Donnerstag, 26. September 2013

Wahl 2013: Tendenz


Bremen wählte etwas anders als der große Rest

Eine kleine Wahlgeografie Bremens



                                        Reichstag (Foto: Jürgen Matern)


Am letzten Sonntag hat Bremen nicht nur anders gewählt als Deutschland insgesamt, sondern auch mit deutlichen Unterschieden zwischen den verschiedenen Sozialräumen der Stadt.

Während 2009 die SPD aufgrund der Großen Koalition und als Nachklang der Hartz IV-Gesetzgebung jede vierte Stimme an die Grünen und die Linke verloren hatte, ist dieses Pendel jetzt wieder entsprechend kräftig zurückgeschlagen. Eine ähnliche Bewegung hat es zwischen der FDP und der CDU gegeben, wobei allerdings die Gewinne der CDU keineswegs die Verluste der FDP vollständig ausgleichen.

Wichtige Abweichungen der Bremer Ergebnisse gegenüber dem Bundestrend, wo die CDU erheblich stärker und die SPD schwächer gewonnen sowie die Grünen und die Linke nicht so kräftig verloren haben, erklären sich aus der Verteilung der verschiedenen Sozialräume, die sich im ländlichen Raum und in einer Metropole wie Bremen deutlich unterscheiden.


Die SPD als WiN-Partei


Eine Hochburg der SPD sind in Bremen die Gebiete, die aufgrund ihrer soziale Benachteiligung in das städtebauliche Förderprogramm „Wohnen in Nachbarschaften WiN“ aufgenommen sind und in denen besonders viele Hartz IV-Empfänger und Ausländer leben.

Da in diesem Sozialraumtyp, der Gebiete in 17 Ortsteilen umfasst, über 40% der Bremerinnen und Bremer leben, sind hohe Anteile in diesen Quartieren bereits eine Bank für eine gutes Ergebnis in der Stadt insgesamt. Im Bremer Norden gehören zu diesen Ortsteilen das Alwin-Lonke-Qartier in Gramke, Grohn, Lüssum und Marßel in Burgdamm.


Die CDU: Partei der Quartiere ohne Globalisierungs-Betroffene


Während die SPD damit plakativ als eine Partei der WiN-Gebiete bezeichnet werden kann, vor allem seit die alten Industriegebiete in Gröpelingen neben den Großsiedlungen wie der Neuen Vahr und Gröpelingen in das WiN-Programm einbezogen wurden, ist die CDU vor allem in Quartieren stark, die von den Folgen der Globalisierung nur geringfügig betroffen sind. Das gilt neben den Gebieten mit einem hohen sozialen Status speziell für Viertel mit einem geringen Ausländeranteil, wie sie mit Farge, Lesum, Rekum, Rönnebeck und St. Magnus im Bremer Norden recht zahlreich sind, und für Stadtviertel in denen viele ältere Menschen und Familien mit Kindern leben, die nicht von Hartz IV-Zahlungen abhängig sind.



Die Hochburgen der Grüne: Gebiete mit vielen Singles und unterdurchschnittlich vielen Migranten



Anders als man es von der aktuellen Programmatik und nach Erinnerungen an ihre ersten Parteitage erwarten kann, von denen in der Berichterstattung Fotos von stillenden Müttern nicht fehlen durften, haben die Grünen ihre Bremer Hochburgen in den innenstadtnahen Altbaugebieten. Dazu zählt vor allem „Das Viertel“ in den Ortsteilen Ostertor und Steintor. Nach der Sozialstatistik handelt es sich dabei um Quartiere, in denen besonders viele Singles leben und die Zahl der Ausländer überschaubar ist. In diesem Gebietstyp wurden die Ökopartei 2009 sogar die stärkste Partei mit Anteilen von knapp 40% und lag damit noch vor der SPD, während sich hier die CDU noch hinter der Linken mit einem vierten Rang begnügen musste.


Die Linke: teils der SPD, teils den Grünen ähnlich


Von ihren sozialräumlichen Schwerpunkten her erreichte die Linke 2009 einen Doppelgipfel, der einerseits in den sozial benachteiligten Gebieten, andererseits jedoch auch in den innerstadtnahen Altbaugebieten lag. Verantwortlich hierfür können die ökologische Orientierung der Bremer Linken sein, aber auch Unterschiede zwischen den inzwischen mehr oder weniger arrivierten ehemaligen Alternativen.



Die FDP als CDU de luxe



Auch von ihrer sozialräumlichen Verteilung entsprach 2009 die FDP in Bremen durchaus dem gängigen Klischee, denn ihre Hochburgen konzentrierten sich noch erheblich stärker als die der CDU auf die Quartiere mit einem hohen sozialen Status, wo sie vor vier Jahren in der Spitze fast 20 % erreichte.



Polarisierter Wahlkampf und vertiefte sozialräumliche Spaltung



Bereits vor der Wahl am 22. September bestanden damit deutliche sozialräumliche Unterschiede in der Stadt, wobei die SPD in den sozial benachteiligten Gebieten besonders stark war, die CDU hingegen in den Quartieren, die von den Auswirkungen der Globalisierung und der Änderung der Familienstrukturen weniger betroffen waren.
Diese Spaltung hat sich jetzt durch die unterschiedliche Programmatik der Lager, wie sie in der Steuerpolitik und in familenbezogenen Leistungen wie dem Betreuungsgeld deutlich wird, noch verstärkt, denn die SPD hat vor allem bei sehr mäßigen Zuwächsen der CDU in den WiN-Gebieten deutlich zugelegt. Umgekehrt gilt das für die CDU, die besonders in Quartieren, in denen Familien mit Kindern leben, die kein Hartz IV beziehen, in Gebieten mit einem hohen Anteil älterer Menschen und in Gebieten mit einem niedrigen Ausländeranteil Gewinne in einer Größenordnung erzielt hat, die dem Bundestrend entsprechen.

Weniger eindeutig war die Entwicklung in den bürgerlichen Quartieren, also den Gebieten mit einem hohen sozialen Status wie Borgfeld und Bürgerpark oder auch Lehe, Lesum und St. Magnus im Bremer Norden. Hier konnte anscheinend nicht nur die CDU von den hohen Verlusten der FDP profitieren, sondern auch die SPD; denn sie verbuchte in diesen Ortsteilen einen fast gleich großen Zuwachs wie die CDU.



Der Wandel der Wählerschaft der Linken



Die erheblichen Verluste der Grünen in den innenstadtnahen Altbaugebieten waren nicht nur mit hohen Gewinnen für die SPD verbunden, sondern auch einem relativ stabilen Ergebnis für die Linke. Das hat sogar zu veränderten Hochburgen für diese Partei geführt, denn ihre Wähleranteile liegen in diesen Single-Quartieren jetzt sogar höher als in den WiN- und in anderen Gebieten mit einem niedrigen sozialen Status. Möglicherweise hat der Protest gegen Hartz IV, der 2009 zu hohen Anteilswerten in diesen Gebieten geführt hatte, in denen viele direkt Betroffenen leben, an Bedeutung verloren; denn die Wähler der Linken leben jetzt seltener in Gröpelingen oder Tenever, sondern häufiger in den Ortsteilen Steintor und Ostertor.


Politische Schlussfolgerungen



Wahlresultate bilden nicht nur ähnlich seismografischen Messungen oder medizinischen Blutbildern Veränderungen einer Gesellschaft oder einer Stadt ab. Sie können damit gleichzeitig Problemlagen signalisieren. Das gilt sowohl für die Politik des Landes Bremen als auch die Planungen der Parteien, denn im Zuge der gesellschaftlichen Veränderungen lassen sich ausgeprägte Konzentrationen der Wähler auf Gebiete mit vielen alten Menschen und wenigen Ausländern nicht unbedingt als zukunftsfähig bezeichnen. Auch in sozialräumlicher Hinsicht scheint es daher der Bremer CDU noch nicht gelungen zu sein, sich zu einer modernen Großstadtpartei zu entwickeln. Das dürfte gleichzeitig eine wichtige Erklärung für das abweichende Wahlergebnis in Bremen sein.


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Weitere Artikel behandeln zusätzliche Aspekte der Bremer Wahlergebnisse:


Die Bundestagswahl 2013 in den Bremer Sozialräumen. Teil I: Die Bundestagswahl 2009 in Bremen

Teil II: Bremen-Nord und Bremen wählten 2013 anders als der große Rest der Republik. Die statistischen Details

Die Piraten: eine Partei mit einer sich langsam verlagernden Wählerbasis

Die AfD: Auch eine Alternative für lokale Probleme?

Wahlbeteiligung: nicht nur eine Rechengröße für das Resultat

Die Antwort enttäuschter Wähler oder nur Zufall? Das Wahlverhalten in Stimmbezirken mit strittigen lokalen Problemen

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