Donnerstag, 14. November 2013

Petition & Bürger- beteiligung




Zwischen hochfliegenden Zielen und einem enttäuschenden Alltag: die Bürgerbeteiligung in Bremen 


oder

Die Erfahrungen einer durch den Tanklagerskandal in Farge politisch aktiv gewordenen Bürgerin




                             Bremer Bürgerschaft (Quelle: wikipedia)

Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter (Ortsbeirätegesetz/ OBG)

Bremen ist nicht nur stolz auf seine Möglichkeiten einer Bürgerbeteiligung, die es teilweise in vergleichbarer Form in keinem anderen Bundesland gibt, sondern will diese Ansätze einer Direkten Demokratie auch noch weiter ausbauen. Das soll jedenfalls mit einem Dringlichkeitsantrag erreicht werden, den die rotgrünen Mehrheitsfraktionen im September 2013 bei der Stadtbürgerschaft eingebracht haben und der einen „Bremer Entwicklungsplan Bürgerbeteiligung“ fordert, durch den „Betroffene zu Beteiligten“ gemacht werden sollen.


Allerdings scheint zwischen diesen Zielen und der gegenwärtigen Realität eine deutliche Diskrepanz zu bestehen, wie die Erfahrungen einer Bürgerin mit Bürgeranträgen und Stellungnahmen im Rahmen des Bundesba
ugesetzes exemplarisch zeigen. Sie war jedenfalls von den Reaktionen der Behörden so enttäuscht, dass sie jetzt eine Petition an den Petitionsausschuss der Bürgerschaft gerichtet hat. Auf diesem Wege erhofft sie sich endlich die Auskünfte, die ihr bisher nicht gegeben wurden. Gleichzeitig macht sie einige Vorschläge, wie sich aufgrund ihrer Erfahrungen die ganz reale Bürgerbeteiligung in Bremen verbessern lässt, wenn es die Bürger, Politiker und Verwaltungen wirklich wollen.


                                                               Antwort auf den ersten Bürgerantrag




Petition



„Notwendige Stärkung und Kontrolle der bestehenden Formen der Bürgerbeteiligung“



Sehr geehrte Damen Herren,

nachdem mich als Rönnebeckerin die Medienberichte über die Bodenkontaminationen durch das Tanklager Farge ganz in meiner Nähe aufgeschreckt hatten, bin ich zu einer regelmäßigen Besucherin der Blumenthaler Beiratssitzungen geworden. Dort habe ich gerade beim Tanklagerskandal miterlebt, wie wichtig ein politisches Engagement von Bürgern ist, wenn die Behörden anscheinend Gefahrensituationen kaum oder sogar falsch einschätzen. Seit dieser Zeit habe ich die Möglichkeiten genutzt, die sich in Bremen mit dem Instrument des Bürgerantrags ergeben. Anschließend habe ich mich nach und nach auch um weitere Probleme in meinem Stadtteil gekümmert, wo eine zusätzliche Bürgersicht eine wichtige Ergänzung der Verwaltungsüberlegungen sein kann.

Durch dieses Engagement habe ich inzwischen sechs Bürgeranträge gestellt und eine Stellungnahme nach dem Bundesbaugesetz eingereicht, sodass ich einige Erfahrungen mit den in Bremen bestehenden Formen der Bürgerbeteiligung besitze.

Wie Sie der Zusammenstellung weiter unter entnehmen können, waren die Ergebnisse meiner Bemühungen insgesamt eher entmutigend, da in der Mehrzahl der Fälle von den Verwaltungsstellen nicht einmal formal die gesetzlichen Vorschriften eingehalten wurden. Noch schlechter sieht es aus, wenn man die inhaltliche Qualität der Antworten betrachtet. Hier wurden, wie man es Politikern in Talkshows häufig unterstellt, offenbar Fragen beantwortet, die nicht aus meinem Antrag stammten und praktisch keine der gesuchten Informationen enthielten. Häufig handelte es sich um kurze Wiederholungen von Aussagen, die bereits zuvor in den Medien publiziert worden waren, also keinerlei Bearbeitungsaufwand erfordert hatten und für mich wertlos waren. Das hat gleich bei meinem ersten Bürgerantrag, der formal noch relativ korrekt behandelt wurde, dazu geführt, dass ich umgehend einen zweiten Versuch anschließen musste, um präzisere Aussagen zu erhalten. Das ist allerdings in diesem Fall bis heute nicht gelungen.

Ich habe daher den Eindruck gewonnen, dass eine Aussage von Herrn Dr. Hans-Christoph Hoppensack, dem Vorsitzenden der  Bürgerstiftung Bremen, eine recht freundliche Beschreibung der tatsächlichen Situation ist, wenn er behauptet: "Die Verwaltung ist kein Fan der Bürgerbeteiligung."

Falls ich meinen kleinen Erfahrungsschatz mit Bürgeranträgen und Stellungnahmen nach dem BBauG einmal ganz grob statistisch auswerte, stelle ich fest, dass praktisch kein partizipatorischer Beitrag von der Verwaltung so bearbeitet und beantwortet wurde, wie ich es als Bürgerin erwartet hatte. Und diese Aussage bezieht sich keineswegs auf das Resultat am Ende; denn auch mir ist klar, dass nicht immer das gemacht werden kann, was sich eine einzelne Bürgerin erhofft.

Nur sollte man trotzdem erwarten können, dass Anträge und Stellungnahmen zunächst einmal formal korrekt in den Beiräten, Ortsämtern und Verwaltungen bearbeitet werden. Das war jedoch bestenfalls in knapp der Hälfte meiner sieben Beteiligungsversuche der Fall.

Kaum Resonanz gab es auf meine Rückfragen zu offenen oder strittigen Aspekten, die beispielsweise von der Baubehörde weitgehend ignoriert wurden. Diese Erfahrung musste auch ein Bekannter machen, der sich im Bauamt Bremen-Nord zunächst nach der Frist für die Abgabe einer Stellungnahme zum B-Plan 1288 erkundigt hatte. Er erhielt erst nach dem Ablauf der Frist eine Mail mit dem „freundlichen“ Hinweis, „die übliche Frist für Bedenken und Anregungen nach der frühzeitigen Bürgerbeteiligung betrage vier Wochen und diese seien „für den Bebauungsplan 1288 bereits abgelaufen“.  Auf eine kritische Mail in dieser Angelegenheit an die Bürgerbeauftragte der Baubehörde hat er genausowenig eine Antwort erhalten wie ich auf meine Rückfrage wegen einer Zwischenmeldung zu meiner Stellungnahme vom Bauamt Bremen-Nord.

Während man dieses Verhalten möglicherweise noch als nicht besonders entwickelte Höflichkeit abbuchen kann, gilt das nicht für über den Blumenthaler Beirat erbetene Informationen über die Entwicklung der Immobilienpreise in der Nähe des Tanklagers Farge und die Inhalte der Betriebsgenehmigung für das Tanklager Farge sowie die Nichtbehandlung eines Antrages zur Roma-Integration in Blumenthal.

Ich möchte Sie daher darum bitten, auf die Verwaltungen so einzuwirken, dass ich die Rechte, die mir aus dem Beirats- und Bundesbaugesetz zustehen, auch tatsächliche erhalte. Dabei geht es um die Behandlung meines Antrags (Nr. 6 in der Übersicht), die Beantwortung einer ausstehenden Frage aus einem Bürgerantrag (Nr. 2), die Gewährung der zugesagten Rechte aus einem weiteren Bürgerantrag (Nr. 3), eine schriftliche inhaltliche Reaktion auf meine Stellungnahme (Nr. 7) und die vorgesehenen ausstehenden schriftlichen Antworten auf insgesamt vier Bürgeranträge (Nr. 2, 3,5 und 6). Dazu gehört ebenfalls eine Übermittlung der angeblich bereits vorhandenen Untersuchungsergebnisse, aufgrund derer mein Bürgerantrag zum BWK-Gelände abgelehnt wurde (Nr. 5).

Zudem würde ich mich sehr freuen, wenn die angemailten Mitarbeitrinnen und Mitarbeiter de Baubehörde zumindest aus Gründen der Höflichkeit antworten würden.

Zum anderen möchte ich aus meinen Erfahrungen einige Anregungen für die augenblicklich in Bremen diskutierten Fragen der  Bürgerbeteiligung geben.

Danach halte ich es für notwendig, dass die Verwaltung in den Bürgeranträgen und Stellungnahmen weniger zusätzlich Arbeit sieht, sondern die Chance, möglicherweise vernachlässigte Aspekte in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen zu können. Das dürfte vor allem eine Frage von Einstellungsänderungen sein, die sich beispielsweise durch geeignete  Maßnahmen erreichen lassen. Das könnten etwa Fortbildungen oder auch Auszeichnungen für Verwaltungsmitarbeiterinnen oder –mitarbeiter sein, die bei der Unterstützung von Partizipationsbeispielen besonders vorbildlich waren.

Wie meine Erfahrungen zeigen, die, wie beschrieben, nicht nur auf einem vielleicht zufälligen Einzelfall beruhen, scheint teilweise sogar das normale Höflichkeitsverhalten, das man anderen entgegenbringt, in Teilen der Verwaltung nicht immer die Regel zu sein, wenn Bürger ihre Anliegen vorbringen. Man könnte hier sogar von einem generellen Problem der Mitarbeiterrekrutierung und -entwicklung sprechen.

Neben diesen eher menschlichen Schwierigkeiten sollte jedoch auch an eine Präzisierung der rechtlichen Vorschriften gedacht werden, die im Beirätegesetz sehr kurz ausfallen. Hier könnte ein Kommentar mit Beispielen und konkreten Empfehlungen sehr hilfreich sein und die Merkwürdigkeiten, die ich bei der Behandlungen von Bürgeranträgen in einem Beirat erleben musste, vermeiden helfen.


Übersicht

Nr.
Termin
Thema
Beirats-sitzung
Antwort-
termin
Abstand in
Wochen
Beschlussmodalitäten und inhaltlicher Aussagewert der Antworten
 1
1.12.2002
Bürgerantrag "Fragen zur Umweltbelastung durch das Tanklager Farge"
10.12.2012
5.2.2013
7
Die Antworten waren so uninformativ, dass ein Folgeantrag mit erheblich präziseren Fragen gestellt werden musste. So gab es keine Auskunft zur Entwicklung der Immobilienpreise und zur Beantwortung anderer Fragen sollten nach vorheriger Anmeldung Unterlagen beim Umweltsenator „eingesehen werden können“.
2
10.2.2013
Bürgerantrag „Fragen zum Tanklager Farge – Folgeantrag
11.2.2013
22.4.2013 (teilweise)

Teilfrage bisher nicht beantwortet
9 bzw. bisher 36

Nachdem der Antrag zunächst laut Blumenthaler Beiratsprotokoll aufgrund eines unverständlichen Verfahrens als „abgelehnt“ galt, wurde er anschließend durch den Koordinierungsausschuss „angenommen“ und weitergeleitet. Dabei richtete der Ortsamtsleiter die Frage zu den Immobilienpreisen nicht wie im Antrag vorgesehen an das Landesamt für Kataster, sondern die Finanzsenatorin. Über diese Aufteilung gab es keine Mitteilung an die Antragstellerin, die dieses Verfahren erst durch mehrere Rückfragen aufklären konnte. Von der Finanzsenatorin steht eine Antwort bisher aus. Ihre letzte Aussage war nach einer mündlichen Auskunft des Ortsamtleiters, dass sie „keinen Handlungsbedarf“ für eine Ermittlung der Preise sieht.
3
7.3.2013
Bürgerantrag „Offenlegung der Betriebsgenehmigung Tanklager Farge
11.3.2013
Kurze Mail am 21.3.2013
2
Per Mail erklärte der Referatsleiter „Immissionsschutz“, dass die Genehmigungsunterlagen „zu umfangreich seien, um sie zu versenden“. Gleichzeit bot er nach dem
Umweltinformationsgesetz Akteneinsicht ein, die er ab Mitte April im Amt versprach. Daraufhin wurde ein Termin vereinbart, an dem jedoch das Gewerbeaufsichtsamt die zugesagte Einsichtnahme verweigerte.
4
19.6.2013
Bürgerantrag „Umfassende Gesundheitsuntersuchung
19.6.2013
26.8.2013
9
In seiner „Antwort“ ging das Gesundheitsamt weder auf den Zeitpunkt, zu dem eine umfassende Untersuchung erfolgen sollte, noch auf zwei besonders gefährdete Gruppen von Betroffenen ein, die mit einer Auswertung des Krebsregisters nicht erfasst wurden. Eine Untersuchung, die gerade für Sicherheit sorgen sollte, wurde abgelehnt, weil aktuelle gesundheitliche, nicht mit Krebs in Zusammenhang stehende Wirkungen „voraussichtlich“ keine neuen, insbesondere für die Bevölkerung hilfreichen Erkenntnisse „brächten“.
5
7.8.2013
Bürgerantrag „BWK-Gelände und Blumenthals Zukunft. Die potenziellen Auswirkungen verschiedener Nutzungskonzepte auf Einwohner, Arbeitsplätze, Kaufkraft, Gebäude und Verkehr in Blumenthal
12.8.2013
Keine schriftliche Antwort

Der Antrag fand ohne formale Abstimmung „keine Zustimmung“, da „alle Punkte geklärt seien“, auch wenn „das Ergebnis der Untersuchung .. nicht "zum Angucken" sei, sondern in die Entscheidung über den Bebauungsplan mit eingeflossen sei. Eine Quelle für die angeblich vorgenommenen Untersuchungen wurde in der Beiratssitzung nicht genannt.
6
28.08.2013
 Bürgerantrag „Modellvorhaben „Roma-Integration in Blumenthal
„vertagt“
Keine schriftliche Antwort
Bisher 10
Die Behandlung sollte verschoben werden, bis eine Quartiersmanagerin eingestellt wurde, was am 1.1.02013 erfolgte. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen dieser Bedingung und der Behandlung des Antrags ist nicht erkennbar. Aktuell wird dieser Antrag auf der Webseite des Ortsamtes nicht mehr als „aktueller Antrag“ geführt.
7
21.7. 2013
Stellungnahme zum Bebauungsplan 1288 (Bearbeitungsstand: 8. Mai 2013) gemäß § 3 (2) BBauG

2.8.2013: Als „Zwischenmitteilung“ bezeichnete Eingangsbestätigung
(Bisher 13)
Die Zwischenmitteilung enthielt keine im BBauG vorgesehene Information über das Ergebnis einer sachlichen Prüfung der Stellungnahme. Auf eine Bitte um eine entsprechende Auskunft und einen Hinweis auf die Unzumutbarkeit einer geforderten täglichen Durchsicht der amtlichen Bekanntmachungen in der Lokalpresse, um nachzusehen, wann ein weiterer Entwurf des Bebauungsplans ausgelegt wird und „ob und ggf. in welchem Umfang“ die „Stellungnahme im Bebauungsplan berücksichtigt wurde“, gab es bisher keine Antwort.


Quellen und Belege:


Der Wortlaut der Anträge und der Antwort lässt sich größtenteils in einem Internetforum abrufen, und zwar für die einzelnen Fälle unter folgenden Adressen:


Kopien der Anträge und Antworten sowie des Mailkontakts mit Frau xxx und den Herren xxx können auf Wunsch nachgereicht werden.

                                     Antwort auf den zweiten Bürgerantrag

Quellen:

Bremische Bürgerschaft, Dringlichkeitsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN. „Bremer Entwicklungsplan Bürgerbeteiligung: Betroffene zu Beteiligten machen!“, Drucksache 18/393 S vom 19. September 2013.

Freie Hansestadt Bremen (Hg.), Ortsgesetz über Beiräte und Ortsämter vom 2. Februar 2010, zuletzt geändert durch Ortsgesetz zur Änderung des Ortsgesetzes über Beiräte und Ortsämter vom 27. März 2012.

Hoppe, Marie, Wertewelt: Bürgerbeteiligung. Eine empirische Studie zur Analyse der impliziten Wertemuster von Politik, Verwaltung und Bürgern in Bremen, Diplomarbeit, Universität Bremen 2013. (Zusammenfassung).


Hüttmann, Jörn, Mehr direkte Beteiligung an Bremer Politik. Rot-Grün will Bürgeranträge erleichtern, in: Weser-Kurier vom 2.7.2012.


Kabbert, Rainer, Demokratie in Form von Bürgerengagement. Bürgerbeteiligung stößt in Bremen an Grenzen, in: Weser-Kurier vom 07.02.2012.

Wendland, Susanne, Bürgerbeteiligung in der Kommune zwischen Anspruch und erlebter Realität. Eine Analyse von Beteiligungsrechten und Beteiligungsmöglichkeiten in Bremerhaven, Diplomarbeit, Universität Bremen, Bremerhaven 2007.




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