Mehr Rot und Blau, deutlich weniger Gelb, Grün und Schwarz
Ein Europawahlresultat mit Bremer Besonderheiten
Bremen als kleinster deutscher Stadtstaat unterscheidet sich auch bei der Europawahl 2014 durch seine hohen Stimmenanteile für die SPD, die Grünen und die Linke sowie den geringen Anteil für die CDU von den übrigen Bundesländern. Dabei konnten die Sozialdemokraten und Linkssozialisten ihre Position sogar noch weiter ausbauen.
Besonders bemerkenswert ist dabei das Abschneiden der Linken, die hier leicht gewinnen konnte, während sie in Deutschland insgesamt eingebüßt hat. Damit kann diese Partei ihren langen Aufwärtstrend bei Europawahlen fortsetzen, denn die Linke und ihre Vorgängerpartei, die PDS, hat seit 1999 ebenso wie die Grünen und die kleinen Parteien in Bremen zulegen können, während die beiden großen Parteien in diesen 15 Jahren etwa jeweils 10 Prozentpunkte eingebüßt haben.
Für das aktuelle Wahlergebnis sind vor allem Entwicklungen in den großflächigen innenstadtnahen Bremer Altbaugebieten mit ihrer Alternativkultur verantwortlich. In diesen Hochburgen haben die Grünen deutlich eingebüßt, während die Linke hier so stark hinzugewonnen hat, dass sie hier und nicht in den WiN-Gebieten ihre Wählerschwerpunkte ausbauen konnten.
Diese offensichtliche Wählerwanderung lässt sich neben der gesetzten Wahlkampfstrategie möglicherweise auch auf das ausgeprägte Bewusstsein von einer Armutsproblematik in Bremen zurückführen, das zur Stimmabgabe für eine Partei führt, die nicht ökologische, sondern soziale Frage in den Vordergrund rückt.
Bremen weist als Zwei-Städte-Bundesland eine Reihe von Unterschieden gegenüber den anderen Bundesländern auf, die außer den beiden weiteren Stadtstaaten Berlin und Hamburg auch größere Teile des ländlichen Raumes umfassen. Nicht zuletzt führt diese besondere Siedlungs- und Sozialstruktur an der Weser zu einem Wählerverhalten, das sich deutlich von dem in Deutschland insgesamt unterscheidet.
Das hat sich zuletzt wieder bei der Europawahl am 25. Mai dieses Jahrs gezeigt. (vgl. Tabelle) Danach sind die rot-rot-grünen Parteien weiterhin erheblich stärker als im deutschen Durchschnitt. Das gilt neben den Sozialdemokraten, die in Bremen mit demselben Ergebnis wie im Saarland einen deutschen Spitzenwert erzielten, auch für die Grünen, die hier nach Berlin eine zweite Hochburg besitzen. Wenn man sich auf die alten Bundesländer beschränkt, hat auch die Linke im kleinsten Bundesland ihr bestes Wahlergebnis. Hier kann das Saarland offenbar nicht mehr von seinem alten Lafontaine-Bonus zehren, wie das noch 2009 der Fall war.
Bremen weist hingegen nach Berlin den zweitniedrigsten Wert für die CDU auf. Ähnlich sieht es bei der inzwischen ohnehin dezimierten FDP aus.
Vergleich der Stimmenanteile im Bund und im Land Bremen bei der Europawahl 2014 in %
Bei der jetzigen Wahl ist es kaum zu einer Anpassung an die nationale Wählerentwicklung gekommen. (vgl.Tabelle) Vielmehr hat sich Bremen als ein Land erwiesen, das sich von seiner politischen Umgebung unterscheidet. So hat die CDU kräftiger verloren als im übrigen Bundesgebiet, wenn man von der CSU mit ihrem eigenen Auftritt bei Europawahl absieht. Allerdings ist in ihrer Hochburg der Zugewinn der SPD geringer ausgefallen als in anderen Bundesländern.
Partei |
Bremen
|
Deutschland
|
Differenz
|
CDU/CSU |
22,4
|
35,3
|
-12,9
|
SPD |
34,4
|
27,3
|
7,1
|
Grüne |
17,6
|
10,7
|
6,9
|
FDP |
3,3
|
3,4
|
-0,1
|
Linke |
9,6
|
7,4
|
2,2
|
AfD |
5,8
|
7,0
|
-1,2
|
Piraten |
2,0
|
1,4
|
0,6
|
Sonstige |
4,9
|
7,5
|
-2,6
|
Wahlbeteiligung |
40,3
|
48,1
|
-7,8
|
Wahlverhalten bei den Europawahlen 2009 – 2014 (Stimmenanteile in %)
Besonders deutliche Abweichungen findet man jedoch für die Grünen und die zweite "rote" Partei, die Linke. So haben die Grünen mit -4,5 Prozentpunkten hier gleich hoch verloren wie in Berlin, während sie in allen anderen Bundesländern besser abgeschnitten haben.
Die Linke schließlich hat in Bremen einen gegenüber 2009 höheren Wähleranteil gewonnen, während sie im Durchschnitt ganz leicht verloren hat. Das hat dazu geführt, dass sie jetzt in Bremen ihr bestes Ergebnis in den alten Bundesländern aufweist.
Partei |
2014
|
2009
|
Differenz
|
Differenz
in Deutschland
|
CDU/CSU |
22,4
|
24,5
|
-2,1
|
Nur
CDU (1): -0,5
|
SPD |
34,4
|
29,3
|
5,1
|
6,5
|
Grüne |
17,6
|
22,1
|
-4,5
|
-1,4
|
FDP |
3,3
|
8,9
|
-5,6
|
-7,6
|
Linke |
9,6
|
7,2
|
2,4
|
-0,1
|
AfD |
5,8
|
-
|
5,8
|
7,0
|
Piraten |
2,0
|
1,1
|
0,9
|
0,6
|
Wahlbeteiligung |
40,3
|
38,1
|
2,2
|
4,9
|
(1)
Der Verlust von CDU/ CSU insgesamt beträgt -2,5 Prozentpunkte, die
vor allem auf die CSU entfallen, deren Anteil in Bayern um -7,6 Prozentpunkte von
48,1 % auf 40,5 % gesunken ist.
Besonders deutliche Abweichungen findet man jedoch für die Grünen und die zweite "rote" Partei, die Linke. So haben die Grünen mit -4,5 Prozentpunkten hier gleich hoch verloren wie in Berlin, während sie in allen anderen Bundesländern besser abgeschnitten haben.
Die Linke schließlich hat in Bremen einen gegenüber 2009 höheren Wähleranteil gewonnen, während sie im Durchschnitt ganz leicht verloren hat. Das hat dazu geführt, dass sie jetzt in Bremen ihr bestes Ergebnis in den alten Bundesländern aufweist.
Längerfristige Wählerentwicklungen
Da der Zugewinn der SPD auf das schlechteste Europawahlergebnis dieser Partei in der vorangegangenen Wahl folgt, kann ein Blick auf die älteren Wahlergebnisse zu einer korrekteren Einschätzung der aktuellen Entwicklung verhelfen. Nur so kann man die Frage beantworten, ob es sich nur um einen Ausgleich von alten Verlusten oder einen realen Zugewinn handelt. (vgl. Tabelle)
Partei |
2014
|
2004
|
Differenz
|
CDU/CSU |
22,4
|
28,0
|
-5,6
|
SPD |
34,4
|
30,5
|
3,9
|
Grüne |
17,6
|
22,3
|
-4,7
|
FDP |
3,3
|
6,3
|
-3,0
|
Linke/ PDS |
9,6
|
3,7
|
5,9
|
Sonstige |
12,7
|
9,2
|
3,5
|
Wahlbeteiligung |
40,3
|
37,3
|
3,0
|
Für einen erheblich stärkeren Umbruch hat der große Erfolg der Grünen in der Europawahl 2004 gesorgt, wie ein Vergleich mit den Zahlen von 1999 belegt.
Partei |
2014
|
1999
|
Differenz
|
CDU/CSU |
22,4
|
34,8
|
-12,4
|
SPD |
34,4
|
43,7
|
-9,3
|
Grüne |
17,6
|
12,2
|
5,4
|
FDP |
3,3
|
2,9
|
0,4
|
Linke/ PDS |
9,6
|
2,6
|
7,0
|
Sonstige |
12,7
|
3,8
|
8,9
|
Wahlbeteiligung |
40,3
|
43,8
|
-3,5
|
In diesem Zeitraum von fünfzehn Jahren haben sich die Stimmenanteile vor allem der großen Parteien so stark reduziert, dass dadurch das alte System mit zwei großen Volksparteien seine Bedeutung völlig eingebüßt hat, zumal in der Bürgerschaftswahl 2011 die CDU auch hinter die Grünen zurückgefallen ist.
Den praktisch zweistelligen Verlusten von CDU und SPD in diesem Zeitraum stehen jedoch nicht nur deutliche Gewinne der Grünen gegenüber. In Bremen haben seit 1999 die kleinen Parteien und die Linke noch erheblich stärker zugelegt. Darin dürften eine Unzufriedenheit mit den großen Parteien und die Bedeutung der Armutsthematik in Bremen in den Wahlurnen ihren Niederschlag finden, wie sie auch in einer internationalen Befragung zur Lebensqualität in der Weserstadt zum Ausdruck gekommen ist.
Das Wahlverhalten in den Sozialräumen
Die Abweichungen des Bremer Wahlverhalten gegenüber dem Bund insgesamt lassen sich, wie sich das schon für die Bundestagswahl im letzten September gezeigt hat, zu einem großen Teil aus den Besonderheiten seiner Sozialraumtypen erklären. Das gilt sowohl von den Verhaltensmustern innerhalb der verschiedenen Typen als auch dem jeweiligen Gewicht der Sozialraumtypen innerhalb Bremens.
In der folgenden Tabelle werden die fünf Typen betrachtet, die bei der Bundestagswahl vor gut einem halben Jahr die Anteile der Parteien besonders stark differenziert haben.
Partei |
WiN-Gebiete
|
Single-Gebiete
|
Gebiete
mit wenigen Ausländern
|
Gebiete
mit hohem soziale Status
|
Gebiete
mit vielen alten Menschen
|
SPD |
43,1
|
25,2
|
34,3
|
26,6
|
34,4
|
CDU |
18,5
|
10,9
|
31,3
|
26,8
|
27,5
|
Grüne |
9,5
|
31,8
|
14,5
|
23,7
|
15,1
|
FDP |
1,8
|
1,9
|
3,6
|
6,4
|
4,4
|
Linke |
12,5
|
17,3
|
5,0
|
7,1
|
6,2
|
Piraten |
2,2
|
3,5
|
1,1
|
1,6
|
1,3
|
AfD |
6,5
|
3,0
|
6,8
|
4,7
|
7,5
|
Tierschutz |
1,3
|
1,9
|
0,9
|
1,0
|
1,1
|
NPD |
1,1
|
0,3
|
0,5
|
0,1
|
0,4
|
Die Partei |
1,0
|
2,5
|
0,5
|
0,8
|
0,4
|
Wahlbeteiligung |
26,0
|
49,3
|
49,4
|
59,8
|
47,2
|
Von ihrer Einwohnerzahl her besitzen in Bremen die Quartiere ein relativ starkes Gewicht, in denen überdurchschnittlich viele Empfänger von Transferleistungen leben. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um die Großsiedlungen der 1960-er und 1970-er Jahre sowie alte Arbeiterwohngebiete, in denen im Zuge der Globalisierung und des sektoralen Strukturwandels viele industrielle Arbeitsplätze verloren gegangen sind. Diese Areale werden in Bremen als Fördergebiete im Rahmen eines besonderen Programms recht euphorisch mit WiN für „Wohnen in Nachbarschaften“ bezeichnet.
Die übrigen Sozialräume müssen ohne diese spezielle Hervorhebung durch die Bremer Stadtpolitik auskommen und sind daher ausschließlich statistisch definierte Gebietseinheiten.
Die Parteien haben innerhalb dieser Typen jeweils recht klare Hochburgen, so die Sozialdemokraten in den WiN-Gebieten, die Grünen in den Single-Wohngebieten und die FDP in den Gebieten mit einem hohen sozialen Status. Diese Verteilung entspricht weitgehend dem üblichen sozialen Wissen über Wohngebiete und hat sich auch bereits bei anderen Wahlen gezeigt.
Weniger bekannt und diskutiert sind hingegen Entwicklungen, die sich bereits beim Wahlverhalten in der Bundestagswahl 2013 abgezeichnet haben. Das gilt für die CDU, die ihre höchsten Wähleranteile in den Gebieten mit einem niedrigen Ausländerstatus erzielt, also in Wohngebieten, die von den Folgen der Globalisierung mit ihrer Arbeitsmigration wenig betroffen sind.
Eine deutliche Änderung zeigt sich jetzt bei der Linken, die zwar weiterhin überdurchschnittlich gut in den WiN-Gebieten abschneidet, jedoch in den Single-Wohngebieten einen zusätzlichen Schwerpunkt weiter ausbauen konnten, der sogar einen noch höheren Stimmenanteil aufweist. Hier scheinen neben dem Umweltschutz soziale Fragen verstärkt eine Rolle zu spielen, für die die alternativ ausgerichtete Wählerschaft einen anderen Ansprechpartner gesucht und teilweise auch gefunden hat.
Sind derartige Trends häufig bereits durch Wählerbefragungen mehr oder weniger bekannt, bietet eine sozialräumliche Analyse für die kleinen Parteien, die in Befragungen meist nur wenig vertreten sind, zusätzliche Informationen an. Dadurch können nicht selten sogar Annahmen und Vorurteile über diese Parteien empirisch getestet werden.
Betrachtet werden hier die Parteien, die in Bremen in fast jedem Ortsteil einige Stimmen erhalten haben und aufgrund ihres Wähleranteils in Deutschland mindestens einen Angeordneten ins Europaparlament entsenden können.
Damit unterscheidet sch ihre sozialräumliche Stuktur eindeutig von der der NPD, die nur in WiN-Gebieten deutlich über die Schwelle von einem Prozent kommt.
Sozialräumliche Faktoren der Gewinne und Verluste
Die aktuellen Tendenzen des Bremer Wahlergebnisses lassen sich durch diese kleinen Parteien, die abgesehen von der Tierschutzpartei erstmals angetreten sind, nicht erklären, weil dazu ihr Stimmenanteil nicht ausreicht. Es ist daher ein Blick auf die Verschiebungen bei den größeren Parteien erforderlich, wo sich zwischen den Sozialräumen deutliche Unterschiede zeigen. (vgl. Tabelle)
Partei |
WiN-Gebiete
|
Single-Gebiete
|
Gebiete
mit wenigen Ausländern
|
Gebiete
mit hohem soziale Status
|
Gebiete
mit vielen alten Menschen
|
SPD |
3,9
|
3,6
|
5,2
|
8,2
|
5,5
|
CDU |
-2,7
|
-1,2
|
0,9
|
-1,5
|
-2,7
|
Grüne |
-4,3
|
-7,7
|
-3,7
|
-7,6
|
-4,1
|
FDP |
-4,6
|
-4,4
|
-7,6
|
-6,9
|
-6,1
|
Linke |
2,8
|
5,5
|
0,7
|
2,7
|
1,6
|
Piraten |
1,4
|
1,1
|
0,5
|
0,7
|
0,7
|
Wahlbeteiligung |
-1,3
|
3,1
|
1,5
|
3,4
|
1,4
|
Danach haben die Sozialdemokraten weniger in ihren angestammten Hochburgen, also in den WiN-Gebieten, sondern vor allem in den Räumen zulegen können, wo sie bisher eher schwächer vertreten waren. Es trifft in erster Linie für die Gebiete mit einem hohen sozialen Status zu.
Die überdurchschnittlich hohen Verluste der Grünen resultieren aus ihrem schlechten Abschneiden in dem Quartierstyp, der in Bremen besonders stark vertreten ist und früher für die herausragenden Werte der Grünen in der Stadt verantwortlich waren: Jetzt findet man in diesen innenstadtnahen Altbaugebieten im und um das Viertel, wo sich eine Alternativkultur mit vielen Single-Haushalten entwickelt hat, jedoch ganz erheblich gesunkene Anteilswerte. Hier stehen jetzt hohen Verlusten der Grünen nicht ganz so ausgeprägte, aber dennoch beachtliche Gewinne der Linken gegenüber.
Da diese Viertel in Bremen teilweise in Quartiere mit einem hohen sozialen Status übergehen, sodass eine Abgrenzung eher theoretischer Natur ist, zeigt sich sogar in den klassischen bürgerlichen Wohngebieten ein ähnlicher Trend.
Diese Teile der Stadt sind daher in einem hohen Maße für das vom Bundestrend abweichende Bremer Wahlergebnis bei den Grünen und den Linken verantwortlich.
Für die verglichen zum Bundestrend leicht unterdurchschnittlichen Gewinne der SPD und die relativ hohen Verluste der CDU ist rein rechnerisch die Entwicklung in den WiN-Gebieten zumindest mitveranwortlich. Hier konnte die SPD ihre bestehende starke Stellung kaum weiter ausbauen, während die schwache CDU kein zusätzliches Wählerterrain hinzugewinnen konnte, sondern trotz der FDP-Verluste hier möglicherweise von den Gewinnen der erstmals kandidierenden AfD ähnlich wie in den Gebieten betroffen war, in denen relativ viele ältere Menschen leben.
Sofern sich diese Tendenzen, die sich kaum auf die spezielle Ausrichtung einer Europawahl zurückführen lassen, bis zur Bürgerschaftswahl nicht ändern, muss man auch im kommenden Jahr mit entsprechenden Verschiebungen der Stimmenanteile und damit der Mandate in der Bremer Bürgerschaft sowie in den Beiräten rechnen.
Quellen:
Statistischen Landesamt Bremen (Hg.), Europawahl im Lande Bremen am 13. Juni 2004. Vorläufiges Wahlergebnis, Bremen Juni 2004 (Statistische Mitteilungen Heft 107)
Dass., Statistischen Landesamt Bremen (Hg.), Europawahl im Lande Bremen am 7. Juni 2009. Vorläufiges Wahlergebnis, Bremen Juni 2014 (Statistische Mitteilungen. Heft 111)
Dass., Europawahl am 25. Mai 2014 im Land Bremen. Vorläufiges Wahlergebnis, Bremen Mai 2014 (Statistische Mitteilungen. Heft 118)
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