Zwischen hochfliegenden Zielen und einem enttäuschenden Alltag: die Bürgerbeteiligung in Bremen
oder
Die Erfahrungen einer durch den Tanklagerskandal in Farge politisch aktiv gewordenen Bürgerin
Bremer Bürgerschaft (Quelle: wikipedia)
Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter (Ortsbeirätegesetz/ OBG)
Allerdings scheint zwischen diesen Zielen und der gegenwärtigen Realität eine deutliche Diskrepanz zu bestehen, wie die Erfahrungen einer Bürgerin mit Bürgeranträgen und Stellungnahmen im Rahmen des Bundesbaugesetzes exemplarisch zeigen. Sie war jedenfalls von den Reaktionen der Behörden so enttäuscht, dass sie jetzt eine Petition an den Petitionsausschuss der Bürgerschaft gerichtet hat. Auf diesem Wege erhofft sie sich endlich die Auskünfte, die ihr bisher nicht gegeben wurden. Gleichzeitig macht sie einige Vorschläge, wie sich aufgrund ihrer Erfahrungen die ganz reale Bürgerbeteiligung in Bremen verbessern lässt, wenn es die Bürger, Politiker und Verwaltungen wirklich wollen.
Petition
„Notwendige Stärkung und Kontrolle der bestehenden
Formen der Bürgerbeteiligung“
Sehr geehrte Damen Herren,
nachdem mich als
Rönnebeckerin die Medienberichte über die Bodenkontaminationen durch das
Tanklager Farge ganz in meiner Nähe aufgeschreckt hatten, bin ich zu einer
regelmäßigen Besucherin der Blumenthaler Beiratssitzungen geworden. Dort habe
ich gerade beim Tanklagerskandal miterlebt, wie wichtig ein politisches
Engagement von Bürgern ist, wenn die Behörden anscheinend Gefahrensituationen
kaum oder sogar falsch einschätzen. Seit dieser Zeit habe ich die Möglichkeiten
genutzt, die sich in Bremen mit dem Instrument des Bürgerantrags ergeben.
Anschließend habe ich mich nach und nach auch um weitere Probleme in meinem
Stadtteil gekümmert, wo eine zusätzliche Bürgersicht eine wichtige Ergänzung
der Verwaltungsüberlegungen sein kann.
Durch dieses Engagement
habe ich inzwischen sechs Bürgeranträge gestellt und eine Stellungnahme nach
dem Bundesbaugesetz eingereicht, sodass ich einige Erfahrungen mit den in
Bremen bestehenden Formen der Bürgerbeteiligung besitze.
Wie Sie der
Zusammenstellung weiter unter entnehmen können, waren die Ergebnisse meiner
Bemühungen insgesamt eher entmutigend, da in der Mehrzahl der Fälle von den
Verwaltungsstellen nicht einmal formal die gesetzlichen Vorschriften
eingehalten wurden. Noch schlechter sieht es aus, wenn man die inhaltliche
Qualität der Antworten betrachtet. Hier wurden, wie man es Politikern in Talkshows
häufig unterstellt, offenbar Fragen beantwortet, die nicht aus meinem Antrag
stammten und praktisch keine der gesuchten Informationen enthielten. Häufig
handelte es sich um kurze Wiederholungen von Aussagen, die bereits zuvor in den
Medien publiziert worden waren, also keinerlei Bearbeitungsaufwand erfordert
hatten und für mich wertlos waren. Das hat gleich bei meinem ersten
Bürgerantrag, der formal noch relativ korrekt behandelt wurde, dazu geführt,
dass ich umgehend einen zweiten Versuch anschließen musste, um präzisere
Aussagen zu erhalten. Das ist allerdings in diesem Fall bis heute nicht
gelungen.
Ich habe daher den
Eindruck gewonnen, dass eine Aussage von Herrn Dr. Hans-Christoph
Hoppensack, dem Vorsitzenden der
Bürgerstiftung Bremen, eine recht freundliche Beschreibung der
tatsächlichen Situation ist, wenn er behauptet: "Die Verwaltung ist kein
Fan der Bürgerbeteiligung."
Falls
ich meinen kleinen Erfahrungsschatz mit Bürgeranträgen und Stellungnahmen nach
dem BBauG einmal ganz grob statistisch auswerte, stelle ich fest, dass
praktisch kein partizipatorischer Beitrag von der Verwaltung so bearbeitet und
beantwortet wurde, wie ich es als Bürgerin erwartet hatte. Und diese Aussage
bezieht sich keineswegs auf das Resultat am Ende; denn auch mir ist klar, dass
nicht immer das gemacht werden kann, was sich eine einzelne Bürgerin erhofft.
Nur
sollte man trotzdem erwarten können, dass Anträge und Stellungnahmen zunächst
einmal formal korrekt in den Beiräten, Ortsämtern und Verwaltungen bearbeitet
werden. Das war jedoch bestenfalls in knapp der Hälfte meiner sieben
Beteiligungsversuche der Fall.
Kaum
Resonanz gab es auf meine Rückfragen zu offenen oder strittigen Aspekten, die
beispielsweise von der Baubehörde weitgehend ignoriert wurden. Diese Erfahrung
musste auch ein Bekannter machen, der sich im Bauamt Bremen-Nord zunächst nach
der Frist für die Abgabe
einer Stellungnahme zum B-Plan 1288 erkundigt hatte. Er erhielt erst nach dem
Ablauf der Frist eine Mail mit dem „freundlichen“ Hinweis, „die übliche Frist für Bedenken und Anregungen nach der
frühzeitigen Bürgerbeteiligung betrage vier Wochen und diese seien „für den
Bebauungsplan 1288 bereits abgelaufen“.
Auf eine kritische Mail in dieser Angelegenheit an die Bürgerbeauftragte
der Baubehörde hat er genausowenig eine Antwort erhalten wie ich auf meine
Rückfrage wegen einer Zwischenmeldung zu meiner Stellungnahme vom Bauamt
Bremen-Nord.
Während
man dieses Verhalten möglicherweise noch als nicht besonders entwickelte
Höflichkeit abbuchen kann, gilt das nicht für über den Blumenthaler Beirat
erbetene Informationen über die Entwicklung der Immobilienpreise in der Nähe
des Tanklagers Farge und die Inhalte der Betriebsgenehmigung für das Tanklager
Farge sowie die Nichtbehandlung eines Antrages zur Roma-Integration in
Blumenthal.
Ich
möchte Sie daher darum bitten, auf die Verwaltungen so einzuwirken, dass ich
die Rechte, die mir aus dem Beirats- und Bundesbaugesetz zustehen, auch
tatsächliche erhalte. Dabei geht es um die Behandlung meines Antrags (Nr. 6 in der
Übersicht), die Beantwortung einer ausstehenden Frage aus einem Bürgerantrag
(Nr. 2), die Gewährung der zugesagten Rechte aus einem weiteren Bürgerantrag
(Nr. 3), eine schriftliche inhaltliche Reaktion auf meine Stellungnahme (Nr. 7)
und die vorgesehenen ausstehenden schriftlichen Antworten auf insgesamt vier
Bürgeranträge (Nr. 2, 3,5 und 6). Dazu gehört ebenfalls eine Übermittlung der
angeblich bereits vorhandenen Untersuchungsergebnisse, aufgrund derer mein
Bürgerantrag zum BWK-Gelände abgelehnt wurde (Nr. 5).
Zudem
würde ich mich sehr freuen, wenn die angemailten Mitarbeitrinnen und
Mitarbeiter de Baubehörde zumindest aus Gründen der Höflichkeit antworten
würden.
Zum
anderen möchte ich aus meinen Erfahrungen einige Anregungen für die
augenblicklich in Bremen diskutierten Fragen der Bürgerbeteiligung geben.
Danach
halte ich es für notwendig, dass die Verwaltung in den Bürgeranträgen und
Stellungnahmen weniger zusätzlich Arbeit sieht, sondern die Chance,
möglicherweise vernachlässigte Aspekte in ihre Entscheidungsprozesse
einbeziehen zu können. Das dürfte vor allem eine Frage von
Einstellungsänderungen sein, die sich beispielsweise durch geeignete Maßnahmen erreichen lassen. Das könnten etwa
Fortbildungen oder auch Auszeichnungen für Verwaltungsmitarbeiterinnen oder
–mitarbeiter sein, die bei der Unterstützung von Partizipationsbeispielen
besonders vorbildlich waren.
Wie
meine Erfahrungen zeigen, die, wie beschrieben, nicht nur auf einem vielleicht
zufälligen Einzelfall beruhen, scheint teilweise sogar das normale
Höflichkeitsverhalten, das man anderen entgegenbringt, in Teilen der Verwaltung
nicht immer die Regel zu sein, wenn Bürger ihre Anliegen vorbringen. Man könnte
hier sogar von einem generellen Problem der Mitarbeiterrekrutierung und -entwicklung
sprechen.
Neben
diesen eher menschlichen Schwierigkeiten sollte jedoch auch an eine
Präzisierung der rechtlichen Vorschriften gedacht werden, die im Beirätegesetz
sehr kurz ausfallen. Hier könnte ein Kommentar mit Beispielen und konkreten
Empfehlungen sehr hilfreich sein und die Merkwürdigkeiten, die ich bei der
Behandlungen von Bürgeranträgen in einem Beirat erleben musste, vermeiden
helfen.
Übersicht
Nr.
|
Termin
|
Thema
|
Beirats-sitzung
|
Antwort-
termin
|
Abstand in
Wochen
|
Beschlussmodalitäten
und inhaltlicher Aussagewert der Antworten
|
1
|
1.12.2002
|
Bürgerantrag "Fragen zur Umweltbelastung durch das
Tanklager Farge"
|
10.12.2012
|
5.2.2013
|
7
|
Die Antworten waren so
uninformativ, dass ein Folgeantrag mit erheblich präziseren Fragen gestellt
werden musste. So gab es keine Auskunft zur Entwicklung der Immobilienpreise
und zur Beantwortung anderer Fragen sollten nach vorheriger Anmeldung
Unterlagen beim Umweltsenator „eingesehen werden können“.
|
2
|
10.2.2013
|
Bürgerantrag „Fragen
zum Tanklager Farge – Folgeantrag“
|
11.2.2013
|
22.4.2013 (teilweise)
Teilfrage bisher nicht
beantwortet
|
9 bzw.
bisher 36
|
Nachdem der Antrag zunächst laut Blumenthaler Beiratsprotokoll
aufgrund eines unverständlichen Verfahrens als „abgelehnt“ galt, wurde er
anschließend durch den Koordinierungsausschuss „angenommen“ und
weitergeleitet. Dabei richtete der Ortsamtsleiter die Frage zu den
Immobilienpreisen nicht wie im Antrag vorgesehen an das Landesamt für Kataster, sondern die
Finanzsenatorin. Über diese Aufteilung gab es keine Mitteilung an die
Antragstellerin, die dieses Verfahren erst durch mehrere Rückfragen aufklären
konnte. Von der Finanzsenatorin steht eine Antwort bisher aus. Ihre letzte
Aussage war nach einer mündlichen Auskunft des Ortsamtleiters, dass sie
„keinen Handlungsbedarf“ für eine Ermittlung der Preise sieht.
|
3
|
7.3.2013
|
Bürgerantrag „Offenlegung
der Betriebsgenehmigung Tanklager Farge“
|
11.3.2013
|
Kurze Mail am 21.3.2013
|
2
|
Per Mail erklärte der Referatsleiter „Immissionsschutz“, dass
die Genehmigungsunterlagen „zu umfangreich seien, um sie zu versenden“.
Gleichzeit bot er nach dem
Umweltinformationsgesetz Akteneinsicht ein, die er ab Mitte
April im Amt versprach. Daraufhin wurde ein Termin vereinbart, an dem jedoch
das Gewerbeaufsichtsamt die zugesagte Einsichtnahme verweigerte.
|
4 |
19.6.2013
|
Bürgerantrag „Umfassende
Gesundheitsuntersuchung“
|
19.6.2013
|
26.8.2013
|
9
|
In seiner „Antwort“ ging das Gesundheitsamt weder auf den
Zeitpunkt, zu dem eine umfassende Untersuchung erfolgen sollte, noch auf zwei
besonders gefährdete Gruppen von Betroffenen ein, die mit einer Auswertung
des Krebsregisters nicht erfasst wurden. Eine Untersuchung, die gerade für
Sicherheit sorgen sollte, wurde abgelehnt, weil aktuelle gesundheitliche,
nicht mit Krebs in Zusammenhang stehende Wirkungen „voraussichtlich“ keine
neuen, insbesondere für die Bevölkerung hilfreichen Erkenntnisse „brächten“.
|
5 |
7.8.2013
|
Bürgerantrag „BWK-Gelände
und Blumenthals Zukunft. Die potenziellen Auswirkungen verschiedener
Nutzungskonzepte auf Einwohner, Arbeitsplätze, Kaufkraft, Gebäude und Verkehr
in Blumenthal“
|
12.8.2013
|
Keine schriftliche Antwort
|
Der Antrag fand ohne
formale Abstimmung „keine Zustimmung“, da „alle Punkte geklärt seien“, auch
wenn „das Ergebnis der Untersuchung .. nicht "zum Angucken" sei,
sondern in die Entscheidung über den Bebauungsplan mit eingeflossen sei. Eine
Quelle für die angeblich vorgenommenen Untersuchungen wurde in der
Beiratssitzung nicht genannt.
|
|
6
|
28.08.2013
|
Bürgerantrag
„Modellvorhaben „Roma-Integration in Blumenthal“
|
„vertagt“
|
Keine schriftliche Antwort
|
Bisher 10
|
Die Behandlung sollte
verschoben werden, bis eine Quartiersmanagerin eingestellt wurde, was am
1.1.02013 erfolgte. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dieser Bedingung
und der Behandlung des Antrags ist nicht erkennbar. Aktuell wird dieser
Antrag auf der Webseite des Ortsamtes nicht mehr als „aktueller Antrag“
geführt.
|
7
|
21.7. 2013
|
Stellungnahme zum Bebauungsplan 1288 (Bearbeitungsstand: 8.
Mai 2013) gemäß § 3 (2) BBauG
|
2.8.2013: Als „Zwischenmitteilung“ bezeichnete
Eingangsbestätigung
|
(Bisher 13)
|
Die Zwischenmitteilung
enthielt keine im BBauG vorgesehene Information über das Ergebnis einer
sachlichen Prüfung der Stellungnahme. Auf eine Bitte um eine entsprechende
Auskunft und einen Hinweis auf die Unzumutbarkeit einer geforderten täglichen
Durchsicht der amtlichen Bekanntmachungen in der
Lokalpresse, um nachzusehen, wann ein weiterer Entwurf des Bebauungsplans
ausgelegt wird und „ob und ggf. in welchem Umfang“ die „Stellungnahme im
Bebauungsplan berücksichtigt wurde“, gab es bisher keine Antwort.
|
Quellen und Belege:
Der Wortlaut der Anträge und der Antwort lässt sich
größtenteils in einem Internetforum abrufen, und zwar für die einzelnen Fälle
unter folgenden Adressen:
1 und 2: www.blumenthal.xobor.de/t33f7-Antworten-zum-Tanklager.html
und www.blumenthal.xobor.de/t34f30-Buergerfragen.html
3: www.blumenthal.xobor.de/t49f29-Betriebsgenehmigung-fuer-das-Tanklager-Farge.html
4: www.blumenthal.xobor.de/t34f30-Buergerfragen-1.html
4: www.blumenthal.xobor.de/t34f30-Buergerfragen-1.html
7: www.blumenthal-zeitung.blogspot.de/2013/07/bwk-stel.html
und www.blumenthal.xobor.de/t105f36-B-Plan-BWK-Gelaende-in-der-Diskussion.html
Quellen:
Bremische Bürgerschaft, Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN. „Bremer Entwicklungsplan Bürgerbeteiligung: Betroffene zu Beteiligten machen!“, Drucksache 18/393 S vom 19. September 2013.
Freie Hansestadt Bremen (Hg.), Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter vom 2. Februar 2010, zuletzt geändert durch Ortsgesetz zur Änderung des Ortsgesetzes über Beiräte und Ortsämter vom 27. März 2012.
Hoppe, Marie, Wertewelt: Bürgerbeteiligung. Eine empirische Studie zur Analyse der impliziten Wertemuster von Politik, Verwaltung und Bürgern in Bremen, Diplomarbeit, Universität Bremen 2013. (Zusammenfassung).
Hüttmann, Jörn, Mehr direkte Beteiligung an Bremer Politik. Rot-Grün will Bürgeranträge erleichtern, in: Weser-Kurier vom 2.7.2012.
Kabbert, Rainer, Demokratie in Form von Bürgerengagement. Bürgerbeteiligung stößt in Bremen an Grenzen, in: Weser-Kurier vom 07.02.2012.
Wendland, Susanne, Bürgerbeteiligung in der Kommune zwischen Anspruch und erlebter Realität. Eine Analyse von Beteiligungsrechten und Beteiligungsmöglichkeiten in Bremerhaven, Diplomarbeit, Universität Bremen, Bremerhaven 2007.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen