Mittwoch, 4. Juni 2014

Europawahl: Bremen-Nord



Die Europawahl im Bremer Norden



Teil 1: Die Stadtteile Blumenthal, Burglesum und Vegesack im Vergleich




Wahlergebnisse lassen sich unter verschiedenen Aspekten analysieren. Die interessierenden Fragen richten sich in der Regel auf die Gewinner und Verlierer, wobei in der Analyse häufig untersucht werden muss, ob wirklich alle Parteien, die sich als Sieger sehen, diese Selbsteinschätzung auch zu Recht vornehmen. Anschließend wird dann nach soziodemografischen Gruppen oder Regionen gesucht, in denen sich besonders deutliche Veränderungen gezeigt haben, um so auf mögliche Ursachen schließen zu können. Das kann dann für Kommentatoren eine Grundlage sein, um daraus weitreichende Schlussfolgerungen über die Entwicklung des Parteiensystems zu ziehen.

Das ist der Weg, der fast immer eingeschlagen wird, wenn es um die Entscheidung geht, wer Bundeskanzler, Bürgermeister oder Beirat wird, also um die Besetzung politischer Ämter und damit die Verteilung politischer Macht.


Im Hintergrund der Eurowahl stand diesmal zwar auch erstmals die Besetzung der Stelle des Präsidenten der EU-Kommission. Aber dennoch haben das viele Wahlberechtigte erneut anders gesehen oder diese Wahl für ein wichtiges Amt nicht für besonders bedeutsam gehalten. So war auch diese Europawahl eine Wahl ganz besonderer Art. Das zeigt die niedrige Wahlbeteiligung vor allem in den Bundesländern, in denen sie nicht mit einer Kommunalwahl gekoppelt war. Dieses Charakteristikum kann jedoch eine zusätzliche Analysedimension ermöglichen, wie sie hier einmal vorrangig verwendet werden soll.


Stadt Bremen und nördlicher Stadtbezirk im Vergleich

Ähnlich wie sich das Bremer Wahlverhalten vom bundesdeutschen unterscheidet, bestehen auch Abweichungen zwischen dem in der Stadt Bremen und in ihrem nördlichen Stadtbezirk.

Stimmenanteile in % bei der Europawahl 2014


Partei
Stadt Bremen
Bremen-Nord
Differenz
Wahlbeteiligung
41,5
35,4
-6,1
CDU/ CSU
21,6
24,8
3,2
SPD
33,5
38,2
4,7
Grüne
18,8
11,9
-6,9
Linke
9,8
7,2
-2,6
AfD
5,8
7,5
1,7
FDP
3,5
3,6
0,1
Piraten
2,1
1,5
-0,6
Tierschutz
1,4
1,6
0,2
NPD
0,5
0,8
0,3
Die Partei
1,1
0,5
-0,6
Quelle: Stat. Landesamt, Europawahl 2014.


Verglichen mit Bremen weist Bremen-Nord eine deutlich niedrigere Wahlbeteiligung, höhere Anteile für die Berliner Koalitionsparteien und die AfD auf, hingegen niedrigere Anteile für die Grünen und die Linke. Abgesehen von der Wahlbeteiligung lassen sich diese Abweichungen aus den im Norden fehlenden innenstadtnahen Altbaugebieten erklären, in denen die Grünen und die Linke, aber auch „Die Partei“ ihre Hochburgen besitzen. Der „Ausfall“ dieser Stimmen lässt dann bereits aus rein mathematischen Gründen das Gewicht der anderen Parteien steigen.


Das Bremer Mittelzentrum und seine Vororte: Vegesack


Der Bremer Norden ist jedoch nicht ein einheitlicher städtischer Raum, sodass man zwischen seinen drei Stadtteilen weitere Unterschiede findet.

Stimmenanteile in % bei der Europawahl 2014


Region
Stadt Bremen
Bremen-Nord
Vegesack
Wahlbeteiligung
41,5
35,4
37,1
CDU/ CSU
21,6
24,8
23,6
SPD
33,5
38,2
38,2
Grüne
18,8
11,9
12,9
Linke
9,8
7,2
7,5
AfD
5,8
7,5
7,3
FDP
3,5
3,6
3,6
Piraten
2,1
1,5
1,8
Tierschutz
1,4
1,6
1,7
NPD
0,5
0,8
0,7
Die Partei
1,1
0,5
0,5
Quelle: Stat. Landesamt, Europawahl 2014.


Die Vegesacker Werte liegen weitgehend zwischen denen von Bremen und Bremen-Nord. Das kann eine ganz einfache Ursache darin haben, dass Vegesack als Mittelzentrum die Miniaturausgabe einer Stadtregion ist. So besitzt Vegesack nicht nur Wohn- und Industrieflächen, sondern hat eine kleine City mit attraktiven Angeboten auch für Touristen, ganz wie das Oberzentrum nur eben deutlich kleiner.

Diese Funktion eines mittelzentralen Bereichs mit seinen sozio-strukturellen Auswirkungen wird in den Ergebnissen der Europawahl am 25. Mai zumindest schwach erkennbar, wenn hier mit den Grünen und der Linken zwei Parteien stärker als im übrigen Bremen-Nord sind, die ihre Hochburgen in der Bremer Innenstadt und den den angrenzenden Wohngebieten besitzen.




Zwischen gehobenem Wohnen im Grünen und Leben in WiN-Quartieren: Burglesum


Die städtebauliche und soziale Heterogenität des Stadtteils Burglesum findet in den Wähleranteilen nur sehr bedingt einen Niederschlag, da die Durchschnitte viele Eigenschaften der einzelnen Ortsteile einebnen (vgl. Drieling).



Stimmenanteile in % bei der Europawahl 2014

Region
Stadt Bremen
Bremen-Nord
Burglesum
Wahlbeteiligung
41,5
35,4
38,7
CDU/ CSU
21,6
24,8
25,0
SPD
33,5
38,2
36,7
Grüne
18,8
11,9
13,3
Linke
9,8
7,2
6,9
AfD
5,8
7,5
7,4
FDP
3,5
3,6
4,8
Piraten
2,1
1,5
1,2
Tierschutz
1,4
1,6
1,6
NPD
0,5
0,8
0,5
Die Partei
1,1
0,5
0,6
Quelle: Stat. Landesamt, Europawahl 2014.


Strukturell gesehen stellt Burglesum, wenn man es vereinfacht, eine Mischung der beiden WiN-Gebiete Alwin-Lonke-Quartier in Gramke und Marßel in Burgdamm mit bürgerlichen Wohngebieten im Grünen dar, wofür vor allem St. Magnus steht. Die Durchschnitte können in diesem Fall daher nur sehr bedingt den Stadtteil beschreiben, da sie den Mittelwert von Schwarz und Weiß zu messen versuchen.

Insgesamt haben dabei die eher bürgerlichen Viertel für das Durchschnittsergebnis ein stärkeres Gewicht, wie die Werte für die FDP bzw. die Linke anzeigen, die im ersten Fall über dem Anteil in Bremen insgesamt, im zweiten jedoch unter dem von Bremen-Nord und Bremen liegen.




Weit entfernt vom Bremer Durchschnitt: Blumenthal



Blumenthal ist nicht nur geographisch von den Stadtteilen Nordbremens am weitesten vom Bremer Marktplatz entfernt, sondern unterscheidet sich auch im Wahlverhalten am stärksten unter den drei betrachteten Stadtteilen vom Bremer Durchschnitt, ja, Blumenthal ist größtenteils für die Unterschiede der Werte für den Stadtbezirk Bremen-Nord und die Stadt Bremen verantwortlich.


Stimmenanteile in % bei der Europawahl 2014

Region
Stadt Bremen
Bremen-Nord
Blumenthal
WiN-Gebiet
Wahlbeteiligung
41,5
35,4
30,1
26,0
CDU/ CSU
21,6
24,8
26,2
18,5
SPD
33,5
38,2
40,3
43,1
Grüne
18,8
11,9
8,8
9,5
Linke
9,8
7,2
7,3
12,5
AfD
5,8
7,5
7,7
6,5
FDP
3,5
3,6
2,1
1,8
Piraten
2,1
1,5
1,7
1,4
Tierschutz
1,4
1,6
1,7
1,3
NPD
0,5
0,8
1,1
1,1
Die Partei
1,1
0,5
0,5
1,0
Quelle: Stat. Landesamt, Europawahl 2014, eigene Rechnung.



Eine Kombination von ähnlich niedrigen Wahlbeteiligungen, aber auch hohen SPD-Anteilen findet man sonst im Bremen vor allem in WiN-Gebieten, die daher in der Tabelle zusätzlich aufgeführt sind. 

Allerdings ist in diesem Sozialraumtyp sonst der Anteil der Linken erheblich höher. Die Ähnlichkeit ist also bestenfalls tendenziell vorhanden.


Veränderungen nach fünf Jahren: Die Gewinne und Verluste 2014


Bei Wahlresultaten interessieren neben der nackten Zahlen Vergleiche mit anderen Gebieten, wie es hier innerhalb Bremens erfolgt, vor allem jedoch im Zeitverlauf. Man will wissen, wer zulegen konnte oder an Boden verloren hat. Gerade in diesen Entwicklungen sieht man schließlich die Reaktionen der Wähler oder besser noch der Wahlberechtigten auf politische Entscheidungen in der letzten Legislaturperiode. Auch können angenommene Verlängerungen des Trends auf mögliche Entwicklungen der politischen Landschaft aufmerksam machen, etwa wenn sie wie im Fall der FDP zum Verschwinden einer traditionellen bundesdeutschen Partei führen würden, die zwei Bundespräsidenten gestellt und deren Kurswechsel zu Brandt und später zu Kohl wichtige Weichenstellungen in der Regierungspolitik ausgelöst hat.


Vergleich der Europawahlen 2009 und 2014 in Bremen-Nord 


Partei
2014
2009
Differenz
Wahlbeteiligung
35,4
34,9
0,5
CDU/ CSU
24,8
27,2
-2,4
SPD
38,2
31,5
6,7
Grüne
11,9
16,5
-4,6
Linke
7,2
6,5
0,7
AfD
7,5
0
7,5
FDP
3,6
8,7
-5,1
Piraten
1,5
0,7
0,8
Tierschutz
1,6
1
0,6
NPD
0,8
-
0,8
Die Partei
0,5
-
0,5
Quelle: Stat. Landesamt, Europawahl 2014.



Nach den Zahlen sind die AfD, die erstmals an einer Europawahl teilnahm, und die SPD die großen Gewinnen mit Zuwächsen von 7,5 bzw. 6,7 Prozentpunkten. Diesen Siegern stehen die FDP, die Grünen und die CDU mit Verlusten zwischen 5,1 und 2,4 Prozentpunkten gegenüber.

Zu den kleineren Gewinnern mit weniger als einem Zuwachs von einem Prozentpunkt gehört neben einigen Kleinstparteien auch die Linke, die im Norden wie auch in Bremen insgesamt besser abgeschnitten hat als im gesamten Bundesgebiet, wo es aufgrund der Einbußen in den ostdeutschen Ländern – so 6,3 Prozentpunkte in Brandenburg - einen minimalen Verlust von 0,1 Prozentpunkten gab.




Die relativen Veränderungen in den drei Stadtteilen Bremen-Nords (Angaben in Prozentpunkten)

Parteien
Vegesack
Burgleseum
Blumenthal
Wahlbeteiligung
1,0
1,1
-0,5
CDU/ CSU
-2,0
-3,6
-1,2
SPD
7,7
6,4
5,8
Grüne
-5,5
-4,4
-3,7
Linke
0,4
0,9
0,5
AfD
7,3
7,4
7,7
FDP
-5,0
-4,9
-5,7
Piraten
0,9
0,7
1,0
Sonstige
-4,8
-3,6
-3,9
Quelle: Europawahl 2014, S. 39 f.


Diese Tendenzen sind nicht in allen drei Stadtteilen des Bremer Nordens gleich, obwohl sich die Unterschiede vom Vorzeichen her entsprechen, wenn man von der Wahlbeteiligung absieht. Während die Anteilsveränderungen für die Parteien zwar nach der Größe zwischen den Stadtteilen für die SPD, Grünen und die CDU teilweise um mehr als einen Prozentpunkt von einander abweichen, stellt die Blumenthaler Wahlbeteiligung eine Besonderheit dar, die in enem zweiten Teil näher betrachtet werden soll.

Zwar ist die Abweichung zwischen Blumenthal und Vegesack bei den Grünen mit 1,8 und bei der SPD mit 1,9 Prozentpunkten sowie zwischen Blumenthal und Burglesum bei der CDU mit 2,4 Prozentpunkten größer als der Abstand zwischen Blumenthal und Burglesum bei der Wahlbeteiligung mit 1,6 Prozentpunkten. Dennoch verdient auch dieser kleine Rückgang Beachtung, da er sich als ein Glied in einer längeren Kette interpretieren lässt.





Quelle:

Drieling, Regina, FDP und Grüne sind die Verlierer. Stadtforscher Dr. Reinhard Landwehr analysiert Wahlergebnisse in Bremen-Nord, in: BLV vom 4.6.2014.

Statistischen Landesamt Bremen (Hg.), Europawahl am 25. Mai 2014 im Land Bremen. Vorläufiges Wahlergebnis, Bremen Mai 2014 (Statistische Mitteilungen. Heft 118.


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