Mittwoch, 26. August 2015

neu: BWK: Frauen



Die weiße Wand


Anmerkungen zur Ausstellung "Frauen auf der BWK"



Der Förderverein Kämmereimuseum hat mit seiner diesjährigen Fotoausstellung "Frauen auf der BWK" nicht nur alte Fotos aktuell präsentiert. Gleichzeitig hat er mit einem Teil der Ausstellungsfläche zum Nachdenken angeregt. Dort fehlten Bilder über das Arbeitsleben von Frauen auf der BWK. Auch sorgten keine anderen Informationen für Einblicke in die angekündigte "bebilderte Zeitreise über mehrere Jahrzehnte Frauenarbeit auf der BWK". Stattdessen wurde die Ausstellung durch eine leere, weiße Wand oder genauer eine leere Papierrolle unterbrochen, die so eindrucksvoll war, dass sie von den Journalisten in ihren Artikeln nicht unerwähnt blieb. 

Das geschah jedoch nicht ohne Grund; denn hier fehlte nicht der angekündigte Abstecher zu den Fotos eines stolzen Vaters, der, wie es die Ausstellungsmacher ausdrückten, "eine behütete Jugend zwischen BWK und Blumenthaler Aue" fotografisch festhielt.

Über die Bedeutung der leeren Papierrolle wird man nicht im Unklaren gelassen,w
enn es etwa heißt: "Und dann gibt es den Bereich Führungspositionen in der Ausstellung. Der ist allerdings nicht bebildert. Eine weiße leere Papierbahn drückt aus, wie es um Frauen in Führungspositionen auf der 2009 geschlossenen BWK bestellt war."

Vielmehr weist sich die Ausstellung an dieser Stelle als politisch sehr korrekt aus, da sie das aktuell diskutierte Thema von Frauen in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft aufgreift, wo einige Parteien und Medien Quoten für Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten großer Aktiengesellschaften fordern 
und durchgesetzt haben.

Davon wäre die BWK heute vermutlich auch betroffen, wenn sie als Kapitalgesellschaft mit einer gewissen Größe überlebt hätte.


Weiblicher und männlicher Blick auf "Wollmäuse"


Mit der gewählten Thematik "Frauen auf der BWK" hat sich der Förderverein
Kämmereimuseum unter dem Vorsitz von Detlef Gorn an ein Projekt gewagt, zu dem es nur wenige Informationen aus der Zeit der BWK gibt. Offenbar hat es das Unternehme selbst also nicht für besonders wichtig gehalten.

Bei dieser Informationstand ist man auf Quellen angewiesen, die man nicht ganz ohne Einschränkungen und Vorbehalte verwenden darf. Da ist zu einen der teilweise autobiografische Roman "Maddo Clüver" von Tami Oelfken, der mit belletristischen Mitteln die Ankunft und die erste Zeit der jungen Polinnen schildert, die von der BWK u.a. im damals preußische Westpreußen und Oberschlesien angeworben wurden.

Zum anderen sind es Berichte aus der Nordwolle in Delmenhorst, einer mit der BWK vom Alter und von der Größe her gut vergleichbaren Wollkämmerei, die abweichend von der BWK auch eine Spinnerei betrieb. 

In Delmenhorst entstand, nachdem die Produktion dort bis 1981 und damit erheblich früher als in Blumenthal nach und nach eingestellt wurde, bereits seit 1989 im Rahmen der Volkshochschule Delmenhorst ein Arbeitskreis "Fabrik wird Museum", der sowohl Vorschläge für das heutige Industriemuseum entwickelt hat als auch die Geschichte des Unternehmens und seiner Beschäftigten aufarbeiten konnte. Ergebnisse findet man in verschiedenen Flyern. 

Über die Arbeit der Frauen auf der Nordwolle berichtet besonders ausführlich die Ausgabe über die "Sortierung". Danach war diese Abteilung "ein bevorzugter Arbeitsplatz"; denn das Sortieren der Rohwolle erfolgte in einem "hellen, geheizten Raum ohne Maschinenlärm". Deswegen war die Sortierung "ein begehrter Arbeitsplatz für Frauen".

Für ihre Tätigkeit musste die Wollsortiererin, wie es im heutigen Museumsflyer heißt, "ein geübtes Auge und Fingerspitzengefühl haben, um die unterschiedlichen Feinheiten und Stärken der Haare herauszufühlen". Um mit den unterschiedlichen Wollklassen vertraut zu werden, betrug die übliche Anlernzeit anderthalb Jahre. Der anschließende Verdienst lag dann "deutlich" über dem der Maschinenarbeiterinnen. Zudem gab es in der Sortierung keine Akkordarbeit, "denn die Qualität hatte Vorrang vor der Quantität." 

Die Frauen in der Wollsortierung hatten nach dieser Beschreibung also vor allem bedingt durch ihre Aufgaben vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen. Dazu gehörte es auch, dass sie sich während der Arbeit unterhalten konnten, da auf dem Sortierboden keine lärmenden Maschinen liefen. Zudem bestand eine gewisse Sicherheit des Arbeitsplatzes, da sich eingearbeitete Sortiererinnen nicht leicht ersetzen ließen.

Einen ähnlich positiven Eindruck vermittelte auch einer der Museumsführer, wenn er ergänzend berichtete, dass man die ledigen Mädchen "scherzhaft "Wollmäuse" genannt habe. Auch bestätigt er eine ehe fröhliche Arbeitsatmosphäre in der Sortierung, da nach seinen Worten "alle Mädchen" in der Sortierung arbeiten wollten, "weil sie dort bei der Arbeit singen konnten". Damit unterschied sich diese Abteilung nur zu deutlich von den anderen Kämmereibereichen, wo "sich die Arbeiter gegenseitig in die Ohren brüllen" mussten, um das Stampfen und Rattern der Maschinen zu übertönen."
  
Allerdings hatten offenbar nicht alle MitarbeiterInnen der Nordwolle diesen eher positiven Blick auf das Arbeitsleben der Frauen in Delmenhorst. Eine Führung am Weltfrauentag des Jahres 2004, über die ausführlich in der Lokalpresse berichtete wurde, vermittelte jedenfalls ein anderes Bild von der Arbeit der Frauen. Das begann bereits beim Begriff der "Wollmäuse". So stellte eine Museumsführerin am Internationalen Frauentag 2003 das "harte Leben der "Wollmäuse"" (Becker) besonders heraus. Für sie handelte es sich bei der Bezeichnung "Wollmäuse" durch die männlichen Kollegen nicht um einen Scherz oder gar eine Form belangloser Anmache, sondern um eine "Beleidigung".   
  
Nach der Begründung drückte sich in der Bezeichnung zwar einerseits eine versteckte Anerkennung aus, "weil sie so schnell wie Mäuse waren", aber hinzu kam ein gleichzeitiger Angriff auf die Attraktivität der Frauen, "weil der Staub der Fabrikluft ihre Haut grau färbte".

Dieser besondere Blick am Frauentag betraf nicht nur Spannungen unter den Frauen und Männern in der Belegschaft, die mit besonders kritischen Augen beobachtet und interpretiert wurden. Hinzu kam eine Darstellung der sicherlich damals nicht gerade optimalen Arbeitsbedingungen, die den Ruf nach einem Achtstundentag zu einem wesentlichen Ziel der Arbeiterbewegung machten. Für die bereits zitierte Museumsführerin waren die Belastungen für die Frauen jedoch vergleichsweise noch schlechter als für ihre männlichen Kollegen. Nach ihrer Darstellung kamen die "Männer erst in den Betrieb", als es den Frauen verboten wurde, "Nachtschicht zu machen". 

Ähnlich exklusiv beschreibt die Führerin am Frauentag den weiblichen Arbeitstag bei der Nodwolle ab dem Jahr 1891: "Wecken um 3.30 Uhr morgens, um pünktlich in den elfstündigen Arbeitstag ohne Pause starten zu können. 72 Stunden Arbeit jede Woche, einen Tag Urlaub im Jahr..". 

Als besonders hart schildert sie die Arbeit in der Kämmerei, wo "jede Frau vier Maschinen bedienen" musste, was zu zahlreichen Verletzungen führte. 



Sortierung (Quelle: Förderverein Kämmereimuseum)




                                                                                                 





                                                  Kämmerei (Quelle: Sir Charles. Heft 47 (Förderverein Kämmereimuseum)



Diese sich teilweise widersprechenden und nicht in jedem Fall belegten Berichte machen deutlich, dass Frauen und Männer ihre Arbeitsverhältnisse sehr abweichend beschreiben können. Ein objektives Bild lässt sich daher nur schwer zeichnen. Das kann vielleicht noch für die Arbeitszeit und die Umweltbelastung innerhalb der Kämmerei durch Lärm und Gerüche gelingen, wird jedoch zu einem Problem, wenn es um den gemeinten Sinn eines Begriffs wie "Wollmäuse" geht.

Hier dürfte es vielen Zuhörern und Lesern schwerfallen, darin eine Beleidigung zu sehen. Und das scheint nicht nur für Männer zu gelten. Vermutlich ist es daher eine geschickte Lösung für eine Ausstellung, wenn man die Beantwortung von Fragen, die zwischen den Geschlechten strittig sind, jedem Einzelnen überlässt und nur durch ein weißes Blatt auf die offene Frage hinweist.



Frauenarbeit in der BWK 

Unter diesen Vorbehalten werden die Beispiele von der Nordwolle durch Informationen aus der Blumenthaler BWK bestätigt. Auch hier waren die Frauen zunächst vor allem in der Sortierung beschäftigt. Das gilt sogar noch für die beiden Mitarbeiterinnen, die dort sogar Ende der 1980-er Jahre weiterhin deutsche Wollen sortierten, als diese Arbeit sonst bereits ausschließlich in den Wollexportländern erfolgte.(Leohold, S. 57) Dabei war in diesem von Arbeiterinnen geprägten Betriebsbereich noch 1957 ein Fünftel der Belegschaft von 4.500 MitarbeiterInnen tätig. (ebenda)"

Allerdings stellten die Frauen auch während des Kaiserreichs, also in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, nicht die Mehrheit unter den Beschäftigten, wie das etwa bei der Bremer Jute der Fall war. Dazu fehlten die üblicherweise von Frauen besetzten Arbeitsplätze einer Spinnerei. Generell schwankte in den Gründerjahren der Frauenanteil um die 40 %, wobei der Wert vor dem Verbot der Frauennachtarbeit mit 42% - 50 % besonders hoch lag (Ellermann, S. 38)
Wie bei der Delmenhorster Nordwolle mussten die Sortiererinnen die Wollvliese oder -stücke ausbreiten und nach bis zu 12 verschiedenen Feinheiten in Körbe ordnen. Diese Arbeit erforderte daher ein gutes Auge und vor allem eine gewisse Flexibilität, aber auch Erfahrung. Daher benötigten die Mitarbeiterinnen auch eine längere Anlernzeit von 1 -2 Jahren. (ebenda)

Dies wiederum rechtfertigte eine relativ hohe Bezahlung, die aber auch daraus resultierte, dass die Sortierung so etwas wie das Bindeglied zu den Wollhändlern, den Eignern der auf der BWK behandelten Wolle, darstellte. (ebenda)

Ab den 1960-er Jahren änderte sich dann die Arbeit auf der Wollkämmerei mit erheblichen Auswirkungen auf die Frauenbeschäftigung. Mit der Schließung der Sortierung gingen etwa 20 % aller vor allem von Frauen besetzten Arbeitsplätze verloren. Dabei wurden ihre Tätigkeiten praktisch in die Wollexportländer verlagert, die dadurch die Wertschöpfung ihrer Rohwollindustrie steigern und Arbeitsplätze schaffen wollten.

Insgesamt ähnliche Auswirkungen waren für die Mitarbeiterinnen mit der Rationalisierung der Kammzugproduktion verbunden. Nachdem die BWK neue ebenerdige Produktionshallen errichtet hatte, in denen eine stark automatisierte Produktion erfolgte, erforderte die Bedienung dieser Anlagen andere Qualifikationen als die Arbeit an den älteren Maschinen. Dazu wurden neue Ausbildungsgänge erforderlich wie die des Energieanlagenelektonikers, die so gut wie keine weiblichen Auszubildende aufwiesen. Das belegen beispielhafte Berichte über neue Azubis in der Werkszeitung "Sir Charles" und der Lokalpresse. Danach befanden sich 1987 unter 17 Azubis zwei Frauen. Den großen Unterschied machten die Ausbildungsberufe aus, denn die männlichen Auszubildenden wollten ausschließlich technische Berufe erlernen, die weiblichen hingegen kaufmännische. In anderen Jahren sah das nicht wesentlich anders aus.

Aufgrund der Vorbildung war es für diese Mitarbeiter, schwer sich weiterzuqualifizieren und eine leitende Position einzunehmen. In diesem Bereich bestand ein kaum überwindbare Kluft zwischen Fabrikarbeitern, die die manuellen Tätigkeiten zu erledigen hatten, und den leitenden Angestellten, die in der Regel eine Hochschulausbildung absolviert hatten.

   
Mit der Tätigkeit und offenbar auch dem Geschlecht war bei der BWK eine unterschiedliche Bezahlung verbunden. Bereits vor dem Zweien Weltkrieg war die Bezahlung von Frauen und Männern ein heikles und strittiges Thema. Für die Mitarbeiterinnen gab es bei gleichen Tätigkeiten, wie berichtet wurde, in jener Zeit verdiente eine Frau pro Woche 14 Mark, ein Mann für dieselbe Arbeit hingegen 23 Mark, also über die Hälfte mehr. (S. 83) Diese Unterschiede bestanden auch in der Sortierung, wo die Tätigkeit der Frauen besonders geschätzt wurde. Hier wurde die höhere Bezahlung der "Vormänner", wie man die männlichen Arbeiter bezeichnete, durch eine größere Kraftanstrengung bei der Arbeit begründet, da die Männer die schweren Rohwollballen zunächst auspacken mussten.

Eine Benachteiligung bestand allerdings nicht nur bei der Lohnhöhe, sondern zudem noch bei der Sicherhheit des Arbeitsplatzes. Das zeigte sich in Krisenjahren wie 1900 und 1951, als die Nachfrage nach Kammzügen dramatisch einbrach. Damals wurden vorrangig die verheirateten Frauen als eine relativ unproblematische Manövriermasse auf dem Arbeitsmarkt behandelt, da man sie als „Doppelverdienerinnen“ ansah, die finanziell abgesichert waren. (S. 80f)

Aber die BWK tat auch durchaus etwas für ihre Mitarbeiterinnen, wenn auch in begrenztem Maße. Das galt etwa für Anke Gust, die nach dem Abschluss ihrer Ausbildung an einem Trainingsprogramm der Australian Wool Association teilnehmen konnte (Weser-Kurier vom 30.9.90), bei dem Einblick in die australische Wollproduktion durch Besuche bei Schafzüchtern und den Wollbörsen gegeben wurde.




Politische und betriebliche Stellung von Frauen in Deutschland


In den über einhundert Jahres Bestehens der BWK haben sich die politischen Rahmenbedingungen mehrfach grundlegend geändert. Das betraf nicht zuletzt den Wandel der weiblichen Rollenbildes. 

Für eine Einschätzung sollte man allerdings auch die politischen Rahmenbedingungen nicht übersehen, die sich zur Zeit der BWK-Gründung kaum mit den heutigen vergleichen lassen, denn in Bremen durften 1883 nicht nur die Frauen nicht wählen. Gleichzeitig bestand für die Männer ein Achtklassenwahlrecht. Dabei hatte eine Stimme eines Kaufmanns das Gewicht von 297 Arbeiterstimmen, wodurch die Herrschaft des männlichen Teils des Bürgertums über den Weg des Wahlrechts zementiert war.

Das änderte sich grundlegend, als der Erste Weltkrieg mit dem Steckrübenwinter  1916-7 und einer verbreiteten Unterernährung zu einer Streikwelle führte, die große Teile der Bevölkerung politisierte und nach "Brot und Frieden" rufen ließ. Das war nicht zuletzt eine Folge der 800.000 Menschen, die während des Krieges an Hunger und Unterernährung starben
 

Bereits am Ende des Kaiserreichs und als Folge des Erste Weltkriegs nahmen die Linke und die Rätebewegung in der Hafenstadt Bremen eine dominierende Stellung ein. Wie auch in anderen Hafenstädten wie in Kiel fand sie vor allem unter den Werftarbeitern und Marinesoldaten viele Anhänger. Ein typisches Ergebnis dieser Situation war die Bremer Räterepublik, die im Januar 1919 ausgerufen wurde und die soziale Lage in Bremen und Deutschland revolutionieren wollte. 

Den Anstoß zu dieser Bewegung gaben die Befürchtungen der Kieler Matrosen, die nicht kurz vor Kriegsende in einer sinnlosen Schlacht entsprechend dem Ehrenkodex der Offiziere geopfert zu werden wollten, wie es anscheinend von ihren Vorgesetzte geplant wurde.

Mit der Ausrufung der Republik in Berlin entstand dann keine deutsche Räterepublik, aber eine Demokratie mit einem gleichen Wahlrecht für alle Bürger. In der späteren Verfassung wurde zusätzlich ene Gleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz bestimmt. "„Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“ (Art. 109)

Im Zuge des verlorenen Krieges mit seinen katastrophalen Folgen für das Leben in Deutschland, durch den die Monarchie und die sie stützenden Schichten ihr Ansehen und ihre politische Macht einbüßt hatten, konnten daher erstmals in Deutschland Frauen wählen.

In Bremen erfolgte die erste Wahl mit Wählerinnen und Kandidatinnen am 10.2. 1919, als die Zusammensetzung der Bremer Nationalversammlung ermittelt wurde. Das Ergebnis war ein überwältigende Wahlsieg der Linken, da die drei Linksparteien MSPDUSPD und KPD 59,6 % der Stimmen und 120 von 200 Sitzen erreichten. Insgesamt wurden 18 Frauen gewählt.

Das änderte sich dann allerdings deutlich in den anschließenden Wahlen, als auch in Bremen die Parteien deutlich an Boden gewannen, die sich weder für einen Ausbau der weiblichen Gleichberechtigung noch der betrieblichen Mitbestimmung stark machten. Das galt etwa für DVP. Insgesamt stellten die Frauen in den sechs Bürgerschaftsperioden von 1920 bis 1930/33 von den 120 Abgeordneten der späteren Bürgerschaft 10 bis 12 Abgeordnete, also knapp 10 % oder weniger. Die geringe Zahl weiblicher Abgeordneter traf also nicht nur für eine Wahl zu, sondern zeigte sogar einen negative Trend; denn die Zahl der weiblichen Abgeordneten hat im Laufe der Weimarer Republik eher ab- als zugenommen. Immerhin sorgten die wenigen Parlamentarierinnen im Reichstag  für die Zulassung von Frauen als Richterinnen, Schöffinnen und Geschworene.

Reale Macht wurde den Frauen jedoch sogar von ihren männlichen Parteigenossen nicht eingeräumt, da die erste Senatorin, das KPD-Mitglied Käthe Popall, erst 1945 von der Militärregierung ernannt wurde. Offenbar sahen viele Linke darin nicht einmal einen politischen Widerspruch, wenn sie den Frauen keine Verantwortung für eine senatorische Behörde zutrauten. Sie waren eben noch nicht so weit und mussten sich erst gedulden wie vorher die Männer.
Der Einsatz für das Frauenwahlrecht hat sich damals vermutlich für die Linke in Bremen nicht ausgezahlt, denn überall im Deutschen Reich gaben überdurchschnittlich viele Frauen ihre Stimmen den eher religiös orientierten Parteien wie dem Zentrum, die sich nicht gerade durch einen großen Einsatz für die Rechte der Frauen hervorgetan hatten. 

Offensichtlich hat die frühe Frauenbewegung also nur eine Minderheit vertreten, während die Mehrheit an den traditionellen Rollenbildern keinen Anstoß nahm. Dafür spricht auch die geringere Wahlbeteiligung der Frauen, die ganz anders als heute zehn Prozentpunkte unter der der Männer lag.

Zwar hatten vor allem die Linksparteien das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Auch waren die ersten weiblichen Abgeordneten gewählt worden. Nur führte das nicht zur Beteiligung an der realen Macht der Exekutive, denn es gab weder während der Jahre der Weimarer Republik, also zwischen 1919 und 1933, noch anschließend unter den Nationalsozialisten in Bremen Senatorinnen.
  

Parallel zur politischen wollte die Linke mit viel Elan durch den Sturz der Fürsten, Könige und des Kaiser angespornt die politische durch eine wirtschaftliche Demokratie ergänzen. Dafür bestanden allerdings keine guten Rahmenbedingungen; denn die vielen teilweise hungernden und verwundeten Arbeitslosen wollten vor allem Frieden und Brot, während die betriebliche Mitbestimmung als ein schönes Ziel ohne reale Bedeutung erschien. Auf der damaligen politischen Agenda standen also ganz andere Programmpunkte weit oben.

Dennoch hatte die Linke den Gedanken einer Rätedemokratie nicht völlig vergessen. Nur fehlte dafür eine parlamentarische Mehrheit. So verabschiedete die Weimarer Koalition 1920 ein Betriebsrätegesetz, das für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten einen Betriebsrat vorsah, dessen Aufgaben in einer sozialen und wirtschaftlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer bestehen sollte. Ein Einfluss auf die Unternehmensziele, die Verteilung der Gewinnen und andere strategische Weichenstellungen durch das Management wurde nicht vorgesehen. 

Das galt sogar für die beiden Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat größerer Aktiengesellschaften. Damit waren die gesetzlichen Regelungen weit von den Einflussmöglichkeiten der Arbeiter und Angestellten entfernt, wie sie dem Räteprinzip entsprechen. Diese endgültige Abkehr der SPD von einer sozialen Revolution in Deutschland führte zu einer breiten Streik- und Demonstrationsbewegung, als die Gruppierungen links von der SPD, also die USPD und die entstehende KPD, gegen dieses Reformgesetz kämpften.

Auf der Grundlage dieses Gesetzes erhielt auch die BWK einen Betriebsrat und zwei Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Eine Frau war jedoch nicht darunter.

Allerdings dauerte diese erste Mitbestimmung der Mitarbeiter nur knapp vierzehn Jahren, denn nach der Machtübernahme durch die NS-Partei wurde durch das "Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit" vom 20.1.1934 diese Beteiligung der Arbeitnehmer wieder beseitigt. 

Für die Frauen auf der BWK schienen die Mitbestimmungsregelungen weder in der Weimarer Republik noch zu Beginn der Bundesrepublik eine reale Bedeutung zu besitzen, da die Gremien ausschließlich von Männern besetzt wurden. Das änderte sich erst 1984, als Marga Schikora erstmals in den Betriebsrat gewählt wurde. Nach ihrem Abschied gab es dann jedoch unter den elf Betriebsratmitgliedern wiederum keine Frau. 

Diese Zusammensetzung muss man allerdings vor dem Hintergrund des Frauenanteils unter den Beschäftigten der BWK sehen. Hier wird vom Unternehmen für 1954 ein Anteil von 40% ausgewiesen (Weser-Kurier vom 11.2.1954), der dann nach den umfangreichen Rationalisierungsmaßnahmen der 1960-er Jahre 1971 auf knapp 10 % gefallen ist.

Die fehlende Repräsentation von 40 % der Belegschaft kann kaum überraschen, wenn man die damalige soziale Stellung der Frauen in Deutschland berücksichtigt. So konnte man neben dem Wahlrecht kaum von einer weiblichen Gleichberechtigung sprechen. Dafür sorgte in einem ersten Schritt erst das Gleichberechtigungsgesetz von 1958, denn zuvor hatte der Mann das Entscheidungsrecht in allen ehelichen Angelegenheiten und konnte sogar über die Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses der Ehefrau entscheiden. Ähnlich sah es bei Entscheidungen über das Vermögen aus, sodass Ehefrauen damit Menschen minderen Rechts waren. Bis in diese Zeit haben damit die Vorstellungen aus der Zeit des Kaiserreich und des NS-Regimes ihre Bedeutung behalten.

Nach dieser fast revolutionär zu nennenden Umwälzung des ehelichen Verhältnisses der beiden Geschlechter in Deutschland folgten erst durch die sozialliberale Koalition Ende der 1970-er Jahre weitere Änderungen vor allem im Scheidungs- und Familienrecht, durch die das Schuld- durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt wurde bei denen die elterliche Sorge im Scheidungsfall nach dem Kindeswohl und nicht mehr von einer im Scheidungsverfahren festgestellten Schuld abhängig war.

Durch rotgrüne Koalitionen oder Alleinregierungen der SPD im Bund und in Bremen trat seit etwa 1980 mit der Einrichtung der Bemischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF) an die Stelle einer zuvor angestrebten Rechtsgleichheit eine Gleichstellung der Geschlechter, die durch Vorschriften und Quoten durchgesetzt werden soll. Dabei zeigt sich, dass diese Forderungen anders als noch das Frauenwahlrecht von vielen Frauen unterstützt wird, da die Parteien, die diese Ziele besonder engagiert verfolgen, inzwischen anders als kurz nach dem Ersten Weltkrieg unter den Wählerinnen überdurchschnittlich viele Stimmen erhalten.


Politische und sozial Emanzipation der Frauen in Deutschland

Jahr
Emanzipatiosschritt
1891
Arbeitszeitverordnung, die die Nacharbeit von Frauen verbietet
12. 11. 1918
Rat der Volksbeauftragten verkündet in einen Aufruf an das deutsche Volk „mit Gesetzeskraft“: „Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystem für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen.“
30. 11.1918
Reichswahlgesetz
23. 11.1918
Reichsamt für die wirtschaftliche Demobilisierung (DMA) erlässt die Anordnung über die Regelung der Arbeitszeit gewerblicher Arbeiter, die den Achtstundentag einführt
19.01.1919Erste nationale Wahl in Deutschland mit Frauenwahlrecht
04.02.1920
Betriebsrätegesetz, nach dem Betriebsräte gegründet und zwei Arbeitnehmervetreter in die Aufsichtsräte großer Unternehmen gewählt wurden
20. 01.1934
Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, das die Reformen von 1920 rückgängig macht ("Gleichschaltung")
16.01.38
Verordnung über das "Mutterkreuz", womit rassisch und politisch gewünschte deutsche Mütter ausgezeichnet werden, die mindestens vier Kinder geboren haben
23.07.45
Käthe Popall (KPD) wird durch die Militärregierung zur ersten Senatorin Bremens ernannt
08 05 49
Parlamentarischer Rat nimmt Grundgesetz (GG), dessen Art. 3 Abs. 2 GG besagt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.
18.06.57
Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts (Gleichberechtigungsgesetz)
14.06.79Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts
24.07.79
Gesetz zur Neuordnung des Rechts der elterlichen Sorge
1984Wahl von Marga Schikora in den Betriebsrat
20.11.90Gesetz über die Errichtung der Bremischen Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau (ZGF)
19.02.02Senat beschließt, „Perspektive des Gender Mainstreaming aktiv zu unterstützen“
24.04.15
"Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst", das Frauenquote von 30 % in Aufsichtsräten vorsieht  

 
Eine Geschichte der Frauen auf der BWK lässt sich zwangsläufig nur vor diesem Hintergrund darstellen, wobei auch ihr Anteil an der Belegschaft eine Rolle spielen muss, da sich die Positionen von Minderheiten und Mehrheiten unterschiedlich leicht durchsetzen lassen.

In der BWK stellten die weiblichen Beschäftigten bis in die 1950-er Jahre einen gewichtigen Anteil, als die Sortierung der Rohwolle noch in Blumenthal erfolgte. Das änderte sich in den folgenden Jahren mit den Rationalisierungsmaßnahmen, sodass der Frauenanteil bis 1971 auf nur noch knapp 10 % sank.

Auch wenn vom Unternehmen nur selten über die Entwicklung der Frauenbeschäftigung berichtet wurde, lässt sich diese Tendenz durch eine Reihe von Einzelinformationen über neue Ausbildungsjahrgänge belegen. Wenn daher "nur" für einige Jahre eine Frau im Betriebsrat vertreten war, bedeutet das nicht unbedingt eine extrem ausgeprägte Unterrepräsentation. Der Anteil der Frauen war eben relativ gering, nachdem es keine Sortierung mehr gab. Auch sah nicht jede Frau die politische oder gewerkschaftliche Arbeit als Teil ihres eigenen Rollenbildes.



BWK-Betriebsrat 1987 (Quelle: Sir Charles, Heft 3, S.1)


Geschlechtsspezifische Fähigkeiten




Wie es für landwirtschaftlich geprägte Kulturen üblich ist, unterschied man auch im Deutschen Reich bis zum Beginn der Industrialisierung zwischen Männer- und Frauenarbeiten. Grob gesagt waren dabei im bäuerlichen Bereich, denn 1882 - also vor der Mechanisierung der Landwirtschaft - waren 41,2 % aller Erwerbstätigen und ihrer Angehörigen im Deutschen Reich im Agrarbereich tätig, der damit die soziale Situation weitgehend prägte. Dabei galt eine strenge Arbeits
teilung; wobei der Bauer die Äcker zu bestellen hatte, während sich die Bäuerin um den großen Selbstversorgungshaushalt mit Garten und um die Kinder kümmerte. 

Das änderte sich im Zuge der Industrialisierung, als mit neuen Maschinen auch neue Beruf entstanden, die teilweise fast ausschließlich Frauen zugeordnet wurden. Das gilt etwa für Näherinnen, Stenotypistinnen, Telefonistinnen und Datentypistinnen (vgl. Übersicht)

Auf der BWK war damit in erster Linie die Verwaltung von dieser Entwicklung betroffen, wo die Aufgaben der Buchhalter und Schreiber von Frauen mit Schreibmaschinen oder Dateneingabegeräten teilweise ersetzt wurden.

Generell muss man dabei berücksichtigen, dass lange Zeit die Arbeit von Ehefrauen nicht als weibliche Karriere gesehen wurde. Vielmehr erklärten 1899 75 % der berufstätigen Frauen, sie müssten hinzu verdienen, weil der niedrige Lohn ihrer Männer sonst nicht ausreichen würde.



Vorwiegend von Frauen bediente Maschinen


Maschine
Jahr der Erfindung
Beruf
Nähmaschine
1848 durch Howe/ Singer
Näherin
Schreibmaschine
1899 u.a. durch Hermann und Franz Xaver 
Stenotypistin
Elektr. Schreibmaschine
1913
Stenotypistin
Klappenschrank
1881
Telefonistin
Lochkartenlocher
IBM, 1923
Datentypistin


Die Aufteilung in Frauen- und Männerarbeiten erfolgt dabei nach verschiedenen Kriterien, wie das Beispiel der Telefonistinnen zeigt. Als ab 1881 die Fernsprechnetze eingerichtet wurden, erledigten zunächst ausschließlich Männer die notwendige Handvermittlung. Dabei stellte man fest, dass die höheren Frequenzen einer Frauenstimme bei schlechter Leitungsqualität besser zu verstehen waren als die tieferen Männerstimmen. Damit wurden die Herren vom Amt durch das Fräulein vom Amt ersetzt und die Arbeit in einer Telefonzentrale wurde zu einem typischen Frauenberuf.

Bis in die Zeit des Gender Mainstreaming, also dem Politikwechsel von der Gleichberechtigung zur Gleichstellung der Frauen, indem gezielt für Frauen in Männerberufen von Seiten des Staates geworben wird, galt eine geschlechtsspezifische Abhängigkeit von Fähigkeiten, die man zumindest Frauen und Männer im Durchschnitt zugeschrieben hat. Das waren durchgängige Erwartungen, die von den Eltern über die Schule bis hin zu den Personalabteilungen der Unternehmen und Verwaltungen reichten, also der Berufswelt von Männern und Frauen feste Wahlmöglichkeiten vorgab . 



Berufstätige Frauen in der NS-Zeit


Mit dem Sturz der Monarchie hatten die Frauen in Deutschland das Wahlrecht erhalten, ohne dass damit eine wirkliche soziale Gleichberechtigung verbunden gewesen wäre. Vermutlich führte diese Frauenemanzipation von oben und als "Zugabe" zu anderen zentralen Programmpunkten zu einer Gleichgültigkeit zahlreicher Frauen gegenüber einer veränderten Rechtsstellung und einem möglichen Vordringen in Männerberufe.

Daher scheint es den Nationalsozialisten und anderen Parteien wie der DNVP auf der rechten Seite des Spektrums nicht besonders schwer gefallen zu sein, die ersten Zeichen einer sozialen Frauenemanzipation, wie sie sich etwa im Berlin der goldenen 1920-er Jahre andeutete, als eher unweiblich und undeutsch abzulehnen. Das Schlagwort von einer "neuen" Frau, die von konservativen Kreise für sinkende Geburtenraten verantwortlich gemacht wurde, galt daher vielfach eher als Schimpfwort. Besonderen Anstoß erregte dabei das Rauchen und Schminken in der Öffentlichkeit und eine freizügige Haltung zur Sexualität, wie man sie im Kaiserreich nicht gekannt hatte.

Titelseite der Zeitschrift homosexueller Frauen "Die Freundin" von 1928 (Quelle: wikipedia)


Innerhalb weniger Jahren hatte sich das Leben der Frauen durch den Sturz der Monarchien in den deutschen Ländern und im Reich sowie die Entstehung neuer "Frauenberufe" in der Industrie, in der Telekommunikation und bei Banken und Versicherungen in einer Weise verändert, wie es niemand zuvor gekannt hatte. 


Diese Offenheit gegenüber neuen Lebensentwürfen führte zu einer Suche nach einem neuen weiblichen Selbstverständnis. Dem setzten die Nationalsozialisten und andere rechte und konservative Kräfte ein Leitbild mit festen Geschlechterrollen entgegen, die in einer fast archaisch-mythischen Überhöhung definiert wurden. Der Mann sollte Ernährer und Beschützer, später dann im Verlauf de Zweiten Weltkrieges immer mehr auch Krieger sein, die Frau vor allem Mutter, um durch diese Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung Raum zu erobern und mit Nachkommen aus möglichst vielen und großen deutschen Familien zu bevölkern. Die "deutsche" Frau sollte also für die Ausbreitung der „arischen Rasse“ möglichst zahlreiche Kinder gebären oder wörtlich nach einem Text aus jenen Jahren, „die Frau hat die Aufgabe, schön zu sein und Kinder zur Welt zu bringen. Dafür sorgt der Mann für die Nahrung und wehrt den Feind ab.“

Dadurch waren die akzeptierten Berufsfelder erheblich eingeschränkt, zumal sie weitgehend aus den Rollen von Hausfrau und Mutter abgeleitet waren. Zu den wenigen Ausnahmen zählten die schon früher als typisch weiblich geltenden Berufe wie Krankenschwester, Erzieherin oder Verkäuferin. Auch als Dienstmädchen oder Köchin durften Frauen arbeiten oder als Bäuerin, jedoch keineswegs als Richter. 



             Ausstellung "Die BWK in der NS-Zeit" (Quelle: Förderverein Kämmereimuseum)


Während die NS-Ideologen Schwierigkeiten hatten, die berufliche Rollenrealität vieler Frauen mit ihrem Frauenbild in Einklang zu bringen, beschäftigen sie sich intensiv mit der Rolle der Mutter, die ganz entsprechend dem eigenen Weltbild definiert wurde. Dabei spielten psychologische Aspekte praktisch keine Rolle, wie sie etwa in der angelsächsischen Psychologie mit der Bindungstheorie größere Bedeutung bekamen. Da war man erheblich weniger wissenschaftlich, sondern scheint mehr auf Stammtischvorurteile und Biologismus gesetzt zu haben.

Das blieben nicht nur ideologische Absichtserklärungen und Forderungen. Vielmehr wurde daraus schnell ganz reale Poitik, die in das Leben der Frauen und Familien eingriff. So gab es vom NS-Staat Ehestandsdarlehn, die an ein Ausscheiden der Ehefrau aus dem Berufsleben gekoppelt waren. Auf diese Weise gelang es, gleichzeitig die hohe Arbeitslosigkeit in Folge der Weltwirtschaftskrise von 1929 und die Frauenerwerbsquote zu senken. Das änderte sich Ende der 1930-er Jahre wieder, als die beginnende Kriegswirtschaft Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie benötigte. 


Die Frauen wurden allerdings nicht nur als Ehefrauen und Mütter definiert. Ihnen wurden auch Charaktereigenschaften abverlangt, die den Emanzipationsbestrebungen der Frauen praktisch diametral entgegengesetzt waren. Frauen sollten ihre Fähigkeiten nicht optimal entfalten und Karriere machen, sondern sich durch "Treue, Pflichterfülung, Opferbereitschaft, Leidensfähigkeit und Selbstlosigkeit auszeichnen." Dabei muss man sehen, dass sich hierin nicht etwa ausschließlich Männerfantasien wiederfinden, sondern nicht wenige (Haus-)frauen Hitler gewählt haben und mehr oder weniger wörtlich dem Führer ein Kind geschenkt haben. 


Symbolischer Ausdruck dieses besonderen Mutterkultes war das "Ehrenkreuz der Deutschen Mutter", das am 16. Dezember 1938 per Verordnung vom Führer "gestiftet" wurde. Von seiner Gestaltung her sollte das Mutterkreuz bewusst an das Eiserne Kreuz erinnern, also an eine militärische Auszeichnung für Soldaten der Wehrmacht. Nur gab es diese Auszeichnung nicht für das Töten von Feinden, sondern das Gebären neuer "Volksgenossen". So sprach man analog zum Krieg von der „Geburtsschlacht“, in der die Mütter Erfolge erzielt hatten und die Wiegen wurden bereits „wie ein schlafendes Heer gesehen. Wichtig war dabei die Anzahl der Kinder, da das Mutterkreuz in drei Stufen vergeben wurde: in Bronze für vier oder fünf Kinder, in Silber für sechs oder sieben Kinder und in Gold für acht und mehr Kinder.

Dabei zählte allerdings nicht ein Kind wie das andere, denn die Auszeichnung konnten nur arische Mütter erhalten, die nicht als asozial oder "anständig" galten. Diese Einschränkungen führten zu einem großen Interesse an der Verleihung, da keine Mutter mit dem zahlenmäßig sichtbaren Nachwuchs öffentlich moralisch diskriminiert werden wollte.  

Die Mutterkreuzverleihungen wurden wie religiöse Veranstaltungen zelebriert, zu denen spezielle Lieder gesunken, Sprüche vorgetragen und "Weihespiele" aufgeführt wurden. Mit dem Muttterkreuz waren zudem zahlreiche Ehrerweisungen und Vergünstigungen verbunden. So mussten 

Hitlerjungen vor ihnen salutieren, Sitzplatzinhaber ihnen in Straßenbahnen und Zügen ihren Sitzplatz frei machen und bei Veranstaltungen hatten sie das Recht auf einen Ehrenplatz sowie bei Behördengängen den Vortritt in Warteschlangen. 

So sahen zumindest die ideologischen Prämissen aus. Unter den Zwängen des Krieges wurde dann allerdings eine fast diametrale Rollendefinition Realität. Während die Soldaten durch Orden und die Mütter durch Mutterkreuze geehrt wurden, kam es im deutschen Arbeitsleben zu einer zuvor völlig abweichenden Umwälzung. Nicht mehr deutsche Arbeiter und Angestellte hielten die Produktion aufrecht, da sie sich zu einem großen Teil außerhalb des Grenzen des Großdeutschen Reiches aufhielten und dort mit Waffen, Lebensmitteln und Kleidung versorgt werden mussten. Diese Aufgabe mussten seit Kriegsbeginn immer mehr Frauen und Zwangsarbeiter übernehmen. 

Der Zweck musste in dieser für das Regime prekären Situation die Mittel rechtfertigen. Das wurde besonders deutlich, als der Propagandaminister Joseph Goebbels in seiner Sportpalastrede Mitte Februar 1943 zum totalen Krieg aufrief.  Darin wurde das gesamte ideologische Gebäude endgültig über Bord geworfen, als der Minister erklärte, „dass die deutsche Frau fest entschlossen ist, den Platz, den der Mann, der an die Front geht, freimacht, in kürzester Zeit voll auszufüllen“.


Weibliches Engagement in der BWK

Auch wenn es im Vorstand und im Aufsichtsrat der BWK keine Frauen gab, spielten sie dennoch eine Rolle in der Woll-Kämmerei. Das ist nicht nur eine quantitative Aussage, die sich am Frauenanteil unter den Beschäftigten festmachen lässt.

Dafür sprechen mehrere Serien und Einzelartikel, in denen die Redaktion der Werkszeitung "Sir Charles" einzelne Mitarbeiterinnen der BWK porträtierte. Berichtet wurde so speziell über "Frauen in der BWK". Auch in der offenbar gern gelesenen Reihe "Mein schönstes Hobby", in der BWK-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter ihre Freizeitaktivitäten vorstellten fehlten die Kollegin keineswegs. Die Zahl der Folgen spricht hier sehr deutlich für ein großes Leserinteresse. Dabei zeigte sich, dass die Frauen in ihrer Freizeit nicht "nur" Hausfrau und Mutter waren.

Die BWK-Powerfauen fand man hingegen ganz sportlich als Seglerin auf dem Dümmer (Sir Charles,53, S. 7), als Bikerin mit einer BMW R 850 R (Sir Charles, 48, S.7), als Ballonfahrerin (Sir Charles, 42, S. 7), beim Jazz-Schautanz (Sir Charles, 33, S. 7), als Spring- (Sir Charles, 49, S. 7) oder Westereiterin (Sir Charles,32, S. 7) sowie als Bundesligaschiedsrichterin beim Hockey (Sir Charles,53, S. 7). 

Andere betätigten sich als Tierzüchterin etwa der französisch-belgischen Treiberhundrasse "Bouviers de Flandre" (Sir Charles,53, S. 7). Bei diesen Schwerpunkten fällt dann ein eher traditionelles weibliches Hobby wie "Spinnen und Weben(Sir Charles, 6, S. 7) kaum ins Gewicht. Es erscheint als eine schöne kunsthandwerkliche Ausnahme.  

Frauen aus der BWK waren auch in einem Kulturkreis des Unternehmens aktiv, der nicht den Kunstkonsum, sondern ein "aktives und kreatives Tätigsein" als Ziel ansah. Dabei war der Begriff der Kunst relativ weit gefasst, da sie neben "Malen und Modellieren über das Musizieren und Singen" auch die "Schriftstellerei und das Gedichteschreiben" einschloss. Als besondere Ergänzung zur Kunst im engeren Sinne wollte man sich auch mit der "Geschichte Blumenthals und der Bremer Woll-Kämmerei" beschäftigen. (Sir Charles, 3, S. 5)

Der im Mai 1986 gegründete Kulturkreis konnte im folgenden Jahr bereits eine kleine Ausstellung in der Filiale Blumenthal der Sparkasse Bremen organisieren, in der Werke von Anna Petridou, die als Dolmetscherin für Griechisch auf der BWK gearbeitet hat, Helena Cicirello und Alfred Förster präsentiert wurden. Hier gab hier also einen Bereich, in dem die BWK-Frauen überrepräsentiert waren. Nur ging es dabei eben nicht um Macht, sondern um Kunst.





(Quelle: Sir Charles, Augabe 3, S. 5)


Die Fähigkeiten ihrer Frauen wurden in der BWK jedoch auch in anderen Bereichen außerhalb des direkten Arbeitslebens genutzt. So zählten auch vier Frauen zum elfköpfigen zweiten Redaktionsteam der Werkszeitung "Sir
Charles", das für die Ausgaben ab dem Dezember 1994 verantwortlich war.

Mit Kathleen Ahlers war auch noch eine Frau Mitglied des Redaktionsausschusses der letzten Ausgabe, die im Mai 2005 erschienen ist, also einem Jahr, in dem die BWK AG mit nur noch 184 Mitarbeiten (Geschäftsbericht 2005, S. 13) auch nach Sanierungsbeiträgen der Banken noch rote Zahlen schrieb.




Interpretationsversuche der weißen Wand



Die weiße Wand ist damit keineswegs inhaltleer. Sie kann viel über mehr als ein Jahrhundert Frauenarbeit in Deutschland und innerhalb dieser nationalen Rahmenbedingungen bei der BWK berichten. Gerade eine Einordung der Bilder der Fotoausstellung in den Kontext der deutschen Sozialgeschichte und des
betrieblichen Wandels der BWK kann über Hintergründe und Zusammenhänge aufklären, die ein Foto allein nicht aufdecken kann.

Man muss sehen, dass die weiße Wand eine lange soziale und politische Vorgeschichte besitzt, die das Fehlen von Frauen im Vorstand und Aufsichtsrat der BWK erklärt.

So hätte man sicherlich in den letzten Jahren der AG, als der Ruf nach mehr Frauen in Führungspositionen lauter wurde, große Schwierigkeiten gehabt, überhaupt qualifizierte Frauen zu finden, die sich in einem konkursgefährdeten Unternehmen um ein Führungsamt beworben hätten.

Und auch im Bereich des mittleren Managements sollte man die ganz besondere Aufgaben- und Mitarbeiterstruktur einer Wollkämmerei nicht übersehen. Das Gros in der Produktion stellten angelernte ArbeiterInnen. Hinzu kamen die Meister und Angehörige handwerklicher Berufe, die vor allem für Reparaturarbeiten in speziellen Werkstätten auf dem BWK-Gelände zuständig waren.

In der Verwaltung waren kaufmännische Angestellte tätig, während die Positionen im mittleren und höheren Management vorwiegend mit Universitätsabsolventen besetzt waren, die vorher noch ein Volontariat oder eine anderer Form von praktischer Ausbildung bei auswärtigen Kämmereien oder in anderen Bereichen der Wollwirtschaft absolviert hatten. Insgesamt muss man daher von einer deutlichen Grenze zwischen dem Management und der Belegschaft sprechen, die Übergänge durch eine Qualifizierung der eigenen MitarbeiterInnen nicht gerade erleichterte.

Auch sollte man beachten, dass eine Wollkämmerei nicht mit einer Näherei oder einigen anderen Unternehmen in der Textil- und Bekleidungsindustrie vergleichbar ist. So erreichten die Frauenanteile unter den Beschäftigten bei der BWK nicht die in Nähereien. Das galt vor allem, als die Sortierung immer stärker abgebaut wurde, da die Sortierarbeiten bereits in den Wollausfuhrländern ausgeführt wurden. Damit fiel der Frauenanteil auf ca. 40 % und im Zuge der weiteren Automatisierung der Produktion auf nur etwa 10 %.

Es zeigt sich damit deutlich, dass in der Produktion vor allem technisch versierte Mitarbeiter benötigt wurden, also Fachkräfte für Arbeitsaufgaben, die bei Frauen zumindest früher nicht besonders beliebt waren.

Die weiße Wand resultiert damit aus den historischen Unterscheidungen zwischen Männer- und Frauenberufen mit den jeweils unterschiedlichen Tätigkeits- und Entlohnungsstrukturen, wobei die BWK kein Unternehmen mit einem besonders hohen Frauenanteil war, wie man sie sonst in der Textil- und Bekleidungsindustrie findet. 

Da die Auflösung des Unternehmens noch vor dem eigentlichen Beginn der Debatte über die Frauenquoten in Vorständen und Aufsichtsräten erfolgte, hat sich vermutlich niemand bei der BWK Gedanken über eine Diversifikation des Managements gemacht. Hier dürfte für alle der Kampf gegen den betriebswirtschaftlichen Tod wichtiger gewesen sein.

Gleichwohl kann man auch durchaus Hinweise auf eine frühe Form von Frauenförderung finden, und zwar weniger bei der Vertretung der Arbeitnehmer, wenn man an die Zusammensetzung des Betriebsrates denkt, als bei der Prokuraerteilung an zwei Mitarbeiterinnen (Sir Charles, 13, S. 4)

Andere Frauen waren sogar Miteigentümerinnen der Aktiengesellschaft, wenn auch aufgrund ihrer begrenzten Aktienzahl ohne großen Einfluss auf die Mehrheiten in der Hauptversammlung. So fand die Mitarbeiterzeitung "Sir Charles" auf der BWK-Hauptversammlung im Jahr 1988 eine Aktionärin, mit der sie ein Interview über die Situation des Unternehmens führte (Sir Charles, 8, S. 2).



Quellen:

Bahr, Albrecht-Joachim, Idylle - selbst zu Zeiten des Krieges? "Frauen auf der BWK" stehen im Mittelpunkt einer neuen Ausstellung des Fördervereins Kämmereimuseum, in: Norddeutsche vom 6.8.2015.


Becker, Andreas, Vom harten Leben der "Wollmäuse". Am Internationalen Frauentag: Frauenarbeit auf der Nordwolle. Führung durchs Fabrikmuseum, in
Delmenhorster Kurier vom 10.3.2003.


Bendel, Carolin, Die deutsche Frau und ihre Rolle im Nationalsozialismus, in: Zukunft braucht Erinnerung vom 
3. 10.2007.


Buschmann, Ulf, Persönliche Stadtteil-Geschichte. Frauen auf der BWK: Margot Körber erinnert sich an das Leben ihrer Mutter Anneliese Sendler, in: Norddeutsche vom 18.08.2015. 


Drieling, Regina, Unverzichtbare Frauen. Ohne Arbeiterinnen wäre die BWK undenkbar gewesen / Ausstellung ab 6. August, in: BLV vom 5.8.2015, S. 3.


Ellerkamp, Marlene, Industriearbeit, Krankheit und Geschlecht. Zu den sozialen Kosten der Industrialisierung. Bremer Textilarbeiterinnen 1870 – 1914. Göttingen 1991.
Friedrichs, Doris, Im Wechsel der Zeiten. Fotodokumentation über Frauenarbeit bei der Bremer Wollkämmerei, in: kreiszeitung vom 17.08.2015.

Leohold, Volkmar, Die Kämmeristen. Arbeitsleben auf der Bremer Woll-Kämmerei, Hamburg 1986.

Matthes, Katrin, Leben in einer Stadt in der Stadt. Berthold Bellersen, ein ehemaliger Angestellter bei der Delmenhorster Nordwolle, führt über das Fabrikgelände, in: Weser-Kurier vom 12.5.2006.


NN, Was unsere Frauen interessiert. Kleines ABC der Mäntel, in: Sir Charles. Ausgabe 2 von 1987, S. 6.

NN, Flinke Hände und ein sicheres Auge (Frauen in der BWK), in: Sir Charles. Heft 3 von 1987, S. 5.

NN, Frau oder Fräulein, in: Sir Charles, Heft 13 vom Mai 1990, S. 4.

NN, Frauen in der BWK. Heike Hübner: Manchmal muss ich Blitzableiter sein, in: Sir Charles, Heft 13 vom Mai 1990, S. 4.

NN, Marga Schikora: Frauen in de BWK. Schon mal was von Ustern gehört?, in: Sir Charles, Heft 14 vom Dezember 1990, S.3.

NN, Frauen in der BWK. Ölerinnen Zwei halten noch die Stellung, in: Sir Charles. Heft 15 vom Juni 1991 , S 3.

NN, Von früher: Das historische Bild. Frau packte an, in: Sir Charles. Heft 47 vom Dezember 2000.


Oelfken, Tami, Maddo Clüver, Düsseldorf 1956.


Weber, Gerd, "Wir waren grau und schnell wie die Mäuse". Ruth Müllers Leben ist mit der Nordwolle verbunden, in: Delmenhorster Kurier vom 3.12.2004.

Weyrather, Irmgard, Muttertag und Mutterkreuz. Der Kult um die "deutsche Mutter" im Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1993

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