Wie (krebs-)krank macht uns die Umwelt?
Eine Auswertung des Krebsregisters ist nur bedingt geeignet, um die Auswirkungen von konkreten Emissionsquellen (z.B. Brewa-Anlagen, Tanklager und Kraftwerk in Farge und die Arcelor Stahlwerke) auf die Gesundheit der der Anwohner zu messen. Dafür sind vor allem andere Faktoren verantwortlich, die das Risiko von Krebserkrankungen beeinflussen (z.B. der Zigarettenkonsum), sowie die langen Latenzzeiten.
Trotzdem haben kleinräumige Auswertungen des Bremer Krebsregisters, die im November 2012 veröffentlicht wurden, ein gegenüber Bremen erhöhtes Krebsrisiko für den Stadtteil Blumenthal und die Wohngebiete in der Nähe der früheren BWK und in den Ortsteilen Burgdamm, Burg-Grambke und Lesum im Stadtteil Burglesum nachgewiesen, die nahe den Arcelor Stahlwerken liegen.
Quelle: wikipedia
„Rauchen kann tödlich sein.“ Mit dieser Aussage wird jeder Käufer einer Packung Zigarettenpackung gewarnt. Und auch jeder Nichtraucher weiß, dass eine mit Zigarettenrauch geschwängert Umgebung die Gesundheit gefährdet.
„Rauchen kann tödlich sein.“ Mit dieser Aussage wird jeder Käufer einer Packung Zigarettenpackung gewarnt. Und auch jeder Nichtraucher weiß, dass eine mit Zigarettenrauch geschwängert Umgebung die Gesundheit gefährdet.
In diesem Fall gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen,
die es dem Gesetzgeber erlauben, sogar die gesundheitlichen Folgen des Rauchens
ganz konkret zu benennen. So dürfen die Hersteller als Warnhinweis auch
Durchblutungsstörungen, Schlaganfälle, Impotenz, Herzinfarkte und Lungenkrebs
als konkrete Folgewirkungen benennen.
Diese Ergebnisse lassen sich relativ leicht gewinnen und
überprüfen, wenn man die Krankheitshäufigkeiten und die Lebenserwartung von
Rauchen und Nichtrauchern vergleicht, da sich zwischen beiden Gruppen deutliche
Unterschiede etwa beim Risiko einer Erkrankung an Lungenkrebs und bei der
Lebenserwartung nachweisen lassen.
Schwieriger sind ähnliche Feststellungen, wenn man mögliche Ursachen wie
das Rauchen und einzelne Krankheiten nicht so eindeutig und konkret benennen
kann.
Das gilt beispielsweise für die verschiedenen
Umweltemissionen, die wir als Strahlung, über die Luft, oder mit unserer
Nahrung aufnehmen. Wir sind eben nicht nur die Anwohner einer
Müllverbrennungsanlage, sondern haben eine spezifische Erbsubstanz, besondere
Lebens- und Ernährungsgewohnheiten und wechseln in unserem Leben üblicherweise
mehrfach die Arbeitsstelle und die Wohnung, sodass für unserer Gesundheit eine
Vielzahl von einzelnen Faktoren relevant ist.
Umweltbelastungen durch technische Großanlagen
In unserem Land, das auf seine Umweltschutzpolitik stolz
ist und in dem eine betont ökologische Partei im Bund und in vielen Ländern an
der Regierung beteiligt waren und ist, gibt es eine Vielzahl von Vorschriften,
nach denen problematische Großanlagen kontinuierlich auf mögliche Gefahren
überprüft werden, die von ihren technisch unvermeidlichen Emissionen ausgehen,
wenn sie nicht zuvor gereinigt wurden.
Dennoch haben tatsächliche oder vermeintliche
Giftschleudern immer wieder zu Bürgerprotesten und zur Gründung zahlreicher
Bürgerinitiativen geführt, da die Anwohner von Kraftwerken,
Müllverbrennungslangen, Chemiefabriken, Raffinerien oder Tanklagern immer
wieder Sorgen wegen ihrer Gesundheit hatten und haben. Das gilt nicht nur, weil
sie in diesen Anlagen tickende Zeitbomben sehen, in denen es jederzeit zu
Unfällen und damit Umweltkatastrophen kommen kann. Vielfach fehlt auch der
Glaube, dass die vorgeschriebenen Grenzwerte, wenn sie denn eingehalten werden,
tatsächlich gesundheitliche Beeinträchtigungen verhindern.
Daher wird immer wieder eine Prüfung der gesundheitlichen
Auswirkungen dieser technischen Großanlagen geführt, deren Probleme sehr exemplarisch
an drei Beispielen veranschaulicht werden sollen.
Mögliche
exemplarische Zusammenhänge von industriellen Emittenten und Erkrankungen
Anlage
|
Beispiele möglicher giftiger Emissionen
|
Exemplarische Erkrankungen
|
Steinkohlekraftwerk
|
Allergien, Asthmaanfälle, Atembeschwerden, Herzinfarkt,
bei Kindern Mittelohrentzündungen, Lungenkrebs
|
|
Tanklager
|
BTEX (Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylole)
|
Reizungen der Haut, Augen, Atemwege, Schwindel,
Kopfschmerz, Schädigungen der Nieren, Krebs (1)
|
Sondermüllverbrennung
|
Übelkeit, Erbrechen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Reizbarkeit, Appetitlosigkeit, starker Gewichtsverlust, Schädigung der Leber, Depressionen, Krebs |
1) Laut Brief des Umweltsenators an Tanklager-Anwohner vom
6.5.2009.
Wie diese Übersucht werden bei den ausgewählten Anlagen
jeweils für eine mögliche toxische Emission die Erkrankungen aufgeführt, die
dem Feinstaub, BTEX und Dioxinen mit großer Sicherheit zugeschrieben werden
können.
Strittig ist dann jeweils, ob es in einem konkreten Fall
gelungen ist, die gefährliche Stoffe beispielsweise durch Filterverfahren so
reduzieren sowie Unfälle bzw. unbemerkte Leckagen zu vermeiden, sodass
keinerlei gesundheitliche Schäden aufgetreten und nachweisbar sind.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die vorgeschriebenen
Grenzwerte nicht dieselbe Bedeutung besitzen, wie z.B. die Temperatur 0 Grad
für das Wasser; denn beim Übertritt über einen Richtwert ändert sich nicht
schlagartig die Qualität eines Stoffes. Vielmehr handelt es sich um
willkürliche Festsetzungen, bei denen Fachleute glauben, dass die Gefahren
tolerierbar sind, wenn man sie etwa mit den gesparten Kosten vergleicht.
Derartige Entscheidungen sind zwangsläufig strittig,
sodass in zahleichen Fällen Überprüfungen der tatsächlichen Auswirkungen
gefordert werden. Die Medien bringen dann in den Überschriften zumeist
Krebserkrankungen mit den giftigen Emission von Anlagen in Verbindung, obwohl
es keineswegs die einzigen sind, wie die Übersicht zeigt. Man kann die Bildung
von Tumoren bestenfalls als die Spitze eines Eisbergs bezeichnen, obwohl auch
das nicht ganz korrekt ist, weil ganz verschiedene Auslösefaktoren mit den
verschiedenen Krebsarten bzw. in der medizinischen Fachsprache Tumorlokalisationen oder Entitäten verbunden sind.
Man müsste also zunächst einmal von zahlreichen Eisbergen sprechen.
Anders als für die Betroffenen haben diese
Tumorerkrankungen für die Untersuchung von Umweltbelastungen einen Vorzug
gegenüber einer Kopfschmerzen oder Schlafstörungen; denn sie werden statistisch
relativ sorgfältig erfasst, sodass zumindest prinzipiell eine wissenschaftliche
Analyse von möglichen Zusammenhängen leicht möglich ist. Die anderen
Erkrankungen fallen hingegen unter das ärztliche Schweigegebot und können
daher, wenn überhaupt, nur durch schwierige Bewohnerbefragungen erhoben werden,
wobei die Antwortbereitschaft der Befragten relativ gering sein dürfte.
Da einerseits die Ursachen von Krebs- und Tumorerkrankungen nicht eindeutig bekannt sind, sich andererseits jedoch vielfach räumliche Häufungen von Krankheits- und Todesfällen gezeigt haben, wurden in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern Krebsregister eingeführt. Vorreiter war hier Hamburg, wo Krebserkrankungen bereits seit 1926 statistisch erfasst und ausgewertet werden. Seit Mai 2009 gibt es auch ein Bundeskrebsregisterdatengesetz, das allerdings wegen der Zuständigkeit der Länder nur das Zentrum für Krebsregisterdaten „stärkt“ und formell den klinischen Krebsregistern eine offizielle Rolle in der Krebsregistrierung zuweist. So werden in Deutschland Krebsdaten zentral beim Robert-Koch-Institut in Berlin gesammelt, das alle zwei Jahre die Broschüre "Krebs in Deutschland" veröffentlicht.
Da die Führung von Krebsregistern in Deutschland Ländersache ist, trat in Bremen ein entsprechendes Landesgesetz im September 1997 in Kraft, das die Regelungen des Bundeskrebsregistergesetzes von 1995 umsetzt. Darin wurden u.a. alle Bundesländer verpflichtet, flächendeckende Landeskrebsregister bis zum 01. Januar 1999 einzurichten.
Da die Führung von Krebsregistern in Deutschland Ländersache ist, trat in Bremen ein entsprechendes Landesgesetz im September 1997 in Kraft, das die Regelungen des Bundeskrebsregistergesetzes von 1995 umsetzt. Darin wurden u.a. alle Bundesländer verpflichtet, flächendeckende Landeskrebsregister bis zum 01. Januar 1999 einzurichten.
In Bremen erfolgt
die Arbeit des Registers gegenwärtig nach der 2001 zuletzt novellierten Fassung
des Bremischen Krebsregistergesetzes (BremKRG), in dem das Ziel der Datenerfassung darin gesehen wird, die epidemiologische
oder bevölkerungsbezogenes Beobachtung der Krebserkrankungen
sowie ihre „wissenschaftlichen Erforschung“ und die „Verhütung und Eingrenzung
dieser Krankheiten“ zu „unterstützen“.
Die Daten und ihre Auswertungsmethodik
Nach § 3 des Bremer Krebregistergesetzes werden über einen
Meldebogen neben soziodemografischen Merkmalen wie Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift,
Datum der ersten Tumordiagnose und Sterbedatum epidemiologische Angaben zum Tumor erfasst. Dazu zählen die Tumordiagnosen und Lokalisation sowie die Art und das Ziel der Therapie.
Mit diesen Informationen sollen die Risiko- und Ursachenforschung (z.B. Einflüsse von Arbeit, Umwelt
und persönlichen Lebensgewohnheiten) ermöglicht, die Beurteilung von
Früherkennungsmaßnahmen geleichtert und der zeitliche Verlauf der Erkrankung
und die Überlebenschancen besser prognostizierbar werden.
Nach den Zahlen des Krebsregister Bremens sind
bezogen auf 100.000 Einwohner jährlich etwa 600 Neuerkrankungen und 300 Tote zu
erwarten. Insgesamt erhält das Register jährlich 1.800 Meldungen, wobei auch
Mehrfachmeldungen etwa vom Hausarzt, von der Klinik und von einem Pathologen
einbezogen sind.
Jährlich werden so in Bremen insgesamt ca. 5.000 Krebsneuerkrankungen registriert. Darunter fallen etwa 1.300 Erkrankungen an nicht-melanotischen Hauttumoren. Diese Tumoren werden nach internationalen Konventionen in der Krebsberichterstattung nicht berücksichtigt, da sie einerseits gut heilbar sind und so gut wie nie zum Tode führen, sich andererseits jedoch nur schwer erheben lassen, da sie bei Betroffenen häufig an verschiedenen Körperstellen wiederkehren, sodass sich Wiedererkrankungen von Neuerkrankungen kaum unterscheiden lassen.
Aus diesem Rohdatenpool müssen außerdem Doppelzählungen
eliminiert werden. Probleme bereitet vor allem die zeitliche Zuordnung, da
einige Krebserkrankungen erst als DCO-Fälle (Death
Certificate Only), also durch die Todesbescheinigung bekannt
werden. Das trifft
überdurchschnittlich häufig auf Krebserkrankungen des Pankreas
zu, wo sie beispielsweise bei Männern 10 % aller Meldungen ausmachen, während
es insgesamt nur 5 % sind.
Da diese DCO-Fälle in dem Jahr zur Inzidenz addiert
werden, in dem die Patienten verstorben sind, kann es zu Artefakten in der
Inzidenz kommen, weil es sich häufig um Krebserkrankungen handelt, die bereits
in vorangegangenen Jahren diagnostiziert worden sind. Nicht zuletzt wegen
dieser Fälle vergehen mindestens zwei Jahre
vergehen, bis alle Krebserkrankungen eines Jahrgangs vollzählig an das Register
gemeldet werden und der Abgleich mit den Todesbescheinigungen des
entsprechenden Jahres vollzogen ist. Eine sehr zeitnahe Auswertung ist daher
nicht möglich.
Da Krebserkrankungen sehr altersabhängig
auftreten, stellt man eine internationale und regionale Vergleichbarkeit der
Daten durch sogenannte SIR-Raten, d.h. und altersstandardisiertes Inzidenzverhältnisse,
sicher. Dabei werden die beobachteten Fälle auf eine
altersmäßige Standardbevölkerung umgerechnet. Vergleichsmaßstab sind daher in
den Studien üblicherweise SIR-Raten unter Einschluss der DCO.
Hintergrund dieser Standardisierung ist die
Tatsache, dass Krebserkrankungen mit dem Alter überdurchschnittlich häufig
sind, sodass andernfalls Gebiete mit einer jungen Bevölkerung, wie man sie etwa
in Neubauvierteln findet, im Durchschnitt nur geringe Krankheit- und
Sterberaten aufweisen würden, während es etwa in Blöcken mit Alterheimen zu
extremen Häufungen käme, und das ganz unabhängig von anderen Faktoren
ausschließlich wegen des Alters.
Aber auch die so aufbereiteten Neuerkrankungen liefern kein
objektives Bild des realen Krebsgeschehens, sondern werden beispielsweise durch
die Werbung für besondere Untersuchungsmaßnahmen beeinflusst. Das gilt etwa für
Reihenuntersuchungen bei Brustkrebs oder Änderungen bei der Abrechnung von
Vorsorgeuntersuchungen. Es kann also zu Melde-Artefakten kommen. So wurden etwa
im Juni 2001 damit begonnen, zunächst in
Bremen südlich der Weser und später in der gesamten Stadt Frauen der
Altersgruppe 50-69 Jahre zur Mammographie einzuladen. Diese Aktivitäten führten
zu einem Anstieg der Brustkrebsinzidenz in Bremen-Stadt, nicht aber in
Bremen-Nord geführt, da an die dort lebenden Frauen in den Jahren 2001 und 2002
noch keine Einladungen verschickt worden waren.
Diese Details beim
Meldeverhalten sind keineswegs Lappalien; denn die Autoren der kleinräumigen
Analyse haben damit für das Jahr 2003 eine um 10% über dem Durchschnitt
liegende Gesamt-Krebsinzidenz für Frauen in Blumenthal erklärt. Ähnlich
verzerrend können in den Blumenthaler Daten auch die hier
besonders wenigen DCO-Fälle sein, weil dadurch „die
Inzidenz in „Blumenthal“ relativ zum Stadtgebiet“ anstieg. (2006, S. 19)
Bundesländervergleich 2010 bei Lungenkrebs und Pleuramesotheliom
Mit den Daten des Krebsregisters lassen sich Vergleiche zwischen den Bundesländern vornehmen, was in Bremen für Lungenkrebs und Pleuramesotheliom, eine Tumorerkrankung des Brustfells, unternommen wurde, da diese Lokalisationen in diesem Bundesland untypisch hoch sind. (2010 , S. 15f.)
So gehört
der Lungenkrebs zwar in allen deutschen Bundesländern zu den häufigsten
Krebserkrankungen, aber in Bremen liegt die altersstandardisierte Neuerkrankungs-
und Sterberate bei Männern mehr als 30 % und bei Frauen sogar fast 50 % über
dem Bundesdurchschnitt. Verantwortlich sind dafür vermutlich hohe
Raucheranteile; denn Bundesländer mit einem niedrigen Raucheranteil wie
beispielsweise Bayern haben auch geringere Neuerkrankungs- und Sterberaten bei
Lungenkrebs. Das muss nicht überraschen, denn nur ca. 10 - 15 % der
Lungenkrebsfälle werden auf andere Ursachen als das aktive Rauchen
zurückgeführt.
Eine
ebenfalls sehr enger Zusammenhang besteht zwischen Pleuramesotheliom und einer Expostion, also einem
Umgebungseinfluss, von Asbest. So wird Asbest für etwa die Hälfte aller Fälle als Ursache angenommen. So kann es
nicht überraschen, dass dieser Tumor bei Expositionen mit Asbest oder Glasfaserstäuben als Berufskrankheit
anerkannt wird, obwohl wegen einer Latenzzeit von 20 bis 40 Jahren diese
Exposition nur schwer nachweisbar ist.
Da Bremen war in der zweiten Hälfte
des letzten Jahrhunderts ein bedeutender Asbestumschlags- und Verarbeitungsort
für Asbest war, sind hier noch heute die Inzidenzziffern für diese insgesamt
relativ seltene Lokalisation vergleichsweise hoch. So wurde bereits Anfang der
1990er Jahre ein bis zu zehnfach erhöhtes Risiko für Asbesterkrankungen in
Bremen festgestellt, wobei rund ein Siebtel der bundesweiten asbestbedingten
Todesfälle auf berufliche Expositionen zurück, die in Bremen oder Bremerhaven
erworben wurden.
Sogar
noch heute – also trotz des Asbestverbots in Deutschland seit 1993 - ist die
vom Bremer Krebsregister erfasste Inzidenz bei Männern in Bremen mehr als
viermal so hoch wie in Bayern, während Pleuramesotheliom bei
Frauen sehr selten (2010, S. 24)
Sozialer Status und Krebsinzidenz (2000-5, S. 10 f.)
Wenn man mögliche räumlich begrenzte Umweltbelastungen
feststellen will, müssen andere Risikofaktoren ausgeschaltet werden, da nur ein
Negativ-Schluss möglich ist, also gesundheitliche Folgen von Umweltbelastungen
angenommen werden, wenn keine individuelle Erklärungen möglich sind.
Deutliche Einflüsse auf das Risiko einer Krebserkrankung
mit ihren häufig tödlichen Folgen gehen von einigen Verhaltensmustern aus, die
eine relativ enge Beziehung zum Geschlecht und zum sozialen Status der
Betroffenen haben. An erster Stelle nehmen dabei die Autoren der Bremer
Analysen von Krebsregisterdaten eine höheren Rauchprävalenz bei
Männern und in unteren sozialen Schichten zu nennen, wobei sie sich auf den
Gesundheitssurvey von 1998 stützen. (2005, S. 16)
In dieser groß angelegten Befragung wurde die
soziale Schicht nach einem Index von Winkler bestimmt, nach dem damals 23% der befragten Bevölkerung zur Unterschicht, über 55% zur Mittelschicht und ca. 22% zur Oberschicht zählten. Zuordnungskriterien waren dabei das Einkommen, die Bildung und die Stellung im Beruf.
Anteil der Raucher
in % an der Bevölkerung nach Geschlecht und Alter
Schicht
|
Männer
|
Frauen
|
Unterschicht
|
47,4
|
30,1
|
Mittelschicht
|
37,8
|
29,5
|
Oberschicht
|
29,0
|
25,0
|
Quelle:
Bundesgesundheitssurvey 1998, zitiert nach Gesundheit in Deutschland, Berlin
2006,S. 84
Da dem Bremer Krebsregister keine Individualdaten zu den
Schichtmerkmalen vorliegen, hat man die möglichen schichtspezifischen Effekte
für die Krebsinzidnez in den einzelnen Ortsteilen durch sogenannte ökologische
Kennzeichnen ersetzt. Dabei wurden in den Analysen die Patienten einem von fünf
Sozialraumclustern zugeordnet, die entsprechend dem Benachteiligungsindex gebildet wurden. Im Stadtbezirk Bremen –Norden
zählen so St.Magnus zur höchsten sozialräumlichen Stufe, Farge, Rekum und
Svhönebeck zur folgenden, Aumund-Hammersbeck, Lesum und Rönnebeck zur
mittleren, Burgdamm, Burg-Gramke, Fähr-Lobbendorf und Vegesack zur vierten und
schließlich Blumenthal, Grohn und Lüssum-Bockhorn zur niedrigsten
sozialräumlichen Kategorie.
Eine auf dieser Grundlage durchgeführte Analyse der
Sterblichkeit ergab im Land Bremen während des Zeitraum 2000-2005 in mit
Sozialräumen mit niedrigem Status für Männer eine um 50 % und für Frauen eine
um 30 % erhöhte Gesamtmortalität im Vergleich zum Sozialraum mit dem höchsten
soziale Status. Bei Krebserkrankungen, und zwar ohne die von
nicht-melanotischen Hauttumoren, zeigt sich somit für Männer in der Stadt
Bremen eine deutliche höhere Neuerkrankungs- und Sterberate für Sozialräume mit
geringerem Sozialstatus. Dabei ist die Differenz mit einer um 45 % höheren Rate
bei der Mortalität also deutlicher ausgeprägt als bei der Inzidenz.
Für Frauen findet man hingegen weitaus geringere
Unterschiede zwischen den Sozialräumen.
Auf der Ebene von Stadtteilen
liegen die Inzidenzraten in den Stadtteilen Walle, Gröpelingen und der Neustadt
über dem städtischen Durchschnitt. Die niedrigsten Erkrankungsraten weisen
hingegen Schwachhausen, Vahr, Osterholz und der aggregierte Stadtteil
Horn-Lehe, Borgfeld und Oberneuland auf, die zu den Sozialräumen mit dem
höchsten sozialen Status zählen. Dabei zeigt sich eine zeitliche Kontinuität
der Ergebnisse, denn die Stadteile Walle und Gröpelingen wiesen bereits in den
ersten regionalen Untersuchungen des Bremer Krebsregisters im Jahr 2004 eine
überdurchschnittlich hohe Neuerkrankungsrate auf.
Die durchgeführten kleinräumigen Analysen konnten für
verschiedene Krebsentitäten einen deutlichen Zusammenhang zum sozialen Status
der Sozialräume nachweisen. Dabei darf die Schichtzugehörigkeit jedoch nicht
als kausaler Faktor interpretiert werden, sondern als Indikator für einen bestimmten Lebensstil, der eine besondere Exposition
gegenüber krebserregenden Stoffen im beruflichen Bereich einschließt.
Sozialräumliche Aspekte der 10 häufigsten Krebsarten bei
Männern und Frauen 2003-5 im Land Bremen
Tumorlokalisation
|
Häufigkeit Männer in %
|
Häufigkeit
Frauen in %
|
Sozialräumliche
Verteilung
|
Prostata
|
22,0
|
Geringere
Inzidenz, aber höhere Mortalität in Gebieten mit niedrigem Status, die durch
eine unterschiedliche diagnostische Aktivität erklärt wird
|
|
Lunge
|
17,5
|
9,1
|
Deutlich
höhere Inzidenz und Mortalität in Gebieten mit niedrigem sozialem Status
wegen eines höheren Raucheranteils
|
Darm
|
14,2
|
16,3
|
|
Harnblase
|
9,3
|
4,0
|
Während
bei Männern die Inzidenz in Sozialräume mit niedrigem soziale Status höher
ist, sinken für Frauen Inzidenz und Mortalität tendenziell; als
Risikofaktoren gelten das Rauchen sowie Kontakte berufliche Kontakte mit
bestimmten Chemikalien
|
Mund/
Rachen
|
4,5
|
Extrem
höhere Inzidenz und vor allem Mortalität in Gebieten mit niedrigem sozialem
Status, wobei Alkohol und vor allem Rauchen als Ursachen vermutete werden
|
|
Niere
|
4,0
|
||
Magen
|
3,4
|
3,1
|
Höhere
Inzidenz und Mortalität in Gebieten mit niedrigem sozialem Status bedingt
durch einen höheren Anteil von Trinkern und Rauchern, aber auch geringerem Verbrauch von Obst
und Gemüse sowie stärkeren Konsum von gepökelten und geräucherten Speisen
|
Malignes Melanom
|
2,9
|
2,6
|
Bei
Männern eine geringere Zahl von Inzidenzen in Gebieten mit niedrigem sozialem
Status, wofür als Ursache eine
erhöhte Sonnenexposition vor allem in der Kindheit angenommen wird
|
Non-Hodgkin Lymphon
|
2,7
|
3,0
|
|
Pankreas
|
2,6
|
2,5
|
|
Brust
|
29,7
|
Höhere
Inzidenz und abgeschwächt auch Mortalität in Gebieten mit höherem sozialem
Status, wofür als Ursachen ein höheres Alter bei der ersten Geburt, eine
geringere Kinderzahl und eine häufigere Hormoneinnahme der Frauen angenommen
werden
|
|
Gebärmutterkörper
|
5,1
|
Bei
Frauen in Gebieten mit niedrigem sozialen Status sind die Inzidenz und vor
allem die Mortalität höher, was auf unterschiedliche sexuelle
Verhaltensmuster (frühere Aufnahme des Geschlechtsverkehrs, häufigerer ungeschützter
Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern, höhere Geburtenzahl)
zurückgeführt wird
|
|
Eierstöcke
|
4,2
|
Tabakassoziierte
Krebserkrankungen (2000-5, S. 21)
Um
dem Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem sozialen Status weiter
nachzugehen, wurden in der kleinräumigen Analyse speziell tabakassoziierte
Krebserkrankungen betrachtet, wobei diese Gruppe alle Krebserkrankungen der
Mundhöhle und des Rachens, der Speiseröhre, der Bauchspeicheldrüse, des Kehlkopfs, der Lunge und der Harnblase
umfasst. Als Ergbnis fanden die
Forscher eine deutlich höhere Inzidenz und Mortalität in Sozialräumen mit
niedrigem sozialen Status, wobei die Mortalität in den Sozialräumen bei Männern auf der untersten der fünf
Statusstufen 70 % erhöht war. Ein paralleler Trend war bei Frauen deutlich
schwächer ausgeprägt.
Die Krebsinzidenz in Bremen-Nord
Mit der
Publikation vom November 2012 liegen inzwischen in Bremen kleinräumige
Krebsdaten für den Zeitraum von 2001 bis 2009 vor, sodass auch bei relativen
kleinen Fallzahlen durch räumliche und zeitliche Zusammenfassungen recht
detaillierte und spezialisierte Untersuchungen möglich sind.
Im ersten Untersuchungszeitraum von 2001-2004 zeigten sich
bei den Männern deutliche Unterschiede in der Krebsinzidenz zwischen den drei
Stadtteilen des Bremer Nordens. Dabei lag in Blumenthal die Inzidenz über dem
städtischen Durchschnitt, während Burgleseum und vor allem Vegesack deutlich
darunter rangieren. Bei den Frauen findet man hingegen kaum Abweichungen vom
Durchschnitt.
Krebsinzidenz in Bremen-Nord 2001-2004
(2007,S. 12)
Stadtteil
|
Männer
|
Frauen
|
Blumenthal
|
627,2
|
434,6
|
Burglesum
|
591,5
|
432,7
|
Vegesack
|
580,0
|
433,8
|
Schwachhausen
|
574,3
|
458,6
|
Horn/ Blockland
|
521,9
|
409,5
|
Gröpelingen
|
774,1
|
456,7
|
Bremen insgesamt
|
623,3
|
433,7
|
In der aktuellen
Zeitspanne von 2005 bis 2009 gibt es hingegen deutlich abweichende Ergebnisse.
So liegen jetzt im Vergleich zur Gesamtstadt alle drei Stadtteile bei den
Männer über dem Durchschnitt. Noch bemerkenswert ist jedoch die Veränderung bei
den Frauen, denn hier liegt der Wert Blumenthals jetzt über dem städtischen
Durchschnitt, und das obwohl man hier nicht den niedrigen sozialräumlichen
Status ins Feld führen kann. Bei dieser hohen Inzidenz in Blumenthal lassen daher
anhand der Daten Umweltbelastungen als mögliche
Verursachung nicht ausschließen.
In Burglesum und
vor allem Vegesack lassen hingegen die Zahlen erneut eine stärkere Belastung
der Männer erkennen, was auf die Auswirkungen einer Arbeit im Stahlwerk oder
die Spätwirkungen von gefährlichen Stoffen wie Asbest in Vegesack hinweisen
kann.
Krebsinzidenz in Bremen-Nord 2005-2009 (2012, S. 13)
Stadtteil
|
Männer
|
Frauen
|
Blumenthal
|
491,4
|
362,1
|
Burglesum
|
477,0
|
337,9
|
Vegesack
|
464,2
|
319,3
|
Schwachhausen
|
403,2
|
354,6
|
Horn/ Blockland
|
422,6
|
326,5
|
Gröpelingen
|
526,6
|
402,3
|
Bremen insgesamt
|
464,1
|
350,1
|
Für die
Autoren der Studie lassen sich diese räumlichen Verteilungsmuster, wie bereits
erwähnt, in erster Linie durch das unterschiedliche Gesundheitsverhalten
benachteiligter Bevölkerungsgruppen erklären; denn gerade der Raucheranteil, als Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs,
ist in den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen besonders hoch. Darüber
hinaus liegt vermutlich auch der Einfluss beruflicher Expositionen in den sozial
benachteiligten Bevölkerungsgruppen höher. (2010, S. 17)
Zur Abschätzung des möglichen Einflusses der
Sozialstruktur auf die Erkrankungshäufigkeit in den Untersuchungsregionen wurde
zu jedem Ortsteil der Untersuchungsregionen ein in der Sozialstruktur
vergleichbarer Ortsteil aus dem Bremer Stadtgebiet ausgewählt und als neue
vergleichende Untersuchungsregion definiert. Die Auswahl erfolgte nach dem
Ranking des Bremer Benachteiligungsindex durch Auswahl des jeweils im Ranking
direkt darüber stehenden Ortsteils.
Räumliche
Detailuntersuchungen in Bremen-Nord
Im Auftrag des Umweltsenators beobachtet das Bremer
Krebsregister seit 2004 regelmäßig die Krebsinzidenz im Umkreis von zwei
Industrieanlagen, und zwar begann man
2004 mit der ehemalige Wollkämmerei (BWK) in Bremen-Blumenthal und 2007
kamen die heutigen Arcelor Stahlwerke Bremen hinzu, deren Umweltbelastungen vor
allem in Teilen von Burglesum vermutet werden.
Als Untersuchungsräume hat man in beiden Fällen Radien von
ca. 3 km um den Standort geschlagen und die darin liegenden Ortsteile als
Bezugsregion definiert.
Die Bremer Wollkämmerei (BWK) im Ortsteil Blumenthal
Untersuchungsregion
Bei der BWK zählen die Ortsteile Rönnebeck,
Lüssum-Bockhorn, Blumenthal, Aumund-Hammersbeck und Vegesack zur
Untersuchungsregion, also ein Gebiet, in dem etwa 48.000 Einwohner leben.
Rohergebnisse
Die erste Auswertung für das Erkrankungsjahre 2001
ergab für die BWK-Region eine erhöhte Erkrankungshäufigkeit für Krebs im
Vergleich zum übrigen Stadtgebiet von Bremen. Dabei wies eine
geschlechtsspezifische Auswertung der Erkrankungsdaten für sieben
Einzellokalisationen eine erhöhte SIR aus, wobei allerdings nur für
Pleuramesotheliom, einen bösartigen Tumor des Rippenfells, bei Männern und
„sonstige Hauttumoren“, d.h. Hautkrebs, ohne das bösartige Melanom, das eine
eigene Kategorie darstellt, bei Frauen die Abweichungen sehr ausgeprägt waren.
(2004, S. 7) Als Erklärung verwies man
auf die hohe Exposition gegenüber Asbest, wie sie an einem Werftenstandort
damals berufsbedingt vorkommen konnte.
Insgesamt wurden die
Erhebungsfakten deutlich in Richtung durch eine mögliche individuelle
Verursachung interpretiert, ohne das jedoch zwingend beweisen zu können. So
stellten die Autoren fest, dass die Region „einen niedrigen sozioökonomischen Status“ hat, „der dort auch eine
höhere Krebserkrankungsrate erwarten lässt.“ Dabei hat man sich auf den Gesundheitsbericht Bremen 1992 berufen, der
„erhebliche Unterschiede im Erkrankungsrisiko und dem Sterblichkeitsrisiko
zwischen einzelnen Bremer Regionen aufgezeigt“ und in dem der Ortsamtsbereich „Blumenthal“
in fast allen Bereichen eine „höhere Risikobelastung“ aufweist. Als Gründe werden dabei u.a.
Übergewicht und Rauchen genannt. (2004,
S. 9)
Zusammenfassend kamen die Autoren daher zu dem
Schluss: „Ein Zusammenhang zwischen den Emissionen der BWK in den vergangenen
Jahrzehnten und einem heute erhöhten Krebsrisiko in der ausgewählten Region
kann mit den zur Verfügung stehenden Daten nicht hergestellt werden.“
Die Untersuchung des
Erkrankungsjahres 2001 konnte daher für die Wissenschaftler in keinen kausalen
Zusammenhang mit dem Versuchsbetrieb in der Eindampf- und Feuerungsanlage der
BWK in Verbindung gebracht werden, der erst im März 2003 aufgenommen wurde. Der
Grund ist die Latenzzeit bei Krebserkrankungen, denn „eine Analyse des
Erkrankungsjahres 2001 kann also Hinweise über krebsauslösende Expositionen der
Bevölkerung etwa in den Jahren 1960-1995 geben.“
Derartige Aussagen würden nach der Meinung der
Autoren vielmehr „personenbezogene Expositionsdaten“ erfordern, „die mittels
zusätzlicher Befragung von Krebserkrankten und Vergleichpersonen im Rahmen
einer Fall-Kontrollstudie untersucht werden könnten“. Diese finanzielle
Barriere ergänzten sie abschließend noch durch eine zeitliche, als sie
feststellten:
„Eine Auswertung in Bezug auf
die neue Anlage der BWK könnte frühestens in 10-15 Jahren erfolgen.“ ( 2004, S.
9)
Später wurde die ersten warnenden Ergebnisse aus dem
Frühjahr 2004 nicht mehr gefunden und auf eine mögliche Besonderheit des nur
zur Verfügung stehenden Diagnosejahrgangs 2001 zurückgeführt. So stellte man
fest:
„In den Untersuchungen der folgenden Jahre konnte der
Befund in dieser Größenordnung nicht bestätigt werden. So zeigte eine Analyse
über den Diagnosezeitraum 2001 –2004, die im Oktober 2008 durchgeführt worden
ist, für die BWK-Region bei beiden Geschlechtern eine Krebsinzidenz, die auf
gleichem Niveau mit der im Bremer Stadtgebiet liegt und eine Untersuchung der
Erkrankungsjahre 2000 –2005 ergab für Männer eine um 5 Prozentpunkte höhere
Inzidenz.“
Bereinigte Daten und aktuelle Ergebnisse
Dennoch wurde in der
Interpretation weiterhin vor Rückschlüssen auf eine mögliche Umweltbelastung
durch die BWK gewarnt, indem die Autoren die Entstehung einer Krebserkrankung
als „ein multifaktorielles Geschehen“ herausgestellten, für das in einer Region
„sozioökonomische Faktoren, Lebensweise (Rauchverhalten, Ernährung, Alkohol),
berufliche Belastung und
Umwelteinflüsse“ verantwortlich
sind. (S. 3)
Erst als die Forscher für die BWK-Region mit den Ortsteilen Walle, Steffensweg, Burg-Grambke,
Blockdiek, Sebaldsbrück und Sodenmatt ein Vergleichgebiet heranzogen, das vom
Benachteiligungsindex der Ortsteile sehr ähnlich ist, konnte und musste man
diesen Verweis auf mögliche schichtspezifische Verzerrungseffekte aufgeben.
So schreiben die Autoren in der Analyse: „Im
aktuellen Untersuchungszeitraum 2005 –2009 zeigt sich für die Region um die BWK
bei Männern eine geringfügig erhöhte Neuerkrankungsrate (+ 6%) für die
Gesamtheit aller Krebserkrankungsformen im Vergleich zum übrigen Stadtgebiet
von Bremen“. Frauen weisen in der Untersuchungsregion hingegen die gleiche
Neuerkrankungshäufigkeit auf wie im übrigen Stadtgebiet
Die Berücksichtigung der sozialstruktureller Faktoren, die
erstmals 2009 angewandt wurde, lässt es jetzt jedoch nicht zu, die erhöhte
Krebsinzidenz im BWK-Bereich ausschließlich auf ein wenig gesundheitsbewusstes
Verhalten der Einwohner zurückzuführen. So räumen die Wissenschaftler jetzt
ein: „In der Untersuchungsregion scheint
der Unterschied bei der Neuerkrankungsrate bei Männern jedoch nicht
alleinig durch die Sozialstruktur der Bevölkerung erklärbar zu sein, da sich
dies in der Region mit ähnlicher Sozialstruktur nicht widerspiegelt.“
Dennoch wird die BWK nicht als möglicher Verursacher
genannt, sondern Betriebe, die es nicht mehr gibt, die keinen Besitz in
Blumenthal mehr haben und an die sich kaum noch jemand erinnern kann; denn es
sind – eingedenk der Latenzzeit bei Krebserkrankungen – die Werften.
So heißt es im Text für den Senator: „Bei der
Interpretation des Befundes muss berücksichtigt werden, dass die Region um die
BWK in den 1960-1990er Jahren ein Werftenstandort war und die Bevölkerung,
insbesondere Männer als dort
Beschäftigte, einer höheren Schadstoffsexposition
ausgesetzt waren als im übrigen Stadtgebiet. Durch die zum Teil lange
Latenzzeit für die Entstehung einer Krebserkrankung könnten diese beruflichen
Belastungen sich bis heute noch in der Erkrankungshäufigkeit niederschlagen.“
(2012; S. 3)
Die vom Senator beauftragten Forscher finden also
erstmals gesundheitsgefährdenden Umweltfaktoren, nur machen sie dafür
inzwischen nicht mehr vorhandene Betreibe verantwortlich. Das würde
voraussetzen, dass deren krebserzeugender Effekt erst mit meinem gehörigen
Schläfereffekt eintreten würden.
Aber was wäre, wenn man die Latenzzeit kürzer fassen
würde, wie es die Vertreter der Registerauswertungen auch gemacht haben, als
sie von 5 bzw. 10 Jahren gesprochen
haben. Zumindest wäre es hier angezeigt gewesen, die unterschiedlich langen Latenzphasen
verschiedener Krebsarten zu berücksichtigen und die Aussagen in einer
entsprechenden Sonderauswertung zu prüfen.
Nimmt man in Blumenthal Latenzzeiten von 5 bis 10 Jahren
an, findet man eine recht plausible Erklärung für die aktuellen kritischen
Ergebnisse: das erstmals nachgewiesene erhöhte Krebsrisiko resultiert aus
Anlagen, die erst während dieser Latenzzeit mit ihren Emissionen begonnen haben
und das trifft auf die Brewa-Anlagen zu.
Krebsneuerkranken
je 100.000 Einwohner und Jahr im Zeitraum 2005-8
Geschlecht |
BWK-Region
|
SIR
|
Sozialräumlich
ähnliche Vergleichsregion
|
Männer
|
716,4
|
1,06
|
657,2
|
Frauen
|
571,9
|
1,00
|
554,5
|
Männer und Frauen
|
642,0
|
1,03
|
605,2
|
Die Stahlwerke Bremen
Anlass einer weiteren
kleinräumigen Spezialstudie war im November 2006 eine Anfrage des
Umweltsenators, die sich auf den Verdacht einer Häufung von Krebserkrankungen
bei Anwohnern im Bereich der Stahlwerke Bremen bezog. Die erste Auswertung
wurde hier im März 2007 vorgelegt.
In diesem Fall ist
durch den Standort der heutigen Arcelor Stahlwerke im Ortsteil
Industriehäfen vor allem der Stadtteil Burglesum betroffen und vor allem wegen
der Nähe zur Emissionsquelle Burg-Gramke. Als Stahlwerke-Region wurden
zusätzlich noch die Ortsteile Burgdamm, Lesum und Oslebshausen betrachtet, wo
ca. 36.000 Einwohner leben.
Gleich in ihrem ersten Bericht gaben die Autoren vom Bremer Institut für Präventionsforschung und
Sozialmedizin Entwarnung. Fazit ihrer Auswertung für die vier Jahre 2001- 2004
war, dass sich im Umkreis der Bremer
Stahlwerke „keine Auffälligkeiten der Gesamt-Krebsinzidenz
und der Inzidenz bei ausgewählten Krebsentitäten im Vergleich zum übrigen
Stadtgebiet aufzeigen“ lassen.
Diesen Befund sahen sie im
Einklang mit einer Untersuchung des Bremer Krebsregisters vom Juli 2006, das
auf Stadtteilebene die Krebsinzidenz ermittelt und analysiert. Dabei hatte man
für die Stadtteile Gröpelingen und Burglesum keine signifikant erhöhte
Krebsinzidenz gefunden. (Bericht von 2007)
In dem Fortschreibungsbericht vom November 2009 stellte
die Forscher dann erstmals fest, „in der
Region um die Stahlwerke Bremen“ ergab sich im Diagnosezeitraum 2000-6 „für
Männer eine um bis zu 12 Prozentpunkte höhere Inzidenz als im übrigen
Stadtgebiet.“ Frauen wiesen hingegen keine Abweichungen gegenüber dem
restlichen Stadtgebiet auf.
In der aktuellen Untersuchung, die noch die drei
Folgejahre 2007, 2008 und 2009 einschließt, zeigt sich für die
Region um die Stahlwerke Bremen bei Männern erneut eine erhöhte
Krebsneuerkrankungsrate, die mit einem SIR von 1,12 gegenüber dem städtischen
Durchschnitt ein weiterhin um 12 Prozent höheres Krebsrisiko ausweist. Frauen
haben hingegen hier bei allen Krebserkrankungen mit einem SIR von 0,96 fast die
gleiche Neuerkrankungshäufigkeit, die auch für Bremen insgesamt gilt.
Aufschlussreich ist der Vergleich mit Bremer Ortsteilen,
die eine ähnliche Sozialstruktur besitzen. Hierzu wurden Mittelshuchting, Hohentor, Osterfeuerberg und Hulsberg
ausgewählt. Trotz dieser Bereinigung um die Effekte eines angeblich
unterschiedlichen Gesundheitsverhaltens findet man bei Männern eine erneut um
„12 Prozentpunkte erhöhte Krebsinzidenz im Vergleich zum restlichen
Stadtgebiet“.
Krebsneuerkrankungen
je 100.000 Einwohner in den Zeiträumen 2001-4 und 2005-8 (mit DCO-Fällen)
2012, S. 5 und 2007,S. 5
Geschlecht
|
Stahlwerke-Region
2001-4
|
Stahlwerke-Region
2005-8
|
SIR
|
Sozialräumlich
ähnliche
Vergleichsregion
|
Männer
|
681,0
|
750,7
|
1,12
|
647,5
|
Frauen
|
561,1
|
554,5
|
0,96
|
515,0
|
Männer und Frauen
|
619,5
|
650,1
|
1,04
|
580,6
|
2012, S. 5 und 2007,S. 5
Besonders deutliche Unterschiede auch gegenüber der sozialräumlich ähnlichen Vergleichregion zeigen sich bei Tumorarten, die mit Schwermetallexpositionen in Verbindung stehen, d.h. Krebserkrankungen im Mund-Rachen-Raum, der Nasenhöhle und –nebenhöhle, des Larynx, der Bronchien und Lunge, des Magens, der Nieren und der Prostata. (2012, S. 6)
Bemerkenswert ist dabei, dass die Inzidenzen in diesem
Fall nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen deutlich höher liegen. Da in
Stahlwerken traditionell nur wenige Frauen in der Produktion arbeiten, stellt
dieses Auswertungsergebnis die Vermutung in Frage, dass ausschließlich der
Arbeitsplatz für das erhöhte Krebsrisiko in Burg-Gramke und Umgebung
verantwortlich ist.
Krebsneuerkranken mit möglicher
Schwermetallexposition
je 100.000 Einwohner im Zeitraum 2005-9
Geschlecht |
Stahlwerke-Region
|
SIR
|
Sozialräumlich
ähnliche Vergleichsregion
|
Männer
|
351,6
|
1,05
|
326,9
|
Frauen
|
102,3
|
1,09
|
81,2
|
Männer und Frauen
|
223,9
|
1,06
|
202,8
|
2012, S. 6
Bemerkenswert hoch sind bei dieser differenzierten
Auswertung für einzelne Entitäten, dass die SIR-Werte für lymphatische Leukämie
bei 1,9, für unbekannte Primärtumoren bei 1,7 und für Mund/Rachen bei 1,6
liegen. (S. 6)
Obwohl dieses Datum festgestellt wird und die immer
unterstellten Einflüsse eines gebietstypischen Tabak- und
Alkoholgenusses durch einen Vergleich mit einem ähnlichen Sozialraum
ausgeglichen wurde, weisen die Autoren bei der Beurteilung einer „Gefährdung
der Region durch eine Schwermetallexposition“ auf “die erhöhten Inzidenzraten
für Krebserkrankungen im Mund-Rachen-Raum bei Männern und für Frauen in der
Lunge im Fokus“ hin und betonen nochmals im Hinblick auf die Risikofaktoren:
„Bei Lungenkrebs ist dies in erster Linie das Rauchen und bei Tumoren im
Mund-Rachen-Raum ist neben Tabakkonsum der Alkoholkonsum der wichtigste
Auslöser.“
Bei diesem Insistieren scheinen die Gutachter vergessen zu
haben, dass sie den Lungenkrebs nur bei Frauen aufgeführt haben, ihr erneuter
Verweis damit praktisch ins Leere geht.
Bei dieser harten Faktenlagen räumen die vom Umweltsenator
beauftragten Gutachter abschließend immerhin ein: „Ein möglicher
synergistischer Effekt durch eine zusätzliche Schadstoffbelastung kann allerdings
nicht ausgeschlossen werden.“
(Ergänzende Fragen vor allem zu weiteren deutschen Krebsstudien werden in dem Artikel: "Tot, aber statistisch gesund? Die Fragwürdigkeiten kleinräumiger Krebsstudien" angesprochen. Über die jüngste Bremer Studie zum Tanklager Frage informiert der Beitrag "Besorgniserregende Zufälle“ oder eine "Alternative Interpretation der Tanklager-Krebsstudie")
Quellen:
Eberle, Andrea und Luttmann, Sabine,
Kleinräumige Analysen zur Krebsinzidenz. Region um die Stahlwerke Bremen.
Region um die Bremer Wollkämmerei. Bremer Stadtteile, Bremen November 2012.
Giersiepen, Klaus und Eberle, Andrea, Kleinräumige Analyse der Krebsneuerkrankungen in
einer ausgewählten Region (um die Bremer Wollkämmerei, BWK) im Vergleich zum
übrigen Bremer Stadtgebiet, Bremen Februar 2004.
Giersiepen, Klaus und Eberle, Andrea, Vergleich der Region um die Stahlwerke Bremen mit dem übrigen
Bremischen Stadtgebiet - eine
Auswertung der Registerstelle des Bremer Krebsregisters, Bremen März 2007.
Knopf, H., Ellert,
U. und Melchert, H.-U., Sozialschicht und
Gesundheit, in: Gesundheitswesen 61
(1999) Sonderheft 2 S169–S177.
Krebserkrankungen im Land Bremen 2000 – 2005. Schwerpunktthema: Soziale Ungleichheit in der Krebsinzidenz und –mortalität.7. Jahresbericht des BKR, Bremen 2009.
Krebserkrankungen im Land Bremen 2006 – 2007. Schwerpunktthema:
Lungenkrebs und Pleuramesotheliome, 8. Jahresbericht des Bremer Krebsregisters,
Bremen 2010.
Schulze,
Alexander und Lampert, Thomas, Bundes-Gesundheitssurvey: Soziale
Unterschiede im Rauchverhalten und in der Passivrauchbelastung in Deutschland
(Beiträge zur Gesundheitsberichterstattung des Bundes), Berlin 2006.
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