Samstag, 31. August 2013

WiN-Gebiete



Wer gewinnt mit WiN?


Hintergründiges zur sozialen Beseitigung von Planungssünden des Bremer Städtebaus




Nachdem Bremen und die inzwischen insolvente gewerkschaftseigene Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts zunächst mit groß dimensionierten Demonstrativbauvorhaben wie der Neuen Vahr und Tenever das Interesse vieler Stadtplaner auf sich gezogen hatten, werden diese Großwohnlagen inzwischen sehr kritisch gesehen. Dafür gab und gibt es gute Gründe, da es zu zahlreichen Wohnungsleerständen mit den entsprechenden sozialen Folgewirkungen gekommen ist. Inzwischen haben sich die meisten dieser Großwohnlagen zu Quartieren entwickelt, in denen sich sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen konzentrieren.

Um diesen Problemen zu begegnen, hat Bremen seit den 1980er Jahren Maßnahmen eingeleitet, die einem Verfall dieser Quartiere entgegenwirken sollen. Daraus ist 1998 das Konzept Wohnen in Nachbarschaften (WiN) hervorgegangen, das inzwischen auch ältere Wohngebiete mit ähnlichen Problemlagen umfasst.

In Bremen halten viele dieses Programm für gelungen, ja, einige Befürworter sehen darin sogar ein mustergültiges „Demokratievorhaben“.

Allerdings gibt es für derartige Bewertungen kaum objektive Belege; denn die letzte Evaluation, die von Bremen in Auftrag gegeben und bezahlt wurde, stammt aus dem Jahr 2004.

Das sollte Grund genug sein, um sich einmal näher mit diesen WiN-Gebieten und ihrer Entwicklung zu beschäftigen. Dabei ist zu fragen, ob die städtebaulichen Reparaturmaßnahmen ihre Ziele erfüllt und vor allem tatsächlich zu einer sozialkohärenten Stadt mit weniger Armutssegregation beitragen haben oder ob möglicherweise nur mit relativ hohen Kosten für wenige ein Sozialstaatseldorado geschaffen wird. 



                                                        Tenever

Von den Bremer Großsiedlungen zum WiN-Konzept


In den 1960er und 1970er Jahren war Bremen stolz auf seine neuen Großsiedlungen, in denen damals moderne Städtebaukonzepte verwirklicht wurden. Exemplarische Demonstrativbaumaßnahmen waren dabei die Neue Vahr für das Leitbild einer „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ und später Tenever für das Konzept „Urbanität durch Dichte“.

Ab Mitte der 1970er Jahre zeigte sich dann immer stärker eine Diskrepanz zwischen den städtebaulichen Vorstellungen von Architekten und Städteplanern auf der einen und den tatsächlichen Wohnwünschen der konkreten Menschen auf der anderen Seite. Immer mehr Bewohner stimmten in diesen Jahren mit ihren Umzugswagen gegen die Vorstellungen eines modernen urbanen Wohnens, die die Städtebaulobby ihnen vorgesetzt hatte.

Die entstehenden Leerstände und Mietausfälle führten zu Reaktionen bei den Eigentümern und Bauträgern. So wurde die damals gerade laufende Bebauung in Tenever reduziert und für die anderen Quartiere musste man über Maßnahmen nachdenken, um die Großsiedlungen wieder attraktiver zu machen. 



Die Entstehung des WiN-Programms


So wurden im Jahr 1983 erstmalig Maßnahmen zur Verbesserung von
Großsiedlungen in der Stadtgemeinde Bremen in Kooperation mit
Wohnungsunternehmen in die Wege geleitet. Im September 1989 hat der Senat dann das Konzept der «Nachbesserung von benachteiligten Wohnquartieren» als Bestandteil einer ressortübergreifenden sozialen Stadtentwicklungspolitik gestartet. (2002, S. 6) Dabei waren Maßnahmen für die fünf Großsiedlungen Osterholz-Tenever, Marßel, Lüssum, Kattenturm und Kirchhuchting vorgesehen.


Ein Jahrzehnt später folgte 1998 die Auflegung des kommunalen Programms Wohnen in Nachbarschaften (WiN), in das 10 sogenannte benachteiligte bzw. WiN-Gebiete einbezogen wurden, und zwar Blockdiek, Grohner Düne, Gröpelingen, Hemelingen, Kattenturm, Lüssum-Bockhorn, Marßel, Osterholz-Tenever, Sodenmatt/Kirchhuchting und Neue Vahr. Auch hier handelt es sich also um große Neubausiedlungen der Nachkriegszeit. Das Akronym WiN soll dabei nach dem Claim dieses Programms darauf verweisen, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, „die gewonnen haben.“

Ab 1999 wurde diese Maßnahme mit dem Gemeinschaftsprogramm „Die Soziale Stadt“ vom Bund und von den Ländern gekoppelt, das eine deutlich weniger konsumptive Ausrichtung hatte als das Bremer Konzept. Gemeinsamer Grundgedanke beider Programme war die Erkenntnis, dass die vielschichtigen sozialen, städtebaulichen und wirtschaftliche Problemlagen in Gebieten mit besonderem Entwicklungsbedarf nicht mehr mit herkömmlichen Instrumenten behoben werden können, sondern ein umfassender Förderansatz erforderlich ist.

Dieses WiN-Programm, das die Wohn- und Lebensqualität in benachteiligten Stadtgebieten verbessern soll, wurde 2004 und 2010 jeweils für sechs Jahre verlängert.



Die Weiterentwicklung des WiN-Programms seit 2005


Während seiner bisherigen Laufzeit hat sich die Ausrichtung des WiN-Programms seit 1998 entwickelt. Dasselbe gilt für die Auswahl und Abgrenzung der einbezogenen Quartiere. Damit wurde teilweise auf eine erste Evaluation des Programms im Jahr 2004 reagiert.

So hat man zunächst im Jahr 2005 die räumlichen Grenzen der unterschiedlichen Programme vereinheitlicht, wobei generell eine Ausweitung erfolgte, sodass WiN-Gebiete inzwischen in der Regel einen ganzen Ortsteil umfassen, in den drei Fällen Gröpelingen, Huchting und Neue Vahr sind es sogar jeweils drei Ortsteile. Lediglich in der Neuen Vahr und in Sodenmatt/Kirchhuchting war die Gebietsabgrenzung auch vorher schon an Ortsteilgrenzen orientiert. Die Programmgebiete umfassen damit fast überall größere Bereiche als die Gebiete des Programms Soziale Stadt (Endbericht, S. 10f.)


In diesen Jahren erfolgte jedoch nicht nur eine Vergrößerung der einzelnen WiN-Gebiete. Es fand auch teilweise ein Austausch der Gebiete statt, der unter dem Strich zu einer Erhöhung der Anzahl und damit einer weiteren Vergrößerung des gesamten städtebaulichen Förderbereichs nach dem WiN-Modell führte.

Bereits 2005 wurde der Gröpelinger Ortsteil Oslebshausen neu aufgenommen, ebenso Mittelshuchting im Stadtteil Huchting. Auf der anderen Seite gab es nach der Programmevaluation von 2004 allerdings auch Reduzierungen. So begann für Blockdiek und Marßel bereits 2004 ein sogenanntes Phasing Out, was in der Programmevaluation empfohlen war. Gleichzeitig wurden aufgrund dieses Gutachtens seit 2005 die Mittelzuschüsse für die Programmgebiete Grohn, Hemelingen und Neue Vahr auf 50 % reduziert.

Bis 2006 ließen die Bau- und die Sozialbehörde sogenannte Integrierte Handlungskonzepte für die acht weiterhin zu fördernden Programmgebiete erstellen, so für Grohn, die Gröpelinger Ortteile Gröpelingen, Ohlenhof und Oslebshausen, Hemelingen, Kattenturm, Lüssum-Bockhorn, Tenever, die Huchtinger Ortsteile Sodenmatt, Kirchhuchting und Teile von Mittelshuchting und schließlich die drei Ortsteile der Neuen Vahr.


Auf der Grundlage der Evaluation im Jahre 2004 und später entsprechend den Ergebnissen des Monitorings Soziale Stadt Bremen 2008 und 2010 erfolgte eine kontinuierliche Anpassung der Gebietskulisse. So wurden Oslebshausen mit einem Quartiersmanagement und einem eigenen Budget ausgestattet sowie Blockdiek und Marßel 2007 in eine – vergleichsweise geringere – Verstetigungsförderung überführt. 

2009 erhielt dann Woltmershausen den Status eines „Flankierendes WiN-Gebietes“ mit einem reduzierten Budget. So gab es jetzt ein WiN-Gebiet light oder zweiten Ranges, dem die Bürgerschaft nur eine WiN-Koordinatiorin ohne Vollzeitstelle, eine finanzielle Ausstattung von knapp 40.000 € und eine zunächst bis Ende 2010 begrenzte Laufzeit zugebilligte. Ähnliches gilt auch für das das Alwin-Lonke-Quartier in Gramke.
Die Gebiete Huckelriede und Schweizer Viertel hingegen wurden 2009 in die Förderung aufgenommen und erhielten ein Quartiersmanagement, wurden also vollwertige WiN-Gebiete wie die Klassiker Neue Vahr und Tenever. (WiN 2013, S. 10)

Die Ergebnisse des Monitorings 2010 bestätigen - wie schon 2008 – in der Sicht der beteiligten senatorischen Behörden, dass das Programm „Wohnen in Nachbarschaften“ in den „richtigen“ Gebieten zum Einsatz gebracht wird, denn in den WiN-Gebieten leben etwa 83 % der BewohnerInnen aller Ver­mutungsgebiete, die beim Monitoring ermittelt wurden.

Dabei sieht man sich nicht zuletzt bei den Neuaufnahmen in den Kreis der 
WiN-Quartiere bestätigt und verweist auf die Daten für die im Anschluss an das Monitoring von 2008 neu hinzugekommenen Gebiete „Lindenhof“ und „Schweizer Viertel“ sowie das Gebiet „Martin-Buber-Straße“ im Ortsteil Arsten, das von Kattenturm aus mit betreut wird.

Das Monitoring 2010 bestätigte danach diese Entscheidung; denn das Schweizer Viertel gehört zu den fünf exponiertesten Vermutungsgebieten der Stadt Bremen. Das sind nach dieser Erhebung außerdem Gröpelingen / Ohlenhof, Tenever, Kattenturm und Neue Vahr Nord.

Die Einsatzweise diese neuen Methodik lässt sich am sogenannten „Alwin-Lonke-Quartier“ in Gramke veranschaulichen, in dem aufgrund seiner Auffälligkeit im Monitoring Soziale Stadt Bremen 2010 Mittel aus dem Programm WiN zur Identifizierung möglicher Schlüsselprojekte eingesetzt werden. Hier liegt zwar im Vermutungsgebiet „Grönlandstr. / Alwin-Lonke-Straße“ die Anzahl der Bewohner mit 502 unterhalb des Schwellenwertes einer WiN-Rele­vanz von 550, gleichwohl weist dieses Quartier mit 415 den höchsten Index aller Bremer Vermutungsgebiete auf. Aus der Kombination der beiden Merkmale wird daher „aus quantitativer Sicht vorgeschla­gen“, es als ein Gebiet mit WiN-Relevanz betrachten.

Nach diesen Revisionen im Zuge des 2008 gestarteten Monitorings bilden somit elf Quartiere den Kern des WiN-Programms, die unter der Dachmarke "Soziale Stadt Bremen" unterschiedliche Förderprogramme nutzen und so mit einer Vielzahl von Projekten und Veranstaltungen zum sozialen Zusammenhalt der Stadt beitragen, wie es von der Seite der senatorischen Behörden heißt. Hinzu kommen weitere vier Gebiete, in denen sogenannte flankierende Maßnahmen gefördert werden.



Die Ziele des WiN-Programms



Seit den ersten Schritten vor dreißig Jahren haben sich die Ziele dieses städtebaulichen Programms zumindest in der Schwerpunktsetzung geändert.

Ganz konkreter Anlass und Ausgangspunkt waren die Wohnungsleerstände, die häufig durch Defizite in der infrastrukturellen Versorgung bedingt waren. So fehlten häufig in den Neubaugebieten Kindergärten und Schulen sowie gute ÖPNV-Verbindungen in die Innenstadt. Vieles davon sind fast typische Kinderkrankheiten neuer Siedlungen, was sich in Bremen allerdings in einigen Fällen durch die Randlage einiger neuer Quartiere als gravierendes Problem herausstellte.


Keine fast normale Startschwierigkeiten stellten hingegen die häufig unbeliebten Gebäudeformen dar, die nicht den Wünschen potenzieller Mieter entsprachen. Das galt vor allem für die Hochhäuser, die bei potenziellen Mietern nicht so beliebt waren wie es die Planer erwartet hatten.

Hier erfolgte daher der Abriss einiger Hochhäuser vor allem in Tenever und Lüssum, wo nach diesem von den Planern euphemistisch „Rückbau“ genannten Maßnahmen auf der Freifläche ein sogenanntes „grünes Band“ entstand.

Nach diesen anfänglichen Korrekturmaßnahmen liegt jetzt der Schwerpunkt der Zielsetzungen im sozial-integrativen Bereich.

Ausgangspunkt ist dabei der Begriff benachteiligter Stadtquartiere, wie er in den 1990er Jahren von den Sozialwissenschaftlern Häußermann und Siebel entwickelt und in die städtebauliche Diskussion eingeführt wurde. Die beiden Stadtsoziologen gingen dabei vom Modell einer dreigeteilten Stadt aus. Danach teilen sich Städte infolge der Globalisierung und ihrer Effekte auf den Arbeits- und Wohnungsmarkt in eine Quartiere, in denen Bevölkerungsgruppen leben, die aufgrund ihrer Beschäftigung international wettbewerbsfähige Positionen innehaben, Stadtteilen der Mittelschicht, die vor allem beim Staat und in qualifizierten Dienstleistungsbereichen beschäftigt sind, sowie einer Stadt der Benachteiligten, in der vor allem die Menschen leben, die aus dem Arbeitsmarkt herausgedrängt wurden.

In diesem Kontext soll das WiN-Programm die „Negativentwicklung benachteiligter Stadtquartiere stoppen bzw. umzukehren“, man will also versuchen, Segregationstendenzen abzubauen und damit eine Korrektur von Verdrängungsprozessen auf dem Wohnungsmarkt zu erreichen. So stellt beispielsweise die Evaluation von 2004 ein sehr anspruchsvolles Ziel heraus, an dessen Erreichen das Programm gemessen werden muss. Man will nicht mehr und nicht weniger als die räumliche Spaltung der Gesellschaft auf der Ebene städtischer Quartiere vermeiden. (Evaluation, S. 4)


Das ist Bremen allerdings nicht nur eine Absichtserklärung, die sich auch wissenschaftliche Gutachten und ihre Empfehlungen beschränkt. Vielmehr ist die soziale Kohärenz in Bremen zu einem erklärten Ziel der politischen Führung geworden, wie in kaum einer anderen deutschen Stadt. So findet man dazu sogar recht präzise Vorgabe, wenn im städtebaulichen bremischen “Leitbild” erklärt wird, dass bis 2020 der „Abstand zwischen den zehn ärmsten und zehn reichsten Ortsteilen“ verringert werden soll. Auch wenn dabei nicht näher erläutern wird, welcher „Abstand“ damit konkret gemeint ist, wird damit der Blick auf dieses Aspekt der Stadtstruktur gelenkt, die damit in den Einzelplanungen der verschiedenen Ressorts nicht übergangen werden kann.

Nachdem der Senat im Mai 2009 als Orientierungsrahmen beschlossen hat, der „sozialen Segregation eine Verstärkung des sozialen Zusammenhalts entgegenzusetzen“, wurde diese Absicht in der Regierungserklärung 2011 – 2015 des Senatspräsidenten am 6. Juli 2011 exemplarisch konkretisiert. So stellte er fest, dass die „soziale Spaltung der Städte ist nicht überwunden“ ist und wies darauf hin, dass „in einigen Stadtteilen Kinder immer noch nicht den Bildungs- und Lebensweg einschlagen“ können, „der der richtige für sie wäre“, „weil es das Portemonnaie der Eltern nicht hergibt.“


Gebietsauswahl und Maßnahmenspektrum


Unter dieser deutlichen politischen Vorgabe müssen daher die einzelnen Programmelemente betrachtet werden, wenn man eine Beurteilung des WiN-Programms versuchen will. Das gilt bereits für die Auswahl und Abgrenzung der Fördergebiete im Hinblick auf einen möglichen Maßnahmenkatalog, auch wenn dabei beachtet werden muss, dass das Projekt historisch gewachsen ist. 

Nachdem es zunächst um die Beseitigung akuter Wohnungsleerstände ging, erfolgte 2002 ein transparenteres Auswahlverfahren für die gesamte Stadt, in dem eine Reihe von Einzelmerkmalen berücksichtigt werden sollte. Hierzu zählte ein ganzes Bündel von Beurteilungsaspekten, für die spezielle Einzelindikatoren ermittelt wurden.

Ein ganz wichtiger Gesichtpunkt war dabei die Abhängigkeit der Bewohner von Transfereinkommen, also die Indikatoren Sozialhilfedichte und die Arbeitslosenquote.


Hinzu kam eine Reihe ganz konkreter Probleme. Dazu zählten ein Wohnungsangebot, das nicht der Nachfrage entsprach, eine starke Bewohnerfluktuation sowie besondere Belastungen durch gewaltsame Konflikte, Kriminalität und Vandalismus. Auch wurden spezifische Problemlagen einzelner Bevölkerungsgruppen angesprochen, so von alleinerziehenden Frauen, Kinder und Jugendliche, ethnische Minderheiten sowie Migrantinnen und Migranten. 

Bereits in Richtung möglicher Maßnahme geht die vorgesehene Beurteilung der Qualität des sozialen, kulturellen, bildungs- und freizeitbezogenen Infrastrukturangebots sowie der Nutzungsqualität des öffentlichen und privaten Freiraums, der Grün- und Spielflächen. (S. 10)

Im Endbericht von 2006 wurden diese Indikatoren dann auf nur noch drei reduziert, und zwar den Anteil der Sozialhilfeempfänger, der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und der Kinder unter 18 Jahre.

Hierzu heißt es in der Erläuterung, dass aus der Einkommensarmut und dem hohen Anteil von Personen mit Migrationshintergrund eine besondere Aufgabe der gesellschaftlichen Integration bei den Erwerbschancen, den Bildungsangeboten und dem interkulturellem Austausch resultiert.

Dabei stellt man heraus, dass die Einkommensarmut, die durch den Sozialhilfebezug (bzw. ALG II Bezug) erfasst wird, und eine Migration „nicht selbstverständlich als synonym zu betrachten sind“. Daher wird eine ergänzende Erfassung notwendig.

Der überdurchschnittlich hohe Anteil von Kindern und Jugendlichen, der als dritter Teilbereich betrachtet wird, soll die in den Schwerpunktgebieten sich ganz besonders stellende Bildungsaufgabe hinweisen, durch die erst die Teilhabe am Beschäftigungssystem und eine soziale und kulturelle Integration möglich werden . (Endbericht 2006, S. 15)

Mit dem Monitoring ab 2008 wurden dieser Altersaspekt unter den „drei Leitindikatoren“ mithilfe von Daten der Bildungsbehörde präzisiert, die Sprachstandsbeurteilungen von Schülerinnen und Schülern aller Schularten und –stufen erhebt. Dabei wird erfasst, ob SchülerInnen am Unterricht aufgrund fehlender sprachlicher Kompetenzen nicht teilhaben oder gestützt durch Sprachförderung teilhaben können.

Aus den Indexwerten für „Vermutungsgebieten sozialer Problemlagen“, die additiv aus den drei Indikatoren auf der Ebene von Baublöcken berechnet werden, leiten die Autren des Monitoring-Berichts eine  sogenannte WiN-Relevanz erst ab einer Bewohnerzahl von 550 angenommen.

Als zweiten Schwellenwert setzten sie einen Indexgrenzwert von „260“ fest. Aus der Kombinationen beider Merkmale ermittelten sie in einem weiteren Arbeitsschritt verschiedene sogenannte Prioritätsstufen. So erhalten beispielsweise große Gebiete, also Baublöcke mit mehr als 550 Bewohnern, und mit einem niedrigen Index eine 2. Priorität im Rahmen der Win-Relevanz zugesprochen.

Allerdings können, wie es heißt, ausgewählte Gebiete mit WiN-Relevanz - insbesondere wenn sich Hinweise lokaler Experten ergeben - einer weiteren Bedarfsprüfung durch Ressorts unterzogen werden und ggf. Interventionen erfahren. (Monitoring 2010, S. 15)

In diesen drei Indikatoren, also Armut, schlechter Bildung und Migrationshintergrund sieht die Baubehörde ein „Lackmus-Papier für ein Viertel: Wenn alles zusammenkommt, ist anzunehmen, dass es sich um ein Gebiet mit sozialen Randlagen, mithin mit WiN-Relevanz, handelt".


Prioritätenstufen von exemplarischen Vermutungsgebieten

Vermutungsgebiet
Bevölkerung
Index
Rang
Typ
Tenever
5064
309,3
15
8
Kattenturm-Mitte
4087
279,3
25
8
Gröpelingen-Ohlenhof
8680
279,2
26
8
Schweizer Viertel
4091
273,3
30
8
Wilhelm-Liebknecht-Str. (Neue Vahr Nord)
3233
271,0
33
8
Grohner Düne
1562
415,0
2
7
Lüssumer Ring
2440
288,9
20
7
Hinter den Ellern (Hemelingen)
834
358,8
5
6
Grönlandstr. (Burglesum)
502
415,1
1
5
Fresenbergstr./ Bahrsweg (Blumenthal)
345
246,6
49
1
Monitoring 2010, S. 11



                                                Baublock "Tenever"


Aus der Kombination von vier Klassen nach der Anzahl der Bevölkerung und von zwei Klassen nach dem Ausmaß der vermuteten sozialen Problematik, ergeben sich acht unterschiedliche Typen von Vermutungsgebieten mit unterschiedlichen Fallzahlen. So wird - wie schon 2008 der Gebietstyp 4 (hohe Anzahl der Bewohner, geringere vermutete soziale Problematik) lediglich durch ein Gebiet (Marßel) repräsentiert. Der Gebietstyp 8 (hohe Anzahl der Bewohner, hohe vermutete soziale Problematik) umfasst insgesamt - ebenfalls wie 2008 - fünf Gebiete (Gröpelingen/ Ohlenhof, Tenever, Kattenturm-Mitte, Schweizer Viertel und Wilhelm-Liebknecht-Str./ Neue Vahr Nord). (S. 10) 

Nach dieser Methode besitzen fünf Gebiete die höchste Prioritätenstufe 8, obwohl sie nicht die höchsten Indexwerte erreichen. Hier liegen die Grohner Düne auf Rang 2 und die Grönlandstraße an der Spitze, die jedoch wegen ihrer geringeren Einwohnerzahl eine bzw. zwei Prioritätsstufen einbüßen.

Im Anschluss an die Vorauswahl erfolgt noch eine weitere Analyse, in der auch die Werte der Einzelindikatoren, so der Anteil an Ausländern und Hartz-IV-Empfänger betrachtet werden, die jeweils „mindestens das Doppelte des bremischen Durchschnitts“ betragen müssen, wenn ein Quartier zum WiN-Fördergebiet werden soll.


Der Wunsch vieler Quartiere, am WiN-Programm teilnehmen zu können, wird – wie könnte es anders sein – vor allem durch zusätzliche Fördermittel der öffentlichen Hand ausgelöst. Dabei handelt es sich nicht um Gelder, die für zusätzliche Stellen an Kindergärten, Schulen oder im Bereich der Jugend- oder Altenhilfe eingesetzt werden oder dem jeweiligen Ortsbeirat als zusätzliche Globalmittel für die Förderung von Vereinen oder Selbsthilfegruppen zur Verfügung stehen.

Vielmehr sind sie Teil eines Maßnahmenkorbes, der vor allem aus einem Quartiersmanagement, einem lokalen Forum und eben diesen Mitteln besteht, über deren Verwendung das Forum entscheiden kann.



Das Quartiersmanagement


In den elf aktiven Fördergebieten ist das Quartiersmanagements in Volumen einer Stelle besetzt. Der bzw. die StelleninhaberIn nimmt dabei eine Reihe von Funktionen gleichzeitig wahr. So sieht die Verwaltung hierin eine „Anlaufstelle, eine Informationsdrehscheibe, Initiatoren von Beteiligungsprozessen und Projektentwicklungen, Moderatoren der lokalen Foren und eine Schnittstelle zur Verwaltung.

Aufgrund dieses erwarteten Mix besteht ein relativ großer Spielraum für eine eigenständige Ausgestaltung, wie die Beispiele einiger Quartiersmanager und Quartiersmanagerinnen zeigen. Das wird deutlich, wenn man etwa die Interpretation in Tenever und Lüssum vergleicht, wo im ersten Fall eine Arbeit nach Prinzipien der 1968er Studentenbewegung versucht wurde, im anderen hingegen eine Einbindung in das im Diakonischen Werk der evangelischen Kirche verortete Haus der Zukunft.



Die WiN-Projekte


Das eigentliche WiN-Programm verfügt gegenwärtig über einen jährlichen Etat von 1,75 Mio. €. Hinzu kommen weitere investive Mittel aus dem Programm Soziale Stadt und seit 2004 auch von Mitteln des Programms Lokales Kapital für Soziale Zwecke in Höhe von rd. 580.000 € jährlich. Auf jedes der elf WiN-Quartiere entfallen damit ca. 150.000 bis 200.000 €, wobei allerdings die unterschiedliche Größe und die verschiedenen Fördersätze der Gebiete zu berücksichtigen sind.

Mit diesen Mitteln wurden seit dem Programmstart bis Anfang 2013 über 3.500 Einzelprojekte gefördert, wobei die gebietsbezogenen Einzelprojekte mit einer
Ergänzungsfinanzierung von bis zu 50 % der Gesamtkosten gefördert werden können, wenn die Grundfinanzierung sichergestellt ist, die vom jeweiligen Projektträger mit Eigenmitteln oder weiteren eingeworbenen Fördermitteln erbracht werden muss. 

Die Laufzeit der Projekte beträgt maximal 12 Monate. Allerdings sind anschließende Folgeanträge möglich. (WiN 2013, S. 10)


Neben dem Quartiersmanagement ist die Vergabe dieser Mittel ein ganz besonderes Kennzeichen des Bremer WiN-Projektes, das man in dieser Form in keinem anderen Bundesland findet.

Trotz dieses ganz besonderen Charakters des Programms kennen die Bewohner der betroffenen Quartiere nach einer allerdings bereits 2004 durchgeführten repräsentativen Telefonbefragung weniger das WiN-Konzept als einzelne Projekte, die in den jeweiligen Gebieten hohe Bekanntheitsgrade von teilweise 90 % erreichen. Das Programm insgesamt und das Forum war hingegen nur 39 % bzw. 32 % bzw. der Befragten bekannt.


Bekanntheitsgrad in % von WiN-Projekten 2004

WiN-Projekt
Unter den deuten Befragten
Unter den türkischen Befragten
Café Blocksberg Blockdiek
63
14
Streichelzoo Gröpelingen
89
50
Kulturhaus Katt Kattenturm
85
50
Haus der Zukunft Lüssum
78
61
Bewohnertreff Waschhaus Neue Vahr
79
27
Interkulturelle Werkstatt Tenever
56
64
Sport- und Reitangebot Sodenmatt
69
29
Bauernmarkt Kirchhuchting
94
36
Quelle: Evaluation, S. 48


Lokale Foren, Stadtteilgruppen und Bewohnerbeteiligung


Neben dem Quartiersmanagement ist das öffentliche WiN-Forum die zentrale Institution des WiN-Konzepts, in dem Fragen der Quartiersentwicklung, aktuelle Probleme und nicht zuletzt die Projektanträge beraten werden. Im letzten Fall geht es jedoch nicht nur um eine Diskussion, sondern sogar um Entscheidungen, sodass die Bewohner zumindest theoretisch über die Vergabe öffentlicher Mittel bestimmen können, ohne dass die Ortsbeiräte oder Bürgerschaftsabgeordneten dabei das entscheidende Wort besitzen. 


Am WiN-Forum, das üblicherweise etwa 6 bis 8 Mal im Jahr tagt, können allerdings nicht nur die BewohnerInnen des jeweiligen WiN-Quartiers teilnehmen, sondern auch VertreterInnen aus Bildungseinrichtungen, von sozialen und kulturellen Institutionen, von Initiativen, Projekten und Vereinen, von Eigentümern und Wohnungsverwaltungen sowie aus der öffentlichen Verwaltung und der lokalen Politik.

Für die Entscheidung über die Projekte gilt das Konsensprinzip, es ist also Einstimmigkeit erforderlich, sodass die gewählten Ortsbeiräte nicht überstimmt und damit trotz der plebiszitären Organisationsform die Regelungen der repräsentativen Demokratie nicht aus den Angeln gehoben werden.

Eine BewohnerInnenbeteiligung findet darüber hinaus in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen statt. So wurde beispielsweise in Huckelriede ein umfangreiches Bürgergutachten durch eine sogenannte Planungszelle erstellt, in der Neuen Vahr gab es eine Zukunftskonferenz und in vielen Quartieren formieren sich rund um konkrete Einzelprojekte, wie die Neugestaltung von Spielflächen oder von Wohneingangsbereichen, immer wieder temporäre Arbeitsgruppen, in denen BewohnerInnen ihre Anliegen unmittelbar einbringen und auch ganz praktisch Hand anlegen.


WiN-Maßnahmen und problembelastete Baublöcke: eine räumliche Diskrepanz 



Wie bereits ein kurzer Überblick über diese für WiN-Gebiete typischen Maßnahmen gezeigt hat, lassen sie sich nur in Gebieten optimal einsetzen, die eine gewisse Größe besitzen. Schließlich wirken diese Projekte nicht punktuell wie etwa die Renovierung eines Baublocks, sondern vielmehr handelt es sich in aller Regel um Veranstaltungen oder Infrastruktureinrichtungen wie Spielplätze oder Cafés, die von einem größeren Kreis von Bewohnern besucht oder genutzt werden. 

Diese notwendige Abstimmung zwischen der Größe und dem WiN-typischen Maßnahmenkatalog wurde jedoch nicht stringent bei der Auswahl und Abgrenzung der WiN-Quartiere beachtet. Von den Maßnahmen her dürfte die Untergrenze etwa bei der Größenordnung von einem durchschnittlichen Bremer Ortsteil liegen, also ca. 5.000 bis 6.000 Einwohnern, damit eine volle Stelle für einen Quartiersmanager gerechtfertigt ist und bei den üblichen Beteiligungsquoten ein Quartiersforum arbeiten kann.

Bei dieser praktisch sinnvollen Vorgabe dürfte die Auswahl nicht auf Blockebene, sondern müsste auf einer Ortsteilebene erfolgen. Die 550 Einwohner, die aktuell nach dem Stadtmonitoring gefordert werden, sind daher ein extrem willkürlicher Wert, bei dessen Festlegung man sich nicht einmal die Mühe gemacht hat, ihn plausibel erscheinen zu lassen. Dabei ist nicht einmal die Abgrenzung der Baublöcke unmittelbar einsichtig, wie die Ausweisungen etwa in der Statistik belegen, wo die großen Gebiete des Monitorings gar nicht auftauchen. Überzeugender wären daher bei einem Förderprogramm, das sich an den Zielen und wichtigen Maßnahmen des WiN-Konzepts orientiert, Ortsteile als Auswahl- und Programmregionen, während sich Baublöcke für Entscheidungen über bauliche Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen bis zum Abriss eignen.



Die aktuellen Fördergebiete


Die Ausweisung eines WiN-Gebietes resultiert jedoch nicht unmittelbar aus dem Erreichen von statistischen Schwellenwerten, sondern ist das Ergebnis von Beschlüssen der Bürgerschaft. Danach bilden Mitte 2013, wie die folgende Übersicht zeigt, elf Quartiere bzw. Ortsteile Bremens den Kern des WiN-Programms, wobei sich die drei Quartiere Gröpelingen, Neue Vahr und Huchting auf jeweils drei Ortsteile erstrecken. Damit sind daher insgesamt 17 Bremer Ortsteile ganz oder teilweise WiN-Quartiere.

Hinzu kommen noch flankierende Maßnahmen in den ehemaligen WiN-Gebieten Blockdiek und Marßel sowie den möglichen Neulingen in diesem Kreis der Fördergebiete: das Alwin-Lonke-Quartier in Gramke und Woltmarshausen.

Gerade bei der Aufnahme dieser Neulinge wird weniger mit konkreten Daten argumentiert. So sprechen die Nordbremer Politiker etwa beim Grambker Alwin-Lonke-Quartier von einem „Brennpunkt mit sozialen und baulichen Problemen“, der „erst einmal in diese Förderung hinein“ solle. So wurden dort für 2012 erste Projekte beantragt.

Ähnlich ist die Situation in Woltmershausen, wo der Ortsteil, in die präventive Förderschiene des Programms WiN aufgenommen wurde, „um die Entwicklung .. positiv zu beeinflussen.“



Ausgewiesene WiN-Gebiete 2011-2016


Fördergebiet
Ortsteile
Förderquote in %
Webseiten
Gröpelingen
Gröpelingen, Ohlenhof und Lindenhof
100
Neue Vahr
Neue Vahr Nord, Südost, Südwest
100
Tenever
Tenever
100
Kattenturm
Kattenturm
100
Huchting
Sodematt, Kirchhuchting, Mittelshuchting
100
Lüssum-Bockhorn
Lüssum-Bockhorn
100
Hemelingen
Hemelingen
Auf 100 aufgestockt

Schweizer Viertel
Ellenenerbrok
Auf 100 aufgestockt
Huckelriede
Huckelriede
50
Oslebshausen
Oslebshausen
50
Grohn
Grohn
50
Blockdiek
Blockdiek
flankierend

Marßel
Burgdamm
flankierend
Alwin-Lonke-Quartier
Grambke
flankierend
Woltmarshausen
Woltmarshausen
flankierend

Auch wenn in den offiziellen Broschüren zu den WiN-Gebieten wenig über das relative Gewicht ausgesagt wird, lässt sich mithilfe dieser Daten zumindest grob der Anteil der Bremer Wohnbevölkerung ermitteln, der in WiN-Gebieten bzw. in den Gebieten mit flankierenden Maßnahmen lebt.

Größe der aktuellen WiN-Gebiete

Fördergebiet
Einwohner
Förderbeginn
 Beteiligte Ortsteile
Gröpelingen
 27.000
1998
erst 5 Straßen (Stuhmer Str.), jetzt Gröpelingen, Lindenhof, Ohlenhof
Huchting
 26.000
1998
Sodematt, Kirch- (seit 1989) und Mittelhuchting
Neue Vahr
19.000
1998
3 Ortsteile
Kattenturm
13.000
1989
Ortsteil
Lüssum-Bockhorn
12.000
1989
Ortsteil
Hemelingen
10.000
1998
Ortsteil
Tenever
10.000
1989
Ortsteil
Schweizer Viertel
8.000
2009
Ellenerbrok-Schevemoor
(teilweise)
Grohn
6.000
1998
Ortsteil
Huckelriede
6.000
2008
Ortsteil
Oslebshausen
1.000
2005
Wohlers Eichen

Damit leben 140.000 Bremer in elf aktiven WiN-Gebieten bzw. 17 Ortsteilen mit WiN-Quartieren. Hinzu kommen noch die Bewohner der vier Gebiete mit flankierenden Maßnahmen. Mehr als jeder vierte Bremer wohnt damit in einem WiN-Gebiet.


Gebiete mit flankierenden Maßnahmen

WiN-Gebiet
Einwohner
Förderbeginn
 Beteiligte Ortsteile
Blockdiek
7.000
1998
Ortsteil
Marßel
5.000
1998
Teil von Burgdamm (10.700)
Alwin-Lonke-Quartier
3.000
2010
Teil von Burg-Gramke (6.700)
Woltmarshausen
11.000
2009
Ortsteil


Die aktuellen Programmgebiete weisen unterschiedliche Baualtersstufen auf und betreffen Stadtteile der Gründerzeit mit ihren besonders benachteiligten Lagen wie Gröpelingen und Hemelingen ebenso wie Siedlungen der 1950er und 1960er Jahre (Kattenturm, Huchting, Neue Vahr, Lüssum) und Großsiedlungstypen der 1970er Jahren mit hoher Geschossigkeit und Bebauungsdichte (Tenever, Wohlers Eichen und Grohner Düne). (Endbericht, S. 8)

Diese unterschiedlichen städtebaulichen Gebietstypen sollen an einigen typischen Beispielen kurz vorgestellt werden.



                                        Neue Vahr (Quelle: wikipedia)



Das Beispiel Neue Vahr


Als größtes Bauvorhaben in Europa wurde die Neue Vahr mit über 9.000 Mietwohnungen und knapp 800 Eigenheimen 1961 fertig gestellt und hatte Ende 2010 etwa 19.500 Einwohner.

Die städtebauliche Gestaltung der Neuen Vahr folgte den damals anerkannten Konzepten der funktionalistischen Bauhaus-Architektur und der Gartenstadt-Idee, die als modernes Gegenmodell zu den Mietskasernen mit Hinterhöfen der industriellen Gründerjahre entwickelt worden waren.


In Bremen konnte man dabei an die ab 1954 gebaute, weniger verdichtete Gartenstadt Vahr anknüpfen. Die Neue Vahr, die verwaltungstechnisch auf die Ortsteile Neue Vahr Nord, Südwest und Südost aufgeteilt ist, besteht städtebaulich aus fünf Nachbarschaften, die jeweils ein kleines Zentrum mit einem Punkthochhaus als städtebaulicher Dominante aufweisen. 

Entsprechend diesen städtebaulichen Konzeptionen liegen zwischen den Wohngebäuden ausgedehnte halböffentliche Grünflächen, die zumeist als Rasenflächen mit Sitzgelegenheiten und kleineren Spielplätzen gestaltet sind. Hinzu kommen große, parkartig angelegte öffentliche Freiflächen. Dieses gut vernetzte Grün wird durch mehrere Gewässer ergänzt, zu denen unter anderem der Vahrer See zählt.


                                 Grünflächen zwischen den Blöcken

Zu diesem Freizeitwert des Stadtteils tragen auch mehrere großen Freiflächen in der Umgebung bei, so der Rhododendrenpark im Norden.Das Gros der durchschnittlich 4.000 Einwohner jeder Nachbarschaft, die durch Grünzüge abgetrennt sind, lebt in 4- bis 5-geschossigen Zeilen, von denen einige allerdings auch bis zu acht Stockwerke hoch sind. An den Randbreichen findet man zweigeschossige Reiheneigenheime, sodass sich bereits von der Gebäudestruktur her eine deutlich untergliederte Großsiedlung ergibt. (2006, S. 10)



                                   Einkaufszentrum "Berliner Freiheit"

Insgesamt ist die Neue Vahr damit ein reines Wohngebiet, dessen Mittelpunkt das 1959–1961 errichte Aalto-Hochhaus und das Einkaufszentrum Berliner Freiheit bilden. Dadurch ist eine Wettbewerbssituation zwischen der lokalen Nahversorgung in den Nachbarschaften und diesem in den Jahren 2002-3 völlig neu errichteten Stadtbezirkszentrum entstanden, die teilweise zulasten der Nebenzentren geht.


                                                 Aalto-Hochaus


Fast der gesamte Wohnungsbestand in der Neuen Vahr befindet sich nach dem Untergang der Neuen Heimat im Besitz der Bremer GEWOBA. Ausnahmen bilden die Reihenhäuser an den Rändern der Nachbarschaften, die sich in Privatbesitz befinden. Privateigentum sind inzwischen auch ca. 1000 Wohnungen, die die GEWOBA in den vergangenen Jahren zum Großteil an die MieterInnen verkauft hat.

In Laufe ihres Bestehens hat sich die Sozialstruktur der Neuen Vahr deutlich geändert. Zunächst waren hier die Wohnungen sehr begehrt, so nicht zuletzt in dem Aalto-Hochhaus. Das hat sich dann jedoch geändert, da auch in anderen Stadtteilen Wohnungen angeboten wurden, die mit den modernen Ausstattungen in der Neuen Vahr durchaus konkurrieren konnten. Dadurch kam es zu einem teilweisen Austausch der Mieter, wodurch sich die durchschnittliche Wohndauer verringert hat. Dabei hat vor allem der Anteil der LangzeitbewohnerInnen in allen Nachbarschaften deutlich abgenommen, und die Neue Vahr ist zu einem Einwanderungsgebiet vor allem für Aussiedler aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion geworden.


Nachdem die Neue Vahr bereits 1998 in das WiN-Projekt aufgenommen wurde, erhält sie nach der Programmevaluation von 2004 seit 2005 eine Förderquote von 50 %. (Endbericht, S. 75)


                                                Tenever (Quelle: wikipedia)



Das Beispiel Tenever


Ist die Neue Vahr vor allem wegen ihrer Größe und der praktischen Realisierung einschlägiger städtebaulicher Konzepte ein gutes Beispiel für die Geschichte und praktische Prüfung einer „großen“ Idee, wurde durch zwei ganz andere Aspekte der Blick der interessierten Öffentlichkeit auf Tenever gelenkt. Hier haben vor allem zwei handelnde Personen für eine breite Diskussion gesorgt.

So hat mit Wendelin Seebacher ein beteiligter Stadtplaner mit seinem Buch „"…das tun wir nicht wieder" eine schonungslos kritische Abrechnung mit diesem einstigen Demonstrativbauvorhaben vorgelegt. Danach ist dieses „Klein Manhattan“, wie Tenever bereits während der Bauzeit genannt wurde, ein Musterbeispiel für die "Unwirtlichkeit" profitorientierten Städtebaus.

So hat man auf Wiesen und Feldern am Bremer Stadtrand ohne Rechtsgrundlage einen Monster-Stadtteil aus Beton gebaut, an dessen Entstehen alle beteiligt waren und mitgemacht haben: das Ortsamt, der Beirat, die Parteien und der Senat. Dabei wurden die Planungskosten wider besseren Wissens halbiert, um eine Baugenehmigung für das Vorhaben zu bekommen, und die eigentlich geplante Wohnungszahl kurzerhand unter dem Schlagwort: "Urbane Verdichtung" fast verdoppelt.


Damit führten ein Realitätsverlust und Größenwahn vieler Beteiligter zur Entstehung eines sozialen Ghettos und städtebaulichen Torsos direkt an der Autobahn, das ohne ausreichende Kindergärten und Schulen, vor allem aber ohne ein Stadtteilzentrum entstand.

Erst der im August 2000 vom Bremer Senat beschlossene kostspielige Rückbau und Abriss ganzer Wohnblöcke in einem der größten Sanierungsprojekte Deutschlands und der Anschluss an das öffentliche Verkehrsnetz führte 40 Jahre später zu einer Verbesserung der Situation. So wurden 2003 und 2004 über 60 % der Wohnungen von der Gewoba aus Zwangsversteigerungen erworben. Im Mai 2004 startete dann der Abriss von ca. 950 Wohnungen und begann gleichzeitig die Sanierung der übrigen Wohnungen. Dabei blieben nur circa 65 Prozent der Wohnungen erhalten und wurden aufwändig saniert.

Die seither durchgeführten Stadtumbau-, Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen kosteten etwa 72 Millionen Euro und wurden von der Stadt Bremen und durch das Bund-Länder-Programm "Stadtumbau West" finanziert. (Tenever 2011) Im Ergebnis waren 2012 dann nahezu alle Wohnungen vermietet.



                                                    Wegweise in Tenever
Einen anderen Akzent hat der langjährige Quartiersmanager Joachim Barloschky gesetzt, dessen Homepage mit der Aufforderung beginnt: “Die Pflicht eines jeden Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen!”. Er hat sich vor allem mit dem Aufbau einer sozialen „Schattenwirtschaft“ beschäftigt und durch seine Vorträge das Bremer WiN-Konzept in interessierten Kreisen weltweit bekannt gemacht.

Nicht zuletzt durch ihn wurde dadurch Tenever zu dem typischen Beispiel eines WiN-Quartiers, mit dem sich auch die überregionale Presse und eine interessierte Öffentlichkeit beschäftigt hat.



                                       Gröpelinger Heerstraße (Quelle: wikipedia)


Die Gröpelinger Ortsteile


Eine deutlich abweichende Historie gegenüber diesen Großsiedlungen weisen die Ortsteile des WiN-Gebietes Gröpelingen auf, bei denen es sich vorwiegend um ehemalige Arbeiterquartiere rund um die AG Weser handelt. Diese Arbeitervorstadt war während der Weimarer Republik eine Hochburg der SPD und KPD, die deshalb Spitznamen wie „Klein-Moskau“ oder „Rotes Gröpelingen“ trug. Die Aktien-Gesellschaft „Weser“, die allgemein nur AG Weser oder Use Akschen hieß, war dort der bei weitem wichtigste Betrieb.

Als sich ab 1975 der Schiffbau nach Japan oder Südkorea verlagerte, wurde diese Werft und damit der dominierende Gröpelinger Arbeitgeber Ende 1983 geschlossen. Trotz vielfacher Bemühungen durch den Bremer Senat konnten diese Arbeitplatzverluste nicht kompensiert werden, sodass es zu hohen Arbeitslosenquoten und einer Abwanderung kam.

Das WiN-Gebiet Gröpelingen besteht aus den Ortsteilen Gröpelingen, Ohlenhof und Lindenhof und umfasst damit eine Fläche von knapp 4 qkm. Aufgrund der Geschichte unterscheiden sich diese gewachsenen Arbeitsquartiere deutlich von Großsiedlungen wie Neue Vahr und Tenever. So herrscht hier eine kleinteilige Baustruktur vor, während ein großmaßstäblicher Wohnungsbau mit acht und mehr Geschossen kaum vorhanden ist.

Nachdem bereits in der Werftindustrie viele ausländische Arbeitskräfte beschäftigt waren, ist Gröpelingen ein Zuwanderungsstadtteil geblieben; denn hier haben über 40 % der Einwohner einen Migrationshintergrund, wobei mehr als die Hälfte aus der Türkei stammt.

Aufgrund der vielfältigen Problemlagen wurde zunächst das Schwerpunktgebiet Stuhmer Straße im Jahr 2000 in die Förderprogramme der sozialen Stadtentwicklung aufgenommen. Aufgrund der Ergebnisse des 2008 erstmals durchgeführten Stadtmonitorings weitete man das Fördergebiet 2009 gleich auf drei Ortsteile aus, die 2010 nach dem vom Sozialressort 2010 herausgegebenen Sozialindikatorenranking zu den vier am stärksten benachteiligten Quartieren Bremens zählen.

Da diese Ortsteile eine Tradition besitzen, besteht hier auch eine gewachsene soziale Infrastruktur. Das gilt sowohl für die entsprechenden Vereine und Organisationen als auch wichtige soziokulturelle Einrichtungen, die in anderen WiN-Gebieten erst geschaffen werden mussten. Hierzu zählen die Stadtbibliothek West, der Gesundheitstreffpunkt West, die Zweigstelle West der Volkshochschule sowie ein Nachbarschafts- und eine Gemeinschaftshaus. Als spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche kommen das Freizeitheim Gröpelingen, die Ohlenhoffarm und der Streichelzoo im „Wilden Westen" hinzu, die allerdings teilweise durch WiN-Mittel unterstützt werden.

Die drei Ortsteile des WiN-Gebietes Gröpelingen haben sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich verändert. So wurde der Ortsteil Gröpelingen mit seiner Mischung von Gewerbe und Wohnungen durch die Werftenkrise besonders hart getroffen.

Das Lindenhof-Quartier konnte sich hingegen zu einem stark multikulturell geprägten Ortsteil entwickeln, der sogar von Studenten und Künstlern als Wohnort gewählt wird. Kennzeichnend für diesen multikulturellen Charakter ist die 1999 eingeweihte Fatih-Moschee, die zu den drei größten Moscheen in Deutschland zählt.


Anders als der Ortsteil Gröpelingen ist Ohlenhof vor allem ein Wohnquartier, in dem sich neben mehreren Schulen auch die Erlebnisfarm Ohlenhof befindet. Diese Erlebnisfarm, deren Träger der Verein AfJ e.V. Kinder und Jugendhilfe Bremen ist, bietet Kindern, Jugendlichen und interessierten Erwachsenen die Begegnung mit Tieren und einer naturnahen Umgebung. Sie soll auch zur Verbesserung des Förder- und Freizeitangebotes im Bremer Westen dienen und wurde 2012 durch eine Heilpädagogischen Tagesgruppe ergänzt.


                                      Fatih-Moschee (Quelle: wikipedia)




Das WiN-Konzept in Aktion 



Wie das WiN-Konzept in der Praxis funktioniert, lässt sich vor allem an den Veröffentlichungen über Tenever nachvollziehen, wo sich der ehemaliger Quartiersmanager und seine wichtigsten Mitarbeiter in vielen Beiträgen mit der dortigen Realität ausführlich beschäftigt haben, auch wenn sie dabei möglicherweise nur eine Teilperspektive darstellen.

Aber auch die meisten anderen WiN-Gebiete haben ihre Aktivitäten auf eigenen Webseiten dargestellt, sodass man zumindest einen ersten Einblick erhalten kann.

Schließlich gibt es auch einige wissenschaftliche Arbeiten, so vor allem eine Evaluation von 2004 und - wiederum über Tenever – eine politologische Facharbeit.


Die Herrschaft einer Minorität



Besonders euphorisch wird die WiN-Demokratie am Beispiel Tenevers geschildert. „Ich bin froh und stolz, dass Bremen keine „große Decke“ ausspannt über die benachteiligten Quartiere – sondern sich u.a. mit dem wunderbaren WiN-Programm (und den ergänzenden Programmen Soziale Stadt und LOS) der Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen in diesen Quartieren stellt“, bekennt so etwa der ehemalige Quartiersmanager Barlokowsky. (Tenever 2011, S. 3)

Als Begründung für dieses Loblied auf die Quartiersdemokratie wird auf das Modell der Stadtteilgruppen verwiesen, das in Tenever auch „wirklich ganz besonders gut klappen“ soll. Danach besuchen hier 60 – 120 Leute die monatlichen Sitzungen, wo sie, was „ja mittlerweile europaweit bekannt“ ist, über das Quartiersbudget entscheiden. Dabei äußern die BewohnerInnen und alle Akteure ihre Interessens-Prioritäten, beraten und entscheiden gemeinsam schließlich im Konsens (oder auch mal nicht) über 500 € oder 10.000 € oder auch mal 150.000 € für größere oder kleine Projekte zur Verbesserung der Wohn- und Lebenssituation. (Tenever 2011, S. 6)


Nach den Erfahrungen des Quartiersmanagers liegt also eine gute Beteiligung in einer Stadteilgruppensitzung in einem Wohngebiet mit z.B. ca. 5000 Einwohnern bei 50 "echten" Bewohnerinnen und Bewohnern. So scheint es in Tenever zu sein, wo zumindest in der Vergangenheit ein sehr engagierter Quartiersmanager gearbeitet hat.

In anderen WiN-Gebieten sind die Informationen zurückhaltender. In der Neuen Vahr bsteht laut Aussagen des Quartiersmanagers keine ausgeprägte Tradition der Beteiligung, weswegen Beteiligungsprozesse teilweise mühsam verlaufen. Hauptsächlich erfolgt hier eine Beteiligung über einzelne Projekte. (Neue Vahr, S. 13)

Diese neue Struktur in der Stadterneuerung mit Stadtteilgruppen bzw. Quartiersforen, die nach dem "Konsensprinzip" entscheiden, und einer Projektgruppe für Projektmanagementaufgaben wurde 1984 zunächst in einem Pilotprojekt ausgetestet und dann zentraler Bestandteil des WiN-Konzepts. Trotzdem war die quantitative Beteiligung der Bewohner häufig Gegenstand externer Kritik, die nach der Legitimation dieses Verfahrens gefragt und dabei Vergleiche mit der Wählerbeteiligung bei politischen Wahlen angestellt hat. Dazu räumt Barloschfky ein, dass die "Beteiligungszahlen", bezogen auf die gesamte Bewohnerzahl eines Quartiers im Promille-Bereich liegen.


Man kann daher nicht einmal von einer verbreiteten Beteiligungsmüdigkeit der Bewohner analog der Wahlbeteiligung sprechen, sondern muss eher reale oligarchische Strukturen konstatieren, die praktisch bestenfalls von nur einem Prozent der Bewohner getragen werden. Daher kann man nicht unbedingt Entscheidungen erwarten, die repräsentativ für alle Bewohner sind. Vielmehr dürfte es sich um Wünsche handeln, die für eine kleine spezielle WiN-aktive Minderheit typisch sind. Ihre Motive und Interessen dürften vor allem in den soziokulturellen Projekten, die sie vorschlagen, entwickeln, beschließen und durchführen, sichtbar werden.


Das 1 mal 1 der WiN-Projekte


Die laufenden WiN-Mittel werden neben der Finanzierung des Quartiersmanagement vor allem für die Einzelprojekte ausgegeben, die im WiN-Forum diskutiert und per Konsensentscheidung beschlossen werden müssen.


Dabei handelt es sich insgesamt in jedem Gebiet um eine Größenordnung von etwa 150.000 €. Das ist im Vergleich zu anderen Ausgabenpositionen des Staates wie etwa einigen kaum ausreichend kontrollierten Rüstungsprojekten nicht unbedingt viel, weswegen der ehemalige Quartiersmanager von Tenever bei diesen „bescheidenen kleinen Programmen“ vor einer „Evaluations- und vor allem Steuerungs-Bürokratie“ warnte, weil dadurch den Quartiersmanagern und Projektträgern die Zeit für „Basisarbeit, Beziehungsarbeit und Bewegungsarbeit“ verloren geht.


Den Kritikern empfiehlt er daher eine Teilnahme an den Sitzungen, wodurch sie auch gleichzeitig das reale Leben in einem benachteiligen Quartier kennenlernen können, wie man es nicht in „Hochglanzbroschüren“ erfährt. (Tenever 2011, S. 6)

Vor der abschließenden Entscheidung über potenzielle WiN-Projekte muss bereits bei ihrer Entwicklung das Finanzierungsprinzip des WiN-Konzepts beachtet werden. Wichtig ist dabei die geforderte Ergänzungsfinanzierung. Projekte dürfen danach nicht nur aus WiN-Mitteln finanziert werden, sondern es muss wenigstens ein anderer Träger bereit sein, einen mindestens ebenso großen Teil der Kosten zu übernehmen. Auf diese Weise lässt sich erreichen, dass eine zu große Beliebigkeit von Projekten verhindert wird, da sich neben dem Konsens des WiN-Forums noch unabhängig davon ein weiterer Träger durch seine Teilfinanzierung für das jeweilige Projekt stark machen muss. Die Projekte sind daher nicht nur aus der Sicht der Teilnehmer an einem Quartiersforums wünschenswert, sondern erfüllen auch die Anforderungen eines Trägers, der über die Ausgabe seiner begrenzten finanziellen Mitteln sorgfältig entscheiden muss.

Diese harten Anforderungen setzten allerdings voraus, dass sich dieses Prinzip der Ergänzungsfinanzierung nicht leicht umgehen lässt.

Die praktischen Möglichkeiten hierzu lassen sich an den Projekten nachvollziehen, soweit deren Finanzierung öffentlich ist. Die Frage, wie man in einem WiN-Gebiet ein Projekt finanziert bekommt, das 12.648 € kostet, lässt sich am Beispiel „Respect und Fair“, bei dem für ca. 800 Kinder und Jugendliche 10 Fußball-Nächte organisiert werden sollten, nachvollziehen.

Da es sich um ein WiN-Projekt handelt, ging es dabei nicht nur um die Freude am Fußball oder gar um einen Schritt auf dem Weg zum berühmten Fußballprofi, sondern um das Erlernen von Selbstachtung, Durchsetzungsvermögen und Fair play. Auch soll, wie es im Antrag heißt, die Entwicklung eines positiven Körpergefühls dazu beitragen, dass die Jugendlichen Konflikte gewaltfrei lösen. 


Hierfür sind, wie in der Projektbegründung erläutert wird, wiederkehrende Sportangebote mit Eventcharakter und pädagogisch geschultem Personal sehr geeignet. Zudem soll ein jugendgemäßes Angebot im eigenen Stadtteil dazu beitragen, dass die Jugendlichen sich mit IHREM Stadtteil identifizieren.

Das sind zweifellos sinnvolle Ziele in einem WiN-Gebiet, die sich auch durch das vorgesehene Projekt vermutlich erreichen lassen.

Diesem wünschenswerten Ergebnis scheint nur eine fehlende Finanzierung im Wege stehen, wenn man nicht gerade einen finanzkräftigen Sponsor an der Hand hat. Aber das muss nicht unbedingt ein Hinderungsgrund sein, wenn man sich bei der Projektierung im WiN-1 X 1 auskennt.


Nach dem Kostenplan werden knapp 12.700 € benötigt, die vor allem für die Übungsleiter, aber auch die Preise ausgegeben werden sollen. Dabei geht man von Stundenwerten von 10 € bei den Übungsleitern und 15 € bei den Trainerinnen aus. Niemand soll schließlich behaupten können, dass hier Frauen weniger verdienen als Männer. So viel „Gleichheit“ muss bei einem sozialen Projekt in Bremen offensichtlich schon sein, wo bei allen Mittelausgaben des Senats streng auf einen Genderbezug geachtet wird.

Danach müssen also 6.350 € von außen finanziert werden. Einen Grundstock liefern hierfür Zuwendungen des Senators für Sport in Höhe von 1.440 €. Für den größten Brocken fand man großzügige Sponsoren bei den Projektkoordinatoren, die 168 Stunden zu einem Stundenwert von 31,00 € unentgeltlich arbeiten 
wollten. In diesem Fall braucht man also das ganz große Glück, dass ein Experte über soviel Freizeit verfügt und dass er diese Aufgabe nicht nur übernehmen, sondern dafür sogar auf eine Bezahlung verzichten kann.


                                                         Tenever-Werbung




Die WiN-Schattenwirtschaft oder das Sozialstaatsparadies



In Tenever hat der dortige Quartiersmanager der Öffentlichkeit und den Bewohnern seines Viertels vorgeführt, was im Rahmen des WiN-Konzepts möglich ist, wenn man über organisatorische Fähigkeiten verfügt, Kenntnisse diverser Fördertöpfe in Deutschland und in der EU besitzt sowie erkennt, was in Gebieten mit vielen Hartz IV-Empfängern praktisch unbegrenzt und kostenlos zu Verfügung steht. Das ist die menschliche Arbeitskraft, sofern man bei ihrem Einsatz gewisse Regeln beachtet. So dürfen die Empfänger der Transferzahlungen mit ihrer aufgezwungenen Freizeit alles machen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, wenn sie dadurch keine zu hohen Einkommen erzielen. Es besteht somit ein großes Reservoir an kostenloser menschlicher Arbeitskraft, die man nur motivieren muss. Das kann, wie zahlreiche Projekte in 
Tenever belegen, relativ leicht erfolgen, wenn man Aufgaben findet, die die Betreffenden als sinnvoll und nützlich ansehen und die ihnen ein neues Selbstwertgefühl vermitteln können.

Aber in diesen Gebieten stehen noch weitere Ressourcen preiswert oder kostenlos zur Verfügung. Das sind die leerstehenden Wohnungen oder ursprünglich gebauten Gemeinschaftseinrichtungen, die von den Bewohnern nicht genutzt wurden. Auch das Abstandsgrün, das die Städtebauer als Bezug zur Natur vorgesehen hatten, kann jetzt leicht umgewidmet werden; denn es ist schließlich eine Freifläche, auf der nicht nur Gras wachsen kann.


Das „Concierge-Prinzip“


Eine erste soziale Innovation in Tenever war die Einführung eines Concierge-Prinzips, wie man es in Frankreich kennt, um im Eingangsbereich der anfangs verwahrlosten Hochhäuser für soziale Kontrolle zu sorgen. Daher wurden im Zuge der baulichen Modernisierungsmaßnahmen Glasboxen in verschiedenen Rottönen vor die Hochhäuser mit mehr als 100 Wohneinheiten gesetzt. Dort wachen ältere Herren und haben einen Überblick darüber, wer wann das Haus betritt, achten auf die Aufzüge und Eingänge und nehmen Pakete für abwesende Mieter entgegen.

In Tenever haben sie noch zusätzlich eine kulturelle Aufgabe; denn in ihrem Rücken steht ein Bücherregal, aus dem sich die Mieter etwas ausleihen können. Dafür scheint allerdings kein großer Bedarf zu bestehen, denn der Spiegel berichtete von einem langjährigen Concierge, bei dem noch niemand ein Buch ausgeliehen hatte.

Inzwischen wurde dieses Concierge-Prinzip, das in Tenever von ehemaligen älteren Arbeitslosen mit Leben gefüllt wird, für ein Hochhaus im WiN-Gebiet Lüssum und Berlin-Friedrichshain übernommen, wo die Mieter für diesen Service allerdings zahlen mussten.




                                                Concierge-Box

Soziale WiN-Konglomerate



Während in den anderen WiN-Gebieten vor allem die klassischen karitativen Organisationen und Sportvereine mit ihren Erfahrungen, Vernetzungen und ihrer vorhandenen Infrastruktur die Durchführung der Projekte übernehmen, haben sich in Tenever neben interessierten Einzelnen auch verschachtelte Institutionen gebildet, die man in der Wirtschaft und auf dem ersten Arbeitsmarkt wohl als Konglomerate bezeichnen würde. Typische Beispiele sind bzw. waren hier die Interkulturelle Werkstatt Tenever und das Mütterzentrum.



                                           Hallenbad in Tenever


Die Interkulturelle Werkstatt Tenever (IWT)


Die Interkulturelle Werkstatt ist 1995 als Verein aus einer Initiative der Bewohner entstanden und entwickelte sich dann zu einer Einrichtung, die eine Vielzahl von Aufgaben übernommen hat. So wurden Feste, Ausflüge und Bildungsangebote organisiert sowie Internationale Gärten betreut. Damit waren etwa fünfzig Mitarbeiter beschäftigt.

Lange Zeit galt das IWT als ein Vorzeigeprojekt für Tenever und das WiN-Projekt, nicht zuletzt weil es von einem Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund geleitet wurde und vor allem auch bei Migranten beliebt war. Das begann gleich nach der Gründung mit dem „Treffpunkt Mosaik“, einer interkulturellen Begegnungsstätte, die mit Unterstützung der Wohnungsbaugesellschaft GEWOBA in einem ehemaligen Wachhaus eingerichtete wurde. Auch wenn dieses Angebot prinzipiell offen war, wurde es vor allem von Marokkanern genutzt. Später kamen eine Aussiedlergruppe der AWO, Männer- und Frauengruppen, Deutschkurse für Erwachsene, Arabischkurse für Kinder und Jugendliche, Sportangebote, Hilfsgüterlieferungen nach Nordmarokko, ein Mädchen- und Frauentreff sowie einige größere Projekte hinzu. Dazu zählten EDQGA, die Drogenarbeit „Ex – Drogies - Aktiv“, die Crew, eine Angebot für arbeitssuchende Menschen in Tenever und die Jugendeinrichtung Hoodworker sowie die Internationale Gärten, die Teil einer größeren bundesweiten, ja globalen Bewegung sind.

Das hat sich jedoch deutlich geändert, nachdem die linksalternative taz Anfang September 2009 über mögliche Unregelmäßigkeiten in der Verwaltung der Mittel berichtete, und später festgestellt wurde, das "von einer geordneten Geschäftsführung nicht die Rede sein" kann. Als Folge wurde der Verein aufgelöst. Ein Insolvenzverfahren fand mangels Masse nicht statt. Allerdings will der Bausenator Rückforderungen von über 140.000 € aus dem WiN-Projekt durchsetzen, wie der Senator auf eine Kleine Anfrage der CDU-Fraktion vom 18. Februar 2013 erklärte.

Das hat dazu geführt, dass der Spiritus Rector und Chef inzwischen als freiberuflicher Migrationsberater tätig ist.

Nachhaltiger ist hingegen der Erfolg des Mütterzentrums, dessen Leiterin zur „Bremerin des Jahres 2013“ 



                                                Jugendzentrum Tenever



Das Mütterzentrum Osterholz-Tenever e.V.

Wie die Interkulturelle Werkstatt ist auch das Mütterzentrum unter Barloschkys Ägide von einem Bürgertreff zu einem Netzwerk sozialer Dienste angewachsen. Es arbeitet als eine „originäre Bewohnerinitiative“ nach dem „Laien für Laien“-Prinzip .


Mittlerweile gilt das Mütterzentrum als „größter“ Arbeitgeber im Wohngebiet Tenever, wobei es sich allerdings um 1-Euro-Jobs, Kräfte in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Altersübergangsbeschäftigte, Vorruheständler und ehrenamtliche Helfer handelt. 

Insgesamt arbeiten in einem breiten Fächer von Dienstleistungsprojekten ca. 40 Frauen. Angeboten wird u.a. ein Equal-Projekt, in dem eine berufliche Vorqualifikation von Migrantinnen über 25 Jahre erfolgt, eine Näh- und Schneiderwerkstatt, ein Nachbarschaftscafé als offener Treffpunkt, eine Kinderbetreuungseinrichtung für Kinder unter 3 Jahre, ein Secondhand-Shop, das E@stside Internetcafé, das vom Bundeswirtschaftsministeriums im Wettbewerb "Wege ins Netz 2010" als vorbildliches Projekt ausgezeichnet wurde, ein Internationaler Mittagstisch, ein Büro, ein Cafe Gabriely als Beschäftigungs- und Kulturprojekt sowie zahlreiche Deutsch- und Integrationskurse. 

An der Spitze stehen drei hauptamtliche Mitarbeiterinnen, denen ein Jahresbudget gut 100.000 € zur Verfügung steht, das aus deutschen und europäischen Sozialfonds stammt. Dank dieser Mittel werden Frauen beschäftigt, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben und durch diese Tätigkeit aus ihrer Isolation herauskommen und eine Wertschätzung bei ihrer Arbeit erfahren. Bei der Einstellung wird auch auf die Kulturenvielfalt der Herkunftsländer der Frauen geachtet.

Früher konnten über das Mütterzentrum 23 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze für Frauen angeboten werden, inzwischen sind es jedoch nur so genannte Injobberinnen, also sogenannte Zusatzjobs mit Mehraufwandsentschädigung, die meist als 1-Euro Jobs bekannt und mit keinen Einzahlungen in die Sozialversicherung verbunden sind. Es handelt sich also um prekäre Arbeitsverhältnisse, was auch für die Stelle der Projektleiterin gilt, die von Jahr zu Jahr neue bewilligt werden muss.

Aber die Projekte in Tenever beschränken sich nicht einmal auf diesen breiten Fächer von Angeboten der beiden ehemaligen „Multis“. Hinzu kommen ein Frauengesundheitstreffpunkt Tenever (FGT), die Selbsthilfeorganisation Handicap von Schwerbehinderten, das Arbeitslosenzentrum, die Halle für Bewegung, die große und die kleine Skateranlage, die Spielplätze für verschiedene Altersgruppen, die Schwimmhalle, ein Spielhaus, Straßensozialarbeit für Suchtkranke und ein Garten der Sinne an einem Wohnheim für Mehrfach-Schwerstbeschädigte.

Besondere Aufmerksamkeit haben die Internationalen Gärten auf sich gezogen. Dabei handelt es sich um eine 10.000 qm große Fläche, die unter 50 Familien des Quartiers aufgeteilt ist. Hier müssen die Gärtner keine Pacht zahlen und können sogar Werkzeug aus WiN-Mitteln beantragen. Bei diesem grünen Projekt darf man auch seine soziale Komponente nicht übersehen, denn die Hobby-Gärtner geben sich gegenseitig Tipps und laden sich zu internationalen Grillabenden ein, bei denen es nicht nur deutsche Bratwürste gibt. Höherpunkt ist das mit einem Gemüsemarkt verbundene „Interkulturelle Gartenfest Tenever“.

Eine besonders hohe Beteiligung der Bewohner hat die alle zwei Jahre stattfindende Saubermach- und Pflanzaktion Tenever Picobello, bei der über 1000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen zupacken.

An der Organisation dieser Vielzahl von Projekten war vor allem die Interkulturelle Werkstatt beteiligt, die sich so bis zu ihrer Auflösung zu einer informellen Steuerungseinheit für Tenever entwickelt hatte.




                                    Frauengesundheitszentrum Tenever


Individuelle Sozialpolitik


Für ein großes Medienecho sorgte im März 2007 ein ganz besonderer Arbeitsvertrag, der in dieser vernetzten Hartz IV-Wirtschaft möglich war. Damals hatte der Quartiersmanager vom Schicksal des ehemaligen Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz erfahren, der im deutschen Sozialstaatssystem nicht krankenversichert war. Um diese Versicherungslücke zu schließen, wurde er für ein halbes Jahr aus WiN-Mitteln damit beschäftigt, eine "Pressedokumentation über Quartiersentwicklungsprozesse" zu erstellen und relevante Themen in türkischer Sprache für die Homepage des Stadtviertels zu erarbeiten. Als Träger, bei dem Kurnaz kranken- und sozialversichert wurde, fungierte dabei das Mütterzentrum, wo dieses Projekt auf der „Menschenrechtsschiene“ geführt und abgerechnet wurde.


Die WiN-Gebiete: ein städtebauliches oder ein politische Programm?


Der Blick auf die Projekte und die engagierten Personen zeigen, dass das WiN-Konzept mit viel politischem Leben gestaltet und ausgefüllt wird.

Wenn man allerdings an die kaum transparente Auswahl der Gebiete denkt, lässt sich noch ein ganz anderer Aspekt von Politiknähe vermuten. Neben den unstrittigen Fällen lässt sich die Auswahl einer Reihe anderer Quartiere nur schwer mit statistischen Daten begründen, auch wenn man die Kriterien vermutlich nicht unabsichtlich relativ offen gehalten hat. Das gilt für die Diskrepanz zwischen einer Messung der sozialen Belastung bzw. Benachteiligung auf der Ebene von Baublöcken, aus dann erst in einen zweiten subjektiven Schritt größere Einheiten gebildet werden, die in der Regel Ortsteile darstellen. Anstatt gleich auf der Ebene der Ortsteile bei der statistischen Auswahl anzusetzen, wird so ein willkürliches Element in die Auswahl eingeführt, das eine quasi automatische statistische Festlegung verhindert und politischen Wünschen und Erwägungen Tor und Tür öffnet.




WiN-Gebiete mit Fragezeichen



Auch wenn die Vorgaben damit nicht so eindeutig sind, wie man es von einem Programm erwarten muss, das sich auf derart viele externe Analysen stützt, an denen renommierte Wissenschaftler beteiligt waren und sind, stößt man auf Quartiere, die man allein aufgrund ihrer statistischen Daten nicht in diesem Städtebauförderungsprogramm erwarten würde. Das gilt sowohl für die relativ geringe Größe als auch für Bremer Ortsteile, die nach den statistischen Daten nicht unbedingt benachteiligter aussehen als andere.



Die Kleinquartiere in Gramke und Oslebshausen



Unterhalb der Ebene von Ortsteilen, die inzwischen typisch für WiN-Gebiete geworden ist, liegen das Alwin-Lonke-Quartier in Gramke und das Quartier Wohlers Eichen in Oslebshausen.
Anscheinend hat es hier Gründe für die Ausweisung als WiN-Gebiete gegeben, die nicht allein in den statistischen Daten zu finden sind. Da die Auswahlentscheidung in letzter Instanz die Bürgerschaft trifft, können sie zumindest hypothetisch in parteipolitischen Überlegungen zu finden sein. 

In Oslebslausen, das seit 2005 eine WiN-Förderung erhält, fällt in diesem Zusammenhang auf, dass der Ortsteil vor allem durch kleinteilige Einfamilienreihenhäuser geprägt ist. Nur das Schwerpunktgebiet Wohlers Eichen, das am Rande des Ortsteils liegt und durch umgebende Straßen und Gewerbegebieten eine Insellage besitzt, hebt sich baulich durch einen langgestreckten 8-geschossigen Riegel und viergeschossige Mehrfamilienhäusern baulich deutlich ab. (Gröpeligen, S. 7f.)

Als besonderes politisches Merkmal weist Oslebshausen einen sogar für Bremen besonders hohen SPD-Anteil auf, der bei der letzten Bürgerschaftswahl über 54 % betrug.

Diese Eigenschaft trifft zumindest in dieser Höhe nicht für Gramke zu, wo der Anteil allerdings auch mit 46,5 % überdurchschnittlich war. Jedoch wurde hier eine Forderung der SPD realisiert, wie diese Partei in ihrem Wahlprogramm „Bremen-Nord-Plan“ hervorgehoben hat. (Nord-Programm, S. 7)



Von der Kommunalpolitik benachteiligte „Benachteiligte Gebiete“



Zur Identifikation und Absicherung der WiN-Gebiete werden von den senatorischen Behörden vor allem zwei Indizes herangezogen, von denen das Verfahren des Sozialmonitorings, wie bereits gezeigt wurde, nur Baublöcke, aber noch eine Quartiere ausweisen kann, die sich von ihrer Größe her als Bezugsgebiete für den typischen Maßnahmenkatalog des WiN-Programms eigenen.

Eine vergleichende Beurteilung ist daher praktisch nur mit dem in der Sozialbehörde entwickelten Benachteiligungsindex möglich. Zwar erfüllt dieser Index nicht alle statistischen Anforderungen an ein gültiges und verlässliches Messinstrument, aber er wird dennoch gern als Beleg für eine fundierte Ausweisung der WiN-Gebiete verwendet.


Die teilweise kaum nachvollziehbaren Bewertungen dieses Indices werden deutlich, wenn man sie mit wichtigen Einzelindikatoren vergleicht, die anscheinend nur eine untergeordnete Rolle bei der Ermittlung der Werte des Benachteilungsindex spielen. So ist, wie die folgende Tabelle zeigt, nach diesem Index Hemelingen deutlich stärker benachteiligt als Blumenthal, während das für den Anteil der Hartz IV-Empfänger und der Arbeitslosen im Jahre 2011 nicht zutraf. Hemelingen weist nur beim Ausländeranteil einen relativ hohen Wert auf.

Das im Vergleich zum Ortsteil Ellenerbrok relativ große Schweizer Viertel zeigt seine Belastung hingegen weder beim Benachteiligungsindex noch bei den drei Einzelindikatoren, sodass nach diesen statistischen Daten die Ausweisung sich nicht nachvollziehen lässt.


Rangplätze der Indikatoren für strittige WiN-Gebiete


Ortsteil/ WiN-Gebiet
Benachteilungs-index 2007
Benachteilungs-
index 2009
Ausländer-
Status 2011
Arbeitslosen-anteil 2011
Hartz IV-
Status 2011
Blockdiek
17
23
14
24
9
Blumenthal
16
19
13
7
11
Ellenenerbrok
27
36
35
35
29
Hemelingen
11
10
6
25
17


Mit anderen Worten wurden somit anstelle von Blockdiek und Blumenthal das Schweizer Viertel in Ellenenerbrok-Schevemoor und Hemelingen einbezogen.

Das scheint zwar nach den Werten für den Benachteiligungsindex, die allerdings zuletzt für 2007 und 2009 berechnet wurden, nachvollziehbar zu sein; denn hier haben Blockdiek und Blumenthal deutlich bessere Werte als etwa Hemelingen. Wenn man allerdings nach dem aktuellen Wert für den zentralen Armutsindikator, den Anteil der Hartz IV-Bezieher und noch den sozialen Brennpunkt an der George-Albrecht-Straße berücksichtigt, sieht der Tatbestand erheblich anders aus.

Auch in diesem Fall kann möglicherweise der Stärke der SPD vor Ort einen Hinweis auf die faktische Auswahl geben. Allerdings wäre es dann weniger der Wähleranteil als die vorhandene Organisationsstruktur. So ist die stärkste Partei Bremens in Blumenthal mit 41,1 % und in Blockdiek, wo sie über 50 % der Stimmen erhielt, aber keinen eigenen Ortsverein besitzt, relativ schwach. Das gilt weniger für Ellenerbrok-Schevenmoor mit überdurchschnittlich vielen SPD-Wählern und den alten Industriearbeitervorort Hemelingen, wo die SPD allerdings in den letzten Jahren ihre Anhängerschaft teilweise verloren hat. Hier könnte die Tradition der früheren Industriebetriebe wie Nordmende, Focke-Wulff-Flugzeugwerke, Borgward Automobile und Bremer-Silberwaren-Fabrik (BSF) über den Organisationsgrad der ehemaligen Arbeiterpartei noch nachwirken.




Wunschzettelprogramm oder Förderung der sozialen Kohärenz?
Die Bewertung des WiN-Programms


Für viele Bremer Politiker ist das WiN-Programm ein Erfolgsprojekt. Dabei weisen sie gern auf die Zahl der realisierten Projekte hin. Nur muss man sich dann leicht die etwas sarkastische Frage stellen lassen, ob man von der Länge der Wunschzettels, die Kinder zu Weihnachten schreiben, auf die pädagogischen Qualitäten der Eltern Rückschlüsse ziehen kann.

Diese Zahl besagt schließlich nur, wenn man sie genauer betrachtet, dass Geld ausgegeben wurde. Das war möglich, weil es in den WiN-Gebieten genügend Interessenten gab, die sich die Mühe gemacht haben, um Projekte zu entwickeln, die die WiN-Kriterien erfüllten.


Dafür sind die Hürden allerdings nicht unbedingt hoch, wenn man an das als Beispiel gewählte Projekt „Respect und Fair“ in Hemelingen denkt, das keineswegs eine Ausnahme darstellt, sondern eher ein typischer Fall ist.

In manchen Fällen drängt sich sogar das Stichwort „Wunschzettel“ noch mehr auf, wenn von den subventionierten Projekten nicht einmal eine größere Breitenwirkung für das Quartier erwartet werden kann, von Effekten im Hinblick auf das Schließen individueller Defizite, die zu einem Herausdrängen aus dem ersten Arbeitsmarkt geführt haben, ganz zu schweigen.


So ist bei vielen Projekten der Bezug zu den integrativen Zielen des WiN-Programms kaum eindeutig erkennbar, da es sich in vielen Fällen um sozio-kulturelle Edutainment-Angebote handelt, wie man sie auch in vielen VHS-Programmen findet. Nur mit dem Unterschied, dass in den WiN-Gebieten nicht die Teilnehmer, sondern die Steuerzahler über den einen oder anderen Abrechnungsweg die Finanzierung übernehmen. Es handelt sich also – ganz grob gesprochen, um Naturalleistungen, durch die sich die Hartz IV- Sätze aufbessern lassen, wenn man sich für diese Angebot interessiert.

Dabei ist das Angebt sehr breit. Auch kann man sie, wenn man sich auf den Weg über das WiN-Forum und die Antagstellung begibt, nach den eignen Wünschen ergänzen. So reicht das kostenlose Angebot über Nähkurse für Frauen (z.B. Hemelingen), das Backen von Fladenbrot in einem eigenen Backhaus (Lüssum) bis hin zu Kursen, in denen die Kinder die Sprache der Herkunftsländer erlernen können (z.B. Tamil in Tenever).

Daneben gibt es sogar noch Möglichkeiten, die über die Leistungen der Erwachsenbildung weit hinausgehen. So wurden z.B. Stadterkundungen in Bremen für sieben Bewohnerinnen (Alwin-Loske-Quartier) und eine Videoausrüstung für eine einzelne Bewohnerin finanziert, die als vollkommener Laie damit lokale Fernsehsendungen erstellen wollte, da ihr eine Quartierszeitung nicht zeitgerecht erschien. Das sind Beispiel für eine zugespitzte Bezeichnung Tenevers in einem Spiegelartikel, als dieser Bremer Ortsteil mit seinen besonders schlechten Indexwerten als „Sozialstaatsparadies“ bezeichnet wurde.

Der Grund sind die in den WiN-Foren im Konsensverfahren beschlossenen geldwerten Leistungen, für die man in einer VHS zahlen müsste, aber auch mehr oder weniger Hobbysubventionen für einzelne, von denen das Quartier kaum einen erkennbaren Nutzen erhält und auch die Integration in den Arbeitsmarkt und die deutsche Mehrheitsgesellschaft nicht erkennbar verbessert wird. Es handelt sich also im begrenzten Rahmen der WiN-Mittel um die Realisierung des kommunistischen Prinzips, nach dem jeder entsprechend seinen Bedürfnissen versorgt wird.

Neben der Anzahl der Projekte spricht für die Anhänger des WiN-Konzepts noch ein weiteres Argument für dessen Erfolg. So stellen sie heraus; dass für die Projekte nicht nur WiN-Mittel verwendet werden, sondern mit diesen Projektmitteln noch weitere Gelder eingeworben. Für Tenever hat eine derartige Programmbilanz ergeben, dass 1 Euro aus der WiN-Förderung rund 6 Euro Drittmittel nach sich zieht (Salzburg-Vortrag 2009). 

Danach würde das WiN-Projekt also wie ein kräftiger sozialer Hebel wirken, den man nur ansetzen muss, damit man eine Unterstützung durch andere Träger erlangt, sodass sich mit relativ geringen Programmmitteln sogar umfangreiche Maßnahmen mit entsprechenden Wirkungen stemmen lassen.

Allerdings muss man auch diese Kalkulation und Beweisführung hinterfragen. So könnte es gut sein, dass diese zusätzlichen Mittel auchnnur gewäht wruden, weil eine WiN-Finanzierung in Aussicht stand, also ein Kartenhaus von Finanzierungen aufgebaut wird, die von einander abhängig sind. Die Stabilität dieses Modells lässt sich dabei an den Beispielen der Fremdfinanzierung von WiN-Projekten erkennen, wo Arbeitskosten relativ freihändig als Grundlage für die anschließende WiN-Finanzierung dienen.

Diese beiden Maßstäbe sind also kaum geeignet, um das WiN-Projekt zu beurteilen, da sie auf die Höhe der finanziellen Ausgaben, aber nicht die tatsächlichen Wirkungen der Maßnahmen abstellen.

Um zu besseren Kriterien zu gelangen, ist vorab zu klären, was durch das Programm tatsächlich beabsichtigt ist, sodass sich zielkonforme Wirkungen abschätzen und erfassen lassen.

Wenn man das Bestehen von Transferzahlungen an große Teile der Bevölkerung für eine fast selbstverständliche Begleiterscheinung des kapitalistischen Wirtschaftssystems hält, wären stabile multikulturelle Armutsgebiete ohne größere Wohnungsleerstände ein Erfolg. Das gilt vor alle dann, wenn die Bewohner nicht nur längere Zeit in ihrem Quartier wohnen, sondern auch gern dort leben. In diesem Fall kann die Segregation sogar als angenehm empfunden werden, weil man sich in seinem Viertel gut einrichten kann und dort nicht als sozialer Rand der Gesellschaft wahrgenommen und behandelt wird.

Teilt man diese Grundannahme nicht, sondern hält Transferzahlungen für einen Übergangszustand, aus dem jeder herauskommen möchte, um seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können, ändern sich die Maßstäbe. Integration bedeutet dann nicht eine gute Verortung in einer bestehenden Armutskultur. Sie würde vielmehr eine generelle Aufwertung des Quartiers, das seinen alten Charakter verliert, oder aber individuellen Aufstieg bedeuten, indem ein großer Teil von Hartz IV-Empfängern, Arbeitslosen und Ausländern mit Sprachproblemen für den Arbeitsmarkt fit gemacht wird.

In diesem Fall können nicht die vielleicht positiven Einschätzungen der Begünstigten der Maßstab sein, sondern es sind auch andere Indikatoren zu berücksichtigen, die sich an den ursprünglichen Zielsetzungen des Programms orientieren. Und die lauten nicht Aufbau einer möglichst lebenswerten Armutssubkultur, sondern Abbau der sich auch räumlich manifestierenden Kluft in der Gesellschaft.


Ansätze für eine objektive WiN-Evaluation


Eine Prüfung der Wirkungen und damit des Erfolgs oder Misserfolgs des WiN-Programms steht vor erheblichen Schwierigkeiten. Das gilt zunächst wegen der nicht klar formulierten Zielen, sodass sich keine Indikatoren bestimmen und messen lassen, die objektiv über die Wirkungen und damit den Erfolg oder Misserfolg des Maßnahmenpakets Aufschluss geben.

Auch fehlen für einen solchen Test Vergleichsgebiete zu den WiN-Quartieren, durch die sich erst generelle gesellschaftliche und vor allem wirtschaftliche Entwicklungen berücksichtigen lassen. So kann etwa während eines längeren konjunkturellen Abschwungs oder bei Strukturproblemen mit einer Verstärkung sozialer Segregationstendenzen gerechnet werden, während bei einer florierenden Wirtschaft soziale Ausgrenzungen an Bedeutung verlieren und sich nur noch auf kleinere Gruppen konzentrieren.

Um die Wirkung der WiN-Maßnahmen zu prüfen, wären Quartiere erforderlich, die sich wie bei einem Test von Medikamenten, nur in einem Merkmal unterscheiden, eben der Tatsache, dass sie eine Gruppe von Versuchspersonen oder Quartieren bekommt und eine andere, die Kontrollgruppe, nicht. Das ist bei den Bremer Ortsteilen, für die statistische Indikatoren vorliegen, nur ehr bedingt möglich, da sich trotz der angeführten Mängel die WiN-Gebiete bei den typischen Indikatoren für soziale Transferleistungen von den anderen Quartieren deutlich unterscheiden. Man kann daher als Kontrollgruppe bestenfalls Ortsteile auswählen, die den WiN-Gebieten in dieser Hinsicht besonders ähnlich sind. Das wird in den folgenden Vergleich daher versucht.


Änderung der Segregation


Ein erklärtes Ziel des WiN-Programms ist ein Abbau der sozialen Spaltung der Stadt, was sich rechnerisch in einem niedrigeren Segregationsindex zeigt.

Vergleicht man hier die Werte für 2004 und 2011 zeigt sich mit Werten von 24,6 für die Sozialhilfeempfänger von 2004 gegenüber 23,6 für die Hartz IV-Emfänger von 2011 ein geringer Abbau, der allerdings wegen der abweichenden Definition des Bevölkerungsteils nicht überbewertet werden darf.


Anteil der Sozialhilfeempfänger zwischen 2004 und 2011

Ortsteil
Sozialhilfeempfänger 2004 in %
Rang
Hartz IV-Empfänger 2011 in %
Rang
Ellenerbrok-Schevemoor
8,0
35
18,8
29
Grohn
15,3
6
23,4
15
Gröpelingen
18,1
2
38,6
1
Hemelingen
11,8
17
23,0
17
Kattenturm
15,5
4
27,7
8
Kirchhuchting
11,8
16
26,4
10
Lindenhof
13,8
8
28,7
5
Lüssum
13,5
9
24,6
13
Mittelshuchting
10,9
20
25,4
11
Neue Vahr Nord
15,4
5
32,7
4
Neue Vahr Südost
13,0
10
28,2
6
Neue Vahr Südwest
12,1
15
24,3
14
Ohlenhof
16,3
3
34,9
3
Oslebshausen
12,7
12
22,4
19
Sodenmatt
12,9
11
27,9
7
Tenever
23,3
1
37,6
2

Im Durchschnitt hat sich durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der Anteil gut verdoppelt, d.h. er ist um etwa 8 Prozentpunkte gestiegen.

Während im Jahr 2011 26,3% der Bremer in den 16 Ortsteilen lebten, in denen sich ein WiN-Gebiet befindet, wohnten hier 44,2 % der Hartz IV-Bezieher. Ähnlich war auch bereits 2004 der Anteil der Sozialhilfebezieher mit 44,8 %.


Die unterschiedlichen Entwicklungen in den Ortsteilen lassen sich auf die Langzeitarbeitslosen zurückführen, die es vor allem in den alten Arbeitergebieten gab, wo daher entsprechend höhere Ränge bei den Hartz I-Anteilen festzustellen. Das gilt für Gröpelingen und Lindenhof.

Ein Indikator für die „Identifikation“, wie die Autoren des Bremer Benachteiligungsindexes diesen Merkmalsbereich genannt haben, ist die Höhe der Wahlbeteiligung, die in den WiN-Gebieten im Durchschnitt relativ niedrig ist. das hat sogar dazu geführt, dass beispielsweise 2009 in Tenever ein „Nichtwählerstammtisch“ mit 1.150 € für Raummiete und Öffentlichkeitsarbeit „konsensual beschlossen“ wurde

   
Ähnlich lässt sich der Anteil der ungültigen Stimmen verwenden, auch wenn hierdurch neben einem bewussten Protestverhalten auch Kompetenzen im Hinblick auf das Wahlverfahren. Das gilt in Bremen besonders für die Bürgerschaftswahl, wo mit einem geänderten Wahlverfahren ein deutlicher Anstieg der ungültigen Stimmen verbunden war, wie die folgende Tabelle zeigt. So konnte 2011 jeder Wähler erstmals fünf Stimmen abgeben, was Stimmzettelhefte im Format DIN A4 erforderte.

Um bei diesem Zusammenhang die Individualität einzelner Gebiete auszugleichen, wurden die fünf WiN-Gebiete mit höchsten SGB II-Anteilen betrachtet.

Anteil der ungültigen Stimmen bei den Bürgerschaftswahlen 2007 und 2011 in %

WiN-Quartier
 2007
2011
Gröpelingen
1,3
3,7
Tenever
2,0
5,1
Ohlenhof
1,5
4,0
Neue Vahr Nord
2,4
4,4
Lindenhof
1,4
5,4
Durchschnitt
1,7
4,5
Bremen
1,3
3,1

In diesem Fall ist die Kluft zwischen dem Anteil der ungültigen Stimmen in den WiN-Gebieten, der bereits 2007 mit Ausnahme von Gröpelingen über dem Bremer Durchschnitt gelegen hatte, weiter angewachsen. Das gilt besonders für Tenever, wo über 5 % der Wähler ungültige Stimmen abgegeben haben. Das Projekt hat sich also nicht nachweislich positiv gewirkt.

Ganz entsprechend wurden die Daten für die Wahlbeteiligung ausgewertet.


Wahlbeteiligung bei den Bürgerschaftswahlen 2007 und 2011 in %



WiN-Quartier
2007
2011
Gröpelingen
43,4
43,1
Tenever
40,7
38,2
Ohlenhof
43,4
42,3
Neue Vahr Nord
44,6
42,6
Lindenhof
49,5
46,8
Durchschnitt
44,3
42,6
Bremen
58,6
57,0

Danach ist bei der Höhe der Wahlbeteiligung keine Angleichung in den WiN-Quartieren an den bereits niedrigen Bremer Durchschnitt zu erkennen. Die Entwicklung verharrt eher auf einem deutlich niedrigeren Niveau als im übrigen Bremen. 

Bei einer für Deutschland ungewöhnlich niedrigen Wahlbeteiligung von 38,2 % in Tenever könnte man eher von einer Subkultur sprechen, die das Interesse an der Außenwelt „Bremen“ noch stärker verloren hat


Die durchschnittliche Wohndauer in WiN-Gebieten


Ein anderer Indikator für die Integration in ein Wohngebiet, den die Amtliche Statistik ausweist, ist die durchschnittliche Wohndauer. D abei ist allerdings zu berücksichtigen, dass deren Länge auch von der Funktion eines Gebietes abhängt, da Viertel, in denen beispielsweise Studenten leben generell eine höhere Mobilität aufweisen als Quartiere mit vielen Eigenheimen und teilweise noch dörflichen Strukturen. Das belegen auch die Zahlen in Bremen, wo im Citybereich die durchschnittliche Wohndauer nur bei 8,3 Jahren (Bahnhofsvorstadt ), 8,4 Jahren (Altstadt) oder 8,5 Jahren (Alte Neustadt) liegt, während es in eher dörflichen Vororten wie Rekum oder Grolland hingegen 19,5 bzw. sogar 22,5 Jahre sind.


Durchschnittliche Wohndauer in den WiN-Quartieren (2011)

Ortsteil
Wohndauer der über 18-jährigen in Jahren
Ellenerbrok
15,8
Grohn
13,9
Gröpelingen
12,8
Hemelingen
14,4
Kattenturm
14,3
Kirchhuchting
16,9
Lindenhof
12,0
Lüssum
16,5
Mittelshuchting
15,3
Neue Vahr Nord
13,4
Neue Vahr Südost
13,7
Neue Vahr Südwest
13,2
Ohlenhof
11,9
Oslebshausen
14,5
Sodenmatt
14,6
Tenever
11,8














Der Bremer Durchschnitt beträgt jedoch 14,4 Jahre, sodass nur Tenever, Ohlenhof und Lindenhof eine deutlich höhere Mobilität aufweisen, während Kirchhuchting und Lüssum mit einer Wohndauer von über 16 Jahren recht sesshafte Einwohner besitzen. Aber auch in Tenever ist mit 11,8 Jahren die Wohndauer noch deutlich länger als in der Altstadt.


Positive Gesamtentwicklung durch WiN-Förderung


Ein wichtiger Test für das WiN-Konzept ist die Frage, ob es in der Lage ist, dass sich durch die gewählte Maßnahmenkombination von Quartiersmanagement, Quartierforum und Projekten, über die im Quartier entschieden wird, die geförderten Quartiere besser entwickeln als ähnlich strukturierte Vergleichgebiete.

Eine Beantwortung dieser entscheidenden Frage ist relativ schwierig, worauf bereits einleitend hingewiesen wurde, da die WiN-Gebiete zumindest von der Idee her die am stärksten benachteiligten Gebiete Bremens sein sollen.

Um hier möglichen Effekte besonders rein zu erfassen, sollen nur die WiN-Gebiete näher betrachtet werden, die zwischen 2004 und 2011 kontinuierlich gefördert wurden. Daher müssen bei den aktuellen elf WiN-Gebieten Quartiere wie das Schweizer Viertel, Oslebshausen unberücksichtigt bleiben.
Dieser Kern der WiN-Gebiete soll mit Ortsteilen verglichen werden, die ähnliche Werte für die Transferleistungen aufweisen, aber trotzdem nicht in das WiN-Programm einbezogen wurden. Das sind Bahnhofsvorstadt, Blumenthal, Osterfeuerberg und Walle. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle aufgeführt.


Entwicklung der WiN- und problembelasteter Nicht-Win-Gebiete 2004-2011


Gebiet
Rang Sozialhilfe 2004
Rang Hartz IV
2011
Benachteiligungs-
Index 2005
Benachteiligungs-
Index 2009
WiN-Gebiete




Grohn
6
15
8
13
Gröpelingen
2
1
2
1
Hemelingen
17
17
13
10
Kattenturm
4
8
12
7
Kirchhuchting
16
10
22
9
Lindenhof
8
5
4
4
Lüssum
9
13
11
14
Mittelshuchting
20
11
23
15
Neue Vahr Nord
5
4
9
5
Neue Vahr Südost
10
6
16
11
Neue Vahr Südwest
15
14
19
18
Ohlenhof
3
3
3
3
Sodenmatt
11
7
7
16
Tenever
1
2
1
2
Nicht-Win-Gebiete




Bahnhofsvorstadt
21
22
5
17
Blumenthal
14
11
15
19
Osterfeuerberg
18
26
29
24
Walle
19
24
28
22

Auch wenn man sicherlich bei dieser Auswertung viele methodologische Feinheiten lange diskutieren kann, kommt sie zu einem überraschend eindeutigen Ergebnis. Nicht nur nach dem Einzelindikator „Anteil der Sozialhilfe- bzw. Hartz IV-Empfänger, sondern auch nach dem Benachteiligungsindex hat sich der durchschnittliche Rang der geförderten WiN-Gebiete zwischen 2004 und 2011 bzw. zwischen 2005 und 2009 verschlechtert und der der ebenfalls mit sozialen Problemgruppen belasteten Gebiete, die nicht entsprechend dem WiN-Konzept zusätzliche Fördergelder erhalten, hingegen im Durchschnitt verbessert.

Das spricht zweifellos nicht für die Wirksamkeit der Maßnahmenkombination, wie sie das WiN-Konzept vorsieht bzw. wie sie in den WiN-Quartieren praktisch eingesetzt werden. 

Wer also glaubt, dass die Politiker und Behörden auch mit diesen Mitteln nicht sorglos umgehen dürfen, muss das Programm, auch wenn es als Allheilmittel in der politischen Diskussion noch so beliebt ist, auf den Prüfstand stellen.


Fazit


Wenn man städtebauliche Maßnahmen effizient einsetzen will, muss das WiN-Programm erheblich zielgenauer werden. Die Erfahrungen belegen zwar, dass sich mit etwas Geld und preiswerter Arbeit Wohngebieter erheblich lebenswerter gestalten lassen. Dadurch wird allerdings nicht unbedingt die soziale Segregation abbaut, da sich auf diese Weise auch spezifische Quartierskulturen herausbilden können.


Falls eine Rückkehr der Bezieher von Transferleistungen in den ersten Arbeitsmarkt angestrebt wird und eine Integration der Kinder in das „normale“ Bildungssystem, wird man stärker darauf achten müssen, die Arbeit der Quartiersmanager und die Projekte an diesen Zielsetzungen zu orientieren. Das kann durchaus im Rahmen der bestehenden Foren gestehen, wenn es dort Vertreter gibt, die sich engagiert für diese Ausrichtung einsetzen.

Allerdings muss dann geklärt sein, ob die Politik tatsächlich eine größere soziale Kohärenz der gesamten Stadt will oder sich damit begnügen möchte, die Segregation zu beklagen, de facto aber mit einer Beruhigung von Problemquartieren zufrieden ist.

Quellen

Aehnelt, Reinhard, Farwick, Andreas, Häußermann, Hartmut, Jaedicke, Wolfgang, Kapphan, Andreas und Petrowsky, Werner, Evaluation der Programme. „Wohnen in Nachbarschaften – WiN“ und Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ in Bremen. Endbericht, Bremen 2004. 
Barloschky, Joachim, Schlussfolgerungen aus 20 Jahren Quartiersmanagement, Bremen 2011. 
Goldschmidt, Nikolai, Quartiersmanagement am Beispiel Bremen Tenever. Das Quartiersmanagement zwischen "Projektionismus", Quartierskoordination und Empowerment, Hamburg 2009. 
Integrierte Handlungskonzepte für die WIN/Soziale Stadt Quartiere der Stadt Bremen, Untersuchung im Auftrage der Stadt Bremen, in Kooperation mit der Planungsgruppe pro loco Bremen. Hannover Bremen 2005.

Osang, Alexander, Das gelobte Ghetto, in: Der Spiegel vom 19.03.2007. 
Söffler, Detlev u.a., Bericht „Monitoring Soziale Stadt Bremen“, Bremen 2010. 
Staud, Siegfried, Erfahrungen mit dem Konsensprinzip bei der Bewohnerbeteiligung in Bremen: "Bi us is nix geheim", 2002. 



Internetquellen


Portal für die WiN-Gebiete 

Publikationen über die WiN-Gebiete  


Video zum 10jährigen Jubiläum des WiN-Programms

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