten Sortimente ergänzt, die neben dem kurzfristigen auch dem mittel- und langfristigen Bedarf dienen, so vor allem Bekleidung und Bücher sowie Elektro- und Haushaltswaren.

Auf diese beiden Kategorien konzentrieren sich die Auswahlkriterien, mit denen die Stadtplanung das Hauptzentrum und die Nebenzentren einer Kommune vor unerwünschten Wettbewerbern an anderen Standorten schützen will.

Als nicht zentrenrelevante Sortimente, die dem langfristigen Bedarf dienen, gelten schließlich etwa Möbel oder Bau- und Heimwerkerbedarf, da sie großen Flächen beanspruchen, und Erotikartikel, für die sich keine nähere Begründung etwa im Hinblick auf die angebliche „Langfristigkeit“ finden lässt.

Pikanterweise finden sich gerade bei dieser Warengruppe regionale Unterschiede, denn während sie in der Bremer Sortimentsliste aufgeführt sind, hat man sie im Pendant für  die Region Bremen anscheinend vergessen.

Auch bleiben diese Listen nicht statisch. So wurde in Köln etwa die alte Sortimentsliste von 2003 im Januar 2008 revidiert, weil man Leuchten sowie Fahrräder und Fahrradzubehör aufgrund veränderter Kaufgewohnheiten inzwischen als zentrenrelevant betrachtet.

Das Bremer Zentrenkonzept mit seiner speziellen Sortimentsliste erläutert besonders die notwendige zentrale Lage für Warengruppen, die  a) auf andere Frequenzbringer angewiesen sind, daher b) an zentralen Standorten besonderst stark vertreten sind, c) idealerweise eine hohe Seltenheit besitzen, d) eine Koppelungsaffinität zu anderen Zentrenfunktionen aufweisen, e) relativ geringe Flächenansprüche stellen und sich daher f) räumlich leicht integrieren lassen sowie g) auch ohne vom Pkw leicht transportieren lassen, was die Planer als Handtaschensortiment bezeichnen.

Wegen der Stellung als regionales Oberzentrum achtet die Bremische Stadtplanung dabei besonders auf die Warengruppen der mittelfristigen Bedarfsstufe, die eine hohe Leitfunktion für die Innenstadt und das Zentrum Vegesack besitzen.

Daneben wird allerdings auch die Relevanz der Stadtteil- und Nahversorgungszentren  vor allem für die Grundversorgungsangebote der kurz- und mittelfristigen Bedarfsstufe herausgestellt, da man ihnen auch eine wichtige Magnetfunktion für andere Sortimente zumisst.

Mit diesen Argumenten für Zentren unterschiedlichen Typs werden konkrete Normen festgesetzt, um „um diese zentralen Standorte in ihrer Versorgungsbedeutung zu sichern und einen ruinösen absatzwirtschaftlichen Wettbewerb der verschiedenen Einzelhandelsstandorte untereinander zu vermeiden.“

Eine erste harte Regel besteht daher drin, dass Betriebe mit zentrenrelevantem Hauptsortiment in den Nahversorgungszentren nur zulässig sind, wenn sie die Schwelle der Großflächigkeit (800 m²) nicht überschreiten.


Wohnortnahe Grundversorgung

Die erste Einschränkung begrenzt die häufig für kleine Wohngebiete gleich mit dem Bau geplante oder später aus dem Mark heraus entstandene wohnortnahe Grundversorgung, also den Bäcker, den Zeitungskiosk oder auch einen Drugstore, der fast alles führt, den man an der sprichwörtlichen nächsten Ecke findet. Hierzu heißt es lapidar in der Ansiedlungsregel 1: „ Einzelhandelsbetriebe mit nahversorgungsrelevanten Hauptsortimenten sind zukünftig nur noch in den zentralen Versorgungsbereichen Bremens sowie ausnahmsweise zur wohnortnahen Grundversorgung in den Wohnsiedlungsbereichen zulässig“ (Kommunales Zentrenkonzept, S. 187)

Damit soll sich in Bremen-Nord der zentrumsrelevante Einzelhandel, zu dem auch nahversorgungsrelevante Sortimente zählen, neben den Stadteilzentren auf die Nahversorgungszentren Farge, Lüssum und Marßel konzentrieren, in denen einzelne Verkaufsflächen maximal 1.500 qm groß sein dürfen.

Wie sieht es jedoch mit dem Einzelhandel etwa in Gramke, Rekum oder St. Magnus aus? Es wird zumindest kompliziert, wenn man sich die gleichzeitig geforderten drei Bedingungen vor Augen führt. Diese Konditionen sollen sicherstellen, dass die
Nahversorgung nur der im unmittelbaren Umfeld vorhandenen Wohnbevölkerung dient, aber keine Auswirkungen auf die zentralen Versorgungsbereiche zu erwarten sind.

Dies ist für die Planer des Konzepts dann der Fall, wenn es sich a) um einen städtebaulich integrierten Standort mit räumlichem Bezug zu umliegenden Wohnsiedlungsbereichen handelt, b) die sortimentsspezifische Kaufkraftabschöpfung des Planvorhabens in einem fußläufigen 600 m Radius an einem städtebaulich integrierten Standort eine Quote von 35 % der sortimentsspezifischen Kaufkraft (Nahrungs- und Genussmittel) der Bevölkerung nicht überschreitet und c) keine mehr als unwesentliche (>10 %) Überschneidung des 600 m Radius mit dem 600 m Radius des / der nächstgelegenen Stadtteil-, Grund- oder Nahversorgungszentrums bzw. -zentren besteht. (Kommunales Zentrenkonzept, S. 188)

Konzentration auf das Zentrum Vegesack

Das wichtigste Zentrum im Bremer Norden in Vegesack wird jedoch nicht nur vor solitären Standorten und den Nahversorgungszentren, sondern auch vor einer zu starken Ausweitung der Stadtteilzentren in Blumenthal und Burglesum geschützt, in denen einzelne Verkaufsflächen nur maximal 3.000 qm groß sein dürfen. 

Diese Deckelung der Nahversorgungs- und Statteilzentren, um die Kaufkraft auf die Innenstadt und Vegesack zu konzentrieren, kann im Nebeneffekt auch die Wettbewerber etwa in Schwanewede und in Ritterhude fördern, die von der Kaufkraft zumindest aus den Grenzbereichen profitieren können.

Das wird in den Zahlen der Handelskammer Bremen zu den Verkaufsflächen je Einwohner und der Berechnung der Zentralität nach den Daten von 2006 deutlich, wie sie im regionalen Zentrenkonzept ausgewiesen sind.

Verkaufsfläche je Einwohner (in qm) und Zentralität

Gemeinde
 1993
2005
Zentralität 2006
Schwanewede
0,32
1,03
0,66
Ritterhude
3,29
3,40
1,66
Gesamtes Umland
1,25
1,87
1,08
Bremen insgesamt
1,35
1,59
1,18


Bei einem Wettbewerb zwischen Standorten, die mehr oder weniger offen ihre eigenen und eben weitgehend gegenläufigen Interessen verfolgen, können so die Planer Bremen stolz  die Rationalität ihres Instrumentarium erklären, wenn es etwa heißt: „Diese Bremer Sortimentsliste dient dazu, im Rahmen der Bauleitplanung und vor allen Dingen dann bei der Genehmigung von Einzelvorhaben den Einzelhandel räumlich und funktional sinnvoll Standorten zuzuordnen.“

Bei diesem Versuch wird deutlich, dass er vor allem als Abschirmung des bestehenden Einzelhandels vor der einst neuen Vertriebsform der größeren Verbrauchermärkte und der SB-Warenhäuser gedient hat, die für ein One-stop-shopping mit entsprechenden großen Parkplätzen verkehrsgünstig gelegene Zentren schaffen konnten. Der Boom der Discounter, die mit erheblichen kleineren Verkaufsflächen auskommen,

Ein Verbot führt jedoch nicht zwangsläufig zu attraktiven Zentren für Autofahrer und Fußgänger, die eine gemeinsame Planung für verschiedene Vertriebsformen verlagen.

Planungssünde Blumenthaler Zentrum

Zentren dürfen daher nicht nur auf einer Karte entsprechende ausgewiesen werden, sondern müssen es für die Käufer auch faktisch sein. Diese Problematik wird am Stadtteilzentrum Blumenthal sehr deutlich, wo man einem alten Stadtzentrum, in dem sogar freitags vormittags ein klassischer Markt stattfindet, also das ganz traditionelle Merkmal für Zentralität erfüllt ist, wie man es noch voller Stolz in einer Bezeichnung wie Marktgemeinde findet,  durch ein neues großflächiges SB-Warenhaus mit Erweiterungen zum Blumenthal Center erweitert hat, ohne dabei auf eine faktische räumliche Integration zu achten.So stehen einer geballten Verkaufsfläche von 15.500 qm im Center nur weitere gut 20.000 qm in allen Ortsteilen des Stadtteilen gegenüber (Nowak, S. 29).

Im Stadtteilkonzept Blumenthal heißt es zu diesem Patchwork-Stadteilzentrum: „Es umfasst die Landrat-Christians-Straße mit angrenzendem Marktplatz, die Mühlenstraße und Kapitän-Dallmann-Straße sowie als neuen, in Randlage befindlichen Teilraum das Müllerloch mit dem Blumenthal-Center.“ (Stadtteilkonzept, S. 25). Dabei wird eingeräumt, dass die räumliche Dichte der Angebote, eine gute Erreichbarkeit und die städtebauliche Attraktivität nicht dem „Idealtyp“ eines Zentrums entsprechen.

Wie die Leerstände von Geschäftslokalen anzeigen, ist die Verkaufsfläche nicht zuletzt wegen der internen zusätzlichen Konkurrenz überdimensioniert, und vor allem wird das Zentrum wegen seiner Größe und uneinheitlichen Gestaltung nicht als bauliche Einheit, eben als Zentrum eines Stadtbezirks erlebt.

Die früheren Entscheidungsträger mögen es als Erfolg ansehen, dass die Investoren mit dem SB-Warenhaus nicht auf eine verkehrsgünstig gelegene grüne Wiese gegangen sind, sondern in die Nachbarschaft des bestehenden Zentrums. Nähe kann jedoch auch, wenn es nicht zu einem kooperativen Handeln kommt, Konkurrenz bedeuten, in dem die schwächeren Wettbewerber ausscheiden, was sich in Leerständen sichtbar dokumentiert. Da hilft es dann auch nicht, dass man das neue Blumenthal-Center als einen zweiten Pol des Stadtteilzentrum interpretiert, wenn man gleichzeitig einräumen muss, dass eine „gestalterische wie funktionale Integration des neuen Standortes Blumenthal-Center nicht gelungen ist.“

Da können die heute Verantwortlichen nur froh darüber sein, dass „einige hundert Meter vom Marktplatz Blumenthals entfernt“ „ein Blumenthal-Center genanntes Einkaufszentrum moderner Prägung eröffnet und damit einen zweiten Pol im Stadtteilzentrum geschaffen“ hat. Anscheinend ist dieses Konkurrenzzentrum auf dem Gelände der BKW, wenn man die verwendeten Worthülsen für bare Münze nehmen würde,  also ohne Bebauungsplan und Baugenehmigung quasi naturwüchsig entstanden.

Planungssünde Waterfront
                                          Waterfront (Quelle: BTZ)

Weitere Kaufkraft wird durch das Einkaufs- und Freizeitzentrum Waterfront abgezogen, das in den älteren Zentrenkonzepten nicht einmal erwähnt wird. Es dürfte damit nicht dem als so sinnvoll gefeirten Zentrenplan entsprechen, sondern eher ein Sündenfall sein, der jedoch mit steigenden Kundenzahlen und Umsätzen die Entwicklungspotenziale im Stadtbezirk-Nord einengt; denn dieser Magnet befindet sich gleich hinter der Bezirksgrenze im Ortsteil Häfen, der selbst nicht einmal 150 Einwohner besitzt.

Hintergrund für diese inzwischen florierende Planungssünde Waterfront ist der Versuch, den älteren Planungsflop eines „Space Parks“ auf dem Gelände der Ende 1983 geschlossenen Werft AG Weser vergessen zu machen. Nicht die Rationalität eines durchdachten Zentrenkonzepts hat also überraschend zu einem neuen Zentrum, mit den entsprechenden Wirkungen auf sein Umfeld geführt, sondern ein problematischer Zufall der Stadtpolitik.

Kreativität statt Normierung

Den Erfolg der „Waterfront“ muss man jedoch nicht nur als Planungssünde anprangern, da er den angestrebten Zentren im Bremer Norden wichtige Kaufkraft entzieht. Aus ihm kann man auch lernen, was heute im Handel zum Erfolg führt, weil es bei Kunden ankommt. Und das ist eben nicht ein Wissen, dass durch richtige Flächenbegrenzungen und eine fundierte Sortimentsliste bereits für eine wünschenswerte Einkaufsatmosphäre sorgen kann. Die Attraktivität resultiert hier vielmehr aus der Kombination von Ankermärkten mit einem vielfältigen Angebot kleiner Shops. Für den Erfolg sorgt dabei ein Centermanagement, das aufgrund der Erfahrungen in vergleichbaren Zentren einen geeigneten Mix zusammenstellt und durch Events für eine ständig aktuellen Kaufambiente sorgt.

Wenn man die Erfolge von gemanagten Centern und Passagen auf herkömmliche Zentren umsetzen will, ist an eine enge Kooperation der jeweiligen Händler und Dienstleister zu denken, die sich selbst wenige als Wettberber, sondern als Teilhaber an einem gemeinsamen Zentrum sehen, dessen Erfolg allen Beteiligten zugute kommt. Das gilt auch für die Diagnose von Defiziten in den vorhandenen Angeboten und die gemeinsame Veranstaltung von Events, die potenzielle Kunden anlocken, da sie mit Neuem überrascht werden, was der Internethandel oder ein einzelner Discounter nicht bieten kann.

Die Handelskammer Bremen schlägt daher beispielsweise Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG) bzw. neudeutsch Business Improvement Districts (BID) vor, wodurch die Unternehmer vor Ort den eigenen Standort aufwerten können. Dabei erfolgt nach amerikanischem Vorbild eine enge Zusammenarbeit der Grundeigentümer und der Kommune, die als rechtlichen Rahmen eine Satzung erlässt. Entsprechende Möglichkeiten schafft in Bremen das Gesetz zur Stärkung von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren.

Die Aufgabe von Planung und Politik wäre daher weniger die Normierung der Sortimente, sondern eher die Abgrenzung einer verkehrsgünstig erschlossenen Fläche, die von ihrer Größe und Lage her geeignet ist. Im Fall Blumenthal müsste man sich also überlegen, ob sich ein Konzept auf den Marktplatz an der Mühlenstraße beschränken lässt oder ob es nicht notwendig ist, weitere Flächen einzubeziehen, die zusätzliche Optionen schaffen. Das gilt nicht zuletzt für die Verkehrsführung (Nowak, S. 29) und die Schaffung von Parkplätzen, durch die beispielsweise ein attraktiver, belebter Marktplatz mit einem hohen Einkaufs- und Freizeitwert erst möglich sein dürfte.

Die Aufgabe des Stadtteilmanagement würde anschließend, wenn eine zweckmäßige Abgrenzung erfolgt ist, vor allem darin bestehen, Impulse statt Vorschriften zu geben, wenn es einmal nötig sein sollte. Handel ist schließlich immer vor allem Wandel, der sich innerhalb eines Rahmen frei entwickeln muss, wenn er für sich und die Einwohner und Konsumenten erfolgreich sein will.

Quellen:
Bremisches Gesetz zur Stärkung von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren vom 18. Juli 2006.

Ein Einzelhandelskonzept für Bremen. Für einen starken, markt- und wettbewerbsfähigen Einzelhandel, Handelskammer Bremen, September 2007.

Kommunales  Zentren- und Nahversorgungskonzept Bremen. Leitbild der Stadtentwicklung 2010,  Bremen 2009.

Nowak, Karsten, Stadtteilreport Einzelhandel 2012. Analyse der Einzelhandelssituation in den Stadtteilzentren Bremens, Bremen, Juni 2012.

Regionales Zentren- und Einzelhandelskonzept für die Region Bremen. Fortführung des IMAGE-Moderationsverfahrens. Endbericht, Lörrach 2008.

Stadtteilkonzept Blumenthal. Bericht, Bremen 2007.

Zentren- und nahversorgungsrelevante Sortimente des Einzelhandels in der Stadt Köln, Köln 2008.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen