Dienstag, 23. Juli 2013

BWK: Stel- lungnahme

Blumenthals Zukunft am Scheideweg:


Industriegebiet mit Kaje oder Wohn- und Gewerbepark?


Mit dem Bebauungsplan 1288 für das ehemalige BWK-Gelände können die Weichen für die weitere Entwicklung des Stadtbezirks Blumenthal gestellt werden.

Der von der Baubehörde vorgelegte Plan sieht ein Industrie- und Gewerbegebiet nahe dem Ortszentrum vor. Dieses Konzept ist jedoch mit einer Reihe von Nutzungskonflikten und Widersprüchen verbunden, die zu einer Stellungnahme geführt haben, die auf diese Probleme aufmerksam macht. 

Dabei geht es vor allem um die Frage, ob durch den B-Plan 1288 tatsächlich positive Impulse für die Entwicklung Blumenthals ausgelöst werden oder für die Zukunft dieses sozial und umweltbelasteten Stadtbezirks nicht eine andere Nutzung erheblich bessere Chancen bieten kann.












„Mit falsch gebauten Städten kann man eine Gesellschaft

und eine Demokratie genauso ruinieren,
wie durch die Einrichtung eines totalitären Regimes.“

(Hans Paul Bahrdt, Sozialwissenschaftler)




Stellungnahme




zum Bebauungsplan 1288 (Bearbeitungsstand: 8. Mai 2013) gemäß § 3 (2) BBauG



Sehr geehrte Damen und Herren,


zu den derzeit ausliegenden Planungsunterlagen zum Bebauungsplan 1288 möchte ich ... eine Stellungsnahme gemäß § 3 (2) BBauG abgeben.

Generell begrüße ich es, dass Bremen durch den Aufkauf der Grundstücke und durch einen Bebauungsplan aus der Industriebrache auf dem Gelände der ehemaligen Bremer Woll-Kämmerei (BWK) Impulse für die Entwicklung des Ortsteils Blumenthal und damit auch der umliegenden Ortsteile auslösen will. Davon sollte vor allem das alte Blumenthaler Ortszentrum profitieren, das wegen des sozialen Brennpunkts an und um die George-Albrecht-Straße im Norden und das kaum genutzte alte BWK-Gelände im Süden praktisch kaum noch die Funktion eines Versorgungsmittelpunktes besitzt, sondern bestenfalls der Nahversorgung der hier lebenden Einwohner dient, wie die zahlreichen Leerstände von Geschäftsräumen augenfällig zeigen. Hier erwarte ich, dass durch die Umsetzung einer adäquaten Planung für die jetzigen Freiflächen und für die denkmalgeschützten Gebäude der ehemaligen BWK die entstandenen Funktionsdefizite abgebaut werden und gleichzeitig zusätzliche Konsumenten und Passanten für eine deutliche Vitalisierung des alten Zentrums sorgen werden.

Zu dieser Aufwertung Blumenthals können die vorgesehene Öffnung und Verlängerung der historischen Achse als verkehrsberuhigte Zone bis zu Weser und der Fuß- und Radweg entlang der Weser beitragen. Hierdurch wird ein interessantes neues Angebot für Radfahrer, Spaziergänger, Jogger und Hundefreunde geschaffen, das die Wohn- und Freizeitqualität in diesem Bereich deutlich steigern kann.

Sehr positiv sehe ich auch den Versuch, auf dem Gelände die bisherige Flächenversiegelung am östlichen Plangebietsrand zu reduzieren und neue Grünflächen vor allem im Auerandbereich zu schaffen.

Alles das sind Absichten, mit deren Hilfe die Kernbereiche der alten Industriestadt Blumenthal an Attraktivität und Umweltqualität gewinnen können.

Allerdings habe ich gleichzeitig wegen dieser städtebaulich so begrüßenswerten Vorhaben erheblich Bedenken, ob der B-Plan 1288 insgesamt ein kohärentes Konzept ohne schwerwiegende Nutzungskonflikte darstellt.






Konflikte durch die vorgesehene industrielle Nutzung



Da die Autoren ihren Plan selbst als Kompromiss bezeichnen, stellt sich vorrangig die Frage, ob durch das vorgeschlagene Konzept eine sinnvolle Ergänzung von Nutzungen erreicht wird oder ob damit eher reale Beeinträchtigungen verbunden sind. In diesem Fall würde der Kompromiss nur bedeuten, dass man im Plan den Wünschen verschiedener Interessengruppen teilweise entspricht, ohne dabei in ausreichender Weise darauf zu achten, dass dieses Entgegenkommen nicht später unweigerlich zu Konflikten zwischen den Nutzern des Areals und mit den Anwohnern angrenzender Quartiere führt sowie negative Auswirkungen auf die Entwicklung Blumenthals besitzt.



a) Belastungen der angrenzenden Wohngebiete durch industrielle Emissionen



Die im B-Plan vorgesehene industrielle und gewerbliche Nutzung missachtet die Erfahrungen, die man in anderen Städten, aber auch in Blumenthal selbst mit Belastungen für die Aufenthalts- und Wohnqualität in benachbarten Zentren und Wohnquartieren gemacht hat. Deshalb haben viele Industriestädte städtebauliche Förderprogramme genutzt, um erneuerungsbedürftige, häufig gründerzeitliche Stadtgebiete den Anforderungen der heutigen Gesellschaft anzupassen. Dabei wurden die Betriebe, die während der Industrialisierung am Rand der historischen Innenstädte entstanden waren, an den Stadtrand verlagert, wodurch die Unternehmen bessere Verkehrsanschlüsse an die Autobahnen und günstigere Voraussetzungen für möglicherweise gewünschte Flächenerweiterungen erhielten. In den Städten ließen sich dadurch funktionale Defizite der alten Stadtkerne ausgleichen, die aus fehlenden modernen Dienstleistungsangeboten und derzeit gefragten Wohnungstypen resultieren, wie sie etwa Senioren, Singles und junge Familien mit Kindern benötigen, die sich kein Eigenheim im Grünen leisten können. Damit kann einem vielfach kritisierten unerwünschten Ausbluten der Innenstädte entgegengewirkt werden. Beispiele für solche Planungen sind das Textilviertel in Augsburg und das Gelände der Nordwolle in Delmenhorst.

Nicht zuletzt konnten durch diese Planungen auch die Emissionen industrieller Nutzungen verhindert werden, die sich bei industriell-gewerblichen Betrieben zumindest nicht völlig ausschließen lassen und daher das Image dieser Gebiete eindeutig negativ prägen. Diese Erfahrungen wurden nicht zuletzt auch bereits bisher in Blumenthal gemacht.


Da eine industrielle Nutzung, durch die es, wie der Bremer Wirtschaftssenator erklärt hat, “rauchen und stinken“ (BLV vom 18.8.2012 „CDU fordert „großen Wurf“) darf, besteht die Befürchtung, dass der Wohnwert in den angrenzenden Wohngebieten beeinträchtigt wird. Das ist keineswegs eine fiktive Gefahr, wie die heftige Diskussion um die Emissionen der Brewa in Blumenthal gezeigt hat. Hier wurde die Belastung nach einem Erörterungstermin der Gewerbeaufsicht Ende 2003 zur Ausweitung der Sondermüllverarbeitung sogar Mitte 2004 in einer Aktuellen Stunde der Bürgerschaft erörtert, an der auch Mitglieder verschiedener Bürgerinitiativen teilnahmen, die gegen die zusätzlichen Aktivitäten der Brewa opponierten. Sonderauswertungen des Bremer Krebsregister sowie im Jahr 2005 Schadstoff- und Geruchsmessungen im Rahmen eines Sondermessprogramms Blumenthals erfolgten damals. Auch wurde, um den Sorgen der Anwohner Rechnung zu tragen, eine Kommission Luftreinhaltung Blumenthal unter Leitung eines Mediators eingerichtet.


Trotz diverser nachträglicher Maßnahmen wie der Erhöhung der Schornsteine konnten diese Beeinträchtigungen nicht völlig vermieden werden. So wurde noch in der zweiten Julihälfte 2012 von einem „üblen Gestank“ berichtet, der im Bereich des ehemaligen BWK-Geländes zu Beschwerden von Anliegern geführt hat, wofür die Eindampfungsanlage der Brewa verantwortlich gemacht wurde. (Weser-Kurier vom 31.07.2012 „Umweltinspektion bei der Brewa“). 


Der Geschäftsführer dieses Unternehmens erklärte damals mit einem Verweis auf den Standort in einem Industriegebiet: Hierbei könne es auch schon mal riechen: "Das lässt sich nicht verhindern." 



In dem jetzt vorgelegten B-Plan werden zu den bereits bestehenden Industrieflächen noch Erweiterungen vorgeschlagen, die teilweise den Wohngebieten näher liegen als die Eindampfungsanlage der Brewa. Damit dürfte nicht nur die Erinnerung an die Vergangenheit die Bewertung von Blumenthal als Wohnstandort weiter belasten, sondern diese befürchteten Beeinträchtigungen der Lebensqualität durch die Ausweitung der Industrie- und Gewerbegebiete werden sich wegen zusätzlicher bisher unbekannter Unternehmen mit noch unkalkulierbaren Risiken vermutlich noch vergrößern
.




b) Eingeschränkte Nutzung der denkmalgeschützten BWK-Gebäude

In der Begründung zum B-Plan 1288 werden als Nutzungen für die „bauhistorisch wertvollen und somit identitätsstiftenden Gebäude entlang der historischen Achse“ kleinflächiges Gewerbe, Büronutzung, Gastronomie, kulturelle Zwecke und Dienstleistungen bzw. für die „historischen Verwaltungs- und Produktionsgebäude“ ein „Potenzial zur Nutzung als Büro- und Atelierfläche für z.B. Künstler, Designer, Ingenieure und Architekten oder auch für die Gastronomie“ genannt. Diese Einschätzung spricht für ein angestrebtes gehobenes Image, was dadurch untermauert wird, dass hier „Vergnügungsstätten zu einem Attraktivitätsverlust des Plangebietes führen“ würden und daher nicht zugelassen sind. Auch sollen hier gemäß §85 BremLBO aus Gründen des Ensembleschutzes Werbeanlagen „nur an der Stätte der Leistung zulässig“ sein und auch hier nur als „untergeordnetes Element“ ausgeführt werden.


Diese Zielsetzung wird durch Industriebetriebe, die nicht unbedingt ästhetische Reize besitzen und sogar „rauchen und stinken“ können, konterkariert, wie die Nutzung anderer Industriegebiete zeigt. Restaurierte denkmalgeschützte Gebäude mit ihrem ganz besonderen Flair sind zweifellos geeignete Angebote für Ateliers und gastronomische Betriebe. Nur wird dieses Image bildende Ambiente durch angrenzende industrielle Nutzungen praktisch zunichte gemacht, da eine Lageangabe wie Gourmet-Restaurant neben der Autolackiererei oder Palettenfabrik nicht unbedingt werbewirksam sein dürfte.Das gilt ganz besonders für einen in der Erlebnisgastronomie sehr beliebten Außenbereich, wo die Gäste nicht unbedingt mit industriellen Emissionen während ihrer Mahlzeit oder lockeren Gesprächsrunde konfrontiert werden wollen.







c) Beeinträchtigung der Aufenthaltsqualität des Weserfuß- und Radweges sowie der verkehrsberuhigten historischen Achse 


Diese Problematik gilt auch generell für die angestrebte „Erhöhung der Aufenthaltsqualität der historischen Achse zwischen ehemaligen Werkstor und Weser“, die als verkehrsberuhigter Bereich gestaltet werden soll. Wege, die durch langweilige Industrie- und Gewerbegebiete bzw. zunächst noch durch Industriebrache führen, animieren nicht zu einem längeren Aufenthalt, sondern führen eher zu einem Ausweichen auf andere Strecken, die mehr Natur oder spannende Ausblicke zu bieten haben.

Die zahlreichen planerischen Anstrengungen, durch die der Wert dieser „grünen“ Elemente auf dem ehemaligen BWK-Gelände gesteigert werden soll, werden daher durch deren Umgebung konterkariert und damit relativ wertlos.







Innere Widersprüche im Industriekonzept 


Bei einer Realisierung des jetzt vorliegenden B-Plans 1288 drohen jedoch nicht nur zahlreiche Nutzungskonflikte. Es kommen auch weitere Widersprüche in dem angestrebten Konzept einer industriellen und gewerblichen Nutzung hinzu, die nicht geklärt sind. Daher ist zu erwarten, dass hier später Ad-hoc-Lösungen durch Änderungen des Bebauungsplans durchgesetzt werden, die das vorgelegte Gesamtkonzept in Frage stellen. Es kann daher zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass nach entsprechenden Korrekturen ein gesichtsloses innenstadtnahes Industrie- und Gewerbegebiet mit einigen städtebaulich kaum integrierten Relikten der BWK-Vergangenheit übrig bleibt.


a) Ungeklärte Berücksichtung einer Kaje 


Offen bleibt die Einbeziehung der bestehenden, aber nur begrenzt belastbaren alten Kaje an der Weser, bei der die „Lagegunst“ mit der „Festsetzung zweier Industriegebiete“ genutzt werden soll.

Weder für die alte Anlage noch für einen Neubau finden sich jedoch im Plan Vorgaben. Das gilt auch für die Straßenführung, da die ringförmige Erschließungsstraße nicht die Weser bzw. den Weserfuß- und Radweg tangiert. Zudem sind keine unmittelbaren Straßenverbindungen zwischen einer Kaje und einzelnen Grundstücken vorgesehen. Damit fehlt in dem Plan eine integrierte Ausweisung eines Weserzugangs, worin die Befürworter eines Industriegebietes auf dem BWK-Gelände bisher immer den größten Vorteil gerade dieses Areals gesehen haben.

Wenig realistisch dürfte die Möglichkeit sein, den „wasserseitigen Güterumschlag mittels Kran über den Weg hinwegzuheben“. Dem stehen vor allem Vorschriften der "Grundsätze der Prävention" (BGV A1) in der berufsgenossenschaftlichen Unfallverhütungsvorschrift entgegen. Hier wird an „gefährlichen Stellen“, wozu der Aufenthalt unter schwebenden Lasten üblicherweise zählt, Unbefugten der Aufenthalt verboten. Auch dürfen Kranführer Lasten nicht über Personen hinwegführen. (BGV A1 § 30 (9)).

Der Hinweis auf diese Form des Gütertransports über den Fuß- und Ragweg hinweg ist damit kein realistischer Kompromiss zwischen den Befürwortern und den Skeptikern gegenüber einer Weserkaje, da diese Lösung wegen bestehender Vorschriften praktisch unmöglich ist.

Die erwähnte Unterstützung der Kranlösung durch „verkehrliche Regelungen“ wird in der Begründung des B-Plans nicht konkretisiert. Um wenigstens minimalen Sicherheitsstandards zu genügen, sollten mindestens vor und hinter einer möglichen Kaje auf dem Weserfuß- und –radweg Ausgabestellen für industrielle Schutzhelme vorgesehen werden. Auch ist an eine Lichtzeichenanlage zu denken, die bei Löscharbeiten rechtzeitig an geeigneten Stellen vor der Benutzung der dann entstehenden Sackgassen warnt.

Da nach dem vorgelegten B-Plan 1288 eine Weser-Kaje keine praktische Bedeutung mehr hat, entfällt damit die bisher vorgegebene Begründung für eine industrielle Nutzung. Die Planung kann daher logischerweise von anderen Zielen ausgehen wie etwa der städtebaulichen Entwicklung Blumenthals oder den Wünschen der Bewohner, wie sie ansatzweise 2010 auf der BreNor erhoben worden sind.



b) Fehlende differenzierte Erschließung großer und kleiner Teilgebiete


Relativ ungeklärt ist im Plan die Ausdehnung der einzelnen Teilgebiete für Industrie- und Gewerbebetriebe. Hier wird einerseits auf die Größe des Gesamtareals verwiesen, die man als Alleinstellungsmerkmal im Einzugsbereich Bremen Nord herausgestellt und die „damit auch ein Ansiedlungspotenzial für überregionale agierende Unternehmen“ besitzen soll.

Andererseits wird betont, dass der Standort „wegen seiner Nähe zum Zentrum Blumenthals auch gute Bedingungen für die Ansiedlung von kleineren Unternehmen aus dem Handwerks- und Dienstleistungsbereich“ aufweist. Diese Differenzierung wurde jedoch bei der Aufteilung in die einzelnen Industrie- (GI) und Gewerbeflächen (GE) nur bedingt berücksichtigt. Das gilt auch für die Erschließungsstraßen.

Falls sich ein Unternehmen mit großem oder kleine mit geringem Flächenbedarf für Grundstücke interessieren sollten, wird man entweder diesen Wünschen mit einem Verweis auf den B-Plan nicht entsprechen können oder aber den Plan ändern müssen.



c) Kundenunfreundlicher Zentralparkplatz 


Die angestrebte hohe gestalterische Bewertung der historischen Achse hat für potenzielle Käufer oder Mieter auch negative Auswirkungen. Das gilt vor allem für die bewusst eingeschränkte Zahl an Parkplätzen, da die Kunden einen Zentralparkplatz benutzen sollen. Wie das Kundenverhalten zeigt, und das hat sich kürzlich gerade sehr deutlich in der Diskussion um den Marktplatz im Blumenthaler Zentrum bestätigt (Weser-Kurier vom 29.05.2013, „Blumenthal soll saniert werden“), bevorzugen Kunden in aller Regel kurze Wege vom geparkten Auto bis zu ihrem angestrebten Ziel. Das bedeutet, dass sie Dienstleister wie gastronomische Betriebe, die das nicht bieten können, eher vernachlässigen. Wegen dieser Wünsche von Besuchern, Gästen, Klienten und Kunden kann auch nicht von der erwarteten Entlastung der historischen Achse vom Parksuchverkehr ausgegangen werden, da den Autofahrern die Überlegungen der Planer über die Nutzung einer kontaminierten Fläche nicht geläufig sein dürften.

Auch hier können leicht Korrekturwünsche auftauchen, die dem ursprünglichen Konzept widersprechen und es infrage stellen.




d) Belastung der Industrie- und Gewerbegrundstücke durch Auflagen



Die nach §85 BremLBO verlangte Abschirmung von Lagerflächen auf Industrie- und Gewerbegrundstücken durch „bauliche oder gestalterische Maßnahmen“ „zu den angrenzenden öffentlichen Verkehrsflächen“ dient der ästhetischen Aufwertung der Straßen und Wege. Das gilt vor allem an der historischen Achse und am Weserfuß- und –radweg. Sie verteuert jedoch gleichzeitig die Kosten der Lagerhaltung, sodass hierdurch ein Wettbewerbsnachteil gegenüber anderen Industrie- und Gewerbegebieten entsteht.

Es droht daher auch hier die Gefahr, dass bei einer nur stockenden Vermarktung eine Änderung dieser Vorgaben angestrebt wird, wodurch die eingangs angeführten positiven Aspekte dieses B-Plans leicht verloren gehen können.



e) Entwertung möglicher weicher Standortfaktoren 



In der Begründung des B-Plans wird besonders herausgestellt, dass weiche Standortfaktoren „in Zeiten des Strukturwandels und der interkommunalen Konkurrenz zunehmend an Bedeutung“ gewinnen. Allerdings geht man auf diesen Aspekt anschließend kaum ein, wenn man einmal von dem Hinweis absieht, dass es sich um ein „durch Gründerzeitbauten historisch geprägtes Umfeld handelt, das als Alleinstellungsmerkmal zur Profil- und Imagebildung dem Gebiet eine eigene Identität verleiht.

Wie die aufgeführte Vielzahl von Nutzungskonflikten zeigt, wird durch die angestrebte industrielle und gewerbliche Nutzung gerade dieses Alleinstellungsmerkmal jedoch deutlich entwertet. Der B-Plan trägt also nicht dazu bei, die weichen Standortfaktoren Blumenthals zu stärken, sondern bewirkt eher das Gegenteil.






Vernachlässigung der zeitlichen Komponente 


Bei dem angestrebten Impuls, den die zukünftige Nutzung des ehemaligen BWK-Geländes für die Entwicklung Blumenthals auslösen soll, darf die zeitliche Komponente nicht übersehen werden, die im B-Plan gar nicht angesprochen wird. Hier ist festzuhalten, dass eine schleppende Realisierung des Konzepts den Verfall des Blumenthaler Zentrums nicht stoppen kann, sondern eher verstärken wird, wenn über Jahre hinweg eine großflächige Industriebrache in der Nachbarschaft liegt.



a) Implikationen einer weiterhin schleppenden Vermarktung


Nach den bisherigen Erfahrungen kann auf dem BWK-Gelände bestenfalls mit einer zögernden Vermarktung der Grundstücke gerechnet werden. So ist es dem letzten privaten Eigentümer der BWK, der australischen Elders Inc., trotz intensiver Bemühungen nicht gelungen, einen Käufer zu finden, der an diesem Standort ein Wirtschaftsunternehmen führen wollte. Auch einzelne Teilflächen und Räume in den alten BWK-Gebäuden konnten bisher nur sporadisch verkauft oder vermietet werden. So findet man auch heute noch das Gros der bestehenden Arbeitsplätze auf dem Gelände in Nachfolgebetrieben der BWK und nicht in neu angesiedelten Betrieben.

Diese Einschätzung teilt sogar die jetzige Eigentümerin, die Wirtschaftsförderung Bremen GmbH (WFB), deren Prokurist Ende 2011 erklärt hat: „Mittel- und langfristig hat der Standort sehr gute Perspektiven" (Weser-Kurier vom 14.11.2011 „Senat will letzte BWK-Flächen kaufen“).

Es ist daher zu erwarten, dass noch über Jahre hinweg große Teile des Plangebietes Industriebrache bleiben werden, was nicht nur die erwarteten Impulse für Blumenthal abschwächt, sondern vermutlich sogar in ihr Gegenteil verkehren kann, wenn sich auf diese Weise ein Desinteresse an dem Standort dokumentiert.



b) Notwendige Vorhaltung von Erweiterungsflächen


Da Industrie- und Gewerbeunternehmen üblicherweise mit Wachstum rechnen, sind sie prinzipiell an räumlichen Erweiterungsmöglichkeiten interessiert. Daher werden Grundstücke bevorzugt, in deren Nähe sich später Erweiterungen vornehmen lassen.

Dieser verständliche Wunsch der Unternehmen ist städtebaulich nachteilig vor allem für stadtnahe Gebiete, da hier bei seiner Berücksichtigung die angestrebte Arbeitsplatzdichte erst langsam eintritt. Auch in diesem Fall kann der Verkäufer nur entweder den Unternehmen entgegenkommen und die städtebaulichen Folgen vernachlässigen oder er muss diesen Standortnachteil gegenüber Industrie- und Gewerbegebieten am Stadtrand akzeptieren und damit auf mögliche Interessenten verzichten.






Entwertung des Geländes und seiner einzelnen Teile durch eine industrielle Nutzung


In der Begründung zu diesem B-Plan wird von einem tragfähigen Kompromiss gesprochen, „der die Wirtschaftlichkeit berücksichtige“. Dieser Hinweis auf finanzielle Aspekte ist erfreulich, da derartige Überlegungen in Planentwürfen üblicherweise kaum auftauchen, obwohl sie nicht zuletzt für den Eigentümer und damit in diesem Fall den Bremer Steuerzahler erhebliche Auswirkungen haben. Fraglich bleibt jedoch, was diese Behauptung im konkreten Fall faktisch besagt. So haben vorgenommene Nutzungsfestlegungen im B-Plänen deutliche finanzielle Auswirkungen vor allem für die Eigentümer, da sich die Grundstückspreise entsprechend der zulässigen Nutzung deutlich unterscheiden. Entsprechendes gilt für die Mieten bzw. Kaufwerte der vorhandenen BWK-Gebäude, die vor allem von der Standortqualität, d.h. der Erreichbarkeit von Kunden und dem Image, abhängen.


a) Wertvernichtung bei den denkmalgeschützten Gebäuden 

Wie in der Presse (z.B. Weser-Kurier vom 28. November 2012, „Wollkämmerei-Gelände. Bremen will mehr als neun Millionen Euro investieren“) berichtet wurde, fallen für den Schutz der vom Verfall bedrohten ehemaligen BWK-Gebäude innerhalb der nächsten drei Jahre Kosten in Höhe von 9,4 Millionen Euro an. Dabei geht der Eigentümer davon aus, dass sich dieser Betrag „nicht durch die am Markt vorherrschenden Mieten finanzieren“ lässt (Weser-Kurier vom 25.09.2012, „Millionen für historische BWK-Gebäude“).

Hier stellt sich die Frage, ob der Wert dieser Gebäude nicht sehr stark von ihrem Ambiente abhängt, das der Bremer Bausenator mit einer „unverwechselbaren Adresse mit historischem Charme“ 
beschreibt. Falls die historische Achse zu einem architektonischen Einheit ausgebaut würde, die vor allem Bezüge zur früheren Nutzung herstellt und damit den besonderen Charakter dieses Gebietes betont, könnte das den Wert der Immobilien deutlich steigern. Denkbar wäre dabei zum Beispiel eine Platzlösung im Bereich des markanten Gebäudeensembles am Kammzuglager oder am Wasserturm, wo neben dem Widder als Symbol der alten Wollkämmerei (BLV vom 17.7.2013; „Ein Stein-Bock“ für Blumenthal“) auch eine Brunnenanlage einen positiv wahrgenommen Bezug zur Vergangenheit herstellen könnte, da sie an die Bedeutung des Wassers bei der Verarbeitung von Rohwolle zu Kammzügen erinnert, also nicht nur eine bezugslose beliebte Platzmöblierung darstellen würde. 

Derartige Aufwertungen des bisher recht spartanisch geplanten Ausbaus der historischen Achse könnten nicht nur diesen einmaligen Identifikationsbereich für Blumenthal betonen, sondern auch die benachbarten Grundstücke deutlich aufwerten. Allerdings wird dieses Potenzial durch die negativen Implikationen der Industrie- und Gewerbebetriebe auf den benachbarten Grundstücken erheblich eingeengt.



b) Entwertung des Fuß- und Radweges sowie der verkehrsberuhigten Achse


Die Kombination eines Weserrad- und Fußweges mit einer verkehrsberuhigten historischen Achse kann die Standortqualität angrenzender Grundstücke deutlich erhöhen, wenn für die dortigen Nutzungen diese Verbindungen von Vorteil sind.

Ganz besonders gilt das für den Schnittpunkt der beiden „grünen“ Achsen an der Weser. Hier könnte beispielsweise mit einer Marina und einem gastronomischen und ergänzenden sportlichen Angebot ein attraktiver Zielpunkt für Radfahrer, Spaziergänger und Wanderer geschaffen werden.

Allerdings werden solchen Möglichkeiten, die mit einer Steigerung der Grundstückswerte verbunden wären, im Rahmen des B-Plans deutliche Grenzen gesetzt. So dürfte es nur eine begrenzte Motivation für Besucher geben, diese Achse oder den Weserweg zu benutzen, wenn er weitgehend an Industriegebäuden, Parkplätzen und Brachland ohne besonderen visuellen Reiz vorbeiführt.






Fehlende Zielgenauigkeit des B-Plans 


Der im Plan angestrebte Kompromiss zwischen verschiedenen Konzepten, die von einem großflächigen Industriegebiet mit Kaje, wie es die Bremer Handelskammer fordert, über ein vor allem kleingewerblich genutztes Gebiet bis hin zu dem Versuch reichen, gleichzeitig noch „grüne“ Elemente einzubeziehen, führt zu dem Ergebnis, das keines der angestrebtes Ziel tatsächlich erreicht werden kann. So erfordern die Vorschriften, die den Charakter des Fuß- und Radweges, vor allem aber der verkehrsberuhigten historischen Achse absichern sollen, zu Auflagen für Industrie- und Gewerbegebiete, sodass sich interessierte Unternehmen fragen werden, ob sie nicht ein Areal als Standort wählen sollen, in dem es derartige Auflagen nicht gibt. Gleichzeitig werden die kunden- und publikumsorientierten Angebote ständig durch mögliche industrielle und gewerbliche Emissionen bedroht, die gerade in Blumenthal schon vor knapp einem Jahrzehnt zu heftigen Protesten geführt habe, obwohl damals die Entfernungen zu den potenziellen Quellen erheblich größer waren.







Weitere Abwertung des Stadtteils Blumenthals durch industrielle Nutzung


Generell ist es daher mehr als fraglich, ob es bei den aufgezeigten Konflikten und Widersprüchen im B-Plan 1288 tatsächlich gelingen kann, durch die „Entwicklung eines Standortes für gewerblich-industrielle Nutzungen“ „den Stadtteil Blumenthal aufzuwerten“.

Das ist zumindest ein ungewöhnliches Vorhaben, da Industrieflächen gemeinhin das Image eines Stadtteil eher belasten, während eine Verbesserung durch eine anspruchsvolle Architektur, kulturelle Einrichtungen und einen hohen Freizeitwert erfolgt. Wegen der Nutzungskonflikte sind in diesem Fall diese Effekte jedoch nicht zu erwarten, wie weiter oben im Einzelnen gezeigt wurde.

Wenn man daher der Einschätzung des Autoren des B-Plans 1288 folgt, nach der „die Neuentwicklung des ehemaligen BWK-Geländes .. nicht isoliert zu betrachten ist“, kann man nicht zwangsläufig auf einen positiven „Einfluss auf die gesamte Ortsteilentwicklung Blumenthals“ schließen.

Vielmehr muss man befürchten, dass die Nutzungskonflikte, die sich nicht zuletzt in Wertverlusten der Grundstücke ausdrücken, eher die Entwicklung weiter belasten, da sich die Zahl der industriell-gewerblichen Arbeitsplätze bestenfalls sehr langsam erhöhen wird, aber gleichzeitig mit einem nur geringen Interesse an den denkmalgeschützten Immobilien zu rechnen ist. Außerdem werden Industrieemissionen in Blumenthal weiterhin ein virulentes Thema bleiben, das auch nicht durch die Attraktivität neuer „grüner“ Wege aufgefangen werden kann, da hier spannende Wegstrecken und ein Ziel fehlen. Das könnten beispielsweise eine ergänzende Platzlösung an der historischen Achse sein, die einen deutlichen Bezug zur BWK herstellt, und ein Attraktionspunkt am Ende dieser Achse. Allerdings leidet der Nutzwert dieser wünschenswerten Aufwertungsansätze an dem „Mühlstein“ der angrenzenden industriell-gewerblichen Betriebe.

Im Interesse einer Steigerung der Lebensqualität in Blumenthal wäre es daher notwendig, eine Bebauung auf dem ehemaligen BWK-Gelände zu planen und zu realisieren, die sich nicht aufgrund der zwangsläufigen Widersprüche eines Kompromisses zwischen verschiedenen antagonistischen Optionen selbst behindert. Man müsste sich daher ohne Vorgaben durch Lobbygruppen für eine Lösungsalternative entscheiden, durch die sich nach sorgfältiger Prüfung der Vor- und Nachteile Blumenthal tatsächlich aus seiner prekären Situation eines städtebaulichen Sanierungsfalls befreien kann.





                           Nutzungen auf dem Nordwolle-Gelände in Delmenhorst

Sozialräume: Modell


Sozialräumliche Grundlagen einer sozialkohärenten Stadtpolitik 

Modell und Beispiele


Die soziale Ungleichheit einer Gesellschaft spiegelt sich in einer unterschiedlichen Verteilung der sozialen Schichten und Gruppen auf die Quartiere einer Stadt wider. Dabei kommt es zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Differenzierung oder Segregation nach dem sozialen Status, der Stellung im Familienzyklus und der ethnischen Herkunft. Auf diese Weise entstehen innerhalb einer Stadt verschiedene Sozialräume, die jeweils unterschiedliche Kombinationen der Verteilungsmerkmale aufweisen.


Eine Analyse städtischer Probleme und Aufgaben mithilfe dieser Sozialräume bietet eine Reihe von Vorteilen: In diesen Raumtypen findet man unterschiedliche Verhaltensmuster, wie sich am Wahl- und Gesundheitsverhalten exemplarisch zeigen lässt. Dadurch bestehen abweichende Bedarfsstrukturen, die sozialraumspezifische Maßnahmen vor allem der kommunalen Sozial-, Jugend-, Bildungs- und Gesundheitsressorts verlangen.

Da sich Städte nach dem Grad ihrer sozialräumlichen Differenzierung unterscheiden, können Segregationsindizes eine wichtige Kontrollgröße für eine Politik darstellen, die eine zu starke räumliche Polarisierung verhindern. Das gilt vor allem für Ghettobildungen, die eine Integration von ausgegrenzten Minderheiten erschweren und bestehende individuelle Problemlagen der Bewohner noch verstärken, aber auch zu delinquenten Subkulturen führen können, die durch Vermüllung, Vandalismus und Kriminalität auffallen.

Um diesen Fragenkreis besser erfassen zu können, wurde in den letzten Jahren und Jahrzehnten vor allem aus pragmatischen Gründen die klassische Sozialraumanalyse durch einen weiteren Verteilungsmechanismus ergänzt, der sich auf zentrale soziale Problemlagen bezieht. Dabei steht vor allem die Einkommensarmut im Vordergrund, die durch die Abhängigkeit von Transferzahlungen erfasst wird. Beispiele hierfür sind in Bremen der Benachteiligungsindex der Sozialbehörde und ein Vermutungsindex für soziale und städtebauliche Problemlagen im Rahmen des Monitorings Soziale Stadt Bremen.

Praktisch erfassen diese Indizes die Verteilung der Einwohner, die Transferleistungen nach Hartz IV beziehen oder Klienten der Sozialintervention sind. Daher dürfen diese Begriffskonstrukte, auch wenn sie teilweise komplexe Rechenkalküle besitzen, nicht überbewertet werden. Eine Fokussierung der Stadtpolitik auf diese durch ihre Bezeichnungen überfrachteten Universalindizes begünstigt daher eine fragwürdige eindimensionale Problemsicht.

Häufig wird vermutlich aus politischen Gründen auf eine sachgerechte breite Darstellung der Sozialräume verzichtet und die Thematik praktisch auf die Ausweisung von Quartieren konzentriert, deren Bewohner besonders häufig auf Transferzahlungen angewiesen sind. Dadurch lassen sich zwar gesellschaftspolitische Ansatzpunkte gewinnen, wobei jedoch die unterschiedliche Verteilung von Migranten und Infrastruktureinrichtungen auf die verschiedenen Sozialräume, an der die Kommunen selbst in erheblichem Maße beteiligt sind, weitgehend ausgeklammert bleibt.

Auch fehlen bei dieser armutspolitischen Fokussierung gesamtstädtische Aspekte, so dass sich die Stadtentwicklung leicht auf einen sozialen Reparaturbetrieb reduziert sehen kann.



Sozialräumliche Strukturen und Disparitäten


Städte waren und sind in sich differenziert geordnet. Das zeigen besonders eindrucksvoll mittelalterliche Städte, wo wir noch heute die Gebäude der reichen Patrizier und Kaufleute am Marktplatz finden, während an der und aus Kostengründen sogar in der Stadtmauer die erheblich bescheideneren Unterkünfte der ärmeren Stadtbewohner stehen. Neben dem Einkommen und Vermögen haben auch die Berufe den Wohnsitz innerhalb alter Städte bestimmt, was sich häufig noch an den aus dieser Zeit erhaltenen Straßennamen ablesen lässt. So lebten die Angehörigen der Zünfte in mehr oder weniger geschlossenen Straßenzügen also in einer Becker- oder Bäckerstraße, in einer Böttcher- oder in einer Knochenhauerstraße. Für andere Handwerker gab es für diese Anordnung konkrete Gründe, da die Müller und Färber Wasser benötigten und die Schmiede wegen der hohen Brandgefahr in der Nähe der Stadtmauer untergebracht wurden.



Die Bedeutung des Immobilienmarktes


Das hat sich im Zuge der Industrialisierung und Marktwirtschaft geändert, da jetzt ein Wettbewerb um die Standorte innerhalb einer Stadt besteht, wobei auf dem Gebiet der Wohnimmobilien die Boden- und Mietpreise sowie die Bedürfnisse und Präferenzen der Bewohner und Zuziehenden die Allokation bestimmen.

Im Zuge ihres raschen Wachstums in dieser Zeit haben sich die Städte in konzentrischen Kreisen ins Umland ausgebreitet, indem vor allem Familien mit Kindern in den suburbanen Raum gezogen sind, seit sich die Entfernungen zu den innerstädtischen Arbeitsplätzen durch den ÖPNV und vor allem die Verbreitung der Pkws leicht überbrücken lassen.

Da diese Möglichkeit in den ersten Jahrzehnten der Industrialisierung noch nicht bestanden, waren die Arbeiter und kleinen Angestellten damals meist auf Wohnungen in der Nähe ihrer Arbeitsplätze angewiesen. Das zeigt sich etwa an den Werkswohnungen, die meist in unmittelbarer Nachbarschaft zum Unternehmen errichtet wurden. Wer hingegen keine festen Arbeitszeiten hatte oder sich teure Fahrzeuge leisten konnte, konnten Villen an Standorten wählen, die seinen Präferenzen entsprachen. Dabei wurden meist Gegenden an Flüssen und Parks bevorzugt wie etwa an der Hamburger Elbchaussee und in Blankenese oder in Berlin am Wannsee und in Grunewald.

In Einwanderungsländern wie den USA entstanden zudem spezielle Zuwanderungsgebiete für die verschiedenen Nationalitäten, die sich meist in Gebieten mit preiswertem Wohnraum, also in wenig attraktiven Wohngegenden, befinden. Bekannte 
Beispiele sind hier die Chinatowns etwa in San Francisco, Los Angeles und New York.


Den Verteilungsmechanismus des Marktes veranschaulicht die folgende Tabelle, die die Miethöhe und die Preise für Eigentumswohnungen und Häuser in einigen Bremer Ortsteilen zeigt. Dabei lassen sich die deutlichen Unterschiede zwischen den gehobenen Vierteln Bürgerpark und Borgfeld sowie dem Arbeiterquartier Gröpelingen und der Großsiedlung Tenever sowie dem eher dörflichen Vorort Rekum erkennen. Dabei gibt es jedoch nicht nur Preisunterschiede aufgrund der Lage, sondern auch abweichende Angebotsstrukturen, denn in Borgfeld und Rekum werden fast nur Häuser angeboten.


Immobilienmarkt (Juli 2013) in ausgewählten Ortsteilen Bremens


Ortsteil
Miete
EW
Häuser
An deil der Wohnungen
Anteil der Häuser
Bürgerpark
9,0 €/qm 
2.300 €/qm 
833.000 €
33 %
67 %
Borgfeld
7,5 €/qm 
1.700 €/qm 
423.000 €
 2 %
98 %
Gröpelingen
5,3 €/qm 
900 €/qm 
124.000 €
58 %
42 %
Tenever
5,2 €/qm 
700 €/qm 
180.000 €
27 %
73 %
Rekum
5,4 €/qm
650 €/qm 
183.000 €
2 %
98 %


Das Shevky-Bell-Modell

Dieses Verteilungsmodell konnte in einer 1949 von Shevky und Williams veröffentlichten Studie über Los Angeles erstmals empirisch überprüft werden. Dabei stellte sich heraus, dass die Verteilung der Wohnbevölkerung nach drei zentralen Dimensionen erfolgt.


Sozialräumliche Verteilungsdimensionen und ihre Indikatoren



Verteilungsdimension
Statistische Indikatoren

Sozialer Status
Arbeiteranteil, Volksschüleranteil, Durchschnittseinkommen, Wohnfläche pro Einwohner
Familaler Status
Frauenerwerbsquote, Anteil der Einfamilienhäuser,
Anteil der unter 18-jährigen, Anteil der 6-jährigen
Ethnischer Status
Ausländeranteil


In den folgenden Jahren wurden diese Befunde durch weitere Arbeiten von Shevky/Bell (1955) und später eine Vielzahl faktorialökologischer Studien, in denen die räumlichen oder ökologischen Korrelationen der Indikatoren mithilfe der Faktorenanalyse ausgewertet wurden, abgesichert.

Dabei ist der dritte Faktor weniger eindeutiger als die beiden anderen, da er eine entsprechende Zuwanderung voraussetzt. Falls es sich um Gebiete mit einem besonders niedrigen Mietniveau handelt, findet man hier auch andere einkommensschwache Bevölkerungsgruppen. Das gilt als Folge der Globalisierung und des Abbaus industrieller Arbeitsplätze in Deutschland auch für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger bzw. Hartz IV-Bezieher.

Man kann daher heute auch in vielen deutschen Städten von segregierter Armut sprechen, da über den Wohnungsmarkt einkommensschwache Bevölkerungsgruppe in Quartiere abdrängt werden, in denen relativ preiswerter Wohnraum zur Verfügung steht. Das sind häufig die inzwischen unbeliebten Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre sowie alte Arbeiterviertel.

Aufgrund dieses Verteilungsmechanismus können daher „die meisten Nichtdeutschen heute dort leben, wo zugleich die meisten armen Inländer wohnen – und genau hier wachsen innerhalb der Städte auch die meisten Kinder auf.“ (Farwick, Emscherregion, S. 18)


Sozioökonomische und soziokulturelle Trends und ihre Auswirkungen auf die städtischen Sozialräume

Gerade dieser Wandel in der Sozialstruktur weist auf die Abhängigkeit der städtischen Verteilungsmuster bei der Wohnbevölkerung von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen hin. So spielt mit der Expansion des Dienstleistungssektors die für das industrielle Zeitalter prägende Trennung von Arbeitern und Angestellten eine immer geringere Rolle. Ähnlich sieht es bei der Wahl von familienorientierten Wohnformen im Grünen aus, die früher zumindest in den USA zu weitläufigen Vorstädten mit Einfamilienhäusern auf großen Grundstücken geführt haben. Heute lassen sich für die entsprechenden Indikatoren wie den Arbeiteranteil oder die Frauenerwerbsquote hingegen kaum mehr aktuelle Daten finden, da diese Merkmale an Bedeutung verloren haben. 

Zumindest in Deutschland haben hingegen die Bezieher sozialer Transferleistungen, also vor allem der Sozialhilfe und heute der Zahlungen nach dem SGB einen Umfang erreicht, der die Verteilung ihrer Bezieher zu einem wichtigen Element der sozialräumlichen Stadtstruktur macht. 

Um dieses Problem einer segregierten Armut diagnostizieren und auch unter räumlichen Aspekten mildern zu können, wurde daher ein statistisches Instrumentarium erstellt.


Soziale Segregation und soziale Disparitäten als Probleme


Soziale Disparitäten innerhalb einer Stadt sind nicht nur eine normale Auswirkung der sozialen Schichtung einer Gesellschaft und der Wirkungsmechanismen des Wohnungsmarktes. Sie werden und müssen auch als soziale Brennpunkte erkannt werden, wenn Grenzwerte überschritten werden und sich durch die räumliche Kumulierung die individuellen Folgen etwa des Ausländerstatus oder der Abhängigkeit von Transferleistungen des Staates noch verstärken, sich also etwa aufgrund des Wohnsitzes die Kontakte auf die neue segregierte Nachbarschaft konzentrieren, in der sich die Betroffenen ohne große Änderungsambitionen einrichten.

In empirischen Untersuchungen sind diese Folgen greifbar geworden; denn der Ausstieg aus einer Armutslage erfolgt solchen Armutsinseln erheblich seltener als in Gebieten mit geringer Sozialhilfedichte, und zwar um 37% weniger, oder in Gebieten mit mittlerer Sozialhilfedichte, wo der Unterschied noch 17 % beträgt. (Farwick, S. 179)

Für diesen Effekt werden vor allem drei Gründe genannt: die häufig schlechtere infrastrukturelle Versorgung dieser Gebiete etwa mit Ärzten, Kindergärten und Schulen, das Erlernen von Handlungsmuster, die den Ausstieg verhindern, und stigmatisierende und diskriminierende Einflüsse des Armutsgebiets, die häufig allein schon mit der Adresse verbunden sind. (Farwick, S. 180)


Die Aufgaben von Sozialindikatoren


Eine Stadtpolitik, die starke Segregationen vermeiden und keine negativen Folgen von Ghettobildungen in Kauf nehmen will, muss sich um Informationen bemühen, die ihr eine rechtzeitiges Erkennen unerwünschter Entwicklungen erlauben. Das ist vor allem in größeren Städte geboten, wo auch intime Stadtkenner den Überblick verlieren und vor allem keine objektiven Beurteilungen garantieren können.



Um diese Informationslücke zu schließen, wurden in zahlreichen deutschen Städten Indizes entwickelt, die komprimiert über die jeweils interessierenden Sachverhalte informieren.

Die Beurteilung dieses teilweise ähnlichen, aber auch zuweilen deutlich abweichenden Indexbildungen kann nur vor dem Hintergrund der relevanten Aufgabenerstellungen erfolgen.


Die Beschreibung sozialräumlicher Strukturen und Entwicklungen


Um sich besser in dem sozialen Problemraum Stadt zu orientieren ist als Einstieg in weitere Analysen ein Kurzbeschreibung erforderlich. Indizes können so für die Quartiere eine Art Visitenkarte darstellen, durch die sie sich leicht einordnen lassen, auch wenn man sie selbst nicht aus eigenen Anschauung kennt. Wegen dieser Orientierungsfunktion wurde auch schon von einem Navi für den sozialen Raum einer Stadt gesprochen. 

Neben dieser komprimierten Kennzeichnung der Quartiere lassen sich auf dieser Informationsgrundlage auch gesamtstädtische Strukturen und Entwicklungen erfassen. Das gilt für die in diesem Zusammenhang vor allem interessierende Segregation.

Wie stark Segregationstendenzen tatsächlich sind, lässt sich durch einen „Index der Segregation“ (IS) statistisch berechnen. Größe ist damit ein Maß für die ungleiche Verteilung einer Personengruppe wie der älteren Menschen, Ausländer oder Hartz IV-Bezieher auf die einzelnen Teilgebiete einer größeren räumlichen Einheit, also etwa in Bremen auf die Ortsteile der gesamten Stadt.

Dieser einfach erscheinende Vergleich von Anteilswerten bereitet im Detail jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Ein zentrales Problem ist dabei das Problem der statistischen Durchschnitte, da auch Wohnquartiere, wenn sie von der Statistik als statistische Bezirke oder in Bremen als Ortsteile erfasst werden, in sich nicht inhomogen sind. Generell lässt sich so feststellen, dass bei kleinen Raumeinheiten die innere Homogenität und damit auch die Abweichung vom gesamtstädtischen Durchschnitt größer ist.

Generell steigt daher mit einen kleinteiligeren Gliederung eines Untersuchungsgebietes, die Höhe des Indexwertes, sodass sich problemlos praktisch nur die Verteilung verschiedener Bevölkerungsgruppen in derselben Stadt vergleichen lässt. Dasselbe gilt für Zeitreihen, wenn sich die Abgrenzung der Teilräume nicht geändert hat.

Dieser Segregationsindex kann zwischen 0 (keine Segregation) und 100 (vollständige Segregation) betragen. Sein Wert lässt sich als der Prozentwert der jeweiligen Bevölkerungsgruppe interpretieren, der umziehen müsste, um theoretisch über alle Stadtbezirke hinweg eine durchschnittliche Gleichverteilung in der Gesamtstadt zu erreichen.


Segregationsindizes für verschiedene Bevölkerungsgruppen in Frankfurt am Main (Ende 2009)


Bevölkerungsgruppe
Segregationsindex
Personen mit existenzsichernden Mindestleistungen
22,5
Einwohner mit Migrationshinweis
17,4
Arbeitslose
16,8
Ausländer
16,4
Haushalte mit Kindern
15,3
Alleinerziehende Haushalte
13,7
Nichtwähler
12,7
Einwohner im Alter von 65 Jahren und mehr
11,3
Minderjährige
11,3
Quelle: Frankfurt, S. 78

Wie die Frankfurter Daten in der Tabelle exemplarisch zeigen, ist das Ausmaß der Verteilungsunterschiede bei verschiedenen Merkmalen recht unterschiedlich. Dabei wird vor allem die Bedeutung des Einkommens sichtbar, da die Bezieher von Hartz IV sogar deutlich segregierter leben als Ausländer, Arbeitslose und Einwohner mit einem Migrationshinweis.

Unterschiede bestehen jedoch auch zwischen der Städten, was in einer Vergleichsstudie im Zeitraum 2007-2009 untersucht wurde, in der man mit einer gleich großen Zahl von Raumeinheiten gearbeitet hat, um die Verzerrungen auszuschließen, die allein durch die Zahl der statistischen Bezirke entstehen.

Für die Merkmale Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und Bevölkerung mit Migrationshintergrund fand man dabei deutliche Abweichungen. So ergab sich eine Ungleichverteilung „am wenigsten in Frankfurt/Main, München, Stuttgart, Karlsruhe sowie Oberhausen und Mainz“, während Düsseldorf, Heidelberg, Koblenz, Mannheim, Nürnberg und Saarbrücken im Mittelfeld lagen. Die stärkste Ungleichverteilung wurde hingegen in Berlin, Bremen, Dortmund, Hamburg, Halle, Köln und Leipzig beobachtet.“

Auch eine ältere Untersuchung, die allerdings mit den in der jeweiligen Stadtstatistik verwenden räumlichen Einheit arbeitet, kommt für die Verteilung der Sozialhilfeempfänger im Jahr 2004 für Bremen zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn man etwa die Hansestadt mit Stuttgart vergleicht.


Segregation von Sozialhilfeempfängern


Stadt
Stat. Raumeinheiten
Segregationsindex 2004
Bremen
77
26,3
Dortmund
62
28,4
Düsseldorf
48
23,3
Essen
50
27,1
Frankfurt
45
17,4
Hannover
48
21,6
Köln
84
27,9
Stuttgart
112
22,3
Wuppertal
64
26,8
Quelle: Farwick, Polarisierung, S. 46

In dieser Studie sind vor allem die Messungen in einem größeren Zeitintervall von Bedeutung, da hier die statistische Verzerrung durch die Zahl der Raumeinheiten keine Rolle spielt. Dabei zeigte sich in Bremen eine steigende Segregation der Sozialhilfeempfänger zwischen 1982 und 2004 von 22,6 auf 26,3, wobei dann mit der Umstellung auf Hartz IV der Segregationsindex im Jahr 2006 auf 25,4 fiel. Eine ähnliche Entwicklung gilt allerdings nicht nur für Bremen, sondern auch für die ebenfalls untersuchten Großstädte Dortmund, Essen und Hannover.


Sozialökologische Analyse des Wahlverhaltens


Mit sozialräumlichen Daten lassen sich jedoch nicht nur Segregationsfragen beantworten. Die Sozialräume können auch als Bezugsgrößen für andere Auswertungen herausgezogen, bei denen ein räumlicher Aspekt eine Rolle spielt. Ein Beispiel ist hier die Wahlforschung.

Wahlergebnisse werden in der Regel für die einzelnen Wahlbezirke ausgezählt und veröffentlicht. Falls sich dabei deren Grenzen mit denen der statistischen Bezirke decken, lassen sich sogenannte ökologische Wahlanalysen durchführen. Diese Art der Wahlforschung, die häufig auch als Wahlgeographie bezeichnet wird, hat eine lange Tradition, da sie ohne einen Rückgriff auf Individualdaten auskommt, die erst relativ zeit- und kostenaufwendig durch eigene Befragungen ermittelt werden müssen. 

In diesem Fall werden die Aussagen nicht über die einzelnen Wähler, sondern über deren Wohngebiete getroffen. Es lässt sich also nicht ermitteln, ob etwa in Quartieren mit hohem Ausländeranteil auch Migranten rechtsextreme Parteien gewählt haben oder die übrige Bevölkerung in einer Reaktion auf den Ausländeranteil ihre Stimmen für diese Parteien abgegeben haben.

Bei dieser kostengünstigen Wahlanalyse muss man daher eine Reihe von Annahmen machen, da sich prinzipiell nur etwas über das Wahlverhalten innerhalb eines Quartiers, aber nichts über die einzelnen Wähler aussagen lässt. Man ist daher bestrebt, relativ homogene Sozialräume für die Analyse auszuwählen.

Das hat auch das Statistische Landesamt Bremen für die Bundestagswahl 2007 versucht, als mit „City, Cityrand“, „Traditionelle bürgerliche Wohn- und Villenviertel“, „Ältere Arbeiterviertel“ und „Großsiedlungen“ vier teilweise an städtebaulichen Merkmalen orientierte Gebietstypen unterschieden wurden.


Wahlbeteiligung in verschiedenen Sozialräumen bei den Bremer Bürgerschaftswahlen 1999 und 2007


Sozialraum

Wahlbeteiligung
1999 in %
Wahlbeteiligung 2007 in %
Entwicklung in Prozentpunkten
City, Cityrand
61,3
62,0
+0,7
Trad. bürgerl. Wohn-, Villenviertel
72,1
69,7
- 2,4
Ältere Arbeiterviertel
56,2
51,5
-4,7
Großsiedlungen
57,8
51,5
-6,3

Bremen

62,0
58,6
-3,4
Quelle: Trends 2007, S.10

An diesen Daten in der Tabelle oben kann man nicht nur die unterschiedlich hohe Wahlbeteiligung in den Sozialräumen ablesen, die zwischen 72,1% und 51,5 % in den beiden Wahlen lag, sondern sogar eine konträre Entwicklung in den Gebietstypen erkennen. Dabei lässt sich allerdings nicht sagen, ob dieser Anstieg im Gebietstyp „City, Cityrand“ bei sonst sinkenden Werten durch einen Austausch der Bewohner oder ein verändertes Wahlverhalten der prägenden sozialen Gruppen entstanden ist.


Anteil der Parteien in den Sozialräumen bei den Bürgerschaftswahlen 1999 und 2007 in %



Sozialraum

SPD 1999
SPD 2007
CDU 1999
CDU 2007
Grüne 1999
Grüne 2007
FDP 1999
FDP 2007
Linke 1999
Linke 2007
City, Cityrand
33,9
27,3
29,5
17,5
21,8
34,4
2,2
5,2
9,1
12,8
Trad. bürgerl. Wohn- ,Villen-viertel
28,4
26,0  
52,3
38,4
10,5
19,7
3,5
7,9
2,2
5,3
Ältere Arbeiterviertel
51,1
44,9  
32,7
22,0
5,4
10,5
1,7
4,6
2,3
9,5
Großsiedlungen
46,4
42,0 
39,5
26,6
4,4
10,3
1,7
5,2
1,6
8,0

Bremen

42,7
37,2
37,7
25,8
9,1
17,3
2,1
5,4
3,1
8,7
Quelle: Trends 2007, S. 11

Teilweise parallel zur Wahlbeteiligung verteilen sich die Unterschiede bei der Parteipräferenz in den Sozialräumen, wo in den bürgerlichen Vierteln mit ihrer hohen Wahlbeteiligung die CDU und FDP überdurchschnittlich stark sind. Sehr auffallenden sind die Anteile der Grünen in der City und am Cityrand, also in zumeist ehemaligen bürgerlichen Altbaugebieten, wo die Grünen 2007 die weitaus stärkste Partei waren.

Neben dieser Entwicklung, die mit einer atypisch höheren Wahlbeteiligung einherging, fällt vor allem der Anstieg der Linken in den Hochburgen der SPD, also den ehemaligen Arbeiterquartieren und den Großsiedlungen auf, wo gleichzeitig die Wahlbeteiligung deutlich zurückging.



Analyse von Gesundheitsuntersuchungen


Sozialräume wurden nicht nur in der Wahlanalyse, sondern auch für die Auswertung von Gesundheitsdaten eingesetzt, die vor allem aus Anonymitätsgründen nur über Raumkoordinaten bzw. Ortsteile erfasst sind, wie das beispielsweise beim Bremer Krebsregister der Fall ist.

Besonders eingehend wurden derartige Gesundheitsdaten für die Berliner Bezirke ausgewertet, die man gleichzeitig durch einen Sozialindex charakterisiert hat.

Dabei zeigen sich beispielsweise deutliche Unterschiede zwischen den Bezirken „Steglitz-Zehlendorf“ mit einem Sozialindexrang von 1 und „Mitte“ auf Rang 12. Hier ist in den Gebieten mit einem niedrigen sozialen Status des Zahnstatus der Kleinkinder und Schüler deutlich behandlungsbedürftiger und die Häufigkeit vermeidbarer Todesursachen erheblich größer als in einem Gebiet mit hohem sozialen Status, wie die beiden folgenden Tabellen veranschaulichen.


Sozialindex und behandlungsbedürftiger Zahnstatus (in%) in Berlin im Jahr 2009/2010 nach Bezirken



Bezirk
Sozialindex

Kleinkinder

Schüler
Steglitz-Zehlendorf
1
10,6
14,9
Mitte
12
24,9
34,8
Quelle: Häßler u.a., S. 71.

Sehr deutlich sind auch die Unterschiede bei den sogenannten vermeidbaren Todesursachen, die in den sozialen Problemvierteln teilweise mehr als doppelt so häufig sind wie in gehobenen Vierteln. Das gilt vor allem für Lebererkrankungen.

Ausgewählte vermeidbare Todesursachen in Berlin zwischen 2008 und 2010 (DMR)


Bezirk
Lungen-
krebs
Ischämische
Herzkrankheiten
Akuter Myro-
kadinfarkt
Hyper-
tonie
Leberer-
krankungen
Alkoholische

Lebererkrankung

Steglitz-Zehlendorf
19,9
27,8
6,5
12,8
9,4
3,8
Mitte
28,9
45,4
11,1
24,8
21,1
9,8


Eine ähnliche Analyse unter dem Schwerpunktthema „Soziale Ungleichheit in der Krebsinzidenz und –mortalität“ hat das Bremer Krebsregister 2008 für die Neuerkrankungen und Todesfälle im Zeitraum 2000-5 unternommen. Dabei wurden die Bremer Ortsteile entsprechend dem Bremer Benachteiligungsindex in fünf Cluster gruppiert, auf die jeweils etwa 100.000 Einwohner entfallen (Eberle u.a, S. 11).
In der Auswertung stieg bei Männern die Neuerkrankungs- und Sterberate mit einer Abnahme des Sozialstatus der Cluster. Dabei war diese Differenz bei der Mortalität mit einer um 45 % höheren Rate deutlicher stärker ausgeprägt als bei der Inzidenz.

Für Frauen zeigte sich hingegen ein anderes Verteilungsmuster, da bei ihnen zwischen den Clustern keine signifikanten Inzidenzunterschiede beobachtet werden konnten. Zwar stieg bei Frauen die Krebssterblichkeit ebenfalls mit einer Abnahme des Sozialstatus an, jedoch in einem erheblich geringerem Maße als bei den Männern. (Eberle u.a, S. 13)

Für die Autoren der Studie wirken „soziale Ungleichheit bzw. Armut als negativer Verstärker der wesentlichen Risikofaktoren für die Krebsentstehung, die schon seit Jahrzehnten bekannt sind: Tabak- und Alkoholkonsum, Ernährungsgewohnheiten und psychosozialer Stress. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Erkrankungsrisiko der einzelnen Menschen nicht deshalb höher oder niedriger ist, weil sie in einem bestimmten Stadtteil wohnen, sondern dass Menschen sich unterschiedlich gesundheitsrelevant verhalten oder unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wie z.B. Arbeitsbedingungen, ausgesetzt sind. (Eberle u.a., S. 22)


Jugendhilfe- und Sozialplanung


Weniger analytisch, sondern stärker betriebswirtschaftlich und entscheidungsbezogen ist eine Verwendung von Sozialräumen und ihren Sozialindikatoren in der Jugendhilfe- und Sozialplanung, wie es beispielsweise in Berlin vorgeschlagen und realisiert wurde. Grundidee ist dabei eine Gewichtung der Bevölkerung nach dem Grad ihrer sozialen Benachteiligung, die durch einen verstärkten Finanz- und Personaleinsatz in den jeweiligen Teilebieten kompensiert werden soll. Da man üblicherweise den Bedarf in Relation zur Einwohnerzahl ermittelt, wird bei diesem Verfahren die Einwohnerzahl in sozialen Problemgebieten nicht mit 1 angesetzt, sondern um einen Faktor erhöht, der sich aus einem entsprechenden Sozialindikator ermitteln lässt. So wird etwa in Berlin bei der Jugendhilfeplanung im relativ problemfreien Bezirk Zehlendorf die Zahl der Jugendlichen mit 1 gewichtet, während ein Jugendlicher im Problembezirk Lichtenberg wie 3,9 Zehlendorfer Jugendliche gezählt wird. (S. 100)


Fortsetzung:
II. Der Bremer Benachteiligungsindex in der Diskussion


Quellen:
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Brünner, Marion, Sozialindikatoren, Stadtmonitoring, Lebenslagenbericht – Vernetzte Berichterstattung. Vernetzte Maßnahmenplanung?, Folien zum Vortrag am 27.8.2010.
Denker, Wolfgang, Sozialindikatoren 2005, Bremen 2006.
Derzak, Rolf, Sozialindikatoren 2009. Aktualisierung der Sozialindikatoren, Bremen März 2010.
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Frein, Thomas, Möller, Gerd, Petermann, Andreas und Wilpricht, Michael, Bedarfsgerechte Stellenzuweisung – das neue Instrument Sozialindex, in: SchulVerwaltung NRW, 2006, S. 188-189.
Häßler, Kathleen, Hermann, Sabine, Adloff, Inis, Grahlen, Rainer und Lenz, Simone, Mundgesundheit der Berliner Kinder - Ergebnisse des Schuljahres 2009/2010, Spezialbericht Berlin 2011-2.Krebserkrankungen im Land Bremen 2000 – 2005. Schwerpunktthema: Soziale Ungleichheit in der Krebsinzidenz und –mortalität. 7. Jahresbericht des BKR, Bremen 2009.
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