Die BWK und die Geschichte der Wollindustrie: real und museal
Der Förderverein Kämmereimuseum
Von ihrer einstigen wirtschaftlichen Bedeutung her verdient die BWK, die Blumenthal zu einer Kreisstadt gemacht hat und an deren Entwicklung sich zentrale Tendenzen der deutschen und europäischen Wirtschaft- und Sozialgeschichte nachzeichnen lassen, mehr als ein vollständiges Aus für Produktion und Management verdient.
Bevor in Städten wie Bremen die Verschuldung den kommunalen Handlungsspielraum deutlich eingeengt hat, wäre es vermutlich fast selbstverständlich gewesen, Besuchern und jungen Einwohnern voller Stolz dieses Beispiel früher industrieller Größe in einem Museum zu präsentieren.
Im speziellen Fall der BWK sind die Bedingungen jedoch nicht mehr so günstig. Mehrere Erlebnismuseen haben in Bremen nicht die Erwartungen erfüllt, in der Nachbarstadt Delmenhorst, die für viele Bremer näher liegt als Blumenthal, findet man ein anerkanntes Industriemuseum über das Schwesterunternehmen Nordwolle und nach der Schließung der BWK durfte das Bremer Focke-Museum sich in Blumenthal nach guten Exponaten umsehen und damit bedienen. Mit anderen Worten: die Startbedingungen für eine museale Konservierung der Erinnerung an das Blumenthaler Weltunternehmen BWK sind schlecht.
Trotzdem hat sich am 12. Mai 2011 ein Förderverein Kämmereimuseum Blumenthal gegründet, der entsprechend der Satzung drei Ziele verfolgt. So wollen die Mitglieder die Geschichte der BWK erforschen und dokumentieren, wobei ein Schwerpunkt bei den Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten liegt. Weiterhin soll, wie es der Vereinsname besagt, die Gründung eines Museums zur BWK angestrebt werden.
Inzwischen hat der Verein nicht nur eine Reihe von Materialien zur BWK-Geschichte gesammelt, sondern sie auch in der Öffentlichkeit präsentiert. So beteiligte sich der Förderverein am Projekt „Palast der Produktion“ der ZwischenZeitZentrale vom 15.6.- 15.7. 2012 und war in der ehemaligen Technischen Verwaltung der BWK unter dem Motto „Wenn es in Blumenthal nach Wolle riecht. . .“ mit einer Filmdokumentation sowie originalen Sortierkörben vertreten, die den Besuchern Wolle zum Anfassen und Fühlen anboten. Während der Verein Führungen über das BWK-Gelände organisierte, präsentierte das DOKU-Blumenthal die Erinnerungen von fünf jungen Arbeitsmigranten, die in der BWK gearbeitet haben.
BWK-Führung (Quelle: zzz)
BWK-Führung (Quelle: zzz)
Am 130sten Gründungstag der BWK, also am 13. April 2013, organisierte der Museumsverein einen „Tag der offenen Tür" auf dem ehemaligen BWK-Areal. Dabei konnten sich die Besucher nicht nur über die Arbeit des Vereins informieren, sondern auch über die BWK Chemiefaser, die Oldtimer im alten Wollspeicher und andere Unternehmen auf dem alten BWK-Firmengelände. Der Verein selbst ludt im Erdgeschoss der Sortierung zu einer Ausstellung über den langjährigen BWK-Chef Richard Jung sowie um 14 und 16 Uhr zu einem Film über den Betriebsausflug im Jahr 1937 nach Goslar ein.
Ausstellung am 13.4.2013 (Quelle: Museumsverein)
Ausstellung am 13.4.2013 (Quelle: Museumsverein)
In diesen historischen BWK-Räumen kann der Verein bis auf Weiteres seine Exponate präsentieren. (1)
Am diesjährigen Tag des offenen Denkmals, dem 8. September, konnte zwischen 11 und 17 Uhr das Kammzuglager der Wollkämmerei (Gebäude 100/101), wo sich jetzt ein Oldtimerzentrum befindet, besichtigt werden. Hier war auch der Förderverein Kämmereimuseum mit einem Info-Stand vertreten und hat Fotos aus seinem umfangreichen Fundus präsentiert. An diesem Tag konnte man also auf dem ehemaligen Werksgelände der BWK Industriegeschichte gleich doppelt erleben.
Wissensfelder der BWK-Geschichte
Eine mögliche Erinnerungsarbeit zur BWK Arbeit muss sich allerdings nicht nur auf die unmittelbar erlebte Geschichte vor Ort erstrecken; denn die Bremer Wollkämmerei ist ein paradigmatischer Repräsentant für einige wirklich globale und historische Veränderungen im Zeitalter der Industrialisierung. Das können einige Themen- oder Wissenskreise aufzeigen, die typische Merkmale der BWK herausstellen, die Präsentationen des Museums in Delmenhorst ergänzen und die Landschaft der deutschen Museen zur Geschichte der Textil- und Bekleidungsindustrie bereichern können.
Dabei ist sogar an ein sein junges Publikum gedacht, das mit Begriffen wie „Schaf“ und „Wolle“ viel verbindet, mit der BWK hingegen bestenfalls wenig. Hauptadressaten dürften allerdings Schüler sein, die sich am Beispiel BWK gezielt in diese Informations- oder Themenzusammenhänge einarbeiten können, die sich in Schulfächern wie Erdkunde (Australien, Welthandel), Biologie (Schaf), Chemie (Lanolin, Wollwäsche, Sondermüllentsorgung), Erdkunde (Australien, Welthandel), Geschichte (Technikgeschichte), Religion (Pietismus, Puritanismus, Reformation), Sozialkunde (industrielle Revolution, Kapitalismus), Textilgestaltung (Wolle) und Wirtschaft (Aktiengesellschaft, Rationalisierung, Rohstoffpreiszyklen) verwenden lassen.
Daneben kann der Überlebenskampf der BWK auch für Studenten der Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften ein interessantes Thema sein, da hier etwa im Vergleich mit Wettbewerbern wie Chargeurs unterschiedliche Strategien diskutiert werden können, durch die ein deutsches Unternehmen im globalen Wettbewerb bestehen kann.
Themenkreis: Vom Schaf zum Wollmantel
Themenkreis: Schafzucht und australischer Wollsexport
Da die BWK vor allem Wolle aus Australien verarbeitet hat, dort ihre erste ausländische Kämmereitochter gründete und schließlich von einem australischen Konzern übernommen wurde, der intensive Handelskontakte zu den australischen Schafzüchtern besitzt, kann in einer Verbindung zu BKW sehr gut die Schafzucht in Australien und vor allem der australische Wollexport behandelt werden, der über Jahrzehnte hinweg die dortige Wirtschaft entscheidend beeinflusst hat.
Themenkreis: BWK und das industrielle Blumenthal
Die BWK war nicht nur recht früh eine große Aktiengesellschaft im Textilbereich; mit ihrem Standort in Blumenthal noch weitere sozialgeschichtlich relevante Eigenschaften verbunden sind, die sie zum einem guten Demonstrationsobjekt für ein kapitalistisches Unternehmen während der industriellen Revolution machen. Das gilt zum einen für die Seite des Kapitals, wo sich hier gleich zwei soziale Zusammenhänge finden lassen, die in den Sozialwissenschaften idealtypisch mit dem beginnenden Kapitalismus verbunden werden.
Handels- und Industriekapital
So kann man hier quasi auf den beiden Seiten der Straße „Zum Westpier“ den Unterschied zwischen dem Handels- und dem Industriekapital konkret sehen. Den nördlich gelegenen Wätjens Park hat der Eigentümer der einst größten privaten Segelschiffreederei der Welt, der D. H. Wätjen & Co, mit seinem Vermögen gekauft, das er vor allem durch den Tabak- und Baumwollhandel mit der Neuen Welt und dem Transport von deutschen Aussiedlern verdient hat. Innerhalb des Parks hat er sich noch ein Schloss errichten lassen, womit er feudale Vorbilder nachgeeifert hat.
Wätjens Schloss (Quelle: wikipedia)
Wätjens Schloss (Quelle: wikipedia)
Ganz anders war es hingegen südwestlich dieser Straße. Dort haben andere Händler ihr Vermögen zusammengelegt, um durch eine industrielle Produktion Dividenden zu erhalten. Diese Industriekapitalisten haben also ihr Kapital eingesetzt, um es zu vermehren, während der Händler damit vor allem angenehmen leben und repräsentieren wollte. So wird berichtet, dass Christian Heinrich Wätjen mit Freude an der Gestaltung des Parks gearbeitet hat, in dem an einem weithin sichtbaren Mast die Reedereiflagge "Weißes W auf blauem Feld" wehte. Als Zeichen der Anerkennung wurde von den Kapitänen der Wätjen-Schiffe, die am Anwesen des Firmeninhabers vorbeifuhren, erwartet, dass sie die Schiffsflagge dippten.
Calvinismus und Geist des Kapitalismus
Mit der reformierten bzw. calvinistische Tradition ist noch ein zweiter Aspekt vorhanden, den der deutsche Wirtschaftssoziologe Max Weber idealtypisch mit dem entstehenden Geist des Kapitalismus während der Industrialisierung verbindet. So konnte er zeigen, dass der Anstoß vor allem von puritanischen und calvinistischen Regionen Europas ausging. Daher verdient die feste Verwurzelung des Calvinismus in Blumenthal Beachtung, das mit den Orten Holßel, Lehe, Neuenkirchen und Ringstedt zu den „5 Reformierten an der Unterweser“ gehört, die anders als ihre Umgebung die reformierte Tradition bewahrt haben.
Eine Voraussetzung dieser neuen Wirtschaftsgesinnung sieht Weber in einer veränderten Berufs- und Lebensauffassung, die weltliche Vergnügungen und das Verprassen von Reichtum verdammt, sodass man sogar von weltlicher Askese spricht. Weber selbst spricht dabei in seiner Studie „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ von einem „Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens“ ((Bd. 1, S. 44). Irdischer Erfolg, der sich auch im Besitz eines Unternehmens zeigen kann, lässt sich sogar als Zeichen einer besonderen göttlichen Gnade interpretieren, an der sich erkennen lässt, dass der erfolgreiche Eigentümer damit sozusagen für das himmlische Leben prädestiniert ist.
Auch wenn es außer Spenden für alle Konfessionen, denen die Mitarbeiter der BWK angehörten, kaum Hinweise auf die religiösen Vorstellungen des Managements gibt, findet man ihre Grabstätten auf dem Friedhof der reformierten Gemeinde. Man kann also annehmen, dass ihnen die Vorstellungen von Calvinismus und Puritanismus nicht unbekannt waren. Schließlich findet man sie auch in der Unternehmenskultur der BWK und die Gräber der Direktoren kann man auf dem Friedhof der reformierten Kirche besuchen.
Während das BWK-Management dem Calvinismus nahe stand, waren viele Arbeiter katholisch. Damit kann man in Blumenthal konkretes Anschauungsmaterial für die weltweit gelehrte These des bedeutenden deutschen Wirtschaftssoziologen Max Weber finden, wie an kaum einem anderen Ort.
Leben und Integration der Kämmeristen
Auf der Seite der Arbeitnehmer findet man zwar viele Parallelen etwa zur Nordwolle, da die Arbeitsbedingungen im Prinzip recht ähnlich waren. Allerdings gibt es bei ihrer Darstellung für die BWK einem großen Vorteil, da sie hier nicht nur durch wissenschaftliche Beiträge aufgearbeitet wurden, sondern auch belletristisch verdichtet wurden und damit ein anderes Publikum ansprechen. Gerade die Migrations- und Integrationsprobleme der angeworbenen Zuwanderer aus Polen werden in dem Roman „Maddo Clüver“ der Blumenthaler Reformpädagogin und Schriftstellerin Tami Oelfken eindruckvoll geschildert. Über das Leben informiert vor allem die Untersuchung „Die Kämmeristen. Arbeitsleben auf der Bremer Woll-Kämmerei.“ von Volkmar Leohold, der darin den Versuch unternimmt, Wirtschaftsgeschichte „von unten“ darzustellen.
Dieser Versuch löste bereits vor der Veröffentlichung in Blumenthal eine heftige Kontroverse aus, sodass Friedrich Jerchow, ein Autor zahlreicher Unternehmensporträts, darunter auch eines zum 100-jährigen Jubiläum der BWK, eine Antwort schrieb. Sie erschien unter dem Titel „Zerrbild und Wirklichkeit des Arbeitslebens auf der Bremer Woll-Kämmerei. Ein Kommentar zu V. Leoholds „Die Kämmeristen“, wurde in Blumenthal gedruckt und in einem Kurzinfo mit der Anmerkung, das Buch von Leohold sei in „weiten Teilen korrekturbedürftig“ vertrieben.
So gibt es jetzt die seltene Möglichkeit, dass man für ein einzelnes
Unternehmen parallel zwei Sichtweisen kennenlernen kann. Das ermöglicht nicht
nur einen unmittelbaren Vergleich, sondern lässt auch im Nachhinein deutlich werden,
über welche Fragen 1986-7 in Blumenthal diskutiert wurde.
Dieser Versuch löste bereits vor der Veröffentlichung in Blumenthal eine heftige Kontroverse aus, sodass Friedrich Jerchow, ein Autor zahlreicher Unternehmensporträts, darunter auch eines zum 100-jährigen Jubiläum der BWK, eine Antwort schrieb. Sie erschien unter dem Titel „Zerrbild und Wirklichkeit des Arbeitslebens auf der Bremer Woll-Kämmerei. Ein Kommentar zu V. Leoholds „Die Kämmeristen“, wurde in Blumenthal gedruckt und in einem Kurzinfo mit der Anmerkung, das Buch von Leohold sei in „weiten Teilen korrekturbedürftig“ vertrieben.
Themenbereich: Technologische und ökologische Probleme der Wollwäsche
Eine technoloigsche Entwicklung innerhalb der BWK wird in der Öffentlichkeit meist kritisch gesehen, wobei damit weniger die Technologie als solche, sondern ihr Einsatz in der Nähe des Blumenthaler Zentrums gemeint ist. An einem „richtigen“ Ort, wo sich keine Anwohner nicht durch den Lärm von Müllfahrzeugen belästigt fühlen müssen und keine gesundheitliche Gefahren drohen, würde sicherlich eine ganz andere Bewertung erfolgen.
Vielleicht könnte man dann sogar anerkennen, dass die Ingenieure die Erfahrungen in der BWK in bemerkenswerter Weise genutzt haben, um Wolle zu waschen und später problematischen Sondermüll, den das moderne Leben erzeugt, zu entsorgen, wobei sogar biologische Wege wie der Einsatz von Algen getestet werden.
Themenbereich: Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie während der Globalisierung
Das deutliche Lohngefälle zwischen Europa und Süd- und Ostasien hat zu revolutionären Veränderungen der deutschen europäischen Textil- und Bekleidungswirtschaft geführt. Im Ergebnis gibt es heute praktisch keine westeuropäische Textilindustrie mehr, während es in der Bekleidungsherstellung zu einer räumlichen Aufspaltung in Produktion und Design/Management geführt hat.
Die Geschichte der BWK zeigt hier zunächst die kontinuierlichen Versuche zur Rationalisierung, um die Produktionskosten zu senken und mit anderen westeuropäischen Kämmereien wettbewerbsfähig zu bleiben.
Danach tritt dann um 2005 eine plötzliche Standortrevolution ein, die China zum „Wollkönig“ gemacht hat, da sogar die australischen Kämmereien ab- und in China wieder aufgebaut wurden. Auslöser war nicht nur der Kostenvorteil durch das geringere Lohnniveau, wodurch Kammzüge auch in gleicher Qualität preiswerter hergestellt werden konnten, sondern die Verlagerung des Schwergewichts der Textil- und Bekleidungsproduktion nach Asien, sodass in Europa fast ausschließlich Modeunternehmen zurückgeblieben sind, die hier ihre Kollektionen erstellen, den Verkauf organisieren und das gesamte Unternehmen managen.
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Weitere Vorüberlegungen zu einem BWK-Museum kann man im Artikel "Vorüberlegungen zu einem virtuellen BWK-Museum: Ein digitaler Lernort mit sozialer Bodenhaftung" finden.
Der früher hier als weiterer Teil angefügte Abschnitt über die Geschichte vor allem der deutschen Kämmereien und ihre museale Aufarbeitung" wurde erweitert und lässt sich jetzt unter "Ein wichtiger Teil der Wirtschafts- und Industriegeschichte: Museen über Kämmereien, Tuchfabriken und andere Textilunternehmen" aufrufen.
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Weitere Vorüberlegungen zu einem BWK-Museum kann man im Artikel "Vorüberlegungen zu einem virtuellen BWK-Museum: Ein digitaler Lernort mit sozialer Bodenhaftung" finden.
Der früher hier als weiterer Teil angefügte Abschnitt über die Geschichte vor allem der deutschen Kämmereien und ihre museale Aufarbeitung" wurde erweitert und lässt sich jetzt unter "Ein wichtiger Teil der Wirtschafts- und Industriegeschichte: Museen über Kämmereien, Tuchfabriken und andere Textilunternehmen" aufrufen.
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