Tanklager Farge: Ein bremisch gemanagter Umweltskandal
Von der vergessenen und zur bedrohlichen Grundwasserverseuchung
Seit ein Panorama-Beitrag im letzten November die Anwohner des Tanklagers Farge aufschreckte, ist nichts mehr so, wie es vorher war. Bis dahin hatte man mit einem hermetisch abgegrenzten Areal des Tanklagers gelebt, wo bereits die Wehrmacht, die US-Army und später die Bundeswehr Treibstoffe gelagert hatten. Dabei wussten die Einwohner in einigen Straßen, dass während des Krieges BTEX ins Grundwasser gelangt war, da ihnen die Umweltbehörde eine entsprechende Mitteilung im Mai 2009 ins Haus geschickt hatte. Das war nach der Fernsehsendung jedoch anders. Die Journalisten hatten darin bewiesen, dass diese alte Geschichte zumindest nicht die volle Wahrheit war. Vielmehr mussten auch noch später Giftstoffe ins Grundwasser gelangt sein, etwa frühestens in den 1980er Jahren, denn es wurde auch MBTE gefunden, das erst in dieser Zeit dem bleifreien Benzin beigemischt wurde.
Die Bedrohung durch das Tanklager war daher zeitlich näher gerückt. Gleichzeitig gab es jedoch eine Hoffnung, denn die Bundeswehr hatte erklärt, das Tanklager bis Ende Mai 2013 schließen zu wollen.
In dieser veränderten Situation, die bei vielen Anwohnern Besorgnisse wegen ihrer Gesundheit, der Qualität des Trinkwassers und den Werten ihrer Immobilien auslöste, wurden die Oppositionsparteien, einige Bürgerinnen und auch eine Bürgerinitiative aktiv.
Man hatte das Vertrauen in die Informationspolitik der Umweltbehörde verloren und verlangte mehr Transparenz. So wollte man wissen, was tatsächlich gemessen worden war, also welche Stoffe wo und in welcher Konzentration sich im Tanklager und seiner Umgebung befanden.
Später, als die Bundeswehr für das Tanklager einen Käufer suchte, rückte die Zukunft dieses Speichers für umweltgefährliche Stoffe verstärkt in den Blickpunkt. Dabei ging es um einen möglichen Weiterbetrieb im privatwirtschaftlichen Rahmen, wo entsprechend dem Bundesbau- und Bundes-Immissionsschutzgesetz andere Bestimmungen gelten als in einem Sondergebiet „Bund“. Die Frage ist dabei, ob ein Bebauungsplan und eine neue Betriebsgenehmigung erforderlich sind, die dem aktuell geltenden Recht entsprechen, oder ob eine Betriebsgenehmigung weiterhin gültig sein kann, die es vielleicht im Hinblick auf den „Endsieg“ einmal gegeben haben mag und die später irgendwann als faktische Nutzung in die veränderte rechtliche Situation eingepasst worden ist.
Da die Umweltbehörde auf die Transparenzerwartungen der betroffenen Bürger nicht einging, sondern bei ihrem bürokratischen Verhaltensmuster blieb, mussten sich die interessierten Einwohner die Daten aus Unterlagen zusammenklauben, die innerhalb des üblichen politischen Prozesses in Bremen anfallen. Das sind in diesem Fall vor allem die Berichte und Protokolle der Umweltdeputation, also einer Institution, die es in dieser Form nur in Bremen gibt. Hinzu kommt eine Präsentation der Umweltbehörde im Blumenthaler Beirat, als dort die ersten Bürgeranträge auf der Tagesordnung standen.
Löschbrücke
Die späte „Entdeckung“ der Grundwasserkontamination
Obwohl erhebliche Bombenschäden während des Krieges bekannt waren, ja, Ende März 1945 sogar ein Tank völlig zerstört und das Rohrleitungssystem stark beschädigt worden sein soll, sahen es die zuständigen Behörden in Bremen offensichtlich nicht als ihre Aufgabe an, diesen Berichten nachzugehen und die Auswirkungen frühzeitig in den Griff zu bekommen.
Vielmehr wurde, folgt man den offiziellen Berichten, erst im Rahmen des Grundwassermonitorings, das im Jahr 2006 für eine Kanisterabfüllfläche erfolgte, auch ein Feuerlöschbrunnen „im seitlichen Abstrom des Verladebahnhofs II .. beprobt.“ Dabei stellte man „eine erhöhte Belastung mit aromatischen Kohlenwasserstoffen (BTXE)“ fest. Werte deutlich über der Geringfügigkeitsschwelle wurden im selben Jahr auch in einer Grundwassermessstelle „direkt im Grundwasserabstrom des Verladebahnhofs II“ gefunden.
Aufgrund dieser Messergebnisse hat der Bremer Bau- und Umweltsenator das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum Schwanewede (BwDLZ) veranlasst, seit 2007 die Altlastensituation im Bereich der Bundeswehrliegenschaft Tanklager Farge in mehreren Schritten zu untersuchen. Dabei zeigte sich in den Jahren 2008/2009, „dass (sich) eine massive Grundwasserverunreinigung im Bereich des Verladebahnhofs II .. über die Liegenschaftsgrenze hinaus bis in angrenzende Gebiete der Ortsteile Farge und Rönnebeck erstreckt.“
Nach den Bombenabwürfen auf das Tanklager und anderen Kriegsereignissen hat es also, wenn man den öffentlich zugänglichen Berichten der Umweltbehörde folgt, bis 2007/8 gedauert, als die Umweltbehörde erstmals „Grundwasseruntersuchungen im Bereich des Tanklager durchführen ließ“, die dann zu einem Warnbrief an Anwohner führten. Die Folgen der Kriegsereignisse hatten also über 60 Jahre Zeit, um sich im Boden auszubreiten und bis in die Wohnstraßen vorzudringen.
Nach dieser „Entdeckung“, die zumindest für die alteingesessenen Einwohner in den nahe liegenden Ortsteilen kaum überraschend gewesen sein dürfte, erreichte die Suche nach Kontaminationen eine deutlich höhere Geschwindigkeit.
Kontaminationsverdächtige Flächen (KVF)
So forderte die Umweltbehörde im Jahr 2009 den Bund auf, im gesamten Standort „durch einen unabhängigen Gutachter“ „eine systematische mehrstufige Altlastenuntersuchung“ durchführen zu lassen. Nach dem im Juli 2010 vorgelegten Ergebnisbericht wurden dabei insgesamt 119 Kontaminationsverdächtige Flächen (KVF) ermittelt, von denen 7 mit einem hohe, 41 mit einem mittleren und 71 mit einem geringen Verdachtspotential bewertet wurden.
Verladebahnhof II
Bei der weiteren Analyse der vermutlich besonders belasteten Flächen deutete „die Verteilung der BTEX im Grundwasser .. darauf hin, dass der Verladebahnhof II im Tanklager Farge die Hauptquelle für die Verunreinigung durch diese Stoffe darstellt“. So wurden BTEX-Konzentrationen von einigen Tausend bis zu maximal 350.000 μg/l gemessen.
Daher begann hier im Juli 2010 eine „hydraulisch unterstützte Phasenabschöpfung“. Dabei werden aus derzeit fünf Brunnen, die kreisförmig um das Kontaminationszentrum angeordnet sind, sodass sie einen „Absenktrichter .. erzeugen“, „BTEX-Substanzen abgeschöpft“, „die in unverdünnter Form auf dem Wasser schwimmen“. Bis Juli 2012 konnten dadurch 16.000 kg Schadstoffe und durch die übrige Grundwassersanierung mit Hilfe von Aktivkohle zusätzlich 300 kg Schadstoffe aus dem Boden entfernt werden. Insgesamt ließen sich durch diese Maßnahmen die Konzentration im Schadstoffzentrum von 350.000 μg/l auf 25.000 μg/l senken, also einen Wert, der weiterhin sehr deutlich über dem Maßnahmeschwellenwert von 50 - 100 μg/l liegt.
Kläranlage
Am Verladebahnhof II hat man inzwischen auch MTBE in einer Konzentration von bis zu 152 μg/l festgestellt, nachdem während der Mess- und Sanierungsarbeiten der Umweltbehörde diese Substanz erstmals 2011 außerhalb des Tanklagers mit bis zu 1.600 μg/l an der Straße „Am Rottpohl“ nachgewiesen wurde.
Die Entstehung dieser Werte, die deutlich über der Maßnahmeschwelle liegen, ist ungeklärt, weil nach der „bisherigen Auskunft der Bundeswehrverwaltung“ „nur Flugkraftstoff und Diesel (ohne MTBE) im Tanklager umgeschlagen“ wurden. Da die Umweltbehörde allerdings keine Kenntnisse über eine mögliche Verursachung durch eine Quelle außerhalb des Tanklagers hat, wird „bis auf Weiteres das Tanklager als mögliche Quelle auch für die MTBE-Belastungen nicht ausgeschlossen.“
Inzwischen will man zumindest den Zeitpunkt dieser Kontamination, über die die Öffentlichkeit vor allem erstmals durch die Panorama-Sendung im letzten Herbst erfahren hat, eingrenzen können, da MTBE seit 1984 verwendet worden ist und seit 1987 in Farge kein Umschlag von Kraftstoffen mit einem MBTE-Anteil mehr erfolgte, „weil eine dann erforderliche Gaspendelanlage nicht vorhanden“ gewesen sein soll.
Verladebahnhof I, Hafen und Pumpstation 3
Geringere Kontaminationen des Grundwasser wurden noch an drei weiteren Stellen des Tanklagers gefunden und genauer untersucht.
So ermittelte man eine Bodenverunreinigung durch BTXE im Bereich der Pumpstation 3, die auf einen „in diesem Bereich ermittelten Leitungsschaden aus dem Jahr 1974 zurückgehen dürfte.“
Gravierender erscheinen Belastungen im Bereich Hafen und Verladebahnhof I zu sein, die weiter erkundet werden und sich offensichtlich über die Grenze des Tanklagers ausweiten. Dabei wurde im Bereich des Bahnhofs neben BTXE auch MTBE nachgewiesen.
Insgesamt wird nach den Berichten des Umweltamtes „das Gelände .. weiterhin großflächig erkundet, um abzusichern, dass Schadstoffe nicht abwandern und weitergehenden Schaden anrichten können.“
Ladestelle
Die Gefährdung des Wasserschutzgebietes Blumenthal
Da das Tanklager teilweise und vor allem der besonders belastete Verladebahnhof II innerhalb des Wasserschutzgebietes Blumenthal liegt, wurde der Wasserversorger über die Situation informiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der „nächstgelegene Grundwasserfassungsbrunnen“ knapp einen Kilometer von „der Grundwasserverunreinigung in südöstlicher Richtung 920 m entfernt“ ist.
Nach der Antwort der Umweltbehörde auf eine Anfrage der CDU vom 19. Dezember 2012 liegt im Grundwasserschutzgebiet Blumenthal III die kartografisch dargestellte Belastung mit BTEX im Bereich „von 5.000 bis 10.000 μg/l" bei einer Geringfügigkeitsschwelle von 20 μg/l.
Die Grundwasserkontamination im Überblick
Bisher haben weder das Umweltamt noch das Ortsamt eine Übersicht zum aktuellen Kenntnisstand über die Grundwasserbelastung durch das Tanklager Frage ins Internet gestellt, wie das von vielen Seiten angeregt und beantragt wurde und beim heutigen Entwicklungsstand der Informationsgesellschaft auch erwartet werden kann.
Nicht einmal der Aufforderung durch die Stadtbürgerschaft an den Senat, „öffentlich, zum Beispiel im Internet, einsehbare Informationen über Grundwasserkontaminationen bereitzustellen, sodass jeder Bürger/jede Bürgerin sich über Kontaminationen im Grundwasser ausreichend informieren kann“, wurde bisher entsprochen. Auf „Informationen“, die“ gut zugänglich und so aktuell wie möglich sein“ sollen, warten die Bürger weiterhin vergeblich. Es wird nur eine Karte mit belasteten Flächen angeboten, auf der jede Angabe über die Art und den Grad der Vergiftung fehlt.
Wenn man versucht, aus den vorliegenden Berichten und Protokollen ein Bild zu gewinnen, gelangt man zur folgenden lückenhaften Übersicht. Die Quellen sind ein Bericht in der Umweltdeputation am 6. Dezember und eine Präsentation im Beirat Blumenthal am 10. Dezember 2012.
Bohrung zur Phasenabschöpfung
Von der Umweltbehörde bisher veröffentlichte Kontaminationsdaten
Belastende Chemikalie
|
Maximalwert
im Tanklager
(1)
|
Wert
am Verladebahnhof II (2)
|
Maximalwert
außerhalb
des Tanklager (2)
|
Maximalwert
außerhalb
des Tanklagers (1)
|
Geringfügig-
keitsschwelle
|
Maßnahmen-
schwellwert
|
350.000
μg/l
|
50.000 μg/l
|
1.420
μg/l
|
(3)
|
20,0 μg/l
|
50-100
μg/l
|
|
152
μg/l
|
76,0 μg/l
|
922
μg/l
|
1.600
μg/l
|
15,0
μg/l
|
||
Benzol
|
(3)
|
5.100
μg/l
|
1.300
μg/l
|
(3)
|
1,0
μg/l
|
5 – 10
μg/l
|
(3)
|
83,3
μg/l
|
13,1
μg/l
|
(3)
|
0,2
μg/l
|
0,4 –2
μg/l
|
(1) Verwaltungsbericht zur Sitzung der Umweltdeputation am 6.12. 2012.
(2) Präsentation des Umwelt- und Gesundheitsamtes im Beirat Blumenthal am 10.12.2012 (Stand der Daten: Juni 2012)
(3) Bisher keine Angaben durch die Umweltbehörde mitgeteilt.
Die Zahlen in dieser Zusammenstellung der Einzelergebnisse sprechen eine sehr eindeutige Sprache, da die Belastungen am Verladebahnhof II extrem, aber auch außerhalb des Tanklager-Areals deutlich über den Maßnahmenschwellwerten liegen. Das gilt nicht nur für die vielfach angesprochenen Chemikalien BTEX und MTBE, sondern auch für Benzol allein und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die ebenfalls als karzinogen gelten.
Bei den Zeitpunkten der jeweiligen Messungen fällt auf, dass in Blumenthal Daten vom Juni genannt wurden, während die Umweltbehörde einige Tage vorher in der Sitzung der Deputation bereits teilweise jüngere Messergebnisse präsentieren konnte. Ein Unterschied, der dabei deutlich wird, ist die „Entwicklung“ beim Maximalwert für MTBE außerhalb des Tanklagers, da man hier im Zuge der weiteren Untersuchungen innerhalb weniger Monate auf einen Maximalwert gestoßen ist, der fast doppelt so hoch lag wie der Juni-Wert. Bei dieser Tendenz kann also von einer Entwarnung keine Rede sein, auch wenn am Verladebahnhof II bereits Schadstoffe entfernt wurden.
Dieser Erfolg bleibt schließlich äußerst relativ, solange die Kontamination Werte von 50.000 μg/l erreicht, während der Maßnahmenschwellwert bei nur 50-100 μg/l liegt.
Über Messpunkte außerhalb des Verladebahnhofs II wurden bisher keine Einzeldaten veröffentlicht. Das gilt auch für die rätselhaften MTBE-Belastungen, die außerhalb des Tanklager stärker sein sollen als an den bekannten Messstellen im Tanklager, obwohl dort die Quelle der Kontamination vermutet wird.
Vom geheimen NS-Tanklager zur kommerziellen Nutzung nach rechtsstaatlichen Normen
Diese schleppende Erfassung der lange bekannten Kontamination mit ihrer extrem hohen Konzentration kann vielleicht die zurückhaltende Informationspolitik der zuständigen Stellen erklären. Immerhin geht es hier um die Lagerung von 312.000 Kubikmeter Treibstoffe, was der Ladung von gut 10 000 Tanklastzügen entspricht, die sich in großen, nur schwer kontrollierbaren Tanks befinden; denn sie sind mit 6 m Erdreich bedeckt und reichen bis eine Tiefe von 18 m. Bei dem Bau der Anlage wurde eben weniger an eine potenziale Gefahr für das Grundwasser gedacht, sondern an eine sichere Lagerung für den totalen U-Boot-Krieg und den anschließenden Endsieg, wodurch man sich weite, unbelastete Flächen im Osten erhoffte, für die dann Siedler aus den möglicherweise verseuchten Gebieten im Westen gebraucht wurden.
Daher scheint es auch nicht einmal ganz sicher zu sein, ob und wann diese Anlage genehmigt wurde. Sie war schließlich kriegswichtig und geheim. Wer hätte da formaljuristisch argumentieren wollen, zumal wenn er den Häftlingen begegnete, die die Sklavenarbeiten beim Bau zu leisten hatten?
Das Phantom der Betriebsgenehmigung
Diese zumindest vermutete Betriebsgenehmigung hat eine Geschichte und soll erhebliche Macht besitzen. Dennoch scheint sie weniger einer attraktiven Frau als einem Phantom zu ähneln.
So erklärte der Bremer Umweltsenator Lohse gegenüber Panorama: „Die Situation ist die, dass wir einen Betreiber haben mit einem Rechtsanspruch auf Fortbestand seiner Genehmigung. Wenn Sie einen Betreiber einer genehmigten Anlage haben, dann müssen Sie auf diesen Betreiber Rücksicht nehmen.“
Die Betriebsgenehmigung ist seitdem die Größe, die die Bau- und die Umweltbehörde daran hindert, sich Gedanken über das Areal des Tanklagers Farge in einer Zeit zu machen, in der es nicht mehr als Depot für umweltgefährliche Stoffe genutzt wird.
Diese beruflichen Umweltschützer scheinen es fast wie ein Naturgesetz hinnehmen zu wollen, dass jeder mögliche Käufer das Tanklager weiterhin betreiben darf, ohne dass eine Betriebsgenehmigung notwendig ist, die den heute geltenden Standards entspricht.
Während Betriebsgenehmigungen für andere Anlagen im Internet eingesehen werden können, sodass jeder Interessierte sich darüber informieren kann, wird von der Umweltbehörde in Farge auf „eine lange rechtliche Vorgeschichte“ verwiesen, ohne dass die Mitglieder der Umweltdeputation etwas über die inhaltlichen Einzelheiten der angeblichen Betriebsgenehmigung erfahren.
So soll die Anlage „ursprünglich ..vom Reichsarbeitsministerium genehmigt worden“ sein, was nicht unbedingt für die Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte im Baujahr 1935 spricht. Nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland soll dann „das Tanklager Farge unter der Gewerbeordnung fortbestanden haben und Mitte der 1970er Jahre nach dem In-Kraft-Treten des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) durch Anzeige in dessen Geltungsbereich übernommen“ worden sein.
Auch das zuständige Gewerbeaufsichtsamt kann keine Betriebsgenehmigung vorweisen, sondern nur auf Akten verweisen, die man „chronologisch lesen“ muss, „um die Entwicklung des Tanklagers nachzuvollziehen“ zu können.
Allerdings wird sich nicht jeder der besorgten Anwohner für die Historie interessieren, sondern den exakten Wortlaut kennen wollen, um endlich zu erfahren, was auf dem abgeriegelten Gelände neben ihren Wohnungen passieren darf und was nicht. Ihn interessiert nicht Dichtung, sondern Wahrheit und Klarheit.
Wenn sogar die Mitglieder der Umweltdeputation bisher nur mit diesen Allgemeinplätzen abgespeist werden, dürfte es nicht ganz unberechtigt sein, wenn es Zweifel an einer sorgfältigen Rekonstruktion der Genehmigung gibt. Schließlich ist es so, dass kein Bürger alte Geräte weiterhin verwenden darf, wenn sich in den vielen Jahrzehnten seit 1935 die Rechtslage so deutlich geändert hat wie gerade im Bereich der Umweltgesetzgebung. Hier muss jeder Konsument seine Heizungen, Autos und auch Glühbirnen entsprechend den neuen Vorschriften auswechseln und erneuern; er kann sich auf kein Recht auf Fortbestand berufen, wenn er sich nicht von alten Dreckschleudern oder Stromfressern trennen will. Dasselbe gilt für gewerbliche Emittenten.
Nur beim Tanklager Farge soll es einen „Rechtsanspruch auf Fortbestand“ geben, ohne dass auch nur ein Wort darüber verloren wird, wie die ursprüngliche Genehmigung dem geltenden Recht angepasst wurde. Fortbestand muss beispielsweise nicht bedeuten, dass man auf einem riesigen Areal gerade in einem Wasserschutzgebiet umweltgefährdende Stoffe verladen darf.
Wichtig ist also nicht, ob es einen Bestandsschutz geben mag, sondern auch, wie weit dieser angesichts aktueller Gesetze angepasst wurde. Mit solchen notwendigen Differenzierungen scheinen sich weder das Gewerbeaufsichts- noch das Umweltamt zu beschäftigen, sondern sie gehen von einer völlig abstrakten Betriebsgenehmigung an sich aus, also ohne sich mit dem konkreten Fall des Tanklagers Farge rechtlich auseinanderzusetzen. Man kann daher sogar zweifeln, ob die behördlichen Kontrolleure überhaupt versucht haben, aus der langen Geschichte das herauszufiltern, was eine Betriebsgenehmigung nach der heutigen Rechtslage notwendigerweise umfassen muss.
So heißt es, dass der Anlagenbetreiber, der im Besitz einer solchen Genehmigung sei, einen Rechtsanspruch habe, die Anlage zu betreiben, bis entweder die Genehmigung wegen mindestens dreijähriger Nichtnutzung erlösche oder entzogen würde, weil Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers bestünden.
Diese beiden Gründen sollen in Farge jedoch nicht vorliegen, da das „Tanklager nach dem Stand der Technik betrieben und bei regelmäßigen Überprüfungen keine neuen Leckagen festgestellt“ wurden. Daher sollen „keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers“ bestehen. Eine „Altlast alleine“ soll hingegen „heute keine rechtliche Handhabe“ liefern, „um einem genehmigten und ordnungsgemäß laufenden Betrieb die Genehmigung zu entziehen.“
Dabei wird immer unterstellt, dass sich offensichtlich die Betriebsgenehmigung vom Eigentümer Bund auf jeden tatsächlichen Betreiber durch einen Geschäftsbesorgungsvertrag oder einen Kauf praktisch vererbt, ohne dass die Zuverlässigkeit des Betreibers zuvor neu festgestellt werden muss. Anscheinend unterstellen die Anhänger der NS-Bestandsschutz-These eine sogenannte Realkonzession wie sie früher als „Kruggerechtigkeit“ möglich war, durch die eine Erlaubnis zum Betrieb eines Unternehmens an eine bestimmte Betriebsstätte gebunden ist, auch wenn „die Person des Erlaubnisinhabers durch Vererbung oder Veräußerung wechseln kann.“ Bei dieser Art einer Übertragung von Zuverlässigkeit kann man in der Tat von einer starken Wirkung eines Stückes Papier sprechen, das es offensichtlich in einer leicht lesbaren Form gar nicht gibt.
Die Wirksamkeit dieses real wenig greifbaren Phantoms soll sogar noch weiter gehen, denn für die Vertreter der NS-Bestands-These soll sogar eine baurechtliche Genehmigung obsolet sein, da das Bundesimmissionsgesetz, auf dessen Grundlage die Betriebsgenehmigung allerdings gar nicht erstellt wurde, eine Konzentrationswirkung besitzt, womit eine Koppelung der beiden Genehmigungen gemeint ist.
Wenn man von der unterstellten abstrakten Betriebsgenehmigung ausgehen würde, wäre damit anscheinend bei diesen Rechtsinterpreten sogar ein Bebauungsplan unzulässig, der zwar die bestehenden Tanks berücksichtigt, aber eine weitere Nutzung des Areals durch die Lagerung zusätzlicher grundwassergefährdender Stoffe - etwa am Rand des Gebietes und im Wasserschutzgebiet - ausschließt. Der Grundeigentümer mit seiner omipotenten Betriebsgenehmigung könnte also ohne Rücksichten auf die Gesundheit der Anwohner, die Belastung von Grund- und Trinkwasser und die Eingriffe in die Natur schalten und walten wie er wollte, wenn er so „zuverlässig“ wie bisher ist.
Abfüllstation
Die Argumente der Tanklager-Lobby
Auch wenn die meisten Parteien in Bremen inzwischen das Gespräch mit der Bürgerinitiative und betroffenen Bürgern gesucht haben, findet man unter den Politikern eine Lobby für eine Weiterführung des Tanklagers und teilweise sogar durch den bisherigen Betreiber. Diese Position zeigte sich vor allem während der Blumenthaler Beiratssitzung im März, als der Ortsamtsleiter erklärte, „dass die Aufrechterhaltung des Betriebs eine bessere Lösung für Bremen sei als eine Stilllegung.“
Als Begründung unterstellte er dem Bund einen exemplarischen Verkauf des Tanklagers samt den Sanierungsverpflichtungen an eine angeschlagene Firma, die dann in die Insolvenz gehen und Bremen auf den Sanierungskosten sitzen lassen könnte. Nach diesem Schreckensgemälde mit einem halbseidenen bisherigen Eigentümer soll in dem fiktiven Beispiel das arme Bremen die notwendigen Millionen nicht haben, sodass die Sanierung vermutlich gar nicht erfolgen kann.
Dieses Zukunftsaussicht klingt zwar bedrohlich, aber sie hat den Nachteil, dass ihr jede Logik fehlt, da auch bei einer Weiterführung die Sanierungskosten anfallen und sich vielleicht sogar noch erhöhen, wenn es durch den Betrieb zu neuen Leckagen kommt. Wenn man weitere Kosten vermeiden will, wäre es also im Interesse Bremens und Blumenthals, sich mit dem Bund auf die Sanierung und eine ungefährliche Nutzung im Rahmen der aktuellen Gesetze zu einigen.
Ein Irrtum der Umweltbehörde
Inzwischen dürfte sich die Situation für die Tanklager-Lobby zumindest psychologisch deutlich verschlechtert haben, denn die Naturgesetze und die Fehler der Vergangenheit lassen sich nicht durch ein paar Worte aus der Welt schaffen. So hat sich inzwischen nach den Angaben des Umweltamtes die Grundwasserbelastung auch vom Verladebahnhof I aus über die Grenze des Tanklagers hinweg ausgedehnt. Daher muss jetzt ein Brief, wie man ihn im Mai 2009 verteilt hat, auch den Anwohnern von vier weiteren Straßen zugestellt werden, um sie vor dem Gebrauch des Grundwassers zu warnen.
Das hatte das Umweltamt zwar bereits im Dezember gegenüber der Umweltdeputation angedeutet. Ganz anders klang es jedoch am 5. Februar in einer Antwort auf einen Bürgerantrag vom 12. Dezember, der häufigere Schadstoffmessungen gefordert hatte. Vor sechs Wochen sah man dafür noch „keinen Anlass“, weil sich die Schadstofffahne in einem „Gleichgewicht befindet“.
Die große Informationsmauer
Verladebahnhof
Diese Verweigerung von Informationen ist inzwischen typisch für die zuständigen Behörden, die mit einer Informationsmauer auf die Wünsche der betroffenen Bürger nach Transparenz reagiert haben. So führt die Bundeswehr keine interessierten Besucher mehr durch das Tanklager, weil Einwohner aus Schwanewede angeblich „Journalisten“ dabei hatten. Offenbar unterscheidet man also zwischen zwei Typen von Menschen, einigen ungefährlichen, die man als Teil von PR-Maßnahmen benötigt, und anderen, die möglicherweise Dinge publik machen können, die man weiterhin unter der Decke halten will.
Ähnliche Erfahrungen machte die Wochenzeitung BLV bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) in Oldenburg. Dort durfte der Leiter des Verkaufsteams Fragen zum Tanklager „wegen der herausragenden Bedeutung“ nicht mehr beantworten, und auch die Pressesprecherinnen konnten zwar mit der Presse sprechen, aber keine „Auskunft geben“. Ein weiterer Pressesprecher schließlich, an den die Journalistin verwiesen wurde, reagierte nicht auf eine Mail, sprach also nicht einmal.
Wenn man die bisherigen Antworten vor allem der Umweltbehörde auf die Fragen sieht, die als Bürgeranträge im Blumenthaler Beirat angenommen wurden, dürfte kaum ein unbefangener Beobachter den Eindruck gewinnen, dass eine bürgernahe Verwaltung die betroffenen Bewohner umfassend informieren will, damit ihnen ihre Befürchtungen genommen werden. Vielmehr präsentieren sich die Behörden wie eine mächtige Bürokratie, die den einfachen Einwohnern eine komplizierte Wahrheit nicht mitteilen kann, sondern ihnen nur dann eine Mitteilung ins Haus schicken will, wenn die wissende Verwaltung es für angezeigt hält.
Diese autoritär anmutende Sicht des Verhältnisses von Verwaltung und Bürger lässt sich sowohl in der gewählten Sprache als auch an den Punkten erkennen, wo die Verwaltung tatsächlich auf die Wünsche von Antragstellern eingegangen ist. Dabei fällt es sehr schwer, diese Bereiche zu entdecken; vermutlich kann es auch gar nicht gelingen, wenn man die Argumentation der Umweltbehörde etwa zur Veröffentlichung von Messergebnissen liest, die im besten Behördendeutsch geschrieben sind, wie man es im Geschichtsunterricht aus den Zeiten des Obrigkeitsstaates kennengelernt hat: „Zurzeit werden Grundwasseruntersuchungen durchgeführt zur Überwachung der Grundwassersanierungsmaßnahme, zur Beobachtung der Schadstofffahne und zur genaueren Erkundung der Schadstoffverteilung.“
Solche Aktivitäten mögen ja noch beruhigen, vor allem wenn man daran denkt, dass nach den ersten Leckagen im Krieg über 60 Jahre vergangen sind, bevor überhaupt etwas unternommen wurde. Ebenso muss man dem folgenden Satz nicht widersprechen, auch wenn man vielleicht anmerken sollte, dass die von der Umweltbehörde beauftragten Betriebe und Fachleute keinen Monopolanspruch auf Fachwissen erhaben können und in jeder Disziplin Tatbestände durchaus unterschiedlich beurteilt werden können und man zu neuen Erkenntnissen gelangt.
Bei der Bremer Umweltbehörde heißt es: „Konzeption, Durchführung und Auswertung von altlastenbezogenen Untersuchungsmaßnahmen setzen ein beträchtliches Maß an fachlicher Qualifikation und Erfahrung voraus.“
Problematischer werden die Feststellungen allerdings, wenn es ohne weitere Begründung apodiktisch heißt: „Die ermittelten Daten sind von den eingesetzten Fachgutachtern wie auch von der zuständigen Bodenschutzbehörde zu erörtern und zu bewerten.“ Da wird den senatorischen Stellen niemand eine Erörterung und Bewertung absprechen wollen. Nur muss man sich fragen, warum eine Behörde, die von einem Senator der Grünen geleitet wird, nicht formuliert: „Die Ergebnisse werden der interessierten Öffentlichkeit über das Internet zugänglich gemacht und mit Bürgerinitiativen und anderen Bürgern diskutiert.“
An einer Profilierung als bürgernaher Verwaltung scheint jedoch in der Umweltbehörde niemand zu denken, denn man vertritt dort ein ganz anderes Verhältnis zwischen dem Senator und seiner Behörde auf der eine Seite und den Bürgern auf der anderen, die selbst das Untersuchungskonzept und die Messdaten des Amtes mit allen seinen Eigeninteressen nicht prüfend verfolgen sollen. Für die nicht gerade als mündig betrachteten Bürger reicht es, dass sie eine Mitteilung erhalten, „wenn sich aus der Erkenntnislage Änderungen des Ausbreitungsgebietes oder der diesbezüglichen Empfehlungen ergeben.“
Betroffene ohne Volkstribun und Aufklärer
In dieser Situation wird deutlich: Bei der Aufarbeitung und Lösung der Tanklager-Affäre in Farge sind einige Rollen kaum besetzt oder vielleicht sogar nicht einmal vorhanden, die man in jedem Fernsehspiel von einem Umweltskandal erwarten würde, weil sie einfach als selbstverständlich erwartet werden. Innerhalb der Parteienkonstellation in Blumenthal und Bremen, wo im einen Fall sich die SPD und die CDU und im anderen die SPD und die Grünen verbündet haben, fehlen Oppositionspolitiker, die den Skandal als Volkstribune aufgreifen, um auf diese Weise in der nächsten Wahl für anderen Mehrheitsverhältnisse zu sorgen.
Hier profiliert sich niemand als Aufklärer, der die bürokratischen Verwaltungen in die Schranken weist und sie zu mehr Bürgernähe und zur Ausarbeitung politischer Konzepte auffordert, die rechtlich abgesichert sind und gleichzeitig den betroffenen Bürgern ihre Befürchtungen nehmen und das Trinkwasser und die Umwelt schützen.
Wir haben beim Tanklager Farge damit den Fall, dass sich die vor allem zuständigen Behörden bestenfalls wenig um die Sorgen und Interessen der Bürger kümmern. Und dabei sind es diese Bürger, die mit ihren Steuergeldern die Verwaltung finanzieren. So weiß zum einen das Ortsamt noch bevor die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen abgeschlossen hat und mögliche gesundheitliche Folgen der Kontamination untersucht worden sind: „Das Sicherheitssystem von TanQuid ist vorbildlich“.
Zum anderen sieht die senatorische Bau- und Umweltbehörde ihre Hände wegen einer Betriebsgenehmigung gebunden, deren wichtigste Bestandteile anscheinend bisher nicht einmal aus einem Wust von Akten herausgefiltert worden sind.
Da muss man sich nicht wundern, wenn für viele zuständige Stellen weiterhin nur das Motto zu gelten scheint: Öffentlichkeit? Nein, bitte nicht!
Quellen:
Antwort des Senators für Umwelt, Bau und Verkehr vom 5. Februar 2013 auf den Bürgerantrag "Gefährdung des Wasserschutzgebietes Blumenthal“
Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der CDU vom 19. Dezember 2012 „Grundwasserverunreinigung in Farge“.
Bericht der Verwaltung für die Sitzung der Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Energie am 06.12.2012.
Ergebnisprotokoll der 18. Sitzung der städtischen Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung und Energie vom 06.12.2012.
Präsentation des Umwelt- und Gesundheitsamtes im Beirat Blumenthal am 10.12.2012.
Weitere Informationen findet man hier:
Besorgniserregende„Zufälle“ oder eine „Alternative Interpretation der Tanklager-Krebsstudie“
Weitere Informationen findet man hier:
Information oder Desinformation? Die Tanklager-Webseite
der Umweltbehörde
Besorgniserregende„Zufälle“ oder eine „Alternative Interpretation der Tanklager-Krebsstudie“
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